Gerechtigkeit für Ludwig Victor

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Einst galt er als schwarzes Schaf des Kaiserhauses, heute erfreut sich der exzentrische Erzherzog Ludwig Victor wachsenden Interesses.

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Einst galt er als schwarzes Schaf des Kaiserhauses, heute erfreut sich der exzentrische Erzherzog Ludwig Victor wachsenden Interesses.

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Sie machen eine erstaunliche Karriere: In der Donaumonarchie hätte man ihre Namen noch am liebsten aus den erlauchten Familienstammbäumen und -chroniken gelöscht; und nach dem Ende der Monarchie rankten sich bestenfalls Legenden um ihre Namen. Doch nun feiern sie ihr Comeback: Die habsburgischen Exzentriker, die Erzherzöge, die als Aussteiger sich ihr Leben nach ihren Vorstellungen zimmerten, werden mehr und mehr zu Themen der Kulturgeschichtsschreibung und von Ausstellungen. Die Rede ist vom berühmten Erzherzog Ludwig Salvator aus der Toskana-Linie, der zum heimlichen König von Mallorca wurde, von Leopold Wölfling alias Erzherzog Leopold Ferdinand oder von Johann Orth alias Erzherzog Johann Nepomuk Salvator, die aus Ablehnung des Etikettezwangs des Hoflebens sich von allen Fesseln befreiten, irgendwohin ins Ungewisse taumelten ... Und zu Legendenfiguren wurden.

Im Dunkel der Geschichte stand bis jetzt Erzherzog Ludwig Victor, der jüngste Bruder Kaiser Franz Josephs und der Erzherzoge Carl Ludwig und Ferdinand Maximilian, des Kaisers von Mexiko. Doch das ändert sich nun: Das Wiener Hofmobiliendepot widmete dem exzentrischen Ludwig Victor eine Ausstellung seiner berühmten Sammlung historischer Fotografien, die zu den schönsten Dokumenten der Ringstraßenzeit zählen; der Amalthea-Verlag veröffentlichte Teile der Fotosammlung; und die Salzburger Residenzgalerie bereitet für die Monate April bis Juli eine umfangreiche Schau "Der Erzherzog und sein Schloß: Ludwig Victor und Schloß Kleßheim" vor, in der Restbestände seiner einst riesigen Kunst- und Raritätensammlungen gezeigt und sein raffinierter Lebensstil vorgestellt werden.

Ludwig Victor war eine der schillerndsten Figuren der Habsburgerfamilie. 1842 in Wien als Sohn Erzherzog Franz Carls und Prinzessin Sophies von Bayern geboren, spielte er am Kaiserhof eine eher untergeordnete Rolle - was den eitlen, eigensinnigen, jungen Prinzen geärgert haben muß. Dennoch widersetzte er sich den Plänen Kaiser Franz Josephs, der ihn gern in sein politisches Konzept eingespannt hätte, und vor allem des Bruders Maximilian, der ihn zeitweise als Erben und Nachfolger auf den mexikanischen Thron setzen wollte. Noch heftiger weigerte sich Ludwig Victor aber, die Erbin des brasilianischen Kaiserreichs zu heiraten, um so den monarchischen Gedanken in Südamerika zu stärken und Brasilien und Mexiko unter habsburgischer Regierung zu vereinigen.

Schillernde Figur Politischen Ehrgeiz hatte er nicht. Das läßt sich an vielen Dokumenten und Briefen ablesen. Als etwa zum 40jährigen Regierungsjubiläum Franz Josephs ein prächtiges Armeealbum erschien, das alle Mitglieder des Kaiserhauses auch in ihren militärischen Funktionen vorstellte, wurde "Luzivuzi" - wie er von der Familie und den Freunden genannt wurde - tatsächlich nur am Rande berücksichtigt.

Denn der damals 46jährige hatte sich durch seine Lebensart, seinen gesellschaftlichen Umgang und seine lockeren Gewohnheiten am Kaiserhof und in der Wiener Gesellschaft höchst unbeliebt gemacht. Kaiserin Elisabeth beschuldigte ihn etwa, durch "Zwischenträgerei bewußt Zwietracht in der kaiserlichen Familie zu säen" und unabläßig für Intrigen zu sorgen. Und Fürstin Nora Fugger fand, daß er eine "eigentümliche Persönlichkeit sei".

In ihren Aufzeichnungen hat sie mit ihm abgerechnet: "Ein geistreicher Diplomat sagte von ihm, er sei ein Seladon, ein König des Madrigals, ein Fürst des Tanzes. Die Charakteristik ist nicht übel, wenn man hinzusetzt, daß Erzherzog Ludwig Victor nicht selbst tanzte, sondern nur gern dem Tanz zusah."

"Unmännlich" Nora Fuggers Bemerkungen sind allerdings nicht nur kritisch und boshaft, sondern auch rachsüchtig und unfair: "Er war grundverschieden von seinen Brüdern, war weder militärisch noch kunstverständig, schwächlich, unmännlich, geziert und von garstigem Äußeren", schreibt sie: "Man fürchtete ihn wegen seiner Medisance. Er führte ein sehr weltliches Leben, war über alles - nicht immer richtig - unterrichtet, seine Zunge war scharf wie die einer Giftschlange. In alles mischte er sich ein, spann daraus Intrigen und freute sich, wenn kleine Skandälchen daraus wurden. Man hatte allen Grund, seine Indiskretionen und Tratschereien zu fürchten; doch er war der Bruder des Kaisers. Und so ließ man sich alles gefallen. Eine gute Seite hatte er aber doch: Er war der Freund seiner Freunde - mehr als seiner Freundinnen - ; er verteidigte sie, wenn sie von der Welt angegriffen wurden, und bewies ihnen allerlei Amabilitäten. Alten - mehr als jungen - Damen gegenüber war er von größter Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit ... Wenig beliebt war er in der kaiserlichen Familie; denn auch da wußte er immer etwas zu bekritteln oder etwas zu betratscheln."

Zweimal wollte Luzivuzi heiraten, einmal Prinzessin Ludwiga Lobkowitz, dann Kaiserin Elisabeths Schwester Sophie. Beide Damen hatten aber bald seine Neigungen erkannt und beeilten sich, dieser Ehe zu entgehen. Und während der Hof und die Gesellschaft seine fragwürdigen Affären und Beziehungen mühsam zu vertuschen suchten, machte er kein Geheimnis daraus; er trat bei Bällen und in "lebenden Bildern", die er in seinem Palais stellen ließ, in Frauenkleidern auf und brüskierte mit seinen frechen Parodien die Aristokratie. Aber auch sein hochmütiges Verhalten in der Öffentlichkeit empörte die Gesellschaft. Man braucht nur bei Nora Fugger nachzulesen wie er die Gesellschaft behandelte: "In seinem Palais am Schwarzenbergplatz gab es jeden Fasching mehrere Bälle, oft auch große Diners. Mit seinen Einladungen war er aber sehr wählerisch. Es gab Familien, die er grundätzlich nicht einlud, nicht etwa weil sie sich etwas zuschulden hatten kommen lassen, sondern einfach nur deshalb, weil sie ihm nicht gefielen. Mein Mann stand sehr in Gnaden bei ihm ..."

Luzivuzi sorgte immer ungenierter für Aufregungen. Immer wieder wurden junge Bademeister im Palais am Schwarzenberg engagiert, die nach kurzer Zeit entlassen wurden und goldene Uhren mit dem brillantenbesetzten Monogramm "LV" ins Dorotheum zur Versteigerung brachten. Es war das traditionelle Geschenk an die Liebhaber des Erzherzogs. Der Kaiser - schon durch die vielen Eskapaden Erzherzog Ludwig Salvators mit seinen Sekretären auf Mallorca abgestumpft - versuchte es bei Ludwig Victor mit Geduld.

Persona non grata Doch nun fuhr Luzivuzi mehrmals in der Woche in das Zentralbad in der Weihburggasse. Dort kam es zum Skandal. Der Erzherzog hatte sich im Bad einem jungen Offizier unsittlich genähert und als Antwort eine Ohrfeige erhalten. Es kam zu einer Prügelei. Die Affäre konnte nicht mehr vertuscht werden; Franz Joseph mußte handeln. Ludwig Victor wurde nach Salzburg "verbannt", wo er sich im Schloß Kleßheim einrichtete. Wien durfte er nicht mehr betreten.

Da er über ein beträchtliches Vermögen verfügte, widmete er sich nun ganz seinen Sammelleidenschaften und der Inszenierung seiner kleinen Welt. Kleßheim wurde prachtvoll ausgestattet und quoll bald über von kostbaren Gemälden, Möbeln, Silber, Porzellan, Uhren, orientalischen Waffen, Handschriften und einer faszinierenden Fotokollektion, in der sich sogar interessante Fotos finden, die er selbst mit seinen Freunden geschossen hatte.

1921 wurden die meisten Kostbarkeiten vom Wiener Dorotheum auktioniert - das Vesteigerungshaus machte sich damit international einen Namen! Der achtteilige Riesenkatalog ist heute noch eine kulturgeschichtliche Rarität, die dem Erzherzog ein gutes Zeugnis als Sammler und Kenner ausstellt und Nora Fuggers Urteil, er sei nicht "kunstverständig" gewesen, als kleinliche Rache erkennen läßt.

Freund der Künstler Überhaupt ist es eigentlich an der Zeit, Ludwig Victor Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Denn die gehässigen Briefe und Tagebucheintragungen, die man über ihn bei verschiedenen Persönlichkeiten findet, sagen nichts über seine Stärke" - also vor allem darüber, daß er sehr "intelligent, höchst amüsant und geistreich, weltoffen und gesellig, ein Grandseigneur seiner Zeit war, dessen Empfänge als Eintritt in die Große Welt galten" - auch wenn er dabei das Publikum nach seinem Geschmack auswählte! - "und der sich vorurteilsfrei jedem interessanten Menschen öffnete", wie Gabriele Pratschl-Bichler schreibt. Er war ein Freund der Künstler (in beiden Bedeutungen), aber auch Förderer der Künste, der zum Unterschied zu seinen Verwandten leidenschaftlich gern Theater und Ausstellungen besuchte, der für Kunst viel spendete, förderte, ankaufte. Gerade in seiner Salzburger Zeit, in der er sich in kulturellen Fragen engagierte und für soziale Hilfsorganisationen einsetzte.

Seine Gegner versuchten ihn immer zu diffamieren. Sie wollten selbstverständlich auch nicht wahrhaben, was er für die Wiener Ringstraße bewirkt hat. Heute weiß man es besser: Ludwig Victor hat die Wiener Ringstraße als Wohnadresse zu einer ersten Adresse, ja sogar hoffähig gemacht (nach ihm ließ zum Beispiel Erzherzog Wilhelm sein prachtvolles Palais von Theophil Hansen am Parkring erbauen). Und er hat entscheidend mitgewirkt, daß der Schwarzenbergplatz zu einer beispielhaften und baukünstlerischen Einheit wurde. Als der Platz parzelliert und Ernst Julius Hähnels Reiterstandbild Carl Fürst Schwarzenbergs, des Siegers der Völkerschlacht von Leipzig, bestimmendes Element des Platzes wurde, griff Ludwig Victor ein. Ihn faszinierte das (Renaissance-)Konzept des Architekten Heinrich Ferstel. Und der Erzherzog beauftragte diesen, seinen eleganten Stadtpalast mit Säulenfront, Bogenfenster, Karyatiden und riesiger vergoldeter Wappenkartusche und den prachtvollen Sälen zu errichten - als Gegenpol zum Palais des neugeadelten Industriellen Franz Freiherr von Wertheim, des Erfinders der feuerfesten, einbruchsicheren Kasse mit Spezialsperrsystem.

Ludwig Victors elegantes Palais wurde 1911 in ein Militärkasino umgewandelt. Er selbst wurde 1915 wegen beginnender Geisteskrankheit unter Kuratel gestellt und Erzherzog Eugen zu seinem Kurator bestellt. Am 18. Jänner 1919 starb er im Schloß Kleßheim und wurde auf dem Friedhof von Siezenheim begraben.

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