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Thron und Tornister

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Bei den Beziehungen zwischen Thron und Tornister in Österreich ist die Tatsache bezeichnend, daß in der Regel Feldherrn aus dem Hause Habsburg sehr sorgfältig aufgebaut beziehungsweise manipuliert wurden, um das Image zu wahren oder um überhaupt erst eines zu erhalten. Ebenso notorisch ist — wie der Autor in seinem sehr treffenden Vorwort feststellt —, daß vor allem seit den Lothringern wohl in vielen Fällen militärisches Interesse und eine durchaus soldatische Haltung, fast nie aber eine echte Begabung vorhanden war. Die große, die Regel bestätigende Ausnahme ist Erzherzog Carl. Auf ihn und auf den an militärischen Ereignissen so überreichen Zeitraum zwischen 1796 und 1809 stellt der Autor die Großblende ein. Und es lohnt sich wirklich, den Film anzusehen.

Die österreichische Standardmilitärgeschichtsschreibung sah noch bis weit über das Ende der Monarchie hinaus in Erzherzog Carl nur den Heros. Sie hatte gewisse Rücksichten zu üben und besaß trotz general-stabsmäßiger Behandlung des Akten- und Kartenmaterials nicht alle Quellen und hatte nicht die nötigen Querverbindungen hergestellt oder sich auf den rein operativen Ablauf, den sie wirklich meisterhaft zu schildern verstand, beschränkt. Es fällt in dieser Arbeit so manches nüchtern harte Wort und auch so manches liebgewordene Vorurteil. So ist besonders bemerkenswert, daß Rauchensteiner mit einleuchtenden Argumenten erfolgreich den Mythos zerstört, Erzherzog Carl sei infolge eines epileptischen Anfalls in der Nacht vor der Schlacht von Deutsch-Wagram handlungsunfähig gewesen, so daß auf diese Weise fehlerhafte Entscheidungen getroffen worden seien. Er findet auch an seinem Helden manchen nicht einnehmenden Zug und weist auf seine oft starke Abhängigkeit von gewissen Personen aus seiner Umgebung hin — so etwa General Grünne —, auf seinen nachträgerischen Starrsinn, gepaart mit starker Unsicherheit.

Die Untersuchung des Wechselspiels zwischen den Militärs und Politikern auf Seite des Kaisers, der seinem Bruder in fast schon pathologischer Weise mißtraute, und den militärischen Fachleuten auf Seite des Erzherzogs, fördert komplizierte und niederträchtige Intrigen zutage, bei denen es aber letzten Endes gar nicht so sehr auf die sachlichen Differenzen und den hohen Einsatz ankam, sondern um Persönliches und Allzumenschliches.

Rauchensteiner trifft die Feststellung, daß der Erzherzog in seinem Stab wohl die fähigsten militärischen Köpfe versammelte — Grünne, Mayer, Duka und mit Einschränkungen Fasbender —, die aber auch nur durch eine sehr schmale Basis des gemeinsamen Interesses zusammengehalten wurden, während sich um den Kaiser eigentlich nur die zweite Garnitur von militärischen Beratern scharte, die außerdem stark mit Politikern von außerordentlich geringer militärischer Einsicht durchsetzt war. Besonders bezeichnend ist die Episode, wie Erzherzog Carl, der trotz des Asperner Sieges, die einzige Möglichkeit in einem raschen Friedensschluß mit Frankreich sah, den Kaiser und seine kriegslüsternen Ratgeber auf das Asperner Schlachtfeld führte, das noch von Leichnamen und Kadavern bedeckt war.

Und in dieser Treibhausatmosphäre, im auf und ab der Ränke kam die militärische Grundreform des Erzherzogs zustande, welche die österreichische Armee für über ein halbes Jahrhundert prägte, und entstanden die gegen Napoleon gerichteten Feldzugspläne. Der Erzherzog erwies sich als militärischer Kristallisationspunkt, als ein echtes Vorbild. Und man brauchte ein solches Idol auf Seite der Kaiserlichen, um ein Gegengewicht gegen das Genie Napoleon zu haben. Man versprach sich zuviel von ihm, und nach der Wagramer Niederlage war das Erwachen und die Enttäuschung über den österreichischen Helden zu groß. Man holte das bereits tote Idol nach 1859 wieder hervor, um die eben erst bei dem jungen Franz Joseph bei der Führung des Oberbefehls zutage getretenen Fehler zu überdecken.

Die Durcharbeitung des Quellenmaterials, besonders des bisher kaum zugänglichen militärischen Nachlasses des Kaisers Franz, des im Ungarischen Staatsarchiv liegenden Nachlasses des Erzherzogs Carl, des vielbändigen Tagebuches des Grafen Zinzendorf aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, der Alten Feldakten und Memoires des Kriegsarchivs eröffnen eine Menge ganz neuer Perspektiven für dieses Kapitel österreichischer Geschichte.

KAISER FRANZ UND ERZHERZOG CARL. Von Manfried Rauchensteiner. Dynastie und Heerwesen in Österreich 1796 bis 1809. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1972, 131 Seiten.

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