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Österreich — Großmacht

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Mit dem Tod Karls IL, des letzten spanischen Habsburgers, fielen die spanischen Länder an Kaiser Leopold I., als dem Familienoberhaupt der Dynastie, zurück: Der Kaiser kam dadurch in den Besitz eines ungeheuren Reichs, das von so bedeutendem Übergewicht in Europa gewesen wäre, daß am kaiserlichen Hof Besorgnis entstand, ob eine solche Machtzusammenballung ' nicht unter den europäischen Staaten eine dem Haus Habsburg gefährliche Koalition der übrigen europäischen Mächte hervorriefe. Kaiser Leopold faßte daher den Entschluß, die Krone Spaniens von der eigenen zu trennen und eine neue spanisch-habs-burgiäche Linie zu begründen; an ihre Spitze sollte sein jüngerer Sohn Karl treten. Zu diesem Ziel schlössen am

12. September 1703 Leopold und seine beiden Söhne, Joseph und Karl, einen feierlichen Erbvertrag; ihm war am 5. September die Abtretung der spanischen Monarchie vorausgegangen. Der Vertrag bestimmte, daß in den habsburgischen Ländern das Recht der Erstgeburt maßgebend sein sollte. Die ehelichen männlichen Nachkommen sollten stets den weiblichen vorangehen, beim Erlöschen eines Mannesstammes aber sollte das nächstberechtigte männliche Mitglied der anderen Linie das“ Erbe übernehmen. Wenn aber auch der Mannesstamm der anderen Linie ausgestorben sei, sollten die Erbtochter, nämlich die älteste Tochter des letzten Throninhabers, und ihre Abkömmlinge das Recht der Erbfolge haben.

Auf dem Landtag zu Preßburg

Diesen Bestimmungen entsprechend, folgte nach dem Tod Josephs I. im Jahre 1711 sein Bruder Karl auf den Thron. Der Erbvertrag von 1703 war aber aus den angedeuteten politischen Gründen geheimgehalten worden. Karls erstes Anliegen mußte es sein, sein Erbfolgerecht in Ungarn zur Anerkennung zu bringen. Bei der besonderen Stellung, die Ungarn stets einnahm, mußte er mit großer Vorsicht umgehen. Auf- dem Landtag, den Karl nach Preßburg einberufen hatte, ging es ihm zunächst um die Durchführung seiner! Krönung, aber doch auch nebenher um die spätere Anerkennung des Erbfolgerechts, insbesonders auch der weiblichen Linie, falls das Haus Habsburg im Mannesstamm aussterben sollte. Die Absicht Karls aber war es, diese Frage erst in einem geeigneteren Zeitpunkt einer ersprießlichen Lösung zuzuführen.

Da kamen ihm die Stände Kroatiens zuvor. Der kroatische Landtag faßte aus eigenem Antrieb am 9. März 1712 den Beschluß, dem Kaiser anzubieten, die Erbfolgern Kroatien so zu regeln, daß der Herrscher in Österreich, Steiermark und Krain stets auch die Herrschaft in ihrem Land ausüben solle, auch wenn die Herrschaft in den genannten Ländern in der Hand einer Frau liege. Die Kroaten betonten, sie haben sich zwar dem König von Ungarn ergeben, aber sie hatten einst eigene Könige, sie haben sich nicht dem Land LIngarn angeschlossen, sondern seinem König, aber unter der Voraussetzung, daß er Herr in Österreich sei.

Dem Kaiser kam dieser Beschluß inhaltlich sehr erwünscht, aber der Zeitpunkt war ihm unbequem. Er be rief daher den geheimen Rat, bestehend aus den Fürsten Liechtenstein und Trautsohn, den Grafen Starhemberg und Schlickh und seinem Hofkanzler, Baron Seilern. Ihr Ratschluß war, der Kaiser — Karl war im Dezember 1711 zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden — müsse nun an die Regelung der Verhältnisse seiner Königreiche und Länder schreiten.

Am 19. April 1713 ...

Kaiser Karl VI. übertrug die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen dem Hofkanzler Seilern. Am 19. April 1713 eröffnete der Kaiser den Witwen nach Kaiser Leopold I. und Kaiser Joseph I. kraft seiner Hausgewalt, welche Bestimmungen in den Erbverträgen zwischen seinem Vater und seinem Bruder getroffen worden sind, und ließ sodann in einer feierlichen Versammlung von Hof-, Staats- und Länderministern des Hauses Österreich kraft seiner Herrschergewalt die bisher geheimgehaltenen Dokumente aus dem Jahre 1703 durch den Kanzler, Graf Seilern, vorlesen. Über diesen Vorgang ließ er ein Protokoll errichten, das Graf Georg Frid von Schickh als durch kaiserliche und e'rzherzogliche Gewalt ernannter öffentlicher Notar beurkundete. Diese feierliche Deklar a-tion des Kaisers unddieda-bei verlesenen Urkunden sollten in Hinkunft das Grundgesetz der habsburgischen Monarchie bilden, die Einheit der Königreiche und Länder wahren und nach dem Recht der

Erstgeburt im Mannesstamm und bei dessen Erlöschen auch in gleicher Weise in der weiblichen Deszendenz vererbt werden. Der Kaiser hob die Geheimhaltung auf und gab seine Absicht kund, seinen Willensakt den Ständen seiner Staaten kundzumachen.

Ungarn stellte Gegenforderungen

Es war wohl rechtlich nicht unbedingt nötig, die Landtage damit zu beschäftigen; aber die Stände waren damals noch erhebliche Machtträger und außer durch die Person des Monarchen mit den Ständen der anderen Gebiete des Hauses Habsburg nicht verbunden, wenn auch solche Bündnisse zeitweise geschlossen und oft auch von einzelnen Ländergruppen angestrebt wurden.

Der kaiserliche Hof aber wünschte solche Bündnisse der Länder aus Furcht vor der Macht der Stände nicht.

Es war daher ein freiwilliger, lediglich von der politischen Klugheit des Kaisers geleiteter Entschluß, seine Willenskundgebung bei dem Staatsakt in der. Hofburg in , Wien am 19. April 1713 den Ständen seiner Königreiche und Länder kundzutun. Er stieß nicht einmal in Ungarn auf echten Widerstand, aber die Stände nützten ihre Stunde und trachteten, für ihren „Beitritt“ zum kaiserlichen Entschluß entsprechende Sicherungen ihrer „Freiheiten, Privilegien und Immunitäten“ zu erlangen.

Immerhin mußte der Kaiser Ungarn gegenüber mit besonderer Vorsicht vorgehen. Er berief im Juli 1712 die geheimen Räte Ungarns nach Preßburg zu einer Beratung unter Vorsitz des Palatins. Diese Palatinalkonferenz sollte die Erbfolge der weiblichen Deszendenz durchsetzen und das Wahlrecht der Stände beseitigen. Die Konferenz sträubte sich aber gegen das kaiserliche Ansinnen und stellte eine Reihe Gegenforderungen, so zum Beispiel, daß alle übrigen Länder der Dynastie in der gleichen Hand verbleiben müßten und daß ihre Stände ein vertragsmäßiges Bündnis zu schließen hätten. Im Krönungseid müßte bei jedem Herrscherwechsel der neue König sich verpflichten, die ungarischen Länder nur „unter voller Wahrung ihrer Verfassung“ zu regieren. Schließlich versandeten die Verhandlungen mit den Ständen Ungarns, weil ihre Frage, wer für den Fall der weiblichen Erbfolge wohl der Gemahl der Herrscherin sein werde, nicht beantwortet werden konnte.

Inseparabiliter et indivisibiliter

Nun wandte sich der Kaiser seinen deutschen Erblanden zu. Unter diesen bekannte sich als erster der Landtag von Oberösterreich am 19. April 1720 zur „Pragmatischen Sanktion“. Der Beschluß des Linzer Landtags gebraucht auch als erster den Ausdruck, er nehme die kaiserliche Kundgebung pro sanctione pragmatica et lege perpetuum valitura, als ein dauernd wirkendes unverletzbares Grundgesetz an.

Vor dem Linzer Landtag gebrauchte schon die Urkunde, die den Erbverzicht der Erzherzogin Maria Josepha vom 18. August 1719 festlegte, als sich diese mit dem Erbprinzen Friedrich August von Sachsen zu vermählen bekannt gab, die uns geläufige Formel inseparabiliter et indivisibiliter, unteilbar und untrennbar, und den Begriff sanctio p r a gmatica, wobei sicli dieser auf das .Protokoll Karls VI. und alle seine Urkunden bezog; die bei dem erwähnten feierlichen Staatsakt verlesen worden waren. Das Protokoll vom 19. April 1713 selbst verwendet zwar, wenn es von den Erbkönigreichen und Landen spricht, das Wort „ohnzer-teilt“, nicht aber die lateinischen Ausdrücke, die für das Erbfolgerecht Karls VI. allmählich charakteristisch geworden sind; wohl aber verordnet schon das Testament Ferdinands II. vom Jahr 1621, daß sein hinterlas-senes Erbe weder „zerthailt“ noch „zertrennt“ werden dürfe, sondern „allezeit Innsgesambt auf den Eltisten descendenden“ nach dem Recht der Erstgeburt übergehen müsse. ,

Auch Tirol stimmte zu...

Nach und nach traten die Stände der verschiedensten Länder der Pragmatischen Sanktion bei. Zunächst folgte der Landtag von Niederösterreich am 25. April 1720 dem, wie sich der Kaiser ausdrückte, gar rühmlichen Beispiel der Oberösterreicher. Allerdings gaben die Niederösterreicher eine bedeutsame Anregung: Die Länder sollten eine Erbverbrüderung der Stände aller habs-burgischen Länder schließen, um sich gegenseitig zu sichern. Der Hof ging aber darauf nicht ein, er sah darin eine bedrohliche Machtsteigerung der Stände. Im Jahr 1720 folgten Kärnten, Steiermark, Krain, Görz und Gra-diska, Triest, Böhmen, Mähren und Schlesien mit entsprechenden Annahmeerklärungen. Im Jahr darauf gab auch Tirol seine „Zustimmung“ zer Pragmatischen Sanktion. Während aber die böhmischen Stände wie die steirischen bloß der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß ihre Freiheits-rccKte gewahrt werden würden,, sprachen, die Leute aus den Bergen eine kräftigere Sprache. Sie; bemängelten, daß man nicht vorher mit ihnen gesprochen hatte, und stellten die Bedingung, daß bei jedesmaligem Wechsel der Person des Landesfürsten die bisherigen Freiheiten vor der Landeshuldigung durch den neuen Herrscher zugesagt und stipuliert werden. Sie beriefen sich dabei auf althergekommenes Recht.

Durchschlagenden Erfolg zeitigte die Erklärung des Fürstentums Siebenbürgen, dessen Landtag am 30. März 1722 namens seiner „drei“ in ihm lebenden Nationen dem Wunsch Ausdruck gab, Siebenbürgen möge in alle Ewigkeit mit den Ländern des Kaisers zu beiderseitiger Sicherheit zu unlösbarer Verbindung — nexu indissolubili in omne aevum coalescere et cohaerere — zusammenwachsen.

Siebenbürgen ging voran

Unter dem Eindruck des Schrittes Siebenbürgens mußten auch die Ungarn einlenken. Sie wußten allerdings die Sache nach ihrem Sinn zu verändern. Sie nahmen die Hausgesetze vom Jahr 1703 und 1713 auf Grund der im Landtag verlesenen „authentischen Interpretation“ an, gaben aber der Pragmatischen Sanktion ihre eigene „ungarische Fassung“, die in den Gesetzartikeln I, II und III vom Jahr 1722/23 inartikuliert wurden. Diese entkleidet die Deklaration in der Wiener Hofburg des Charakters eines souveränen Willensaktes des Kaisers als König von Ungarn und macht daraus ein Werk der ungarischen Stände, in dem sie ihr „Königswahlrecht“ ausüben; die Herrscherrechte werden erst bei der Krönung von den Ständen auf den König übertragen. Zum erstenmal tritt uns hier auch der dualistische Gedanke entgegen: Kroatien, Siebenbürgen und die partes adfiexae. die einverleibten Teile der Krone Ungarns, werden als Einheit den übrigen Ländern der Dynastie gegenübergestellt.

Dennoch gab sich Karl VI. damit nicht zufrieden. Sein Bestreben war nun, auch von den auswärtigen Mächten Europas die Anerkennung des Grundgesetzes der Habsburger-

Monarchie zu erlangen. Seine Monarchie sollte die Vormauer der Christenheit bilden und den Schutz des „Teutschen Vaterlandes“.

Bei seinem Tod im Jahre 1740 erwiesen sich die Anerkennungen allerdings als „Papiere“. Seine Tochter und Thronerbin Maria Theresia mußte sich ihr Recht in schweren Kriegen erkämpfen. Der Wert der Pragmatischen Sanktion Karls VI. lag aber nicht in ihrer Wirkung nach außen, sondern in der nach innen. Waren bisher die habsburgischen Besitzungen eine Summe von Königreich und Ländern, die mehr oder minder selbständig nebeneinanderlagen, deren einziges Band die Person des Herrschers und die Dynastie war, trat die Monarchie des Hauses Österreich nunmehr als nicht bloß historische, sondern auch als juristische Einheit in Erscheinung, wie Hugo H a n t s c h in seiner Geschichte Österreichs mit tiefem politischem Verständnis und Sinn für die Wirksamkeit des Rechtes, die weit über die der bloß faktischen Macht hinausgeht, hervorhebt. Österreich — Hab s-burgs Lande — hatten die Grundlage eines wirklichen Gesamtstaates erreicht und traten unter die ersten der Großmächte Europas.

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