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Die „ökumenische Bewegung“ und Rom

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Der „Osservatore Romano“ brachte am 1. März 1950 an leitender Stelle eine Instruktion des obersten kirchlichen Glaubensamtes, des „Hl. Offiziums“, für die Bischöfe „di tutto il mondo“ über die „ökumenische Bewegung“, die damit als ein Anliegen des Episkopats der gesamten katholischen Welt erklärt ist.

Die Presse der ganzen Welt horchte auf. Bis zur Stunde ist eine größere Stellungnahme nicht erfolgt. Manche bringen die Instruktion in Verbindung mit dem vor wenigen Wochen erfolgten Ruf nach Einheit der Christenheit, der in den „Times“ laut wurde. Es ist kaum anzunehmen, daß sich Rom durch einige Zeitungsartikel so rasch aus der Ruhe und Zurückhaltung bringen läßt, selbst wenn sie eine Vorsprache von Vertretern eines Teiles der getrennten Christen beim Heiligen Stuhle als Folge hätten. Aber die Stimme der „Times“ und die Instruktion selbst sind Zeichen besonderer Aktualität eines Anliegens, das seit den Tagen der judaisierenden und gnostischen Abspaltungen von der einen Kirche, also schon in der apostolischen Zeit, eine brennende Sorge der Kirche Christi ist.

Zum “Verständnis des Dokuments vom 1. März wird es dienlich sein, an die Stellungnahme der Kirche zur gleichen Frage in der jüngsten Zeit zu erinnern.

Zwei große Wellen einer Bewegung auf die Einheit der Christen hin erhoben sich in den letzten 100 Jahren. Sie gingen — begreiflich — nicht von Christen der römisch-katholischen Kirche aus, denn ihnen ist das Erlebnis des Getrenntseins fremd. Die eine kam von England in der anglo-katholischen Unruhe, die mit der Oxfordbewegung vor 100 Jahren begann und in den Mechelner Konferenzen am höchsten ging. Die Anregung der „Times“ ist nur ein jüngster, halb politischer Wellenschlag derselben.

Die zweite Welle war getragen von der Sehnsucht der völlig zersplitterten evangelischen Gemeinschaft nach Einheit und Anschluß an die übrige Christenheit. Ihr Ausdruck sind die großen Tagungen der letzten 30 Jahre in Stockholm, Lausanne, Oxford und Amsterdam.

Welche Stellung bezog der Heilige Stuhl zu dieser Welt der Erregung, Unsicherheit und Sehnsucht?

Die Jahrzehnte der ersten anglo-katholischen Bewegung, die mit einer Reihe von Konversionen bedeutender Theologen ihre erste Höhe und ihr Ende fanden, waren schon vorbei, als das noble Schreiben Leos XIII., „Ad Anglos“ (1895), die nun erstorbene Sehnsucht wieder aufjagte. Lord Halifax, ermuntert von dem frommen Vinzentiner Abbe Portal, erhob seinen Ruf nach Wiedervereinigung, der Primas von England rief zum Gebet auf für dieses Ziel. Aber die Nichtanerkennung der anglikanischen Weihen durch Rom (Bulle „Apostolicae curae“ vom 19. September 1896) dämpfte die jähen Hoffnungen auf 20 Jahre. Erst der Lambeth-Appell des anglikanischen Gesamtepiskopats (1928) an alle christlichen Kirchen schuf wieder die Atmosphäre, in der die berühmten Mechelner Conversations (1920 bis 1924) möglich waren, die führend von Lord Halifax mit Zustimmung des anglikanischen Primas und dem Primas von Belgien, Kardinal Mercier, mit Vorwissen Roms getragen waren. Das Gespräch scheiterte vorläufig. Die wesentlichste Schwierigkeit lag in der Forderung nach Anerkennung des Jurisdiktionsprimats. Dennoch wurden trotz aller Enttäuschungen auf beiden Seiten und aller Kritik von höchster kirchlicher Stelle die Bemühungen mit Freude und Dankbarkeit erwähnt, nämlich von Papst Pius XL in seiner Ansprache an das Konsistorium vom

24. März 1924. — Die Gründung der Benediktinerabtei in Annay-sur-Meuse mit der Aufgabe einer Einigung der Kirchen, besonders der des Ostens (darum „patres unionis“ genannt) ist eine mittelbare Folge.

Zurückhaltender noch war Rom gegenüber den Einigungsversuchen der Protestanten. Begreiflich auch: hier ging es in erster Linie um eine Einheit im eigenen Lager. Die ist auf dem Boden eines alle verpflichtenden Glaubensbekenntnisses bis heute nicht erreicht worden. Papst Benedikt XV., von dem das klare Wort stammt: „Die Kirche Christi ist weder lateinisch, noch griechisch, noch slawisch, sondern katholisch“ (Motu proprio Dei Providentia vom 1. Mai 1917), lehnte die Beschickung der Präliminarkonferenz für „Faith and Order“, die ihm eine Abordnung anglikanischer Episkopalisten überbrachte, höflich, aber bestimmt ab. So wurde es schon vorher (Stockholm) und später gehalten. Maßgebend dafür blieb und bleibt der Kanon 1325, Seite 3 und 4, des C. I. C: „Es ist Katholiken nicht gestattet, mit Nichtkatholiken Disputationen und Besprechungen, besonders nicht öffentliche, abzuhalten, es sei denn mit Erlaubnis des Heiligen Stuhles, in dringenden Fällen mit der des Diözesan-bischofs.“ Ergänzend dazu entschied das Heilige Offizium am 8. Juli 1927: Verboten ist, sich an Zusammenkünften, Vereinigungen oder Vorträgen zu beteiligen, die den Zweck haben, alle Christen in einem religiösen Bund zusammenzuschließen (AA. S. XIX. 278).

Eine gewisse Zusammenfassung der kirchlichen Position, angewandt auf die konkreten „Bewegungen“ (die dabei nicht mit Namen genannt werden), gibt das Rundschreiben Papst Pius' XI. vom 6. Jänner 1928 „Mortalium aniraos“. Hier werden „ökumenische“ Bestrebungen verurteilt, die selbst Heiden und Apo-state zu ihren Tagungen einladen und damit den religiösen Relativismus fördern und im Naturalismus und Atheismus enden müssen; dann jene „Panchristiani“, die an Stelle des reinen Glaubens eine von dieser Grundlage losgelöste Liebe predigen; jene, die so tun, als ob die Kirche noch nicht bestünde, sondern erst entstünde, wenn die getrennten „Kirchen“ sich zusammenschlössen; jene, die eine Union versuchen, mit der Unterscheidung von grundlegenden und nicht grundlegenden Glaubensartikeln, indem sie die letzteren zu opfern bereit sind.

Die Stille nach dieser Enzyklika wurde und wird überdeckt durch die Bedrängnis, in die alle christlichen Bekenntnisse unter den totalitären Diktaturen gerieten und geraten. Was war naheliegender, als daß sie sich untereinander beraten. Und weil das unter einem solchen Regime am besten ortsweise geschieht, erstanden als Folge der gemeinsamen Verfolgung auch wieder die Fragen nach dem Grund dieser Gemeinsamkeit. Auf deutschem Boden, wenigstens westlich der Elbe, ist die Hoch-Zeit dieser Beratungen begreiflicherweise überschritten. Das jüngste Bekenntnis Pastor Niemöllers ist dafür ein schrilles Zeugnis, auch wenn man nicht überhört, daß er auch protcstantischerseits auf scharfen Widerspruch stieß. Unter solchen Voraussetzungen entsteht die Gefahr, daß die vielen Besprechungen unübersichtlich und ohne kirchliche Führung werden. Von daher will die „Instruktion“ des Heiligen Offiziums vom 1. März verstanden sein.

Im traditionellen Verhalten der Kirche zur Frage ändert die Instruktion nichts. Das kann auch nicht anders sein, denn das Verhalten der Kirche ruht auf unverrückbaren dogmatischen Voraussetzungen. Neu ist etwa, daß die Zusammenkünfte von Katholiken mit nichtkatholischen Christen einfach als bestehend oder bevorstehend zur Kenntnis genommen werden. Neu etwa noch, daß „das hochbedeutsame Werk der Wiedervereinigung aller Christen in dem einen wahren Glauben und der einen wahren Kirche“ als „eine der vorzüglichsten Aufgaben der gesamten Sealsorge“ bezeichnet wird.

Das Hauptanliegen der Belehrung ist, daß die Zusammenkünfte, soweit sie die Katholiken angehen, eindeutig unter die Führung der für sie verantwortlichen Bischöfe kommen. Diese erhalten eine auf drei Jahre befristete Vollmacht, fallweise die Erlaubnis des Heiligen Stuhles für solche Besprechungen zu geben, unter den Voraussetzungen, daß

1. jede „communieatio in sacris“ (gemeinsamer Gottesdienst) vermieden wird. (Die Instruktion erklärt aber, daß ein am Anfang oder zum Abschluß einer solchen Zusammenkunft gebetetes Vaterunser oder ein anderes, von der Kirche genehmigtes Gebet nicht unter dieses Verbot fällt);

2. daß diese Veranstaltungen vom Bischof im Auge behalten und mittelbar geführt werden;

3. daß der Bischof jährlich über die Veranstaltungen und die dabei gemachten Erfahrungen an das Heilige Offizium berichte. Die Gefahren des Indifferentismus, einer vagen Angleichung, falscher Auffassungen, trügerischer Hoffnungen, übermäßige Betriebsamkeit müssen vermieden werden. Vor allem müßten die immer gleichen Hauptfragen der Kohtro-verstheologie: der Vorgang der Rechtfertigung, die Verfassung der Kirche, der Jurisdiktionsprimat des Papstes im katholischen Sinn beantwortet werden, und daß die Einheit der Christenheit nur durch die Rückkehr der Getrennten zur einen wahren Kirche erreicht werden kann.

Alle diese Aussprachen und Zusammenkünfte unterstehen den kirchlichen Vorschriften, die im „Monitum“ vom 5. Juni 1948 ausgesprochen sind. Voraussetzung ist, daß die Veranstaltungen verabredet sind und „daß der katholische und der nichtkatholische Teil als Gleichgestellte (par cum pari agens) in Rede und Gegenrede über Fragen des Glaubens und Sittenlehre sprechen, wobei jeder die Lehre seines Glaubens als seine eigene Anschauung darlegt. Derartige Zusammenkünfte sind also nicht schlechthin untersagt, dürfen aber nur mit vorhergehender Erlaubnis der kirchlichen Obrigkeit veranstaltet werden“. Diese Erlaubnis ist nicht notwendig iür einen Unterricht oder für Vorträge von Nicht-katholiken, auch wenn diese dabei selber die Lehren ihrer Gemeinschaft vorbringen, selbstredend auch nicht, wenn über Fragen des Glaubens nicht gehandelt wird, oder wenn konfessionell gemischte Zusammenkünfte über Fragen des Naturrechts oder einer gesunden Sozialordnung sprechen. (Der verbreitete deutsche Text enthält an dieser Stelle gegenüber dem lateinischen Urtext eine Auslassung, die nicht ohne Gewicht ist: „auch bei diesen Zusammenkünften ist es den Katholiken selbstverständlich nicht erlaubt, etwas glaubhaft zu machen oder zuzugestehen, was mit der Offenbarung, mit der Kirche und ihrer Gesellschaftslehre im Widerspruch steht“.)

Die Bischöfe möchten für diese Veranstaltungen „hiezu wirklich taugliche

Priester entsenden“, die Gläubigen, die an ihnen teilnehmen wollen, müssen eine besondere Erlaubnis der kirchlichen Obrigkeit einholen. Großaufgezogene, „interdiözesane, nationale und internationale Aussprachen und Zusammenkünfte bedürfen immer, und zwar für jeden einzelnen Fall, der vorherigen Erlaubnis des Heiligen Stuhles“.

Gesagt muß noch werden, daß die Instruktion, wie nicht anders zu erwarten ist, nur kirchlich-religiöse und keine politischen Anliegen hat. Selbst der Gedanke einer gemeinsamen Abwehr „gegen die heute gemeinsam vorgehenden Feinde Gottes“ klingt nur einmal an.

Größere Stellungnahmen von Nicht-katholiken zum Dekret können zur Stunde nicht vorliegen. Im „Christlichen Nachrichtendienst“ (herausgegeben vom „ökumenischen Rat“) wird am 22. Februar das Gerücht über die Veröffentlichung des oben erwähnten „Monitum“ vom 5. Juni 1948 in den Acta Apostolicae Sedis gebracht. Berichtet wird hier (22. Februar) von der ersten diesjährigen Sitzung des Exekutivausschusses des Weltrates der Kirchen: „Dr. Visser t'Hooft trat dem Gerücht von einer bevorstehenden Kampfgemeinschaft der christlichen Kirchen und des Islams gegen den Weltkommunismus unter der Führung des Papstes scharf entgegen. Er begrüßt jedoch wirksame Arbeitsgemeinschaften der verschiedenen christlichen Bekenntnisse zum Kampf für Religionsfreiheit und Menschenrecht. In Kairo, wo eine solche Zusammenarbeit seit einiger Zeit unter der Leitung eines Vertreters der römisch-katholischen Kirche besteht, habe er davon besonders nachhaltige Eindrücke empfangen.“

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