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REISE DER HOFFNUNG NACH ROM

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„Wir sind nach Rom gegangen, um dem Heiligen Vater in Anwesenheit seiner engsten Mitarbeiter die schwierige pastorale Lage in der Schweiz auseinanderzusetzen. Dabei hatten wir das volle Vertrauen, daß der Papst die Kirche in der Schweiz nicht fallen lassen wird”, kommentiert Pater Roland Tauffer, Sprecher der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK), die Reise der Hoffnung der Schweizer Bischöfe nach Rom. Man erhoffte vom Vatikan Beistand bei der Schlichtung der nun schon seit April 1988 schwelenden Auseinandersetzungen um die Person des Bischofs von Chur, Wolfgang Haas.

Da es bei der Rückkehr der Fürbittenden nur ein „strahlendes Gefühl”, nämlich das von Wolfgang Haas gab, befürchtete man eine Maßregelung der Bischofskonferenz. Damit hätten auch viele gute Entwicklungen der Schweizer Kirche während der letzten 20 Jahre eine wenig bejahende Beurteilung gefunden. Erfolgreich war beispielsweise die bruchlose Angleichung der Neuerungen des Konzils an das pastorale Leben. Eine weitere Frucht zeigt sich in der engen ökumenischen Zusammenarbeit der verschiedenen Landeskirchen.

Zunächst enthielt sich die Bischofskonferenz in Erwartung eines Zeichens aus Rom jedes weiteren Kommentars. Nun scheint das Signal gesetzt worden zu sein: Die Ernennung des Bischofs von Sitten, Heinrich Schwery, als einem „Mann der Mitte” zum Kardinal der Schweiz wird als Indiz gewertet, daß die Darstellung der Schweizer Verhältnisse den Papst überzeugt haben.

Für Tauffer ist die Wahl Schwerys ein „Beweis des päpstlichen Vertrauens in die katholische Kirche der Schweiz und ihre Bischöfe”. Allge-

Die Polarisierung strahlte von Chur auch in die übrige Schweiz aus. Es bildeten sich restau-rative Gruppen... meine Anerkennung wurde dem neuen Kardinal für die Art zuteil, wie er den Herausforderungen des Schismas von Erzbischof Marcel Lefebvre begegnet ist. „Bischof Schwery zeigte damals, daß er nicht nur Politik machen will, wenn es um die Kirche geht. Er bleibt weiterhin Diözesanbi-schof und damit ein Mitglied der Bischofskonferenz. Dadurch haben sich die Verhältnisse verändert. Denn mit einem Kardinal haben wir eine ganz andere Beziehung zu den Behörden in Rom”, bemerkt der Wortführer der Bischöfe.

Im übrigen ist die traditionalistische Bruderschaft Pius X. von Econe zur Zeit kein brisantes Thema für die B ischofskonferenz, man hält aber weiterhin die Türen für Umkehrwillige geöffnet. Die unversöhnliche Rede von Franz Schmidberger, dem Nachfolger des abtrünnigen Erzbischofs, anläßlich der Beerdigung von Marcel Lefebvre hat erneut bestätigt, daß sich diese Bewegung weiterhin außerhalb der Kirche befindet.

Mit der Wahl des Bischofs von Lugano, Eugenio Corecco, zum Kardinal hätte Rom ein Orientierungszeichen in eine andere Richtung gesetzt, denn bei vielen strittigen Fragen hat dieser Bischof ähnliche Ansichten wie Wolfgang Haas. So beziehen beide eine ablehnende Stellung gegenüber der Bußfeier-Praxis in den deutschsprachigen Bistümern. Obwohl die Weisungen der Schweizer Bischöfe zur Praxis des Bußsakraments bis in Einzelheiten mit Rom abbesprochen worden sind. Es ist zu hoffen, daß die Gruppierung „Pro ecclesia”, die sich wegen ihrer fanatisierenden Unterstützung von Wolfgang Haas für besonders romtreu hält, durch die jüngsten Entwicklungen einen neuen Denkanstoß bekommen hat.

Die Nachricht, daß Papst Johannes Paul II. Erzbischof Karl-Josef Rauber als Visitator in die Schweiz entsendet, wird als zusätzlicher Vertrauensbeweis für den Episkopat gewertet. Den Erzbischof der Diözese Mainz und Leiter der päpstlichen Akademie erwartet eine schwierige Aufgabe. Denn seit 6. April 1988 - als der bisherige bischöfliche Kanzler und Offi-zial Wolfgang Haas zum „Weihbischof mit Nachfolgerecht des Bistums Chur” ernannt worden ist, wurde die Kirche von ständigen Unruhen erschüttert.

Schon bei der Inthronisierung in Chur legten sich 200 Menschen aus Protest gegen den neuen Bischof vor den Eingang der Kathedrale. Man kritisierte Haas wegen seiner „überaus konservativen und autoritätsgläubigen” Einstellung sowie seiner ablehnenden Haltung Frauen und Laien gegenüber. Mit 10.000 Unterschriften versuchten sich die Züricher Katholiken gegen die Absetzung ihres Generalvikars Gebhard Matt zur Wehr zu setzen. Zürich hat beschlossen, sich möglichst rasch von Chur loszusagen, seine Synode bemüht sich aktiv um ein neues Bistum.

Im Jahre 1990 dürften nach Schätzungen rund 3.000 Züricher Katholiken als Folge der Wirren von Chur die Kirche verlassen haben. Der Große Kirchenrat des Kantons Nidwaiden behielt seinen jährlichen Beitrag für Chur zurück.

Die Krise erreichte einen vorläufigen Höhepunkt, als Haas die Entscheidung traf, das Priesterseminar St Luzi in Chur neu zu strukturieren. Damit werden im kommenden Herbst Laientheologen und -theologinnen ausgeschlossen und der dritte Bildungsweg für ein Theologiestudium ist in Frage gestellt. Am 17. Juni forderten 8.000 Gläubige den Bundesrat in einer Resolution auf, im Vatikan zu intervenieren.

Die Polarisierung strahlte von Chur auch in die übrige Schweiz aus. Es bildeten sich restaurative Gruppen wie „Pro ecclesia”, die sich gegen die Liturgie-Reform aussprechen und den Verlust hierarchischer Strukturen bedauern. Dieser Trend hatte schon vor 25 Jahren mit der Gründung von „Una voce” eingesetzt. Der Sektenbeauftragte der SBK, Joachim Müller, sieht darin eine Strömung, die man im Rahmen des kirchlichen Entwicklungsprozesses seit dem Il.Vatikanum schon für verloren geglaubt hatte.

Großen Einfluß auf einfachere Gläubige habe das „Engelwerk”, das einen stark traditionalistischen Lebensstil vertrete, während das Opus Dei hauptsächlich „die Elite” anzusprechen versuche.

Durch verschiedene Zeitungen wie „Ewig” und das „Schweizerische Katholische Wochenblatt” werde die Stimmung für Bischof Haas und gegen seine Opposition angeheizt.

Pater Tauffer macht verschiedene Richtungen innerhalb der Protestbewegung aus. „Eine große Zahl der Priester und Laien in der Diözese Chur hat intuitiv und aus Erfahrung heraus gespürt, daß dies nicht der Bischof ist, der sie in das dritte Jahrtausend führen kann. Aber es gibt auch Leute, die mit expliziten Postulaten zeigen wollen, daß die römisch-katholische Kirche nicht mehr in die Zeit paßt - und für ihre Thesen, meinen sie, würde die Figur des Bischofs Haas den Beweis liefern.”

Der Informationsbeauftragte der SBK, Hans-Peter Röthlin, hat ebenfalls ein römisches Amt erhalten - er wurde zum Unterstaatssekretär des päpstlichen Medienrates ernannt. Als Anerkennung der Schweizer Bischöfe, daß es für die „Frau durchaus einen prominenten Platz in derKirche gebe”, wählten sie die Theologin Maria Brun zu Röthlins Nachfolgerin.

Maria Brun ist damit weltweit die erste Frau in einer solchen Stellung, in der sie intensiv mit den Bischöfen zusammenarbeiten wird. Nachdem man noch vor wenigen Wochen ernst-lich eine Spaltung der Schweizer Kirche befürchtet hatte, sind durch die Reise der Bischöfe nach Rom wieder Hoffnungen füreine versöhnliche Lösung des Kirchenstreits gewachsen.

Bis jetzt lautete Artikel 116 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: „ 1. Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind Nationalsprachen der Schweiz. 2. Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt.”

Alle Gesetze müssen in den Nationalsprachen veröffentlicht werden. Das bedeutet: Jeder Text muß verbindlich übersetzt werden, was großen Aufwand erfordert. Bei Unstimmigkeiten, die durch Interpretationsschwierigkeiten der unterschiedlichen Bedeutung von Begriffen in verschiedenen Sprachen entstehen können, entscheidet die Interpretation nach dem Sinn. Das klingt in der Theorie einfacher als es in der Praxis ist.

Und in der Tat: Die Schweiz muß eine Neuregelung ihrer sprachlichen Verhältnisse vornehmen, wie die eindrucksvolle Studie „Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz” einer Arbeitsgruppe des Innenministeriums vom August 1989 und die „Botschaft über die Revision des Sprachartikels der Bundesverfassung (Artikel 116BV)” zeigen.

Vielfalt ist eine hohle Phrase

In der Deutschschweiz verstärkt sich die Tendenz zum Gebrauch der Mundart. Die Dialektwelle hat alle Stufen des öffentlichen Lebens -Schule, Fernsehen kantonale und kommunale Parlamente, Verwaltung aller drei Ebenen, Kirche, Armee und Justiz - erreicht. Besonders in der Schweiz ist die lebendige Mehrsprachigkeit wichtig, da Vertreter der anderen Sprachgruppen, die sich ohnehin der zahlenmäßigen und auch wirtschaftlichen Dominanz der Deutschschweiz ausgesetzt sehen, noch größere Schwierigkeiten bekommen, mit den Eidgenossen jenseits der Saane in Dialog zu treten.

Diese zunehmende Entfremdung zwischen den Bevölkerungsgruppen führt zu einer betonten Hinwendung zum Englischen, das nicht nur als die leichtere, sondern auch als die nützlichere Fremdsprache empfunden wird.

Im Wirtschaftsleben von überregionalen, nationalen und internationalen Dimensionen ist von der Mehrsprachigkeit kaum etwas zu sehen. Im wirtschaftlichen Bereich wird das Rätoromanische kaum verwendet Zahlreiche Konsum- und Heilartikel die in der Schweiz hergestellt wer den, haben keine Beschriftungen auf Italienisch und Romanisch.

„Die wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der Mehrsprachigkeit unseres Landes droht jedoch die Formel von der schweizerischen Einheit in der Vielfalt zur hohlen Phrase verkommen zu lassen”, steht in der vorhin genannten Botschaft über die Revision des Sprachenartikels. Gleichzeitig wird deutlich gesagt, daß „ohne die Bereitschaft zur Interkulturalität” nicht nur der nationale Zusammenhalt auf Dauer nicht gewährleistet werden kann, sondern daß in einem Europa der Zukunft durch die steigende Mobilität ein Abschotten gegenüber zugewanderten Schweizern und Ausländem sowie gegenüber den anderen Kulturgemeinschaften der Schweiz nicht möglich sein kann.

Neue Maßnahmen sollen eine Folk-lorisierung des Rätoromanischen verhindern, indem die Präsenz der Sprache in allen Bereichen gefördert wird, die Gleichbehandlung der drei Landessprachen Graubündens gewährleistet ist und die landesweite Präsenz des Rätoromanischen im schriftlichen Bereich durch die allgemeine Verbreitung der Schriftsprache Rumantsch Grischun durchgeset? wird. Für die gesamte Schweiz mul in den Schulen eine echte Wahlmög lichkeit zwischen Französisch unc Italienisch beziehungsweise Deutscl und Italienisch bei der ersten Fremd spräche im Schulunterricht geschaf fen werden.

Ein eigenes Hochschulzentrum in Tessin zur Festigung der kulturelle Identität soll dem Italienischen in di Schweiz mehr Prestige verleihen.

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