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„Zum Eckstein geworden“

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal Dr. Franz König, erhielt den alle Katholiken Österreichs besonders ehrenden Auftrag, als päpstlicher Legat, als „alter Ego" Johannes’ XXIII., den Segen und die Botschaft des Heiligen Vaters zu den Feiern anläßlich des 900. Jahrestages der Weihe des Domes von Speyer zu Überbringern Wir geben im nachstehenden den Wortlaut seiner Ansprache (aus raumtechnischen Gründen unwesentlich gekürzt) wieder.

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal Dr. Franz König, erhielt den alle Katholiken Österreichs besonders ehrenden Auftrag, als päpstlicher Legat, als „alter Ego" Johannes’ XXIII., den Segen und die Botschaft des Heiligen Vaters zu den Feiern anläßlich des 900. Jahrestages der Weihe des Domes von Speyer zu Überbringern Wir geben im nachstehenden den Wortlaut seiner Ansprache (aus raumtechnischen Gründen unwesentlich gekürzt) wieder.

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Kein anderer deutscher Dom und keine andere Stadt außer Wien trugen den Namen „Kaiserdom“ und „Kaiserstadt". Von Konrad II., dem Erbauer des Speyerer Kaiserdomes, stammt die Kaiserkrone, die als Symbol des alten Reiches zu den kostbaren Schätzen der Wiener Hofburg zählt. Rudolf von Habsburg, der erste seines Geschlechtes in Österreich und als deutscher Kaiser, hat neben den vier salischen Kaisern in diesem Dom seine letzte Ruhestätte gefunden. Weihnachten 1146 rief der heilige Bernhard von Clairvaux in diesem Dom durch seine begeisterte Predigt den Kaiser Konrad III. zum Kreuzgang auf. Als Teilnehmer an diesem Kreuzgang hat Bischof Reginbert von Passau auf dem Weg ins Heilige Land die Wiener Stephanskirohe geweiht (1147). Wenn ich als Erzbischof von Wien die Verbindung erwähne, die durch die Geschichte geknüpft wurde, zwischen der alten Kaiserstadt an der Donau und dem ehrwürdigen Kaiserdöm am Rhein, so möchte ich hinweisen auf die gemeinsame Wurzel.

Es war das sacrum Imperium des Mittelalters, das äüf der römischen Reichsidee und dem Gottesstaat von Augustin aufbaute und das seinen Ausdruck fand im „unum corpus christia- num“, dem einen unzerreißbaren Leib der Christenheit. Dieser Dom ist ein nie verstummter Zeuge jener Einheit von Kirche und Welt, jener Universalität und Größe, wie wir sie uns heute kaum mehr verstellen können. Sie gipfelte im Imperium der deutschen Nation, im Sacerdotium Italiens und im Studium Frankreichs. Diese weiträumige, universale Welt des Mittelalters war der Mutterboden dessen, was wir heute noch europäische Kultur und europäische Zivilisation nennen.

Ein nationale, partikiflärßfficlM und "laizistischer’Geist löste“1®jt; Berlin äif Neuzeit imirier Ineh ’den übernationalen, universalen und geistigen Charakter des Mittelalters ab. Die Kirchen- und Glaubensspaltung sprengten vollends die mittelalterliche Welt und ihr einheitliches Gefüge. Humanismus und Renaissance haben an die Stelle Gottes den Menschen als Maß aller Dinge gesetzt. Welche Folge das hatte, ist später immer deutlicher geworden. Die Reichstage in Speyer ab 1528 künden von dem Protest einer neuen Zeit gegen die alte Kirche und ihre Welt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte romantischer Geist das zerfallene corpus christianum durch die Idee eines föderativen Europas, die heilige Allianz, zu ersetzen. Mitte des vorigen Jahrhunderts hat die Christenheit als Völkergemeinschaft zu bestehen aufgehört.

Der Völkerbund der zwanziger Jahre versuchte zum erstenmal eine religiösneutrale Ordnung und ist damit gescheitert. Es fehlte bereits die einheitliche Rechtsordnung des christlichen Europas, in der die politische Ordnung das Abbild einer höheren Seinsordnung war. Jetzt bedürfen die einst selbstverständlichen Menschenrechte einer neuen Formulierung. Fragwürdig geworden war die echte menschliche

Freiheit, die durch das Ringen von Kirche und Staat ihren geschützten Raum erhielt und vor jeder totalitären Form gesichert war. Übrig geblieben ist ein abendländisch-europäischer Kulturkreis, von einem Fortschrittsglauben besessen, der im Blut der beiden Weltkriege erbarmungslos zusammengebro- chen ist. Ein ungebändigter Kapitalismus und Kolonialismus einerseits, ein gottloser Kommunismus anderseits waren die Folge der Loslösung vom göttlichen und natürlichen Sittengesetz.

Der Dom spricht zunächst zu uns durch seine Symbole und Zeichen. Die Längsachse dieses Domes ist geneigt, um dadurch bereits im Grundriß auf den gekreuzigten Heiland mit dem geneigten Haupte hinzuweisen. In die Steinrosette am Fußboden des Hauptschiffes sind — als Reflex des alten Marienbildes — die Bernhardschen

Grußworte: „O Clemens, o pia, o dulcis virgo Maria" eingeschrieben.

Der Dom spricht zu uns durch die Kunst seiner Zeit, die ihm ein herrliches Kleid geschaffen hat. Auch das Christentum hat sich in Europa ein wunderbares Kleid geschaffen, das seinen Ausdruck gefunden hat in Architektur und Kunst, philosophischen Synthesen, theologischen Spekulationen, Liturgie und gottesdienstlichen Formen, in denen sich romanische Klarheit und germanische Symbolkraft njiteinander verbinden. Die Folge davon war, daß man in anderen Kontinenten europäische Lebensformen und katholische Kirche gleichsetzte. Man hat irrtümlich gemeint, das Christen tum müsse immer und überall dieses europäische Kleid tragen. — Das Christentum hat wohl Europa geprägt, aber Europa hat nicht das Recht, die katholische Kirche in europäische Formen zu zwängen. Das Abendland muß sich bewußt sein, daß die Kirche nicht auf das Abendland, wohl aber das Abendland auf die Kirche angewiesen ist.

Hier mag der Grund liegen, daß das christliche Abendland wohl universal, aber nicht genug ökumenisch geworden ist, Es lebte in einer Isolierung, die es nicht zu sprengen vermochte, um den Weg in die ganze Welt zu finden. Es ist heute eine Großtat des päpstlichen Roms, daß es sich gegenwärtig bereit macht, um sich vom Abendland soweit frei zu machen, um einen neuen Dombau im ökumenischen Geiste zu beginnen.

Die Aufgabe und die Zukunft der Kirche weisen heute weit über den europäischen Bereich hinaus, einerseits, weil Europa brüchig oder morsch geworden ist, anderseits, weil die Welt im Begriff ist, eine Einheit zu werden. Jahrtausendealte Lebensformen und wertvolle religiöse Gebilde brechen in den asiatischen und afrikanischen Ländern zusammen. Gewaltige kulturelle und religiöse Leerräume entstehen dort. Der atheistische Bolschewismus wird nicht imstande sein, den Hunger dieser unterentwickelten und volksreichen Nationen zu stillen. Denn nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt. Um so drängender und entscheidender aber ist die Stunde für die europäische Christenheit, alle Kräfte einzusetzen, um die Frohbotschaft Christi dorthin zu bringen.

Unser Dom trägt auch Narben, die Spuren verheilter Wunden, die ihm von Menschen zugefügt wurden, die seine Sprache nicht hören wollten, weil ihnen sein Zeugnis als katholisches Gotteshaus lästig war. Die Schläge und Wunden, die ihm zugefügt wurden, galten der Kirche. Man wollte damit die Kirche schlagen und verfolgen. Neue Ideen und neue Waffen des Geistes sind im Laufe der späteren Entwicklung gegen die großen Dome der abendländischen Christenheit eingesetzt worden. Es geschah in der Absicht, die Kirche zu entmachten und ihr durch den Verlust weltlicher Positionen zu schaden (geistliche Fürstentümer und Kirchenstaat). Man wollte dadurch ihre Bedeutung und ihren Einfluß als fortschritts- und wissenschaftsfeindlich weit zurückdrängen. Das Crucifige wurde ihr entgegengeschleudert von ihren eigenen Söhnen,

die sie als Mutter der Völker erzogen hatte. Sie trafen das Menschliche an der Kirche und dienten damit einem heilsamen Läuterungsprozeß. Wie so oft in der Geschichte, mußte das Böse dem Guten dienen.

Der nachtridentinische Katholizismus hat sich verinnerlicht, und das spirituelle Element der Kirche ist stärker hervorgetreten. Die Kirche ist damit zu einem moralischen Faktor in der ganzen Welt geworden, der heute weniger denn je übersehen oder überhört werden kann. Die Papstgestalten der letzten hundert Jahre sind ein deutlicher Beweis dafür. Auch die letzte Enzyklika Johannes’ XXIII. „Mater et Magistrą“ ist ein Beispiel dafür, wie die ganze ratlos gewordene Welt aufhorcht, wenn der Lehrer auf Petri Stuhl zu den großen Fragen der Zeit Stellung nimmt. Die Narben und verheilten Wunden des Domes sind uns eine Mahnung und ein Trost. Immer wird die Kirche angegriffen, „Haben sie Mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen“ (Jo. 15, 29). Von allen Stürmen der Zeiten geschüttelt, steht dieser Bau in unerschütterlicher Ruhe vor uns: Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Lande wie ein Unterpfand des Herrenwortes „Siehe, Ich bin euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

Hat aber das Abendland, das sich in so großartigen Werken des Geistes und der Kunst ausweisen kann, noch eine Zukunft? Man hat vom Herbst des Mittelalters, vom Untergang des Abendlandes geschrieben und gesprochen. Überall begegnet uns heute, besonders auch in der jungen Generation, das Interesse an einer größeren abendländischen Einheit nach Art der christlichen Völkergemeinschaft im sacrum Imperium des Mittelalters. Wir können die Vergangenheit nicht wieder lebendig machen. Aber wir können aus der Vergangenheit lernen.

Werfen wir noch einmal einen Blick auf diesen Dom, der vor uns steht als ein großes Bauwerk des einst christlichen Abendlandes. Seine geneigte Längsachse ist ein Symbol -der Chri- stenverbundenheit’ WifteWBrttMePÜM1 des Gjapbens’ seiner BätffeüöfJ fhf will uns heute sagen, daß die Zeiten lebendigen Glaubens und blühenden religiösen Lebens Zeiten großer Fruchtbarkeit für die Völker sind. Das sagt uns, daß die Liebe zu Christus und die Ausbreitung Seines Reiches Völker und Nationen miteinander verbindet, die Voraussetzung enthält, um Frieden zu stiften in Gerechtigkeit und Liebe. Zeiten religiösen Niederganges aber schaffen gefährliche Ersatzformen. An Stelle des Gottesdienstes tritt die Vergötzung des Menschen und seiner Macht, an Stelle eines Domes von Speyer tritt der Turmbau von Babel.

Das prachtvolle Kleid des Domes, geschaffen durch romanische Architektur und Kunst, ist ein Sinnbild der zeitbedingten Stile und Ausdrucksformen kirchlichen Lebens. Das sagt uns, daß war nicht das, Vergangene nachahmen, sondern die geistigen Ideen dieser christlichen Bauleute und ihren unglaublichen Bauwillen aufgreifen sollen. Wie oft sind Dome und Gotteshäuser niedergebrannt und zerstört worden. Aber mit Zähigkeit und Optimismus haben sie das Werk wieder neu begonnen. Als Christen haben wir in dieser dunklen Weltstunde Angst und Bangigkeit fernzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, einen neuen Dom zu bauen für die ganze Welt. Seine Fundamente müssen sein Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenwürde, die von Gott wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert worden sind.

In seinen Spuren von Narben und Wunden ist der Dom ein Zeichen menschlicher Verwundbarkeit der Kirche, aber auch göttlicher Heilungskräfte. Das will bedeuten, daß unser menschliches Versagen im Befolgen und Hören des Gotteswortes das Werk Gottes unter den Menschen schwer belastet und verwundet. Und alle, die den Namen Christen trägen und uneins sind, bilden ein großes Ärgernis für die Welt. Aber die vielen Kräfte, die sich rühren, um mit blutendem Herzen die Risse der Christenheit zu beseitigen, sind ein Zeichen göttlicher Kraft, die auch die schwersten Wunden, die wir Menschen der Kirche geschlagen haben, heilen kann. Welche Friedensmacht könnte die Einheit der an Christus Glaubenden sein!

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