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Katholizität — ökumenizität

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Das Jahr 1962 ist für die Christenheit ein Gipfelpunkt ihrer Entwicklung gewesen. Auf der einen Seite will sich die römisch-katholische Kirche in ihrer Ökumenizität darstellen: im Zweiten Vatikanischen Konzil als dem 21. der Ökumenischen Konzilien, seit dem Ersten Konzil von Nicäa im Jahr 325. Auf der anderen Seite hat sich die Ökumene der außer-katholischen Kirchen von Genf (faith and Order) auf der Tagung von Neu-Delhi durch den Beitritt der russisch-orthodoxen Kirche so erweitert, daß von einer Mehrheit der außer-katholischen Kirchen in der Gesamt-Christenheit gesprochen werden kann, der gegenüber die römisch-katholische Kirche eine Minderheit darstelle — ja, gemäß den demokratischen Prinzipien der Genfer Welt-Ökumene, eine „überstimmte“ Minderheit (wenngleich zwischen Rom und dem Oikonomos von Konstantinopel eine Einigung sich anzubahnen scheint).

Autoritäre und demokratische Ökumenizität

Es stehen sich damit, der Organisation nach, eine autoritär traditions-hafte Ökumenizität (in den ökumenischen Konzilien der römisch-katholischen Kirche seit 325) und eine rein demokratische Ökumenizität gegenüber (der Genfer Welt-Ökumene), für die nur ein Minimum des christlich autoritär Traditionshaften verpflichtende Voraussetzung ist (wie der Glaube an Christus, die Taufe und das Abendmahl, soweit es auch den kalvini-schen Sinn einbeschließt). Entsprechend ihrem Prinzip einer christlichen Demokratie und eines faktischen christlichen Minimums wird man die Genfer Welt-Ökumene nicht als „Ökumenische Katholizität“ bezeichnen können (weil „Katholisch“ seit den Jahrhunderten mit „Hierarchischer Autorität“ verknüpft ist), wohl aber als „All-Christlich Ökumenisch“ im Sinn elfternäflc Völker umfassenden Mlhi-mtim'-Cnrisritehkeit (soweit es die ..Glaubcns-Artikel“ der Genfer' Ökumene angeht, nicht die innere lebendige Christlichkeit ihrer Glieder).

Römische Katholizität und allchristliche Ökumenizität stehen sich damit grundsätzlich gegenüber wie hierarchisch autoritäre Kirche aller Völker unter einem autoritären Haupt und demokratische Kirche der „Mehrheit“ unter einem „gewählten Rat“. Das ist der Sinn der alten Entgegensetzung, um die es im ostkirchlichen Schisma ging, die in der Reformation dem Papsttum aufsagte um eines „Volks-Christentums“ der „Freiheit des Christenmenschen“ willen, und die bis heute, bei allen wachsenden Anglei-chungen (Angleichungen des Reformatorischen ans Römisch-Katholische wie des Römisch-Katholischen ans Reformatorische) das Eine Unangleichbare ist. Mag die heutige außer-katholische Christenheit noch so sehr (unter dem Zeichen der Anglikanischen Kirche und der orthodoxen Kirchen) mit der Römisch-Katholischen Kirche (in Liturgie und Sakramenten) verwechselbar werden, und mag, umgekehrt, im Zeichen der wachsenden Beziehungen zwischen Rom und den anderen Kirchen bis zu den lebendigen Näherungen in Neu-Delhi und denen beim Römischen Konzil — und im Zeichen eines wachsenden „Volks-Christentums“ und einer wachsenden Laien-Aktion, die Römisch-Katholische Kirche sich den außer-katholischen Kirchen „anzugleichen“ scheinen —, je stärker diese Näherungen und Angleichungen werden mögen, vor dem „Tu es Petrus“ der unfehlbaren „Cathedra Petri“ sagt je und heute die gesamte All-Christliche Ökumene ihr Nein, während die Römisch-Katholische Kirche ihm je und heute gründet.

In diesem Entscheidenden aller Gegensätze sieht die Römisch-Katholische Kirche sich (bis in den „römischen Prunk“ und den „klerikalen Prunk“) als verpflichtete Erbin des „Gott König“ des Alten Bundes und des „Chri-dtus König“ des Neuen Bundes (wie

die Apokalypse und die Paulusbriefe das „Königliche“ der Evangelien verdeutlichen) — während die Kirchen der All-Christlichen Ökumenizität, am meisten die reformatorischen, am wenigsten die orthodoxen, den „Lehrer und Heiland mitten im Volk“ betonen, bis zu einem demokratisch „moralisch-sozial Christentum“. -HR brrjgtilfevm'iK tamiaiiijwa V$

Der Unterschied wurde deutlich

Dieser Unterschied endlich begründet auch den Unterschied in der „Ökumenizität“. Im Römisch-Katholischen gibt sich das „Weltumspannende“ in der Form, wie Gott und Christus in ihrem „über allem und in allem“ die Form der Kirche prägen: nicht innerweltlich „international“ zu sein, sondern über-national als innernational: über allen Völkern zu stehen, indem sie alle Völker durchdringt. Die durchgehende Form der außer-katholischen Kirche (in ihrer all-christlichen Ökumenizität) ist dagegen primär ihre Nationalität, darin sie den verschiedenen Nationen ihren sakralen Grund geben und hierin „nationale Kirchen“ werden: wie die orthodoxen Kirchen „griechische Kirche“, „russische Kirche“ sind, wie in der .Reformation sich eine „germanische Kirche“ („deutsche“ und „romanische“) gestaltet, wie die anglikanische Kirche sich als „englische Kirche“ typisch ausformt usw. Die entsprechende Ökumenizität, in der die außer-katholischen Kirchen sich bis zum Höhepunkt von Neu-Delhi zusammenschlössen, trägt dann folgerichtig jene Form des Internationalen, in der sonst die verschiedenen Nationen sich wachsend zusammenschließen (von einem All-Europa zu einem All-West). Die profane Form eines Pluri-versum von Nationen, die zu einer In-temationalität fortschreitet, empfängt ihren sakralen Grund, indem, in letzter Entwicklung, die „nationalen Kirchen“ zu „kirchlicher Internationali-tät“ werden.

„All-Christliche Ökumenizität“ ist darum so wenig eine Wendung ins Römisch-Katholische, daß erst jetzt ihr Unterschied gegen „Römische-Ka-tholizität“ deutlich wird: „Nationalität, die Internationalität wird“ gegen „Uber-Nationalität“, die in alle Nationen hinein (von vornherein) inner-national ist (kraft der Sendung aus Autorität „in alle Völker hinein“). Es ist nicht umsonst, daß in allen Fragen einer „Wiedervereinigung“ der (autoritär-hierarchisch) Römisch* Papst-Primat sowohl für die All-Christliche Ökumene wie für die Römisch-i Katholische Ökumene die „brennende

Grenze“ ist mitten in allen noch so große Näherungen: All-Christliche Ökumene, die als „christliche freie Demokratie“ grundsätzlich zum Papsttum nein sagt — Römisch-Katholische Ökumene, die in diesem Papsttum den Einen „Fels“ und die Einen „Schlüssel

des Himmels“ glaubt und weiß, als „Königtum Christi“.

Der theologische „Ur-Riß“

Bleibt also die Unvereinbarkeit? Karl Barth und ich beschlossen unser Gespräch über die Kirche (Münster 1929) gegenüber den Synthesen Friedrich Heilers mit der Feststellung, daß alle menschlichen Annäherungsversuche erfolglos sein müßten, weil der Riß in der Christenheit undurchdringliches Geheimnis Gottes sei. Riß zwischen Ostkirche und Westkirche, Riß zwischen Römischer Kirche und reformatorischem Pluriversum (der unzähligen Kirchen und Sekten) gehören in den Ur-Riß zwischen Judentum (der nicht-christlichen Juden) und Christentum (der „Heiden“ in der Sprache der

Paulinen). Dieser Ur-Riß ist gemäß dem 11. Kapitel des Römerbriefs wesentlich eschatologisch: „Verhärtung zum Teil ist Israel geworden, bis die Fülle der Heiden eintrat“ (11, 26). Ur-Riß zwischen Judentum und Christentum gehört in den „Ungrund des Reichtums“ Gottes, in Seine „un-durchforschbaren Urteile“ und „un-ausspürbaren Wege“, darin Er „einverschlüsselt hat allesamt in Trotz des Unglaubens, um allersamt Sich zu erbarmen“ (11, 32).

Solcher „Ur-Riß“, der im tiefsten Sinn „theologisch“ genannt werden muß, weil er allein im „Ungrund der Ungründe“ Gottes Selbst in Sich Selbst sich beantwortet — solcher Riß vollendet sich in die inner-christlichen Risse. Denn damit, daß die außerkatholischen Kirchen praktisch „nationale Kirchen“ als „Sakral-Grund“ der verschiedenen Nationen geworden sind (wie wir ausführten), stehen sie, wie das nicht-christliche Judentum, im „eschaton“ der jeweiligen Nationen, das heißt, sind gebunden an eine künftige mögliche Katastrophe, die aber kaum anders zu ersichten ist denn als All-Katastrophe (in der auch das Judentum im doppelten Sinn des Wortes „aufgehoben“ wird). Die inner-christlichen Risse hören erst auf mit dem judäo-christlichen Riß: wenn, in der „Wiederkunft“ Christi, Christus „das Reich Gott und dem Vater übergibt, daß Gott sei alles in allen“ (1. Kor. 15, 28).

Dieses Mysterium einer eschatologi-schen Einigung wirkt aber im voraus: in einer Art Durchschränkung gegenseitiger Annäherung zwischen katholischer und All-Christlicher Ökumene, wie sie in Neu-Delhi einen besonderen Ausdruck hatte und in Rom (auf dem Weg einer „Beobachter “-Vertretung während des Konzils) erwidert wird.

Der Riß der Christenheit begann für die Westkirche-Ostkirche damit, daß der Patriarch von Byzanz sich als „Oikonomos“ aufstellte, das heißt als Papst wie der römische Papst, wodurch die Eine Christenheit „zwei Häupter“ erhalten mußte, während der Römische, folgerichtig (wenngleich, wie es scheint, unter Mißverständnissen) auf den Altar der Hagia Sophia die Exkommunikationsbulle fiiederlegen' ließ. Dieser äußerste Gegensatz dauert zwar (trotz der Unionsverhand-lungen beim Konzil von Florenz) bis heute, da Rom die orthodoxen Kirchen als „schismatisch“ ansieht, während die orthodoxen Kirchen Rom wegen der „dogmatischen Neuerungen“ auf „Häresie“ anklagen („Häresie“ der Verletzung der „unabwandelbaren Tradition“).

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