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St. Gotthard, ein Vorbild für Aspern

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Als der treffliche Nachrichtendienst der Kaiserlichen 1664 erkennen ließ, daß sich die feindlichen Massen der Raab nähern, entfaltete sich sofort das strategische Talent Montecuccolis, der am 4. Juni seine Ernennung zum Armeeführer in ©ngarn ..avec une obėfcsmci oaiittöle-,- angenommen hatte. Mit mßksifcht ätif die drei- bis’ viermal stärkeren Türken wurde an den Nebenfronten Verteidigung verfügt, gleichzeitig das Gros der Streitmacht versammelt und mit ihm an die Raab geeilt, um „combattre avec notre Armee entiėre contre une par- tie de la sienne”, es sollte also der Feind in dem Moment angefallen werden, in dem er erst mit Teilen das linke Flußufer erreicht hat; gelang dies, dann war es möglich, „chercher les batailles, quand on a lieu d’espėrer la victoire”. Hier focht kein Zauderer, sondern ein kühner General, der seinen eigenen Ratschlag befolgte: „Wer Krieg führt, muß entschlossen sein, bis zum Äußersten zu gehen.”

Am 1. August hatte der Gegner südwestlich von Mogersdorf einen Brückenkopf gebildet und setzte weitere Kräfte zum Angriff auf die in sechs Kilometer Breite aufmarschierenden Verbündeten über. Von diesen gerieten zunächst die 7400 Mann Reichstruppen im Zentrum in den Kampf, sie wurden wegen ihrer geringen Gefechtskraft bald geworfen, doch Montecuccoli nahm — fünf Pferde unter dem Leib verlierend — den yęrgedrun- genen. Feind vom rechten Flügel.aus mit. den 11.000 Kaiseriictjan, linked Flügel mit den 5400 Franzosen in die Zange und drängte ihn in siebenstündigem Ringen in die Raab. Ein türkischer Plan, den kaiserlichen rechten Flügel zu umgehen, scheiterte an dem entschlossenen Gegenschlag des Freiherrn von Sporck. Die Türken ließen neben großer Beute gegen 14.000 Mann am Schlachtfeld und in den Fluten der Raab, die Verbündeten verloren etwa 2000 Mann.

St. Gotthard war ein Vorbild für Aspern 1809, wo es Erzherzog Carl glückte, die Franzosen zu schlagen, bevor sie noch alle ihre Kräfte auf das Donaunordufer gebracht hatten — an der Raab blieben 30.000 türkische Reiter am rechten Flußufer untätig. Die Schlacht am 1. August war denkwürdig als eine Operation verbündeter Kräfte. Die Franzosen unter Coligny und La Feuillade rückten ganz ausnahmsweise mit Kaiserlichen in die gleiche Front gegen die Osmanen, zur selben Zeit waren sie die Stütze des ersten Rheinbundes gegen Kaiser und Reich — es blieb dies auch ein vereinzelter Fall, eine einzige Schwalbe, die noch keinen Sommer machte.

Eine Atempause bis 1683

St. Gotthard war ein Abwehrsieg ohne Kriegsentscheidung, doch der türkische Vormarsch gegen Wien war aufgehalten, das feindliche Selbstvertrauen erschüttert, des nunmehr ebenbürtigen Kaisers Ansehen gehoben, seine Handlungsfreiheit hergestellt, das Heilige Römische Reich gewann eine Atempause bis 1683, und das Abendland konnte neue Kräfte sammeln. Auch der am 10. August 1664 geschlossene Frieden von Vasvär (Eisenburg) war bloß ein Aufhaltefrieden für zwanzig Jahre, trotzdem unschätzbar, denn das moralische Übergewicht verschob sich nach Wien, die Saat war ausgestreut für den folgenden Schlußakt, den großen Türkenkrieg von 1683 bis 1699, für den Montecuccoli das leistungsfähige militärische Instrument geschmiedet hatte.

Wie am Schlachtfeld, holte sich Montecuccoli als Diplomat noch anderwärts Erfolge: In besonderen Missionen bereiste er Europa von Uppsala bis Rom und von London bis Warschau, er begleitete Christine von Schweden in die Heilige Stadt, Leopolds I. erste Braut, die Infantin Maria Theresia, nach Wien und die Kaiserschwester Eleonore als Königsbraut nach Polen, er intervenierte beim Frieden von Oliva, betrieb am Reichstag die Türkenhilfe und verstand es als Hofkriegsratspräsident, auf die aufständischen Ungarn ohne Geld- und Blutopfer mäßigend einzuwirken.

Nicht allein als Feldherr zählt Montecuccoli zu den hervorragendsten österreichischen Soldaten, sondern auch als Vertreter der Militärwissenschaften, ohne deren Pflege er die Offiziersberufsausübung für mangelhaft hielt. Er war bemüht, alle Zweige der Militärwissenschaft- ten systematisch zu gliedern und durch Kenntnis ihres geschichtlichen “Werdens verständlicher iö Brachen. In Österreich war er der erste Militärklassiker, dem nur noch Erzherzog Carl und Conrad nachfolgten. Alois Veltzė verdanken wir die Ordnung des schriftlichen Nachlasses und das Werk „Ausgewählte Schriften des Raimund Fürsten Montecuccoli, Generalleutnant und Feldmarschall” in vier Bänden. Es handelt sich neben einer weitläufigen Korrespondenz aus 29 Jahren um 49 Schriften, unter denen als die wichtigsten „Abhandlung über den Krieg”, „Über die Kriegskunst” und „Vom Türkenkrieg in Ungarn” gelten. Im Druck erschienen Arbeiten des Feldmarschalls seit 1692, und zwar in italienischer, lateinischer, französischer, spanischer und deutscher Sprache, der Autor konnte sich auch noch leidlich in der ungarischen und türkischen Sprache verständigen.

Eine vereinfachte Stoffübersicht gibt einen Begriff von der Universalität des Schaffens: Kriegswissen- schaft — Krieg und Staat — Rüstungen — Organisation — Wehrpolitik — Diplomatie — Militärische Kriegführung — Strategie, Taktik und Technik — Der Mensch im Kriege. Alles in allem ein großartiger Vorakt für die spätere Kriegführung. Leider liegt noch keine einbändige zusammenfassende Würdigung vor, sie würde beweisen, daß Montecuccoli 150 Jahre vor Clausewitz dessen Lehren vielfach vorwegnahm, ohne selbst zu behaupten, der erste auf diesem Gebiet zu sein. Von seinen Fundamentalgrundsätzen haben so manche auch im Atomzeitalter ihre Geltung behauptet, wie etwa das einheitliche Kommando, -das Festhalten an den unveränderlichen Regeln der Kriegführung, das systematisch-harmonische Handeln, das materielle Vorsorgen, die ständige Anpassung an den Wandel der Dinge, die Behauptung der Initiative, der Zeitgewinn bei Durchführung der Operationen, die Bildung eigener relativer Überlegenheit stärkerem Feind gegenüber, die Bewertung der geistigen und moralischen Faktoren, die humane Kampfweise und nicht zuletzt die Bereitschaft zu wirksamer Landesverteidigung, denn: „Das Szepter kann ohne das Schwert nicht bestehen, der Ent- waffnete verliert alle Freunde.”

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