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Christentum war immer vielfältig

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Vor der Einheit ist der Dialog der Kirchen unabdingbar, stellte schon Papst Paul VI. fest. Ob Dialog in diesem Sinn zur Zeit praktiziert wird?

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Vor der Einheit ist der Dialog der Kirchen unabdingbar, stellte schon Papst Paul VI. fest. Ob Dialog in diesem Sinn zur Zeit praktiziert wird?

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Die Spaltung der Kirchen stellt ein Ärgernis dar. Deshalb ist es existentiell notwendig, die Einheit in der Vielfalt wiederherzustellen, denn das Christentum war von Anfang an nicht uniformistisch oder zentralistisch organisiert. Die Vielfalt der Kirche Christi ist historisch nachzuweisen, und zwar in den unterschiedlichen Bereichen ihrer Existenz. Dazu wurde immer die sozio-kulturelle Gegebenheit der verschiedenen Völker und der verschiedenen Regionen berücksichtigt.

So gab es selbstverständlich die Vielfalt in der Verwaltung der gegenseitig respektierten, autonomen Kirchen im Osten und im Westen, die als Patriarchate später bekannt wurden, wie sie auch von den gemeinsamen Ökumenischen Konzilien beschlossen und bestätigt wurde. Vielfältig wurden auch die Gottesdienste und die Liturgien gestaltet, so daß fast jede größere Region ihre eigene Liturgie hatte, wie zum Beispiel im Osten der alexandrinische, antiochenische, syrische Ritus, oder die Chrysostomus-, Rasilius-, Jakobus-, Grigoriosliturgie und so weiter, von denen sogar viele bis heute verwendet werden; im Westen die römische Liturgie, die in der Regel bis zum Beginn des fünften Jahrhunderts auf griechisch gefeiert wurde, die mozarabische, gallikani-sche, afrikanische Liturgie und so weiter. Die liturgische beziehungsweise kirchliche Kunst und Architektur weisen ebenfalls eine reichhaltige Vielfalt auf. Auch die dogmatischen Formulierungen unterlagen in den seltenen Fällen der Dogmatisierung; die Ökumenischen Konzilien formulierten genauer nur die zwei Hauptdogmen der Christologie und der Tri-nitätslehre (diese Aussagen finden sich im - heute noch in Ost und West gültigen - Glaubensbekenntnis), während die Kirchenväter immer wieder von der Priorität des Inhalts des christlichen Glaubens vor dessen Formulierung sprechen, weil sie die Relativität der menschlichen Begriffe und die Unzulänglichkeit des Menschen, das Mysterium des Glaubens zu erfassen, betonen.

Solche und andere Grundprinzipien waren im ersten Jahrtausend des Christentums, in dem die Kirchen des Ostens und des Westens hauptsächlich in Gemeinschaft lebten, mehr als selbstverständlich und sie können uns heute in der Ökumene entschieden helfen.

Trotzdem gab es aber auch sehr viele Spannungen und Probleme. Allmählich entwickelte sich eine schädliche Entfremdung, die durch unterschiedliche Entwicklungen in der Lehre und in der Praxis zum Ausdruck kommt, wie zum Beispiel zunächst mit manchen orientalischen Kirchen. Schon das Konzil von Trullos 691/2 kritisiert und verwirft durch Kanon 13 den im Westen entwickelten allgemeinen Pflichtzölibat.

Ein Ereignis, das in den Augen der Byzantiner Reichsverrat und den Bruch der politischen Einheit der Christenheit bedeutete, war die Krönung Karls des Großen durch Papst Leo III. (800). Es war ein großes Anliegen des Frankenkönigs, die Anerkennung Konstantinopels, des Neuen Rom, zu erhalten. Als das Projekt einer Heirat zwischen Karl und der herrschenden Kaiserin Irene gescheitert war, beschloß der Frankenkönig, den Herrschaftsanspruch Konstantinopels zu untergraben. Dazu diente ihm als eines der zu Hilfe genommenen Mittel die Anklage wegen Häresie, und er eröffnete damit die endlose griechisch-lateinische Kontroverse über das Filioque (siehe unten „Worum es geht”).

Zum Glück verteidigten Papst Hadrian I. und Papst Leo III. das Konzil von Nizäa und lehnten ausdrücklich den Zusatz Filioque im Glaubensbekenntnis ab. Wir haben ihnen das gewaltige Verdienst zuzuerkennen, noch für etliche Zeit die Einheit der christlichen Welt aufrechterhalten zu haben. Heute wird das Glaubensbekenntnis auch ohne Filioque bei vielen Anlässen von den orthodoxen und nichtorthodoxen Kirchen, auch von der römisch-katholischen, gebetet.

Patriarch Photios und sein Zeitgenosse Papst Nikolaus I. haben sich gegenseitig exkommuniziert und später in Konstantinopel in einer Synode (879/880) - unter dem Vorsitz von Photios und unter der Teilnahme von päpstlichen Legaten und aus den anderen Patriarchaten des Ostens - wieder versöhnt. Wegen der großen Bedeutung dieser Synode können wir sie als das 8. gemeinsame Ökumenische Konzil rezipieren.

In der Zeit von Patriarch Michael Kerullarios und Papst Leo IX. fallen die traurigen Ereignisse des Jahres 1054, als eine Delegation des Papstes unter Kardinal Humbert von Silva Candida in Konstantinopel war. Während der Verhandlungen verlor er die Geduld und exkommunizierte ohne Legitimation den Patriarchen.

Die Haltung des Kardinals war tatsächlich wegen seiner im Westen entwickelten Auffassungen von der uneingeschränkten Macht des Papstes maßlos und unhaltbar. Wilhelm de Vries: „Der Kardinal behandelte freilich den Patriarchen als seinen Untergebenen, genau wie irgendeinen abendländischen Bischof, wollte ihn zur Rechenschaft ziehen und seine Vergehen untersuchen. So verkannte er vollstandig die wirkliche Situation in Konstantinopel.”

Am 24. Juli exkommunizierte eine Synode des Patriarchen Kerullarios den Verfasser dieser Exkommunikation und alle, die damit einverstanden waren. Diese Handlungen bedeuten aber noch nicht das endgültige Schisma zwischen den beiden Kirchen.

Am 7. Dezember 1965 wurden diese Exkommunikationen von Papst Paul VI. und dem Patriarchen von Konstantinopel Athenagoras „aufgehoben”.

Die Kreuzfahrer betrachteten By-zanz als Feindesland, und sie begannen mit der systematischen Latinisierung des Ostens und der Einsetzung lateinischer Patriarchen. Im Westen war man der Auffassung, die fränkischen Bitter befreien die Christen des Ostens vom islamischen Joch, und die getrennten Kirchen kehren durch lateinische Einrichtungen in die Einheit der Weltkirche unter dem Primat Borns wieder heim. Damit beginnt das Problem der Unierten (siehe „Geschichtliches”), das später aus verschiedenen Motiven verschärft wird und bis heute eines der größten Probleme darstellt.

Eines kann hier sicher gesagt werden: Die Kreuzzüge haben das Schisma verfestigt. Der vierte Kreuzzug, 1204, muß durch die Eroberung Konstantinopels, die Einsetzung eines lateinischen Kaisers und eines lateinischen Patriarchen als das Datum und das Ereignis des endgültigen Schismas zwischen Osten und Westen gelten.

Denn tatsächlich bleibt dieses Ereignis bis heute in den Seelen der Orthodoxen tief eingegraben. Wenn von der römisch-katholischen Kirche nicht echte vertrauensbildende Handlungen in dieser Bichtung gesetzt werden, sondern andere Handlungen diesen Vertrauensprozeß verzögern oder sogar verhindern, dann können wir auf die Realisierung der gewünschten vollen kirchlichen und sakramentalen Communio lange warten.

Viele Unionsbemühungen sind deshalb ohne Erfolg - bis heute. Die Problematik blieb in vielen Bereichen bestehen, trotz der sehr vielen Fortschritte und positiven Ergebnisse auch beim offiziellen theologischen Dialog, die ich nicht gering schätzen will und für die ich sehr dankbar bin.

Warum zum Beispiel das Unionskonzil von Lyon, das 1274 für die Wiederherstellung der Einheit zwischen Ost- und Westkirche einberufen wurde, ohne Erfolg war, beurteilt Papst Paul VI. in einem Schreiben an Kardinal Willebrands: „Selbst der zwischen griechischer und lateinischer Kirche wiederhergestellte Friede ... ruhte auf sehr unsicherem und unbeständigem Fundament. Denn ... die Lateiner hatten die Texte und Formulierungen gewählt, welche die im Westen erarbeitete und formulierte Lehre über die Kirche widerspiegelten. Diese wurden dem Kaiser und der griechischen Kirche einfach zur Annahme vorge-, legt, ohne daß irgendeine Diskussion stattgefunden hatte ... Das müssen wir vor Augen haben, um klar die verschiedene Art und Weise zu sehen, wie heute die Kirche an dieses Anliegen herantritt. Heute sehen wir natürlich klarer, daß jedem Bemühen um Wiedervereinigung der Christen notwendigerweise als Bedingung der Dialog vorauszugehen hat...”

Sind tatsächlich die im Laufe der Zeit ausgesprochenen Ansprüche nicht mehr aktuell? Ist die Frage der „Unierten”, trotz vorhandener Dokumente auch in der Praxis des Westens für den Bereich des Ostens richtig eingeschätzt? Ist tatsächlich ein offener, transparenter Dialog in der ökumenischen Praxis auch der letzten Tage vor der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz so praktiziert, wie Papst Paul VI. es sich vorstellt, damit nicht das wiederholt wird, was in Lyon passierte?

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