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Die letzten Tage Jer Monarchie

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Zum 70. Geburtstag Kaiser Karls, am 17. August 1957, erscheint im Verlag Herold, Wien- München, das Werk „Ein Kaiser kämpft für die Freiheit” von Ludwig A. Windisch-Graetz. Der Verfasser, k. u. k. Botschafter a. D. sowie kgl. ungarischer Ernährungsminister a. D„ Enkel des Fürsten Alfred Windisch-Graetz, der eine bedeutende Rolle im Jahre 1848 spielte, schildert seine Erlebnisse aus den Jahren 1916 bis 1922 an der Seite Kaiser Karls. Das folgende Kapitel ist dem genannten Werk entnommen.

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Zum 70. Geburtstag Kaiser Karls, am 17. August 1957, erscheint im Verlag Herold, Wien- München, das Werk „Ein Kaiser kämpft für die Freiheit” von Ludwig A. Windisch-Graetz. Der Verfasser, k. u. k. Botschafter a. D. sowie kgl. ungarischer Ernährungsminister a. D„ Enkel des Fürsten Alfred Windisch-Graetz, der eine bedeutende Rolle im Jahre 1848 spielte, schildert seine Erlebnisse aus den Jahren 1916 bis 1922 an der Seite Kaiser Karls. Das folgende Kapitel ist dem genannten Werk entnommen.

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In den Abendstunden des 29. Oktober 1918 kam im Auftrage der Karolyi-Regierung eine Nachricht des ungarischen Korrespondenzbüros nach Wien, daß ganz Budapest die Republik fordere. Der erste Umsturz war von der Partei Karolyis und einem Nationalrat inszeniert, in dem gar keine Sozialisten saßen. Als Vorwand galt die Entrüstung der Sozialisten über An- drassys angebliche Weigerung, einen Sonderfrieden abzuschließen. Denn Karolyi hatte vor den Arbeitern die Pläne des Kaisers geheimgehalten, sie ins Gegenteil gedreht. Die Arbeiterschaft wußte über den wahren Stand der Dinge keinen Bescheid. Die zweite Revolution, die jetzt angesagt wurde, bestand nur in den Aussagen Karolyis. Sie hat nie stattgefunden.

Karolyi verfolgte mit dieser Vorspiegelung — die er um so leichter durchführen konnte, als der Verkehr zwischen Wien und Budapest von seinen Leuten unterbunden war — den Zweck, auf den König einen Zwang auszuüben, um seines Eides wieder entbunden zu werden. Denn wenn er schon nach unten von seinen Spießgesellen abhängig gehalten wurde und in Fesseln geschlagen war, so wollte er wenigstens nach obenhin frei sein. Dies war gleichfalls der Grund, warum er am folgenden Abend eine Demonstration vor dem Palais des Erzherzogs Josef veranstalten ließ, um den König zu veranlassen, auch den Erzherzog von jeder Verpflichtung gegen die Dynastie zu lösen.

Andrassy, der letzte k. u. k. Minister des Aeußeren, sagte zu mir: „Ich kenne mich nicht aus; was wollen sie in Budapest? Karolyi ist königlich-ungarischer Ministerpräsident und sein Kabinett ist republikanisch. Ich hoffe, sie werden ihn gefangennehmen oder davonjagen, dann sind wir die ganze Sorge um ihn los.” Andrassy glaubte nie an Karolyis Ehrlichkeit, obwohl dieser sein Schwiegersohn war.

Um 22 Uhr rief der Kaiser aus Schönbrunn an. Er war über die Entwicklung der Zustände in Budapest, die ihm gemeldet worden war. besorgt und wollte im Laufe der Nacht wieder selbst nach Ungarn fahren. Um dies zu verhindern, bat mich Andrassy, zum Kaiser zu gehen und die Ereignisse mit ihm zu besprechen. Ich fuhr nach Schönbrunn hinaus. Es lag. in Finsternis gehüllt, ganz ausgestorben. Es gab keine Schloßwache, keine Leibgarde mehr. Ich bog zum linken Trakt ein, stieg eine kleine Hintertreppe hinauf, die zum ersten Stockwerk führte. Kein einziger Lakai war zu sehen. Es war 23 Uhr, doch nicht ein einziger Diener begegnete mir. Ich kam bis zum Vorzimmer; hier saß im großen, leeren Raum der Flügeladjutant Seiner Majestät, Korvettenkapitän Schonta. und las in einem Buch. „Der Kaiser wartet schon”, sagte er.

Der Kaiser war allein. Er war wirklich schon allein. Schönbrunn lag tot, die Wachen zerstoben, die Diener pflichtvergessen, die weiten Prunksäle menschenleer. Die Pracht um ihn hatte ihren Sinn verloren, die Stadt zu seinen Füßen hatte sich entfesselt, sein Thron wankte. Wo waren jetzt all die Großen des Reiches — Fürsten. Grafen, militärische, zivile und kirchliche Würdenträger —, die durch Jahrhunderte an den Stufen des Thrones das Knie gebeugt und von der Gunst des Hofes gelebt hatten?

Der Kaiser empfing mich in seinem Arbeitszimmer. Er kam mir mit den Worten entgegen: „Tisza ist ermordet worden, Vazsonyi hat in allem Recht behalten. Ich muß nach Budapest, um Ordnung zu machen, ich kann nicht hier sitzen, während meine Leute durt umgebracht werden.”

„Majestät, Andrassy läßt Sie bitten, nur jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Eure Majestät müssen hierbleiben, denn Sie müssen die außenpolitische Aktion führen, nicht aber im Schützengraben selbst kämpfen, dazu sind andere berufen, in erster Linie Erzherzog Josef, für den es eine Kleinigkeit ist, mit den guten Truppen, die er zur Hand hat, die Ordnung herzustellen. Wenn Karolyi und seine Leute versagen oder Verrat üben, müssen sie weggejagt werden. Die 39. Honved-Division aus Tirol ist ebenfalls im Anrollen auf Budapest, und die ist absolut verläßlich.”

„Erzherzog Josef beurteilt die Lage als sehr gefährlich. Der im Felde tapfere Mann scheint zaghaft und will mich glauben machen, daß ganz Ungarn hinter Karolyi steht, was ein offenbarer Unsinn ist; deshalb will ich selbst nach Budapest. Ich könnte gleich zurückkommen.”

Wir riefen nun die Staatsbahndirektion an, um zu erfahren, ob sogleich ein Sonderzug nach Budapest zu erhalten war, und hörten, daß die ungarischen Eisenbahner in Streik getreten waren, so daß von der ungarischen Grenze an derzeit der Verkehr stocke. Da aber eine Autofahrt nach Budapest für den Kaiser derzeit außer Frage stand, verzichtete er auf die Reise.

Ich brachte die Frage der Sicherheit der kaiserlichen Familie zur Sprache, die, von allen Hofleuten verlassen, in Schönbrunn den Angriffen des aufgehetzten Mobs ausgeliefert war.

„Ach, wissen Sie, Windisch-Graetz, uns wird schon nichts geschehen; von morgen an bezieht das Zöglingsbataillon der Theresianischen Militärakademie aus Wiener Neustadt die Wache. Und daß die Dienerschaft ausgerissen ist, begreife ich. Immer ist die Angst der treibende Faktor des Gehabens der meisten Menschen, und die allgemeine Panik ist nun einmal da. — Was ich weniger verstehe, ist das vollkommene Versagen aller jener, die ja die Nutznießer des alten Regimes waren. Ich selbst war ja ein Gegner dieses Systems, aber alle die guten Leute, die von einer völkerverbindenden sozialen Politik, die ich verfolge, nichts wissen wollten, werden sehr bald erfahren, daß die Vorrechte, die sie genossen haben, verlorengehen, und die einzige Rettung für sie gewesen wäre, sich ehrlich meinen Bemühungen anzuschließen.”

Es war spät geworden, und ein Unteroffizier brachte aus einer Gastwirtschaft in Hietzing dem Kaiser ein bescheidenes Mahl, da die Hofküche nicht mehr funktionierte.

Ich fuhr in die Stadt zurück.

Am frühen Morgen des 30. Oktober hatten wir vergeblich versucht, telephonischen Anschluß an Budapest zu erhalten. Die Karolyi- Regierung hatte alle Verbindungen mit der österreichischen Reichshälfte abgebrochen. Allein das ungarische Korrespondenzbüro hatte über die Redaktion der „Neuen Freien Presse” Tatarennachrichten über schwere Plünderungen und Straßenunruhen in allen Städten Ungarns verbreiten lassen. „Ganz Ungarn fordere die Republik”, hieß es, „der königliche Prinz Erzherzog Josef habe sich dem revolutionierenden Nationalrat zur Verfügung gestellt.” Auch von Schönbrunn aus hatte der Kaiser den Ministerpräsidenten und auch den Erzherzog angerufen, aber keine Verbindung erhalten. Um 9 Uhr war ein ungarischer Flieger auf der Schmelz gelandet; er brachte einen Brief Vazsonyis an den Kaiser, in dem Vazsonyi den Verrat der Karolyi- Regierung ankündigte, welche sich entschlossen habe, den König abzusetzen. Sämtliche Meldungen über Unruhen im Lande waren erlogen. In der Hauptstadt hätten abends von der Karolyi- Partei organisierte Fackelzüge stattgefunden, welche- auch vor -dem Palais ‘des Erzherzogs Josef die- Republik hochleben ließen. Vazsonyi proponierte, an Stelle Erzherzog Josefs General Blasius Dani zum Landeskommandanten von Ungarn zu ernennen, mit der Vollmacht, die Regierung zu verhaften und die Ordnung herzustellen, wozu mehr als genug militärische Kräfte in Budapest anwesend waren. Nach Rücksprache mit Andrassy war der Kaiser geneigt, diese Lösung anzunehmen. Hierzu mußte er aber mit dem von ihm ernannten Erzherzog Josef in Verbindung treten, um ihm seine Entschlüsse mitzuteilen. Dazu war nun keine Möglichkeit gegeben, solange die telephonischen Anschlüsse nach Ungarn von dort aus gesperrt blieben.

Spät am Abend des 30. hatte mich Victor Adler auf gesucht; er war besorgt um die Sicherheit des Kaisers, da er sagte, daß in seiner Partei Dr. Otto Bauer und Dr. Julius Deutsch Soldatenräte organisierten, die durchweg radikal gesinnt wären. Der alte Sozialistenführer schien mir ernstlich leidend; er wollte aber noch den Kaiser persönlich am Telephon sprechen, da er sagte, er wäre ständig überwacht und würde wohl nicht mehr lange mitmachen. Und Kaiser Karl, den ich anrief — da die direkte telephonische Verbindung vom Ministerium nach Schönbrunn unterirdisch gelegt und unkontrollierbar war —, beruhigte Adler und sprach ihm zu, alles werde sich schon zum Besseren wenden. Der Kaiser hatte übrigens nicht die geringste Sorge für seine persönliche Sicherheit. Hierzu mag auch der Umstand beigetragen haben, daß am selben Tage nachmittag eine zahlreiche Mannschaftsabordnung der Ersatzkörper der Wiener Hausregimenter — an die 60.000 Reservemannschaften, größtenteils Arbeiter aus den Wiener Vorstädten — in Schönbrunn erschienen war und den Kaiser ihrer Treue versichert hatte, mit dem Bemerken, er, der Kaiser, möge über sie verfügen, sie würden marschieren und das republikanische Parlament auseinanderjagen.

Am 31. Oktober in aller Frühe hatten endlich, nach zweitägiger Unterbrechung, Erzherzog Josef und Ministerpräsident Karolyi den Kaiser in Schönbrunn angerufen. Sie meldeten, daß das ganze Land in Aufruhr sei und die Ausrufung der Republik fordere. Sie baten beide um Enthebung von dem dem apostolischen König geleisteten Eid, um — wie sie sagten — mehr Bewegungsfreiheit zu haben.

Die Antwort Karls war kurz und scharf: „Ich entlasse sowohl meinen königlich-ungarischen Ministerpräsidenten als auch den Feldmarschall Erzherzog Josef aus dem Dienst.” — Weitere Anfragen und Erklärungen des Erzherzogs hat der Kaiser nicht entgegengenommen und das Gespräch beendet.

Mit Andrassy besprachen wir die Folgen der Ereignisse und waren übereinstimmend der Ansicht, daß die Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung in Ungarn jederzeit durch einen, der ja jetzt in Heimbeförderung von der Front begriffenen, durchweg verläßlichen Truppenkörper bewirkt werden könne und dann der Revolutionsspuk ein rasches, rühmloses Ende nehmen würde, da ja außer den wenigen politischen Hochstaplern und dem Straßengesindel niemand im Lande einen Umsturz wünsche.

Als wir mit Andrassy in den frühen Nachmittagsstunden wieder nach Schönbrunn fuhren, war allerdings eine dichte Menge von Demonstranten in allen Gassen, die aber unserem mit dem Dienstwimpel des Außenministeriums versehenen Wagen ruhig Platz machte.

In Schönbrunn angekommen, sahen wir im großen Hof einige Leibgardisten in vernachlässigter Uniform herumstehen. Die Wache der Militärakademie war wohl noch nicht aufgezogen. Wir gingen in den ersten Stock hinauf — Adjutanten sahen wir keinen —, durchschritten die Säle und traten durch die weitgeöffnete Tür ins Arbeitszimmer des Kaisers. Nur der Kaiser und die Kaiserin waren anwesend. Als wir näher kamen, sahen wir den Kaiser am Telephon stehen und hörten ihn in höchster Aufregung sprechen. Er winkte uns mit heftigen Gesten, rasch näherzukommen.

„Ich spreche mit Erzherzog Josef”, rief er angespannt, „ich soll abdanken, für mich und meine Nachkommen auf den ungarischen Thron verzichten. Ich habe gar nicht das Recht, abzudanken. Wie diese Kavaliere über den Eid denken, das sollen sie mit ihrem Gewissen ausmachen; ich kann einen von mir geschworenen Eid nicht brechen!”

Und wieder läutete der Fernsprecher, denn der Kaiser hatte inzwischen den Hörer aufgelegt. Jetzt sagte er: „Windisch-Graetz, sagen Sie ihm, daß jeder Soldat von Ehre — also auch ich — seinen Eid halten muß.”

Ich ging an den Apparat und meldete mich: „Hier Sektionschef Windisch-Graetz auf allerhöchsten Befehl.” Darauf sagte Erzherzog Josef: „Sagen Sie Seiner Majestät, daß hier ein Blutbad bevorsteht, wenn der König nicht abdankt.” Als ich diese Worte aus dem Munde eines k. u. k. Feldjnarschalls, der nebenbei auch kaiserlicher Prinz war, hörte, übermannte mich der Zorn, und was ich in den Apparat hineinbrüllte, war wohl nicht der Gegenwart eines Kaiserpaares angemessen. Ich gebrauchte Ausdrücke, welche mir aus meiner Husarenzeit geläufig waren und welche den erzherzoglichen Anrufer in Budapest rasch und endgültig verstummen ließen.

Der feinfühlige Andrassy stand wie , versteinert da — der Kaiser aber klopfte mir auf die Schulter — „Endlich hat ihm einer auf gut soldatisch die Wahrheit gesagt! Nun wollen wir aber in Ruhe die Lage besprechen, die innerpolitische Situation in Ungarn, und hier ist wohl insolange nichts zu ändern, bis wir eine eindeutige Entscheidung von selten der Alliierten haben. — Ich selbst möchte mich zu meinen heimkehrenden Truppen begeben, wo ich als Oberkommandant hingehöre; es xkommt das IV. ungarische Armeekorps an der südlichen Donaufront oder das XIV. Tiroler Edelweißkorps in Betracht, dessen Truppen ich schon geführt habe.”

Wir suchten über die Hughes-Linien des Armeeoberkommandos in Baden Verbindung mit beiden Heereskörpern, mußten aber feststellen, daß die über Ungarn geleiteten Linien unterbrochen waren. Das Hauptquartier der Heeresgruppe Tirol meldete aus Bozen, daß das XIV. Korps in der während der Verhandlungen des Waffenstillstandes entbrannten Schlacht von Vittorio Veneto in italienische Gefangenschaft geraten sei.

„So werde ich also vorläufig hier bleiben und auf Ihre Nachrichten aus Bern warten. Sollte die große Entscheidung gegen uns fallen, so habe ich meine Pflicht bis zum letzten erfüllt und kann nun endlich an mich denken. Wissen Sie, daß mich die Szekler Bauern nach Udvar- hely eingeladen haben? Dort, in Siebenbürgen, würden ich und die Meinen sichere Aufnahme und Schutz finden, und vielleicht könnte ich dort im Karpatenwald nach so langer Zeit wieder einmal einen Hirsch schießen.”

Diese spontane Aeußerung des Kaisers zeigt am besten die nüchterne Einstellung dieses Mannes den erschütternden Ereignissen gegenüber, welche alle anderen, die daran beteiligt waren, aus dem Gleichgewicht brachten.

Wir begannen nun mit der Besprechung der Vorschläge an die Entente, die durch mich zu machen waren. — In der Hauptsache sollten in allen von Nationalitäten bewohnten Gebieten in Oesterreich und Ungarn Volksabstimmungen unter Aufsicht von durch die Alliierten entsendeten neutralen Kommissionen abgehalten werden, denen die Fragen über Staatszugehörigkeit und Regierungsform (also Monarchie oder Republik) vorzulegen waren. Die wirtschaftlichen Fragen wären einer Sonderkommission vorzulegen.

Der Kaiser schlug die Einberufung eines Kongresses aller Kriegführenden nach Paris vor, wo über die großen politischen Linien der allgemeinen Befriedung zu beraten wäre. Der Einstellung der Feindseligkeiten an allen Fronten sollte die sofortige Oeffnung der Zollgrenzen und die Versorgung aller Notstandsgebiete in einheitlich zu regelnder Weise folgen. Die dynastische Frage war nicht zu berühren. Der Kaiser verbürgte sich persönlich für die Durchführung aller auf Grund der Verhandlungen vereinbarten Maßnahmen und erklärte, sich dem Votum der Abstimmungen im vorhinein zu fügen und für die Durchführung des Volkswillens mit allen ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln der Monarchie einzutreten. Nach Besprechung aller Details übergab mir der Kaiser ein von ihm handschriftlich verfaßtes Memoire, welches alle erwähnten Maßnahmen der Volksabstimmungen für die verschiedenen Gebiete sowohl als die notwendigen wirtschaftlichen Vereinbarungen enthielt.

Nun mußte ich mich aber verabschieden, da ich vor der Abreise im Amt noch verschiedenes zu erledigen hatte. „Fahren Sie also mit Gott!”, sagte der Kaiser, „und trachten Sie, für die Völker herquszuschlagen, was nur irgend zu erreichen ist. In Ihrer Tätigkeit liegt die letzte Hoffnung zur Rettung unserer gemeinsamen Heimat.”

Jetzt gingen Andrassy und ich. Der Kaiser und die Kaiserin blieben allein in ihrem Schloß. Wir schritten durch die großen Säle, durch die langen Korridore. Wir stiegen die breite Treppe hinab, niemand begegnete uns. Unsere Schritte hallten in den leeren Räumen…

Kaum auf dem Ballhausplatz angelangt, wurde ich von Budapest telephonisch angerufen. Auf meine Meldung hörte ich: „Hier spricht Feldmarschall Erzherzog Josef. Prinz Windisch- Graetz, ich will Ihnen nur sagen, daß Sie ein ganz gemeiner Schurke sind.”

Ich dachte an den mit Recht so allgemein beliebten Ausspruch einer Figur aus einem Drama von Goethe. Die Meinung dieses komischen Habsburgers war wohl die letzte meiner Sorgen. Als ich jedoch dann an meinem Schreibtisch noch einige Schriften erledigte, läutete diesmal mein Tischtelephon, und die wohlbekannte Stimme meines Herrn und Kaisers sprach zu mir: „Mein lieber Windisch-Graetz, ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich soeben

nochmals den Vetter Josef aus Budapest sprach und ihm gesagt habe, daß jedes heute nachmittag von Ihnen ausgesprochene Wort Ihnen von mir anbefohlen worden war. Sonst nichts. Nochmals: Glückauf!”

Am 1. November abends fuhr ich nach Bern, wo ich am 2. eintraf. Leider sollten meine Bemühungen, die Donaumonarchie zu retten, sich bald als vergeblich erweisen …

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