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Gentleman und Christ

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Man hat oft vom anderen Deutschland gesprochen und damit eigentlich das wahre Deutschland gemeint. Mit Ladislaus Rosdy starb ein Teil des anderen Ungarn, das eigentlich das echte Ungarn darstellt. Über die madjarische Politik von 1848 bis 1945 hat die Geschichtswissenschaft sehr oft ein hartes, wenn auch richtiges Urteil gefällt. Ladislaus Rosdy war ein echter Madjare. Aber er war ein viel zu kritischer und freier Geist, um sich von nationalistischen Slogans einfangen zu lassen. Die Urteile, die er über die Fehler der madjarischen Politik fällte, waren härter als sie Nichtmadjaren je ausgesprochen haben. Wenn er über das Horthy-Regime sprach, kam sogar ein Zug von Ironie in seine Worte. Unvergeßlich werden mir diese Gespräche mit ihm bleiben. Oft kam er nur zu mir, um über irgend etwas „nur drei Worte“ und diese „nur im Telegrammstil“ zu sprechen. Wir gingen nie unter zwei Stunden auseinander. Wir kamen immer wieder auf die ungarische Politik zu sprechen, sei es zur Zeit König Franz Josefs (ich sprach ihm zuliebe immer nur vom König), zur Zeit des Königs Maria Theresia (er schüttelte den Kopf, weil ich einer der wenigen Nichtmadjaren bin, die wußten, daß Maria Theresia nicht Königin von Ungarn, sondern König gewesen ist), zur Zeit der Türkenherrschaft, zur Zeit der Arpdden. Es waren herrliche Stunden, diese Gespräche. Oft dachte ich mir nach diesen Gesprächen^ wenn alle Madjaren so gedacht hätten wie er und Wien mehr Verständnis für die Madjaren gehabt hätte, dann wäre die Politik

Mitteleuropas anders verlaufen. Aber nicht nur seine Urteile über die ungarische Politik waren zielsicher und treffend, auch über die heutige österreichische Politik und insbesondere über die Partei, der er nahestand. Kaum jemals habe ich so richtige Urteile von jemandem über diese Partei gehört, über ihre Fehler, über ihre Unterlassungen, wie von diesem ihr so nahestehenden Menschen. Er war ein großer Humanist, und bewies nur immer wieder, daß er einer Nation angehörte, die einen Matthias Corvinus, einen Kardinal Pazmany, einen Eötvös, einen Sekfü hervorgebracht hatte. Obwohl ich kein Ungarisch verstehe, war sein Ungarisch anzuhören schon ein Vergnügen. Sein Latein war klassisch, wie es sich für den Angehörigen einer Nation geziemt, deren Amtssprache bis weit in das 19. Jahrhundert Latein war. Das Deutsch, das er schrieb, war geradezu vorbildlich. Während er beim Sprechen einen reizvollen kleinen ungarischen Akzent beibehalten hatte, war seine Schriftsprache nicht nur frei von jedem Fehler, sondern auch formvollendet schön.

Ladislaus Rosdy war ein Gentleman und ein Christ. Er war ein durch und durch nobler Charakter. Das zeigte sich schon darin, daß er gar keine Feinde hatte. (Er ging auch immer tadellos angezogen, wie man es bei Österreichern nur selten findet. Auch darin ein Gentleman und ein echter Vertreter seiner Nation.)

Er war ein außerordentlicher Mensch, obwohl er es nie zeigte. Schon sein Geburtsdatum trug etwas Außerordentliches an sich. Er wurde am 25. Oktober 1918 geboren. Die wenigsten Menschen werden sich noch erinnern, was um diesen Tag alles geschah: Eine Woche vorher hatte Kaiser Karl sein berühmtes Oktober-Manifest erlassen, durch das er die österreichische Reichshälfte in einen Bund freier Nationen verwandelte. Ungarn hatte sich dieser Regelung für seinen Bereich widersetzt und damit wohl endgültig die letzte Chance für die Habs-burgermonarchie begraben. Drei Tage vor Rosdys Geburt hatte Kaiser Karl Debreczen besucht, in dessen kalvinistischer Kathedrale 70 Jahre vorher Kossuth die Habsburger de-thronisiert hatte, und hatte die neuerrichtete Universität eröffnet. Während man in Budapest schon zur Revolution rüstete, tobte sich in Debreczen noch einmal ein begeistertes Ungarn für den König aus. Dabei hatte dieser Besuch die madjarischen Gemüter teils zutiefst entrüstet: Denn eine Ehrenkompanie, die den König am Bahnhof empfing und die aus Tschechen bestand, spielte zum Empfang das „Gott erhalte“ und nicht die Nationalhymne. Das geschah eine Woche bevor die tschechoslowakische Republik in Prag ausgerufen wurde. Am 24. Oktober, einen Tag vor Ladislaus Rosdys Geburt, begann der Angriff der Italiener und ihrer Verbündeten gegen die Stellungen der kaiserlichen Armee in Italien. Und obwohl die Monarchie eigentlich nicht mehr bestand, die Armee kaum noch Nachschub bekam, schlugen sich am Monte Aso-lone sämtliche Nationen der alten Monarchie mit einer derartigen Bravour, daß der Angriff der Italiener sechs Tage nicht weiterkam. Am 26. verließ König Karl Ungarn und ließ seine Kinder als Pfand zurück. Am gleichen Tag wurde das Bündnis zwischen der Donaumonarchie und dem Deutschen Reich gekündigt. Das geschah unter dem letzten k. u. k. Außenminister, dem jüngeren Grafen Andrässy. Sein Vater hatte einst dieses Bündnis geschlossen. (Noch eine Groteske dieser Tage: Als man diesen Andrässy durch die Kabinettskanzlei nach Wien zur Vereidigung rief, sagte ihm der Beamte, er möge ja nicht seine Magnatenuniform vergessen.)

Außerordentlich wie sein Geburtstag war auch der Sterbetag von Ladislaus Rosdy. Er starb am Vorabend des Geburtstages Christi. Er starb inmitten seiner geliebten Kinder auf der Fahrt zu seiner geliebten Frau, auf der Fahrt zu seinen geliebten Bergen. (Wie alle Madjaren liebte er die österreichischen Berge. Aus dieser Liebe erklärte sich, warum so viele Madjaren in der alten Monarchie ihr Einjährigenjahr bei den Kaiserjägern abdienten.)

Sein Tod ist ein wirklich unersetzlicher Verlust. Für seine Frau, seine Kinder, seine Mutter, seine Geschwister, seine Freunde. Nun liegt er auf dem kleinen Dorffriedhof von Ramsau begraben. Bei dem Begräbnis dieses großen Humanisten wurde wieder einmal der inhumane Zug unserer Zeit offenbar: der kleine Friedhof liegt um die Kirche herum, umzäunt von einer niedrigen Mauer. Neben dem Friedhof läuft eine Straße vorbei, gegenüber dem Friedhof befindet sich ein Gasthaus, ebenso gegenüber liegt eine Skiwiese mit einem Skilift. Es war ein Riesentrubel um diese Skiwiese und den Skilift. Eine Menge Leute stand neben der Mauer und mußte sehen, wie der Priester den Sarg einsegnete. Aber nicht eine dieser Frauen hörte zu reden auf, nicht einer dieser Männer nahm den Hut herunter, nicht einer dieser Menschen drehte sich um, um dem Sarg nicht den Rücken zu zeigen. In mir stieg ein sehr unchristlicher Zorn auf, und am liebsten hätte ich alle diese Leute angeschrien. Wie hätte unser guter Rosdy sich im gleichen Fall verhalten!

Als mein Freund Max Heine starb (ganz plötzlich an einem Herzinfarkt) sagte eine liebe Bekannte zu mir, um mich zu trösten: Er wird Ihnen jetzt viel mehr helfen als früher. Die Gedankengänge mancher Christen, die sich an Claudel und seinem „Seidenen Schuh“ gebildet haben, sind wirklich manchmal unbegreiflich. Ich dachte mir damals nur — vielleicht war das sehr unchristlich —, ein lebender Heine, der im Nebenzimmer säße und mir weniger helfen würde, wäre mir lieber. Auch dein Tod, lieber Lacv, ist unbegreiflich. Und Gott allein wird wissen, warum du jetzt gestorben bist. Es gibt keine menschliche Erklärung dafür. Und wenn es stimmt, was diese gute Bekannte mir damals beim Tod meines Freundes Max Heine sagte, dann habe ich nur die eine Bitte an dich: Hilf uns, das Kreuz zu tragen, das dein Tod für uns bedeutet.

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