Pius ix - © Foto: kathbild / Franz Josef Rupprecht

Die Unfehlbarkeit des Papstes

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Genau vor 150 Jahren wurde in Rom das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes proklamiert. Es ist aber selbst Teil eines geschichtlichen Interpretationsprozesses. Eine Einordnung.

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Genau vor 150 Jahren wurde in Rom das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes proklamiert. Es ist aber selbst Teil eines geschichtlichen Interpretationsprozesses. Eine Einordnung.

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Um die Mittagszeit des 18. Juli 1870 ging ein heftiges Gewitter über Rom nieder. Im Petersdom hatte sich das Erste Vatikanische Konzil versammelt, um eine weitreichende Lehrentscheidung zu verabschieden. Unter Donnerschlägen definierten die Konzilsväter die Unfehlbarkeit des Papstes. Lange Debatten und scharfe Auseinandersetzungen waren vorausgegangen. Die Vertreter der Minderheitsfraktion, die etwa ein Fünftel ausmachte, hatten sich mit ihren Bedenken nicht durchsetzen können. Sie wurden niedergestimmt, wobei ein beachtlicher Teil der kritischen Bischöfe schon vor der Schlussabstimmung abgereist war. Eine Kirchenspaltung mit der Gründung der altkatholischen Kirche folgte, aber es blieb auch ein bleibendes Konfliktpotenzial in der katholischen Kirche, das noch 1980 den Tübinger Dogmatiker Hans Küng seine kirchliche Lehrerlaubnis kostete.

Die Vorstellung, dass der Papst unfehlbar sein soll, erweist sich seitdem als ein entscheidendes ökumenisches Hindernis. Auch wenn sich seine Definitionsmacht auf Fragen des Glaubens und der Moral beschränkt – ist dieses Dogma nicht Ausdruck einer absolutistischen Papstkirche? Was die Bischöfe an diesem Julimittag in St. Peter aus akustischen Gründen kaum hören konnten, lohnt das Nachlesen:

Sprechen „ex cathedra“

Wenn der römische Papst „ex cathedra“ spricht, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen kraft seiner höchsten apostolischen Autorität entscheidet, eine Glaubens- oder Sittenlehre sei von der ganzen Kirche festzuhalten, dann vermag er dies durch göttlichen Beistand, der ihm im seligen Petrus verheißen ist, mit jener Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Entscheidung einer Glaubens- oder Sittenlehre ausgestattet haben wollte. Und deshalb sind solche Lehrentscheidungen des römischen Pontifex aus sich, nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.

Es kommt auf jedes Wort an, um den Sinn dieser bis heute umstrittenen Definition zu bestimmen. Man muss den historischen Kontext berücksichtigen, in dem sich das Konzil zu diesem Dogma durchringt. Das 19. Jahrhundert setzte die katholische Kirche in mehrfacher Hinsicht unter Druck. Der Vatikanstaat wurde zerschlagen und auf ein territoriales Restgebiet reduziert. Bürgerliche Gesellschaften mit ihren Freiheitsdynamiken vollzogen die Trennung von Staat und Kirche. Der sich formierende Sozialismus entfremdete die Arbeiter von der Kirche. Ideengeschichtlich hatte die Aufklärung einer kritisch-emanzipatorischen Vernunft zum Durchbruch verholfen.

Die Selbstbestimmung des freien Subjekts betraf mit der Mündigkeit des politischen Bürgers auch religiöse Einstellungen. Für die katholische Kirche schienen sich im Wandel der Moderne die Wahrheiten des Glaubens aufzulösen. Das Konzil mit Pius IX. an der Spitze setzte demgegenüber auf den Ewigkeitswert der Wahrheit, die der Papst stellvertretend für die Kirche vertritt. Darum aber geht es: um die Frage, wie sich eine immer und für alle gültige Wahrheit erreichen lässt. Muss nicht im Mahlstrom der Geschichte auch „die Wahrheit Gottes“ untergehen, weil sich die Bedingungen verändern, unter denen sie formuliert wurde? Diese Frage geht an den Kern eines Glaubens, der sich an der Geschichte festmacht und in einem konkreten Menschen der Geschichte, dem Juden Jesus von Nazareth, die Wirklichkeit Gottes bestimmt. Vordergründig ging es im Gewitter von Rom um Machtkompetenzen, letztlich aber um die Möglichkeit, die Wahrheitsfähigkeit von Glaubensüberzeugungen zu bestimmen. Sie steht hinter dem Gedanken der Unfehlbarkeit des Papstes.

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