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"Du wirst Europa krönen"

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ÜBER DER gepanzerten Türe, durch die man von der Säulenstiege aus die Schatzkammer betritt, sollte stehen: „Löse die Schuhe von Deinen Füßen, denn der Ort, wo Du stehst, ist heiliges Land." — So überwältigend ist die Pracht der Schatzkammer, so unbeschreiblich ihre Schönheit, so unermeßlich ihr Reichtum und so unerschöpflich die Tiefe der Gedanken, die dort versionbildet sind. Das Mittelalter redet in seiner eindrucksvollen Bildersprache zu uns. Sinnbilder sprechen uns stimmungshaft an und erschließen den Sinn des Uebersinnlichen besser als der bloße Begriff und das Wort, sie deuten über das unmittelbar Sinnfällige hinaus das Unendliche an. Im Mit- tdalter dienten Zahlen, Figuren, ornamentale Zeichen, stilisierte Buchstaben und vieles andere der Bildersprache.

So war die Krone das Sinnbild des Herrschers, ihre achteckige Form bedeutete Vollendung und Vollkommenheit, die edelstein- besetzten Platten waren Ausweise der Macht, die Darstellungen uf jeder Platte Sinnbilder königlicher Eigenschaften, z. B. Salomon das Sinnbild der Weisheit, David, das Sinnbild der Gerechtigkeit. Die ganze traumhafte Pracht der Schatzkammer, der Glanz des alten Goldes, das Funkeln zahlloser Edelsteine, das matte Leuchten dichtgereihter Perlen, das Feuer der Email- und Miniaturfarben, die schwere Kostbarkeit der seltenen Stoffe und Stickereien, der volle Ton des Purpurs — das alles hat seine tiefe Bedeutung. Die Vielzahl der Kunstwerke und die Unabsehbarkeit ihres Wertes und ihrer Bedeutung einerseits, die Bildersprache des Mittelälters anderseits, rechtfertigen den Versuch. die drei großen Einheiten, aus denen die weltliche Schatzkammer im wesentlichen besteht, selber als Sinnbilder aufzufassen, und zwar die Reichsinsignien und -kleitiodien für die Einheit, den burgundischen Schatz für die Vielfalt und den österreichischen Schatz für die Vielfalt in der Einheit oder für die Einheit in der Vielzahl.

DIE REICHSINSIGNIEN. Dofays Motette „Vergine bella" klang mit den Worten aus: „ . . . e tu del cfel regina." Aebnlich hatte schon Jahrhunderte vor Petrarca auf der Insel Reichenau Hermann der Lahme im „Salve regina" gesungen. Die Mönche der Reichenau pflegten aber nicht nur Dichtkunst und Musik, sondern auch Architektur und Malerei, Emaillier- und Goldschmiedökunst und Elfenbeinplastik. Außerdem war die Abtei Reichenau die Reichskanzlei des Fränkischen Reiches, das kein nationaler Staat war, sondern wahrscheinlich mehr Romanen als Deutsche und außerdem noch Slawen und Awaren umfaßte. In ihm war das Abendland erstmals zu einem Kulturreich vereinigt.

Mit dem Schauer der Ehrfurcht nennen wir die Namen von Städten, die von der Reichenau rheinabwärts liegen und für das abendländische Kaisertum von Bedeutung waren: Konstanz, Basel, Speyer, Worms, Mainz, Trier und Köln, deren Erzbischöfe gleichzeitig Kurfürsten und Erzkanzler für Deutschland, Burgund und Italien waren. „Zu Aachen in seiner Kaiserpracht saß König Rudolfs heilige Macht." — Noch eindrucksvoller als Schillers Gedicht und als Goethes Erzählung haben uns vor nicht allzu langer Zeit die Krönungsfeierlichkeiten in England erleben lassen, wie glanzvoll einstmals Kaiserkrönungen waren. Wer wäre berufener gewesen, die Krone anzufertigen, die von Ferdinand I. an bis 1806 jeder deutsche König getragen hat und die durch mehr als 800 Jahre höchstes Sinnbild des Reiches war, als die Werkstätte von Reichenau? In Aachen fand sie ehenso Verwendung wie in Rom, in Augsburg ebenso wie in Frankfurt. Nürnberg verwahrte ie durch Jahrhunderte, auf der Flucht vor Napoleon kam sie nach Regensburg und von dort nach Wien. Ihre herrliche, acht Platten umfassende Form ziert monumental die eine Kuppel von Klosterneuburg und eine Front des Reichskanzleitraktes in der Wiener Hofburg.

Aber nicht nur von der Reichskanzlei auf der Reiche bis s r Krone wem Reichenau auf der Wiener Reichskanzlei schließt sich der Ring. Das heilige römische Reich des christlich-abendländischen Mitteialters war noch in höherem Sinn eine Einheit. Es war die Geschlossenheit und Ganzheit einer aus Glauben an Uebernatur und Gott erwachsenden Gemeinschaft. Das Mittelalter faßte alle Einzelbereiche des Lebens unter eine Einheit zusammen und sah den Schauplatz alles, Geschehens weltumspannend, als mit dem irdischen Gottesreich zusammenfallend. Der Gedanke der Hin- ordnung aller Lebensgebiete und Tätigkeiten auf ein letztes und höchstes Ziel, die Geltung einet festen Rangordnung aller Werte, besonders der Vorrang des Geistigen vor dem Stofflichen führten zu einer weltanschaulich religiösen Einheit. Nicht umsonst hieß es das „heilige" römische. Reich, das Reichskreuz, Reichsevangeliar, Ainkhürn-Schwert, heilige Lanze usw. versinnbilden.

„Eins war Europa in den großen Zeiten,

Ein Vaterland, des Bodens hehr entsprossen, Was Edle kann in Tod und Leben leiten;

Ein Rittertum schuf Kämpfer zu Genossen, Für einen Glauben wollten alle streiten,

Die Herzen waren einer Lieb’ erschlossen;

Da war auch eine Poesie erklungen In einem Sinn, nur in versobiednen Zungen.“

DER BURGUNDERSCHATZ. Es ist keine Parodie, wenn man am vorgenannten .Zitat von A. W. Schlegel zwei Worte ändert:

„Da war auch eine Politik gelungen In einem Sinn, nur in verschiednen Zungen.“

Verschiedener Zunge waren die Länder, die der Herzog von Burgund teils von der Krone Frankreichs, teils vom deutschen Reich zu Lehen trug und durch eine gemeinsame Verwaltung zu einer politischen Einheit verschmolz. Die zur Einheit zusammengefaßten Gebiete blieben in ihrer Eigenart erhalten und gingen nicht in einem Einheitsstaat auf. Jeder Gliedstaat fand im Stammesbewußtsein festen Halt, brachte Beamte und Bevölkerung in gegenseitige Fühlung und weckte in beiden die Freude und Verantwortung am staatlichen Miterleben. Partikularismus und Separatismus hätten zur Zersplitterung geführt, Unitarismus und Zentralismus die Gegensätze verschärft, deshalb ging der Herzog von Burgund den golde nen Mittelweg des Föderalismus, der die Staatsaufgaben zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten verständig teilt und die staatsbildenden Kräfte der Gefühlswelt erschließt; der die Zersplitterung überwindet und die einzelnen Völker befriedet, einigt und versöhnt. Dadurch hielt nicht Gewalt oder Vorherrschaft eines Stammes das große Herzogtum zusammen, sondern die Achtung und Anerkennung der Rechte eines jeden Gebietes, deren althergebrachte Eigentümlichkeit unangetastet blieb und von keinerlei Gleichmacherei bedroht war.

Das Herzogtum Burgund war staats- und völkerrechtlich eine Einmaligkeit und . hatte schon deshalb welthistorische Bedeutung, weil es im gewissen Sinn ein Vorbild der späteren Monarchie im Donauraum war. Nach dem

Tode Karls des Kühnen .fiel das Herzogtum seiner einzigen Tochter Maria zu. Friedrich, der Vater Maximilians, betrieb dessen Vermählung mit Maria und konnte dadurch Burgund gewinnen. Er schloß den Erbvertrag mit Ungarn und bahnte in Böhmen die Nachfolge des Hauses Habsburg an.

DER HAUSSCHATZ. Mit dem Blick auf’ weitgesteckte Ziele und große Wirtschaftsgebiete traten die Habsburger in die Bahnen der alten deutschen Kaiser, deren Krone sie unter den schwierigsten Verhältnissen übernommen hatten. Sie fühlten sich als Nachfolger der römischen Kaiser und beherrschten ein übernationales Reich, das allen darin zusammengefaßten Völkern Vorteile brachte, indem es sie vor Erdrückung und Vernichtung, vor allem aber vor den Türken rettete. Das Sinnbild dieses Imperiums ist das Kernstück des österreichischen Schatzes, die sogenannte Hauskrone Rudolfs II. Sie bringt in ihrer Verbindung von königlicher Blätterkrone mit kaiserlichem Bügel und bischöflicher Mitra den weltliohen-geistigen Charakter der Kaiserwürde zum Aiisdruck. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war mehr eine geistig- moralische als eine materiell-militärische oder polizeiliche Ordnungsmacht. Sicherung des Rechtes, Ruhe und Friede waren seine großen Aufgaben. Auf Epochen segensreichen Zusammenwirkens von Kirche und Staat haben schon Zeitgenossen den Psalmvers zitiert: „Milde und Treue .sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben einander geküßt." Wegen des ungleich höheren Alters und wegen der Zurück- fühmng auf Karl den Großem war die Karolingische Krone, immer mehr zur sakralen Reliquie geworden, die den deutschen König als den rechtmäßigen Vertreter Christi, der der eigentliche Herrscher des Reiches war, ausweisen sollte. Die Rudolfinische Hauskrone hingegen war das weltliche Sinnbild für das Imperium, zu dessem Kaiser jeder in regem Romanorum gekrönte deutsche König nachher ausgerufen wurde. In wenigen Wochen sind 150 Jahre vergangen seit der Proklamation des Erbkaiser- tums Oesterreich am 11. August 1804, bei der Franz I. die Rudolfinische Hauskrone als die eigentliche Reichskrone bezeichnete und für die Zukunft zum Sinnbild des neuen Kaisertums Oesterreich bestimmte, für das sie so von Bedeutung war, daß selbst die Währung nach ihr benannt wurde.

WIE 1804 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, so wurde 1918 das Kaisertum Oesterreich aufgelöst. Sind Krone und Schatz seither nicht mehr lebendige Zeichen, sondern nur noch Symbole einer ruhmreichen Vergangenheit? Wir wären nicht würdig, Zeugen der heutigen Feier zu sein, wenn wir die Insignien und Kleinodien nur noch für tote Zeichen vergangener Pracht hielten, ln einer Zeit, da alle Völker nach Einheit streben, müssen die Insignien und Kleinodien Künder und Mahner, Rufer und Zeugen dafür sein, wie Einigung gefunden und Einheit bewahrt werden kann. Seit mehr als einem Jahrtausend haben die deutschen Kaiser und besonders die Habsburger den europäischen Gedanken gepflegt und zu einem guten Teil auch verwirklicht. Durch Gewinnung und Besiedlung der Länder an der mittleren und unteren Donau schufen sie eine große Föderation von Staaten und suchten sie zu einer christlich-abendländischen Kulturgemeinschaft zu vereinigen.

Die Insignien des Heiligen Römischen Reiches waren mehr als bloße Kennzeichen des Herrschers, sie waren auch das Unterpfand und Siegel seiner Herrschaft. Der Besitz der Insignien bezeugte die Rechtmäßigkeit der Herrschaft, so daß die erwählten Könige keine Mühe scheuten, um in ihren Besitz zu gelangen und umgekehrt ihr Besitz auch die Wahl beeinflussen konnte. Seit Jahrhunderten besitzt Oesterreich die Insignien. In Oesterreich weiß man, wie man einen geographisch, geschichtlich, wirtschaftlich und kulturell reichgegliederten Großraum verwaltet, ohne der Gefahr der Ueberzentralisiemng zu erliegen, ohne das Leben der einzelnen Stämme und Völkerschaften in einen mechanisierten Großstaat einmünden zu lassen, der nur dem Götzen Macht dient und für das Volk etwas Fremdes und Unpersönliches bleibt, insbesondere wenn er nicht im Herrscher die Personifikation und in der Krone das einigende Sinnbild findet. In Wien hat ein Ausländer, der sich um die Einigung Europas bemüht und dabei nicht immer auf Verständnis stößt, gesagt: „Bisher gibt es nur in Oesterreich Europäer."

Bei ihren Fürbitten am Karfreitag fleht die katholische Kirche „respice ad Romanum benignus Imperium". In etwas freier Ueber- setzung möchte man dem um seine Einheit ringenden Europa Zurufen: „Hättest du doch die Gnade, dich an das heilige römische Reich Zu erinnern." Seine Idee ist noch lange nicht abgetan, seine großartige übernationale politische Konzeption ist noch lange nicht ausgeschöpft, sondern aktueller ak je zuvor.

DIE AUFSTELLUNG in der Schatzkammer folgt nicht dem geschichtlichen Werdegang von der Nürnberger zur Hauskrone, sondern geht bewußt den umgekehrten Weg, damit der Anblick des kostbarsten Stückes den Abschluß und Höhepunkt der Besichtigung bildet. Würde man dort nicht vor stummem Staunen stille stehen, so müßte man vor ihr Verse aus Reinhold Schneiders Sonetten zitieren, die während des Krieges nicht gedruckt werden durften, dafür aber um so eifriger in Abschrift von Hand zu Hand gingen:

„Du wirst Europa krönen, wenn dein Schein In seinem finstern Herzen wieder leuchtet Und seine Seele dir entgegenstrebt.

Wenn sich ein Reich gefügt zu deinem Ruhme, Wo heilige Demut ihre Stirne beugt Und Recht und Glaube Herrscherkronen tragen.“

(Vortrag, gehalten am 1. Juli 1954 xur Wiedereröffnung der Wiener Weltlichen Schatzkammer.)

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