"Roma locuta" mit viel Luft nach oben

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"Die theologische Regie von Franziskus: die Lehre der Kirche über ihre pastorale Bedeutung zu erschließen und den Kirchen vor Ort mehr Kompetenzen einzuräumen."

In der katholischen Kirche gilt ein Grundsatz der Konfliktregelung: Roma locuta, causa finita. Rom spricht, damit ist die Sache entschieden, der Fall abgeschlossen. Seit dem Ersten Vatikanischen Konzil, das den Lehr-und Jurisdiktionsprimat des Stellvertreters Christi festschrieb, gilt diese Regel als förmliches Gesetz. Von der Ernennung der Bischöfe bis zum lehramtlichen Controlling: Rom zog seitdem an sich, was es in der katholischen Welt als klärungsbedürftig ansah. Davon geht eine hohe Sicherheit in einer meinungspluralen Welt aus. Zumindest im Raum des Glaubens und seines Deutungsbedarfs lassen sich auftretende Ambiguitäten beherrschen. Trotzdem hält die Kirche einige Aspekte ihrer Lehre so offen, dass Spielraum für Interpretationen bleibt. Sonst wäre eine Entwicklung in der Lehre ausgeschlossen, wie sie das letzte Konzil vornahm. Von daher erweist es sich überlieferungshermeneutisch als klug, dass die katholische Kirche es sogar in Fragen, die sie für geklärt hält, gelegentlich bei einem Offenheitsvermerk belässt. Was nicht ex cathedra definiert wurde, hat Luft nach oben.

Glaubenslehre und Lebenspraxis

Ob die Frauenordination zu diesem Repertoire zählt, ist aktuell Gegenstand einer theologischen Diskussion, die ein Artikel des Präfekten der Glaubenskongregation abzuschließen sucht, indem er sie jenseits eigener Ex cathedra-Kompetenz mit seiner Deutung fortsetzt (s. auch Beitrag linke Seite; red.). Dem Meinungsstreit, den wirkliche Probleme auslösen, entkommt man aber nicht durch Lösungen, die nicht das Niveau der Herausforderungen erreichen. Dass es zum Beispiel, wie Erzbischof Ladaria einschärft, männlicher Priester bedürfe, um Jesus zu repräsentieren, ist schlicht unterkomplex. Dass mit dem Prinzip letzter Sprüche aus Rom nicht alles eindeutig wird, verdeutlicht ein geltungslogisches Gedankenspiel: Was passiert, wenn ein Papst seine Unfehlbarkeit in einem als infallibel ausgewiesenen Rechtsspruch aufhebt? Was absurd klingt, weist auf eine Selbstverständlichkeit hin: dass dies einen dogmatischen Selbstwiderspruch erzeugte, mit dem sich der päpstliche Sprecher ebenso aus dem katholischen Glauben verabschiedete, als würde er Maria in die Trinität hochrechnen. Er wäre häretisch. Aus kirchlicher Sicht bedarf das keiner anderen Regel als jener Macht des Faktischen in Gestalt des gelebten Glaubens, der im Volk Gottes eine eigene Gewissheit erzeugt. Wie weit sie trägt, ist die Frage.

Der Zusammenhang von Glaubenslehre und Lebenspraxis ist von Interesse, weil derzeit ein zweiter Text von Erzbischof Ladaria Aufsehen erregt. Im Namen des Papstes hat er dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mitgeteilt, dass man den Kommunionempfang für nichtkatholische Partner in konfessionsverbindenden Ehen in Rom klären werde. Anfang Mai hatte der Heilige Vater die deutschen Bischöfe, die im Vatikan Rat suchten, noch mit dem Auftrag entlassen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Nun vollzieht der Papst eine Kehrtwende. Aus dem ersten Roma locuta ist ein zweites geworden. Es soll verhindern, dass eine pastorale Handreichung in Kraft tritt, die "Probleme von erheblicher Relevanz aufwirft". Die Sorge gilt unterschiedlichen Zugangsregeln zur Kommunion in der Weltkirche: Ambiguitätsbereinigung à la Franziskus. Sie stiftet freilich ihrerseits Verwirrung unter Gläubigen wie Bischöfen, die sich überrascht bis empört zeigten.

Der Vorgang gibt zu denken, schon weil er unterschiedliche Interpretationen zulässt, wie die ersten Kommentare zeigen. Dass die Handreichung der deutschen Bischöfe noch "nicht zur Veröffentlichung reif" sei, wussten die Beteiligten schon vorher, weil sie noch einmal über das Dokument nachdenken sollten. Wenig klar erscheint, warum diese Einschätzung nun dazu führt, die Sache in Rom statt in Fulda zu regeln. So aber argumentiert der Brief. Nach akuter Auffassung des Papstes steht nun doch eine universalkirchliche Agenda mit dogmatischer Reichweite im Raum. Deshalb führt der Weg zurück nach Rom.

Mal so, mal so? Ausgerechnet Ladarias Unfehlbarkeitstext bietet einen Ausweg aus dem verfahrensambigen Lehramtsdickicht. Wenn der deutsche Vorschlag, der den Kommunionzugang für Nichtkatholiken als Ausnahme vorsieht, eine neue Regel freigibt und der Papst sie zulässt, gerät er unter dogmatischen Druck. Das hat der Brief der Dubia-Kardinäle zur Interpretation von "Amoris laetitia" ebenso gezeigt wie Stellungnahmen aus dem kurialen Umfeld. Ladaria hat den Heiligen Vater offensichtlich im zweiten Anlauf davon überzeugt, dass mit der Handreichung der DBK die beiden Zentralaspekte seiner kirchlichen Stellung berührt sind: der "Glaube der Kirche" und das "Recht der Kirche". Wenn sich der Papst dieser Sicht anschließt, ist es konsequent, die Strategie zu wechseln. Er nimmt seine Macht wahr, um eine Entscheidung durchzusetzen, die seiner theologischen Agenda entspricht. So kann er zeigen, wer Herr im Lehrhaus ist.

Universalkirche vor Ort

Auf dieser Linie lässt sich Ladarias Beitrag im Osservatore Romano einordnen. Er betont die unfehlbare Lehre der Kirche, die in der Gemeinschaft von Bischöfen und Papst zum Ausdruck kommt. Die Autorität des Papstes bringt ihre Einheit im Glauben zur Geltung und betrifft insofern auch die universalkirchliche Dimension im offenen Kommunionstreit. So ließ der Papst über den Glaubenspräfekten ausrichten, dass "dem Diözesanbischof das Urteil über die Existenz einer 'drängenden Notlage' zu überlassen" sei.

Genau daran macht sich der Mehrheitsvorschlag der Deutschen Bischofskonferenz fest. Was im Prozedere widersprüchlich scheint, bewährt sich als Kurs: Wenn die Vor-Ort-Entscheidung greift, ist die universalkirchliche Regelung des entsprechenden Kanons an die Wahrnehmung der pastoralen Wirklichkeit gebunden - an den Einzelfall. Sowohl die auf Ausnahmen abgestellte Perspektive des DBK-Papiers als auch die theologische Regie von Franziskus kämen damit zu ihrem Recht: die Lehre der Kirche über ihre pastorale Bedeutung zu erschließen und deshalb den Kirchen vor Ort mehr Kompetenzen einzuräumen.

Das geht nicht ohne Spannungen in den Grauzonen des Lebens ab. Auch in den Gemeinden der Bischöfe, die Festlegungen von Rom erwarten, hält man sich an die Regel der eucharistischen Ausnahme: Niemand wird von der Kommunion ausgeschlossen. Die Ambiguitäten des gelebten Kirchenglaubens, die die Bischöfe nicht verhindern (können), sollen vom Papst aufgelöst werden. Franziskus spielt dies nun in der Form einer ambiguitätstoleranten Lehrpraxis zurück, indem er das Recht des Diözesanbischofs betont. Das lässt Raum für die Ausnahme im Einzelfall.

Dazu passt, dass Ladarias Brief ekklesiologische Probleme anspricht, aber kein Wort über die theologische Begründung der Handreichung verliert. Sie bleibt diskutabel. Die Einheit der Kirche, die es zu wahren gilt, hängt am Ende an einer neuen Form des Roma locuta, die eine Entscheidung vor Ort freisetzt.

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