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Die Weltkirchenkonferenz in Amsterdam

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Am 23. August dieses Jahres wurde ein neues Kapitel der modernen Kirchengeschichte begonnen. In einer feierlichen Vollversammlung der Vertreter von über 150 Kirchen aus 43 Nationen und Ländern der Erde, die 250 Millionen Christen repräsentieren, wurde der „ökumenische Rat der Kirchen“ gegründet. Damit haben sich die Kirchen der lutherisdien und kalvinisdien Reformation, ferner die Freikirchen der Methodisten, Baptisten und Kongregationalisten, die anglikanische Kirche und einige othodoxe Kirchen sowie die jungen protestantischen Missionskirchen ein Organ zum gegenseitigen Dienst des Glaubens und der Liebe und zum Dienst an der Welt geschaffen.

Die Stationen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, sind bekannt: die Pionierarbeit der Weltbünde der christlichen Jugend und der Mission, von deren Feldern immer dringender der Ruf nach der Einheit im Glauben und in der Liebe erhoben wurde, die Weltkirchenkonferenzen für „Leben und Werk" in Stockholm 1925 und Oxford 1937, die Weltkirchenkonferenzen für „Glaube und Verfassung“ in Lausanne 1927 und Edinburgh 1937 und schließlich die Gründung eines „Vorläufigen Weltrates der Kirchen" in Utrecht 1938, in dem erstmalig alle ökumenischen Bestrebungen zusammengefaßt wurden, bis in Amsterdam die endgültige Form für die ökumenische Arbeit geschaffen wurde, deren unverrückbare Grundlage „das Bekenntnis zu Jesus Christus als Gott und Heiland" ist.

Es war kein Zufall, daß einer der bedeutendsten Theologen der Gegenwart, der Basler Theologieprofessor Karl Barth, der Schöpfer der dialektischen Theologie, zum Generalthema der Konferenz „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ den Eröffnungsvortrag hielt. Sein nüchternes Wort hat von vornherein die Atmosphäre von jeglichem ökumenischen Illusionismus gereinigt. Es geschah dies nach zwei Seiten. Das einemal im Blick nach innen auf die in Amsterdam versammelten Kirchen, die bei aller Einheit ihres Glaubens an den einen Herrn die ernsten Unterschiede im Verständnis des Evangeliums und des Wesens der Kirche nicht übersehen dürfen. Die Aufgabe der Konferenz sei es daher nicht, einen ökumenischen Himmelsturm zu bauen nach der Art der babylonischen Himmelsstürmer. Der tragfähige Grund dieses ersten ökumenischen Konzils der nichtrömischen Christenheit nach der Reformation sei der Glaube, daß die Einheit der Kirche in Jesus Christus schon gegeben sei und nicht erst geschaffen werden müsse. Je mehr sich die Kirchen von ihrem Kirchentum hinweg auf Christus hin bewegen, um so mehr werden die im Laufe der Jahrhunderte aufgekommenen Unterschiede überwunden werden. Diesen christo- zentrischen Radikalismus entfaltete Karl Barth auch nach der anderen Seite hin gegenüber den brennenden Nöten der Welt. Es sei auch nicht die Aufgabe dieses Konzils, etwa einen sogenannten „christlichen Marshall- Plan“ zur Rettung der durch ihre Schuld ins Verderben geratenen Menschheit zu beraten. Kein menschlicher Heilsplan, sondern nur der schon im Evangelium enthaltene Heilsplan Gottes könne die Welt vor dem endgültigen Absturz in das höllische Chaos der gegenseitigen Vernichtung bewahren.

So bedeutsam die ernüchternden Worte Karl Barths auch waren, sie bedurften unweigerlich der Ergänzung. Diese wurde unter anderem durch den Züricher Theologie professor Emil Brunner geboten, der durch seine Bücher über christliche Ethik gleichfalls wie Barth einen weltweiten Ruf genießt. Sein Vortrag über „Das Zeugnis der Kirche in der sozialen Unordnung der Welt" wies nicht nur nachdrücklich auf das klare Nein hin, das die Kirche gegenüber allen totalitären Bestrebungen zu sprechen habe, sondern gab auch mancherlei Hilfen, wie dem größten Übel der Gegenwart, dem Totalstaat, durch die christliche Kirche gewehrt werden könne. Brunner verwies auf die Gefahr, die das Menschsein des Menschen bedrohe, wenn es dem totalen Staate gelingen sollte, den Menschen samt und sonders im äußeren und inneren Leben zu beschlagnahmen. Es war ein eindringlicher Alarmruf an das Gewissen des einzelnen Christen und der gesamten Christenheit, über der Würde des gottebenbildlich geschaffenen Menschen zu wachen, daß seine Persönlichkeit nicht ein Opfer des Ungeheuers werde, das als totalitärer Staat in der Form der Vermassung und der Verstaatlichung des Menschen jegliche Art von Humanitas zu verschlingen sich anschicke. Der Aufbau der christlichen Familie und der Ausbau der Berufsverbände und sonstigen Genossenschaften, die Schaffung von christlichen Lebenszellen und das Vorleben echter christlicher Gemeinschaft durch die christliche Gemeinde seien die Schutzwälle gegen diese heranbrandende Sintflut des totalitären Staates!

Daß die Weltkirchenkonferenz in einer echten Solidarität mit der Welt auch mitten drin in dem Spannungsfeld der Gegensätze Zwischen Ost und West stand, ist eigentlich selbstverständlich für ein Konzil, das den Heilsplan Gottes gerade im Hinblick auf die Unordnung der Welt zu entfalten sich bemühte. Es war aber zugleich ein mächtiges Zeugnis nicht nur für die Spannweite, sondern auch für die Tragkraft der Konferenz, daß sie an dem dramatischen Gegenüber der Reden von John Foster Dulles, dem Berater des amerikanischen Außenministers und einem hervorragenden Mitglied der presbyterianischen Kirche Amerikas, und Joseph Hromatka, dem Dekan der hussitischen Fakultät in Prag und einem führenden Mitglied der böhmischen Brüderkirche, keinerlei Schaden erlitt. Dulles rief die Kirche zur radikalen Ächtung des Krieges und zur Mitarbeit am Aufbau einer Weltfriedensorganisation auf, um die Menschheit noch im letzten Augenblick vor dem Totentanz eines dritten Weltkrieges zu bewahren. Er verwies auf die Politik einer materialistischen Lebens- und Staatsphilosophie, die den Aufbau eines umfassenden Völkerfriedens verhindere, weil sie zwei Voraussetzungen verneine: die unantastbare Würde des Menschen und des göttlichen Sittengesetzes. Aber ebensoWenig hielt Dulles zurück mit der Kritik am Westen, der diese Voraussetzungen anerkenne, aber noch weit davon entfernt sei, sie in seiner sozialen und internationalen Ordnung praktisch zu verwirklichen. Hier liege eine besondere Aufgabe der christlichen Kirchen, ihr Zeugnis mit einer solchen Vollmacht zu verkünden, daß sich diese Kluft zwischen Glauben und Handeln im persönlichen und öffentlichen Leben der westlichen Welt immer mehr schließe. Dieses Beispiel werde schließlich seine Wirkung auf den Osten nicht verfehlen, sofern wir genug Zeit haben, diesen Weg des Friedens zu gehen.

Demgegenüber bezeugte Hromatka, daß die Vorherrschaft der westlichen Politik über die Erde ans Ende gekommen sei. Nicht nur die Strömungen einer skeptischen Philosophie haben die Völker des Westens im christlichen Glauben erschüttert, sondern ihre Staatsmänner haben sich in der Zeit zwischen 1918 und 1938 in der Fülle ihrer Macht nicht als die Architekten einer neuen Friedensordnung erwiesen. Eindringlich stellte Hromatka dies am Beispiel Deutschlands fest, das die Westmächte in die europäische Völkerfamilie nicht einzugliedern vermochten und daher mitschuldig seien an der gegenwärtigen Katastrophe. Im besonderen warnte Hromatka, der Mitglied im obersten volksdemokratischen Aktionskomitee ist, den Westen vor der Anwendung militärischer Gewalt, weil ein neuer Krieg weder den militärischen noch den politischen Sieg über den Osten garantiere. Aber darin war Hromatka mit Dulles einig, daß die christliche Kirche über alle Blockbildungen hinweg ihre ökumenizität gegenüber West und Ost bezeigen müsse.

Eines der entscheidenden Ergebnisse des Amsterdamer Konzils kam in der Sektion zustande, in der unter der Leitung des lutherischen Bischofs von Hannover, Doktor Hanns Lilje, um die Frage „Die Kirche in Gottes Heilsplan" gerungen wurde. Trotz allen Unterschieden wurde der feste Wille der Kirchen ausgesprochen, beieinander zu bleiben und füreinander Sorge zu tragen. Bemerkenswert war dabei der Einsatz der jungen Missionskirchen aus Asien und Afrika für den Gedanken der Einheit.

Den Fragen der zwischenkirchlichen Hilfe, insbesondere dem Problem der Flüchtlinge, wurde viel Aufmerksamkeit zugewendet. Unter dem Eindruck des Flüchtlingselends in Deutschland wurde der Beschluß gefaßt, bei den internationalen Organisationen zu erreichen, daß die 12 bis 14 Millionen Flüchtlinge in Deutschland den DPs gleichgestellt werden und damit in den Genuß internationaler Hilfe und der allgemeinen Menschenrechte gelangen.

Einen der feierlichsten Höhepunkte des Konzils bildete am Schluß die Annahme der auch in deutscher Sprache von Kirchenpräsi-denten Dr. Martin Niemöller verlesenen Botschaft, die im Sinne eines ökumenischen Hirtenbriefe alle Christen und Kirchen aufruft, „ein Nein zu sagen zu allem, was der Liebe Christi zuwider ist … zu denen, die die Saat des Krieges säen … aber ein Ja zu allem, was mit der Liebe Christi zu sammenstimmt, zu allen Menschen, die in der Welt einen echten Frieden schaffen möchten". Die Botschaft schließt mit dem Ruf, die guten Werke des Glaubens zu tun und damit Zeichen aufzurichten, die gesehen werden können und die auf den kommenden Sieg Christi hinweisen.

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