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Fünf Kaiserulanen in London

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Der ehemalige österreichische Botschafter in London, Lothar Freiherr von Wimmer, veröffentlichte vor einiger Zeit im Fromme-Verlag, Wien, seine Erinnerungen unter dem Titel „Vom Ballhausplatz zur Downingstreet“, denen wir das folgende Kapitel entnehmen.

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Der ehemalige österreichische Botschafter in London, Lothar Freiherr von Wimmer, veröffentlichte vor einiger Zeit im Fromme-Verlag, Wien, seine Erinnerungen unter dem Titel „Vom Ballhausplatz zur Downingstreet“, denen wir das folgende Kapitel entnehmen.

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Während meiner Botschafterzeit in Großbritannien machte ich im Jahr 1951 eine zwar unpolitische, aber überraschende Entdeckung, die mich mitten in London in eine andere Welt und in ein anderes Zeitalter zurückversetzte und der ich hier gedenken will. '

In meiner früheren Jugendzeit war mir die Bezeichnung der alten österreichischen Armee als „die Kaiserlichen" nur aus dem Geschichtsunterricht, besonders bei den Vorträgen unseres verehrten Professors Dostal über den Dreißigjährigen Krieg, und aus historischen Romanen geläufig.

Das militärische Element war in unserem Elternhaus nicht stark vertreten, was daher kommen mag, daß mein Vater nie beim Militär gedient hatte. Zwar hatten zwei direkte Vettern meines Vaters als Offiziere an den Grenzen der Monarchie gestanden. Wenn sie zu Besuch nach Wien kamen, war für einige Tage etwas von der uns angenehm romantischen, aber doch auch ungewohnten Atmosphäre der k. u. k. Armee zu spüren, und wir hörten mit Respekt, daß der Bruder unseres Großvaters, Eduard, schon als blutjunger Rittmeister beim 4. Kürassierregiment nach einer Verwundung in Livorno begraben wurde, worauf mein Urgroßvater mit seiner Familie eine Fahrt nach Italien unternommen und in Ancona von Papst Pius IX. einen noch erhaltenen vollen Ablaß — plenitarium indul- gentiam in articulo mortis — erwirkt hatte. Bei all den Anekdoten aus dem Leben der Armee blieb mir die militärische Welt doch fremd, bis sie mich eines schönen Tages doch auch persönlich erreicht hatte.

Im Herbst 1913 rückte ich als Einjahrig-Freiwilliger des k. u. k. Ulanenregiments Kaiser Nr. 4 in Wiener Neustadt ein und kam dann mit Kameraden von den Siebener-Ulanen; Einser- Husaren, Dreier- und Elfer-Drtgonern in die Schule nach Breitensee. Da las ich dann an einem freien Sonntag in einem Brief der Fürstin Fanny Starhemberg an meine Mutter den Satz: Wie gefällt es Lothar bei den „Kaiserlichen"?

Nun wurde dieses sagenhafte Wort auf einmal Wirklichkeit und blieb mir lebendig, so daß ich recht mitfühlen konnte, als Sektionschef Baron Weckbecker uns später einmal eine freundliche Anekdote erzählte: Als Dragoner- Freiwilliger war er mit seinen Reitern nach St. Florian gekommen und hatte die Stiftskirche besucht; da konnte er, der die Musik heiß liebte, der Versuchung nicht widerstehen, setzte sich an die berühmte Orgel und fing an, frei zu phantasieren. Plötzlich fühlte er, so erzählte Weckbecker, einen leichten Stoß, der ihn von seinem Platz auf die Seite schob, ein kleiner Mann griff in seine Tasten und führte das angefangene Thema in vollendeter Fugenform durch. Der kleine Mann war niemand anderer als Anton Bruckner, der, nachdem er das Orgelspiel beendet hatte, anerkennend meinte, es freue ihn, daß bei den Kaiserlichen die Musik etwas gelte.

Welche starke Bindung dieses Wort in der Landbevölkerung noch bedeutete, wie sehr es Mann und Offizier zu einer stolzen, überlegenen Einheit mit der Heimat zusammenschloß, sollte ich noch im Freiwilligenjahr erfahren.

Die gesamte Schule, wohj 50 bis 60 Reiter, übersiedelte im Frühjahr 1914 aus der Kaserne hoch zu Roß in einem Tag ins Lager nach Bruck an der Leitha.

Es ging über die Außenbezirke Wiens — damit den Wienern der Anblick unserer undisziplinierten Rotte, wie unser Kommandant Rittmeister Schlöcht von Heraltitz sagte, erspart bleibe. Da der Ritt sehr lang war, mußte zur Schonung der Pferde auf halbem Weg eine Rast eingeschaltet werden. Es war in Rauchenwarth, am Eingang des Ortes, als zum Halten’und Absitzen befohlen wurde. Jeder zündete sich seine Zigarette an, und ich gab die Zügel meines

Gaules einem am Rande des Ackers stehenden Knecht zum Halten, um nach dem langen Ritt auch ein paar Schritte gehen zu können. Ehe das Kommando zum Aufsitzen gegeben wurde, nahm ich mein Pferd wieder selbst an die Hand und griff in die Tasche, um dem gefälligen Bauernknecht, was mir nur selbstverständlich schien, für seinen kleinen Dienst ein Trinkgeld zu geben. Doch noch bevor ich die Hand aus der Tasche ziehen konnte, hatte er sich stolz und straff aufgerichtet und sagte nur diese Worte: „Von an Kaiserlichen nehm i nix!“

Konnte die Ritterlichkeit in einem einfachen Manne besser ausgedrückt sein?

Als der Krieg vorbei, Oesterreich zerstört, die Armee beschimpft und ihr Andenken von vielen in den Kot getreten worden war, dachte ich wohl durch viele Jahre nicht mehr an diese längst vergangenen Episoden, bis mich im Jahre 1951 ein Zufall mit einem ehemaligen polnischen Offizier ins Gespräch brachte. Mir fielen die polnischen Kameraden ein, die bei den Kaiserulanen, einem Regiment mit polnischer Mannschaft, gedient hatten und von denen ich wußte, daß viele in der polnischen Armee zu hohen Ehren gelangt waren.

Ich fragte, ob er zufällig jemanden kenne, der vor 1918 beim k. u. k. Ulanenregiment Nr. 4 gedient hatte. Ja freilich, meinte er, der jetzt in London lebende Oberst Maly sei einmal Kaiserulan gewesen. Ich erinnerte mich sehr wohl an ihn, er war im August 1914 aus der Wiener- Neustädter Militärakademie ausgemustert worden, als blutjunger, von Tatendrang beseelter Leutnant zu unserem Regiment gekommen und sofort mit ins Feld gerückt. Ich erfuhr seine Telephonnummer, setzte mich mit ihm in Verbindung und erkundigte mich nach seinem Schicksal und dem anderer Kameraden vom Regiment.

Auch da gab es Tragödien; einer war bestimmt in Katyn ermordet worden mit den tausenden anderer braver Polen. Aber von unserem Regüneiit seien'hoch"vięjfaficlere, įje’alj aktive Offiziere im Ätigüst 1914 ausgezogen waren, in London. Alle waren sie Offiziere der polnischen Armee gewesen, die sich dann nach England hatten flüchten können: General von Kleeberg, ehemaliger Zugskommandant in meiner, der dritten Schwadron, zum Schluß polnischer Militärattache in Paris, die Obersten Praglowski und Machaiski, Oberleutnants im Jahre 1914, und Oberst von Bogusz, der bei Kriegsausbruch schon Rittmeister war. Ihre verschiedenen Schicksale zu schildern, würde zu weit führen, sie alle aber hatten sich, auch im zivilen Leben, tapfer, eine ehrliche Existenz unter Mühen und Entbehrungen geschaffen.

Binnen kurzem hatte ich diese treuen Kameraden um mich versammelt. Selbst in Wien wäre es unmöglich, fünf aktive Offiziere von Kaiserulanen aufzutreiben, die im Jahre 1914 die Mobilisierung mitgemacht hatten! Als wir aber beisammensaßen, da gab es keinen Botschafter, keinen General und keinen polnischen Oberst, nur Kameraden, und in uns wurde der Geist wieder lebendig, nicht irgendeiner Politik, nicht irgendeiner Nationalität und auch nicht irgendeiner alten oder neuen Staatsform, sondern der selbstverständlichen Verbundenheit ohne Rücksicht auf Rang und Titel, wie einst, als wir, ohne uns darüber den Kopf zu zerbrechen, für die anderen nichts anderes waren als einfach Kameraden!

Einer der Kameraden, ich glaube, es war Machaiski, frischte die historische Erinnerung m die berühmte Edelsheimattacke auf: Es dürfte im Jahre 1866 gewesen sein, als eine Schwadron Ulanen, als Vorhut, eine feindliche Kavallerieabteilung erblickte und dem Dienstreglement entsprechend ohne weitere Feststellung, um was für Kräfte es sich handelte, attackierte. Der Feind, auch eine Schwadron, machte in der Ueberraschung kehrt, und nun waren es zwei Schwadronen, die hintereinander dahingaloppierten, in die Kolonnen einer Infanteriedivision gerieten und ’diese vollkommen in Unordnung brachten, bis schließlich der Kommandant Rittmeister Baron Edelsheim bemerkte, daß er nichts mehr vor sich hatte. Er mußte also umkehren, noch einmal durch die feindlichen Truppen durch, und als er endlich sein Regiment erreichte, konnte er nichts anderes aufweisen als seine eigenen erheblichen Verluste. Es war alsö besser, über dieses Abenteuer zu schweigen.

Nach einem Jahr oder länger erschien aber das Generalstabswerk des Gegners über den Feldzug, und da stand zu lesen, daß alles zur Umzingelung der Oesterreicher vorbereitet war, daß aber eine verrückte österreichische Kavalleriebrigade plötzlich attackiert und den ganzen Plan über den Haufen geworfen hätte.

In Wien studierte man den Bericht und stellte fest, daß an dem bestimmten Tag im erwähnten Raum gar keine Brigade stand; und so fand man nach langem, genauem Studium heraus, daß es die Schwadron Edelsheim gewesen war, die so viel geleistet hatte, ohne sich dessen zu rühmen. Viele Kameraden, so schloß der ehemalige Kavallerist seine Reminiszenz, haben in ihrem Leben ihre Pflicht geradeaus gemacht und waren schließlich gezwungen, sich unbedankt durch die Trümmer wieder durchzuschlagen in irgendeine Heimat. Nicht der Gedanke an das glückliche Schicksal eines Edelsheim verband uns, vielmehr die Erinnerung an die Gemeinsamkeit der Pflicht.

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