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Verlust und Gewinn

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Diese hochpolitische Verbindung Maria Theresias mit dem letzten Herzog von Lothringen stellt in der Geschichte des 18. Jahrhunderts deshalb ein Unikum dar, als hier dynastische Erwägungen einer tiefen persönlichen Herzensneigung begegneten. Wo gab es dies nochmals in der damaligen von der „Raison d'Etat“ bestimmten Zeit? Denn die junge Erzherzogin setzte sich mit früher Energie für ihren Lothringer durch, auch gegen spanische und kurbayrische Kombinationen, die im kaiserlichen Kabinett vorübergehend sehr ernst genommen und ebenso eifrig betrieben wurden. Aber über alle politischen Bedenken siegte dann doch auch die persönliche Neigung Karls VI. für seinen schmucken, gewandten Neffen, der freilich — Verlust und Gewinn — die Hand der Kaisertochter nur um den Preis des Verzichts auf sein Stammland erhielt. Dafür wurde er bald nach seiner Vermählung am 12. Februar 1736 mit dem Großherzogtum Toskana entschädigt, das nach alten Erbverträgen beim Aussterben der Medici an Habsburg fiel. Ende 1737 hielt das junge Großherzogspaar seinen Einzug in Florenz, wo nun Franz Stephan, freilich fast immer von Wien aus, eine umfangreiche Reformtätigkeit entfaltete, die später sein zweiter Sohn Leopold für ein Viertel Jahrhundert in erfolgreicher Weise fortsetzen sollte. Eine ganze Reihe von Künstlern und Wissenschaftlern kam durch Vermittlung des neuen Großherzogs an den Wiener Hof: Metastasio zum Beispiel schrieb seine galanten Sonette, und Pacassi wurde zum leitenden Gestalter von Schloß Schönbrunn.

Die neue „Domus Austria“

Nach dem frühen Tode des erst 55jährigen Kaiser Karls VI. trat Franz Stephan nun auch als Mitregent an die Seite seiner jungen Gemahlin, deren nächstes Ziel es war, ihm (und damit dem neuen Hause Habsburg-Lothringen) die Kaiserkrone zu gewinnen, Und tateines typischen Grenzlandschicksals schon so gut wie besiegelt. Frankreich war nur bereit, die von Karl VI. getroffene und vielfach überbewertete „Pragmatische Sanktion“ von 1713 um den Preis Lothringens anzuerkennen, das ja schon längst zum

„Reunionsgebiet“ Ludwigs XIV. gerechnet wurde. Deshalb sandte man Franz Stephan mit 15 Jahren zur weiteren Ausbildung nach Wien, wo er sich unter der gütigen Strenge seines kaiserlichen Oheims zum „schönen Franzosen“ der Hofgesellschaft entwickelte. Aus dem lebhaften Jagdgefährten Karls VI. wurde für kurze Zeit dessen Statthalter in Ungarn, wurde — nach fröhlicher KrnderSreuridschaft — der Bräutigam der Erbtochter Maria Theresia. Zur zögernden Freude des Kaiserpaares, das immer noch auf den männlichen Erben hoffte.

sächlich, mitten im Existenzkampf um das österreichische Erbe, den auch die Pragmatische Sanktion nicht hatte vereiteln können, einigten sich die Kurfürsten — nach dem kurzen, ruhmlosen Interregnum des Wittelsbachers Karl (VII) — auf Franz von Lothringen-Toskana als neuen Kaiser. Am 4. Oktober 1745 fand mit dem üblichen sakralen Gepränge seine Krönung in Frankfurt am Main statt. Zur besonderen Genugtuung seiner stolzen Gemahlin, die nun erst selbst den Kaisertitel führen konnte. Jetzt also stand eine neue „Domus Austria“ an der Spitze des Reiches, ihr Oberhaupt aber war sich über seine immer etwas schwierige Stellung niemals im unklaren: „Corregens“ in den weiten Erblanden, Souverän in dem von der Ferne aus regierten Toskana und Kaiser über eine (nach den Worten des großen Gegners Friedrichs II. von Preußen) sehr bunte „deutsche Fürstenrepublik“. Kein Wunder, daß sich Franz Stephan oft auf das Gebiet seiner besonderen Neigung, auf emsige Sammlertätigkeit und ein großzügiges Mäzenatentum zurückzog. Mit kluger Umsicht leitete er den Ausbau von Schönbrunn, legte in seiner „Menagerie“ den Grund für den heutigen Schönbrunner Tiergarten und als begeisterter Pflanzensammler zum späteren Botanischen Garten. Dabei war er bei aller Großzügigkeit ein sehr geschickter Rechner, wenn auch nicht ganz frei vom Aberglauben seiner Zeit, den „Stein der Weisen“ finden zu können.

In der Politik blieb sein Einfluß immer peripher: Den vom Staatskanzler Kaunitz inszenierten großen Frontwechsel vor dem Siebenjährigen Krieg, der Österreich an die Seite Frankreichs stellte, billigte der letzte Lothringer Herzog ebensowenig wie so manche bourbonische Verbindung, die dieses „Renversement des Allionces“ noch festigen sollte. Dafür hatte er seine eigenen Pläne: Im Falle .einer Niederlage Preußens dachte er an die Wiederherstellung des Deutschen Ordensstaates unter Führung eines seiner Söhne, aber auch an die Bildung eines „Regno d'ltalia“ von den Alpen bis zum Kirchenstaat. Diese Pläne wurden in dem von der Kaiserin beherrschten Staatsrat nicht sehr ernst genommen, dafür sollte die europäische Stellung Habs-burgs durch eine kluge Heiratspolitik neu gefestigt “werden; hier fand sich das kaiserliche Paar in geradezu elementarer Interessenverbundenheit zusammen. „Tu felix Austria nube“ erhielt in diesen Jahren eine weite, kontinentale Bedeutung: Von den 16 Kindern dieser Ehe haben zehn die, Eltern ,überlebt, und ihr Einfluß reicht«)bis. zum Ausgang des Reiches von den Niederlanden bis Sizilien. Freilich sind sie in ihren „Pragmatischen“ Ehen nie recht glücklich geworden, am wenigsten der spätere Kaiser Josef IL, den der Vater ein Jahr nach dem Hubertusburger Frieden — 1764 — zur Krönung nach Frankfurt geleitete.

Die heitere Würde des Kaisers Franz

Wir haben von dieser Krönung den eingehenden und begeisterten Augenzeugenbericht des jungen Goethe, der von der „heiteren Würde des Kaisers Franz“ spricht.

Auch das gehörte zu den herben Erfahrungen Franz' I., daß ihm sein Ältester innerlich immer fremd geblieben, ja, daß er sich gelegentlich darüber beklagte, kein „Deutscher“, sondern ein „Lothringer“ zu sein. Viel näher stand ihm der weniger komplizierte, nüchterne zweite Sohn Leopold, den er, wieder ein Jahr später, zu seiner Vermählung mit der spanischen Infantin Marie Louise nach Innsbruck geleitete. Und hier in Tirol erlag Franz Stephan ganz unerwartet, nachdem eben eines seiner geliebten Hofkonzerte verklungen, noch nicht 57jährig einem „Schlagfluß“ und versetzte damit vor allem die Gemahlin, die ihn — nicht immer grundlos — eifersüchtig und etwas eigenwillig geliebt, in die tiefste Trauer. Es ist bekannt, daß Maria Theresia in den letzten 15 Jahren ihres Lebens ihre Witwenkleidung nie mehr abgelegt hat und bei aller Sorge um das Wohl ihrer Kinder und ihrer Völker „nur mehr der Pflichten, aber keiner Freuden mehr gewußt“.

Nichts könnte das Wesen des Begründers des Hauses Habsburg-Lothringen besser deuten als eine Briefstelle, in der er seinem Sohn und Nachfolger in Toskana, dem „Re filosofo“ Leopold (IL), das selbsterlebte Glück einer guten Ehe beschreibt: „Solch angenehmes Leben muß man sich selbst aufbauen durch Gefälligkeit, Rücksichtnahme, Takt, Vertrauen und eine beständige Freundschaft... Eine schlechte Ehe aber ist — nach dem, was man erzählt — ein Fegefeuer auf Erden, ärger, als man es ausdrücken kann. Und da dies so ist, siehst Du wohl, daß kein Preis zu hoch ist, um sich das zu ersparen.“

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