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Mein Freund Karl Anton und die Weltgeschichte

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Meinen Freund, den bekannten Radierer und Holzschneider Karl Anton, hatte ich eine Reihe von Jahren nicht gesehen. Zuletzt war es in Salzburg gewesen. Mein Freund wohnte damals im Schloß Bürgelstein, wo später ein paar Jahre lang auch Hermann Bahr gewohnt hat, ehe er nach Mündien zog. In die Wohnung Karl Antons ging es von der Straße aus eben hinein, gegen den herrlichen Park zu lag sie zwei Stock hoch. In einem der sonnigen Zimmer hing ein großes Gemälde, eine ruhende Venus von Tizian. Vielleicht hat Karl Anton dieses Bild gegen den sogenannten Edelhof vertauscht, den er später in Oberösterreich besaß und bewohnte.

Der Krieg war vergangen, auch einige Jahre darüber, da tauchte Karl Anton in München auf und besuchte mich eines Tages — im Oktober 1927. Mir war seine Anwesenheit in München willkommen. Ich schätzte ihn sehr und hatte ihn, den um neun Jahre älteren, aufriditig gern. Seine häufigen Besuche, manchesmal ein paar Tage hintereinander täglich, wenn auch nur auf eine kurze Stunde, brachten mir, als damals sehr beschäftigten und auch nicht sorgenfreien Herausgeber einer kulturellen Wodien-schrift, anregende Abwechslung.

Karl Anton hatte in München auch andere Beziehungen wieder aufgenommen und neue angeknüpft, was ich eines Tages auf folgende Weise erfuhr. Wir saßen plaudernd und rauchend einander gegenüber. Er in meinem bequemen Schreibtischsessel, ruhig und behäbig, wie es seine Art war, genoß seine Zigarre. Da kam auf meine Frage: „Und was gibt es sonst Neues?“ die überraschende Antwort:

„Ja, ich habe in diesen Tagen die Verbindung Hitler—Kronprinz Rupprecht hergestellt.“

Mir blieb der Mund sozusagen in den Angeln stehen. „Na aber“, konnte ich endlich sagen, „Hitler? Kennst du den?“

„Ja“, bestätigte Karl Anton, „eine meiner interessantesten Begegnungen.“

„So'', sagte ich, „Glück zu. Aber was — was soll denn nur aus dieser Verbindung herauskommen, um Gottes willen?“

„Na, ich meine“, dozierte Karl Anton, „es muß doch anders werden. Mit solchen Stresemanns kann man doch keine große Politik machen.“

Nun war ich fast noch mehr sprachlos. Mein Freund, ein anerkannter Künstler, übrigens durch sein erstes Studium fast fertiger Mediziner, hatte sich nie um Politik gekümmert und nie einer Partei angehört, wohl aber, von psychologischem Interesse geleitet, von Klugheit und entgegengebrachtem Vertrauen untenstützt, manchesmal bei der Bindung oder Lösung menschlicher Beziehungen mit gutem Erfolg und aufrichtig bedankt, mitgewirkt.

So konnte ich folgende Überlegung vor ihm aufbauen: „Woher du diesen Hitler kennst, den man nach der Begnadigung aus der Festungshaft aus Deutschland auszuweisen vergessen hat, weiß ich nicht. Was den Kronprinzen Rupprecht betrifft, ist mir bekannt, daß du mit ihm schon lange, man kann sagen, befreundet bist, und du hast ihm auch in diesem Sinne Dienste geleistet. Du hast ihn (um früheres nicht zu berühren) nach dem Zusammenbruch von 1918 mit seinem ältesten Sohn monatelang auf deinem Gut als Gast beherbergt, unter dem Namen Dr. Ritter, so konnte er die Wirren in •einem Lande überstehen; du hast ihm damals auf mehreren Fahrten hieher nach München seine Kriegstagebücher heimlich geholt, die für ihn wertvoll sind. Was aber willst du ihm jetzt Gutes getan haben durch die Verbindung mit diesem Hasardeur?“

„Wir werden sehen“, versetzte Karl Anton und sagte nichts mehr zu dieser Sache.

Nach mehreren Wochen, Karl Anton saß wieder mit seiner Zigarre bei mir, kam ich auf die Angelegenheit zurück mit der Frage: „Was ist nun aus dieser famosen Verbindung Hitler — Kronprinz Rupprecht geworden?“

Mein Freund erwiderte: „Nun ja, wenn wir Geld hätten —“

„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Wer ist das: wir?“

„Eben die beiden“, erklärte Karl Anton. „Kronprinz Rupprecht besitzt weite Liegenschaften, bis nach Böhmen, hat aber zur Zeit fast kein Bargeld. Und Hitler ist pleite mit seiner Parteikasse.“

„Und was wäre, wenn die beiden oder doch einer Geld hätte?“

„Dann“, verkündete Karl Anton, „dann würden morgen die Plakate hängen, die Texte sind fertig.“

„Was?“ fuhr ich auf. „Plakate hängen? Also monarchistischer Putsch? Ausgerechnet mit Hitler? Und vielleicht auch Marsch auf Berlin? Soll 1923 wiederholt werden?“

Stillschweigend, aber beredt, hob und senkte mein Freund die Achseln und ließ mich schimpfen.

Und es erschienen keine Plakate. Und es gab keinen Marsch nach Berlin. Obwohl es klar ist, daß Hitler damals auch dazu bereit gewesen wäre, hätte er von dieser Seite die Mittel dazu bekommen. Er war noch der ringende Parteiführer, vorübergehend ohne Mittel — die er längstens zwei Jahre später, angeblich von rheinisch-industrieller Seite, reichlich zur Verfügung hatte —, skrupellos bereit, jeden Weg zu gehen, wenn der ihn nur hinauf brachte. Es ist müßig, sich vorzustellen zu versuchen, wie die Geschichte Deutschlands und Europas verlaufen wäre, wenn damals Hitler die Monarchie als Vorspann für seine ehrgeizigen und überheblichen Pläne hätte benützen können — ein Anlaß für geistreiche Kombinationen. Für die künftige Historiographie wird der berichtete Sachverhalt von Interesse sein. Das folgende gehört jedoch noch dazu.

Weil also aus dieser seltsamen Verbindung nichts werden konnte, habe ich der Sache auch nicht mehr nachgefragt. Ich habe aber, wenn ich ab und zu in gewisser Spätnachmittagsstunde am Ca.fi Heck vorbeikam, Karl Anton in dem Kreis der Vertrauten Hitlers sitzen sehen, diesen selbst aber nie. Und ich wußte von meinem Freunde, daß Hitler öfter abends bei ihm zu Besuch war, von seinen damaligen ständigen drei Trabanten begleitet, davon der eine der oft genannte ehemalige Oberleutnant Brückner gewesen ist, ein großer und starker Mann, bekannt als Boxer. So oft ich auch abends bei Karl Anton gewesen bin, Hitler habe ich bei ihm niemals angetroffen. Ich sah damals also, daß Karl Anton, wenn auch mit dem bayrischen Kronprinzen zur Zeit nichts unternommen werden konnte, doch an der neuen Beziehung Gefallen fand, sosehr ich mich ab und zu über Hitler und alles um ihn kritisch abweisend geäußert hatte. Er schwieg dazu.

Die Zeit ging hin. Ich weiß nicht, ob in ihrem Ablauf die Verbindung Hitler—Kronprinz Rupprecht von selbst eingeschlafen war oder, ob sie einen jäheren Abbruch ichon erfahren hatte, eines Tages war der Affront da, von seiten Hitlers. Das bisher Verborgene, nur wenigen Menschen Bekannte, war plötzlich abgelöst von einem anderen öffentlichen und weithin Sichtbaren.

Eines Vormittags im Sommer 1930 fiel mein Blick im Vorbeigehen an einer Anschlagtafel des „Völkischen Beobachters“ auf die ausgehängte neue Nummer dieses Blattes, und ich erschrak. Nicht nur die gegen den Kronprinzen zielende Uberschrift, sondern insbesondere im Text die Nennung des Namens meines Freundes im Zusammenhang mit dieser Affäre hatte mich erschreckt.Tch lief sofort zu ihm und traf ihn ruhig wie immer, aber doch auf Komplikationen gefaßt. Ja, diese waren schon da, mit dem Kronprinzen, der sich auf dem Land aufhielt. Karl Anton hatte am Telephon mit dessen Adjutanten eine heftige Auseinandersetzung gehabt und diesen sogar zum Duell gefordert, was der Graf nicht angenommen hatte. Mein Freund hatte an den Kronprinzen zwei oder drei aufklärende Briefe geschrieben, die er mir aus dem Konzept vorlas. Sie begannen: „Eure Majestät! Hochzuverehrender Fürst und Freund!“

Die mißliche Affäre, in die nun also Karl Anton durch seine Beziehung zu Hitler hineingeraten war, war ausgelöst worden durch die wahlvorbereitende Rede eines bayrischen Zenrrumsabg“eordneten, für dessen Namen mir gegenwärtig die Unterlagen fehlen. Dieser hatte eine Bemerkung gemacht, aus der hervorging, daß Kronprinz Rupprecht, der an der Wahl teilnehmen wollte, von Hitler eine Wirkung in bestimmter Richtung erwarte. Hitler hat darauf mit wütenden Ausfällen geantwortet und stolz betont, daß er für seine kommende Machtzeit sich die Form des Staates unbedingt vorbehalte. Der „Völkische Beobachter“ hatte in diesem Zusammenhang auf meinen Freund. Karl Anton hingewiesen als Wissenden in den berührten Vorgängen. Es entstand eine Preßfehde und ein Prozeß, in welchem zu meinem tiefsten Bedauern mein Freund als Zeuge Hitlers auftrat, im Prozeßbericht der „Münchner Neuesten Nachrichten“ reichlich mit Spott bedacht.

Damit wäre der eigentliche Bericht abgeschlossen. Eines wird aber noch interessieren: wie ist es dem unzweifelhaft wohlwollenden, ehrlichen, aber kurzsichtigen Makler Karl Anton in dem bald angebrochenen Dritten Reich ergangen? Welche Stellung war ihm vorbehalten und wurde ihm zum Dank verliehen? Eine Frage nach dem Wesen der Diktatur...

Ich hatte München im Oktober 1931 verlassen, war in die Heimat zurückgekehrt und hatte mich in der Steiermark niedergelassen. Da erhielt ich im Sommer 1932 aus München von einer Verwandten unter anderen Mitteilungen die Nachricht, daß gewisse höhere Parteistellen der Münchener NSDAP gegen Karl Anton Mißtrauen hegten wegen seiner ab und zu unternommenen Reisen, von denen man nicht wisse, wohin sie gingen und was sie bezweckten. Es waren harmlose Reisen. Karl Anton hatte als Künstler und gut beschlagener Kunstkenner vor allem früherer Epochen persönliche und geschäftliche Beziehungen zu einer Reihe von Museumsleitern und Galeriedirektoren, die er ab und zu aufsuchte. Trotzdem machte mich die Mitteilung um meinen Freund besorgt, ich scheute mich aber, ihn zu warnen, denn ein Postverkehr war vielleidit schon überwacht, wozu auch vor dem Jänner 1933 die Möglichkeit bestand.

Kaum war das Morgenrot der neuen Zeit über Deutschland aufgegangen, Hitler Reichskanzler und seine Partei voran, da erschien in der Wohnung Karl Antons eine Gruppe von etwa einem Dutzend SA-Männern mit einigen Polizeibeamten — die wurden ja anfangs zur Legalisierung noch mitgenommen — und stöberten alles durch. Sie fanden nichts. Karl Anton aber hatte etwas gefunden und zog den Schluß daraus, indem er nach einiger Zeit ins Ausland ging. Über die Schweiz ist er dann nach Österreich, nach Wien gekommen, wo er, wie ich später erfahren habe, ejnen kleinen Kreis künstlerisch und literarisch interessierter Menschen um sich hatte, darunter Guido Zernatto. Zu Neujahr 1938 erhielt ich von ihm eine Karte, auf der er mir, sehr verspätet, seine Anwesenheit anzeigte und in seiner hübschen Art schrieb: „Nun wollen wir das Antlitz einander wieder zukehren.“ Es kam aber anders. Abgesehen davon, daß ich am 12. März 1938 in die erste Haft wanderte und später auch nur sporadisch daheim gewesen bin, bis man mich schließlich ganz entfernte, war auch Karl Anton „verhindert“. Es war nicht lange her, daß auf die einmarschierten Truppen die deutsche Gestapo gefolgt war, da stöberte sie auch schon meinen Freund auf, schikanierte ihn eine Weile, und dann kam die Haft und der Transport in das KZ Buchenwald. Eine' meinem Freunde nahestehende Persönlichkeit, welche über die Münchener Zeit Bescheid wußte, kämpfte um seine Freilassung. In Berlin ist es zwar nicht gelungen, zu Hitler vorzudringen, es wurde aber erreicht, daß ihm der Fall unterbreitet wurde. Und Hitler verfügte die Freilassung Karl Antons aus dem KZ, „die einzige gute Tat seines ganzen Lebens“, wie mir dazu gesagt wurde.

Es hat den Anschein, daß in den Diktaturen Verfügungen des obersten Führers nur für eine Zeitlang gelten, wenn es sich um mißliebig gewordene Personen handelt; die unteren Organe scheinen zu wissen, daß eine Geste etwas sehr Brauchbares ist, auf das man sich hin und wieder berufen kann, daß aber eine Geste nichts Endgültiges darstellt, im besten Falle nur eine Zäsur in einer nicht bereinigten Angelegenheit. So erkläre ich mir die Tatsache, daß Karl Anton nach längerer Zeit der Ruhe wieder in die Zange genommen werden sollte: die Gestapo war wieder hinter ihm her. Da zeigte es sich, daß das Spridiwort „Wohltun trägt Zinsen“ immer noch seine Wahrheit finden kann. Mein Freund ist im Zusammenhang mit einer früheren, kaum bedeutenden menschlichen Handlung vor jedem Zugriff der Gestapo, der in größeren Abständen immer wieder versucht wurde, gewarnt worden. Etwa so, daß es am Nachmittag an seiner Wohnung im ersten Bezirk Wiens läutete, beim öffnen niemand zu sehen war, aber ins Schlüsselloch gesteckt oder sonstwo ein kleiner Zettel sich fand etwa mit den Worten: „Bitte, vergessen Sie ja nicht, heute bestimmt noch vor sechs Uhr nachmittags die Kinokarten abzuholen!“ Auch andere Texte wurden sehr geschickt gewählt. Die Warnungen — mit denen sich ein Mitglied der Gestapo selbst in die größte Gefahr brachte — kamen auch kurz vor der Haussperre, so daß Karl Anton manchmal schon in der Nacht auswandern mußte, nach Grinzing, wo ihm ein Unterschlupf geboten wurde, bis er sich wieder in seine Wohnung getrauen konnte.

Als ich 1945 heimgekommen war, in die Steiermark, und als der Semmering passierbar und Wien zu erreichen war, habe ich das alles erfahren. Aber nicht mehr von Karl Anton selbst. Er hatte den Zusammenbruch der Herrschaft seines ehemaligen Gastes nicht mehr erlebt, er war 1944 gestorben. So daß wir auch jetzt, wo der Schrecken von uns genommen war, nicht „das Antlitz einander zukehren“ konnten, zu früh war der gute treue Freund dahingegangen. Der Lebende hat das Geschenk der Erinnerung, sie Wt Dank an den Toten.

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