6578383-1951_03_10.jpg
Digital In Arbeit

Drei Begegnungen

Werbung
Werbung
Werbung

Man schrieb den 19. Juni 1915. Auf der breiten und staubigen Straße, die über Przemysl nach Lemberg führte, marschierten, Schulter an Schulter deutsche und österreichisch-ungarische Truppen, in Verfolgung des geschlagenen Feindes gegen Osten.

Als Kommandant einer Feldkanonenbatterie hatte ich gegen Abend den Befehl erhalten, den Feuerschutz für das k. u. k. Infanterieregiment Nr. 34, das zu unserer Division gehörte und dessen Inhaber der deutsche Kaiser war, zu übernehmen.

In der nächsten Waldlichtung ging ich unmittelbar an der Straße in Stellung und dazu noch auf blutgetränktem Boden; denn meine Geschütze standen zwischen großen Sandhügeln, Massengräbern aus den schweren Kämpfen des Grazer III. Korps, vom September des vorigen Jahres, wo Österreicher und Russen, im Tode vereint, ihren letzten Schlaf schliefen.

Zwischen dem einen Flügelgeschütz und der Straße stand eine übergroße Fichte, die ich mir als Beobachtungsstelle auserwählt hatte. Bis zum Erklimmen des ersten Astes war die Sache, trotz meiner Jugend, etwas peinlich gewesen, aber mit einiger Nachhilfe von unten gelang es schließlich doch, und bald thronte ich am Gipfel, von wo ich die zurückgehenden Feindkolonnen sehen und auch mit Höchstschußweiten wirksam bekämpfen konnte.

Als ich in einer kurzen Feuerpause einmal nach rückwärts sah, bot sich mir ein für die damalige Zeit vollkommen überraschender Anblick. Eine Kolonne von ungefähr 6 bis 8 Autos näherte sich, in eine Wolke von Staub gehüllt, meiner Batterie und hielt in unmittelbarer Nähe meiner luftigen Beobachtungsstelle. Aus dem ersten Wagen, einem riesigen LKW, sprangen nun Soldaten ab, wie ich sie noch nie gesehen hatte; sie trugen dunkelgrüne Waffenröcke, weiße, anliegende Hosen, hohe Stulpstiefel und hatten funkelnde, versilberte Helme auf. Die Türen der anderen Personenwagen wurden aufgerissen, denen fast lauter Generäle entstiegen und sich um den zweiten Wagen gruppierten. Aus diesem kam nun ein General in voller, feldgrauer Marschadjustierung zum Vorschein; ich kannte den deutschen Kaiser nur von Bildern her — aber es blieb kein Zweifel übrig —; er mußte es sein und die schönen Soldaten seine kaiserliche Leibgarde. Zwei riesige Leibgardisten, die Kaiserstandarten haltend, hatten sich unmittelbar hinter ihm aufgestellt — und nach einer kurzen Besprechung kamen alle auf meine Batterie zu und blieben direkt unter meinem Baume stehen.

So rasch ich konnte, kletterte ich herab — nur im „astlosen“ Teil verlor ich in der Geschwindigkeit den Halt und landete mit einer ebenso ungewollten, wie tiefen Kniebeuge knapp hinter S. M. Während er sich erschrocken umdrehte, stand ich schon in Habtachtstellung vor ihm und meldete mich als Kommandant der Batterie. Erstaunt blickte er mich an, dann lächelte S. M. aber und sagte zu mir in einem ausgesprochenen Berliner Jargon: „Nu hören Sie mal, Sie wären mir ja beinahe auf den Kopp gesprungen — aber alles Gute kommt von oben.“ Dann gab er mir wohlwollend die Hand. Da gerade eine „Lage“ donnernd die Geschützrohre verließ, war ein Lärm, daß man sein eigenes Wort nicht verstand; so erlaubte ich mir die ergebenste Frage, ob das Feuer eingestellt werden sollte. „Na hören Sie mal“ — meinte S. M., „wir sind ja im Krieg und da wird eben geschossen.“ So übergab ich das Kommando meinem ersten Offizier — allerdings mit der Weisung, etwas „leiser“ zu schießen.

Um nicht zu stören, blieb ich etwas abseits stehen, aber S. M. winkte mich heran und fragte mich: „Sagen Sie mal, auf was schießen Sie eigentlich?“ Mir fiel in der Aufregung nichts Gescheiteres ein und nun meldete ich: „auf die Russen, Majestät“; lächelnd klopfte mir der hohe Herr auf die Schulter und sagte: „das habe ich mir gleich gedacht — aber treffen Sie auch was?“ Um die Ehre unserer Artillerie zu retten, ließ ich mich zur wenig geistvollen Bemerkung hinreißen: „Majestät, bei der österreichischen Artillerie ist jeder Schuß ein Treffer.“ Nun lachte alles — aber dann wandte sich der Kaiser zu dem neben ihm stehenden General — wie ich später erfuhr, handelte es sich um General v. Falkenhein, den damaligen Chef des Generalstabes, und sagte zu ihm lächelnd: „Haben Sie gehört? Das wünsche ich ab morgen auch von meiner Artillerie.“ Ich wurde nur noch mehr verwirrt, aber S. M. ließ nicht locker, das Examen ging weiter. „Sind Sie, Herr Oberleutnant, auch über die allgemeine Lage orientiert?“ frug mich S. M. Das war ich als Truppenoffizier natürlich nicht — und so meldete ich untertänigst, daß ich nur wisse, daß es „vorwärts“ gehe — und das wäre für mich und meine Soldaten die Hauptsache.

Mit seinem Feldherrnstab begann er nun im Sande die große Lage von einem Meer zum anderen zu skizzieren; mittlerweile wurde etwas abseits ein großer Klapptisch aufgestellt, mit einer riesigen Karte darauf, und General v. Falkenhein begann mit der Lagebesprechung. Jetzt endlich erachtete ich den Zeitpunkt für gekommen, mich zurückzuziehen — aber S. M. winkte mich abermals heran. „Hören Sie nur auch zu“, meinte er wohlwollend, „Sie werden nur lauter angenehme Sachen hören, vor allem, daß wir in längstens zwei Tagen wieder in Ihrem befreiten Lemberg sein werden.“

Die Wagen hatten inzwischen gewendet, und als die Besprechung beendet war, begab sich S. M. mit seinem Stabe zu ihnen.

Vor dem Einsteigen überreichte er mir noch das E. K. II, schüttelte mir die Hand kräftigst und sagte zum Abschied: „Schauen Sie, daß auch weiterhin alle Schüsse Treffer sind und überbringen Sie meinem Regiment und seinem braven Kommandeur meine kaiserlichen Grüße.“

Langsam setzte sich die Autokolonne in Bewegung; ich aber stand mit der Hand an der Mütze, wie zu einer Salzsäule erstarrt, noch so lange, bis auch der letzte Wagen meinen Blicken entschwunden war.

Das war meine erste Begegnung mit S. M. dem deutschen Kaiser gewesen.

Nach der Piaveschlacht 1918 wurden zwei österreichische Divisionen verladen und an die Westfront gefahren. Nach einer 14tägigen Umschulung, zu der vor allem die uns unbekannte Panzerbekämpfung gehörte, wurde die 1. Division auf der hart umkämpften Combres-höhe und die 35. Division, bei der ich als Generalstabsoffizier einer Infanteriebigade eingeteilt war, vor Verdun eingesetzt. Nach harten Kämpfen wurde die Armee, Mitte September, in die sogenannte Siegfriedstellung zurückgenommen. Zwei Tage nach Beziehen derselben kam der Befehl, daß sich am nächsten Morgen drei Offiziere der Division — darunter auch ich — im Armeehauptquartier zu melden hätten. Dort erst erfuhren wir den Grund unserer Kommandierung. S. M.t der gerade beim Armeekommando anwesend war, wollte etwa 30 deutsche und sechs österreichische Offiziere persönlich dekorieren. In einem großen Saal hatten wir Aufstellung genommen, als kurz darauf S. M. erschien. Er kam mir gealtert vor, sein Haar ergraut, seine Gesichtszüge ernst, nur aus seinem Auge leuchtete das Feuer von einst.

Nach einer kurzen Ansprache überreichte er jedem Herrn persönlich das E. K. I, einem von uns — einem Oberstleutnant und Kommandanten eines kombinierten Jägerregiments der 1. Division, sogar den „Pour le merite“. Als Rang-jüngster stand ich am linken Flügel. Als ich an die Reihe kam, blickte S. M. mich lange und prüfend an und sagte: „Ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet?“ „Jawohl, Majestät“, meldete ich — „und zwar zwei Tage vor unserem Einmarsch in Lemberg.“ Nun erinnerte sich auch S. M. „Ja, jetzt bin ich schon im Bilde“, entgegnete er lächelnd, „Sie sind der lange Österreicher, der mir damals beinahe auf den Kopf gesprungen ist; nun, das waren noch schönere Zeiten gewesen; jedenfalls meinen Dank für Ihr tapferes Verhalten in den letzten schweren Kämpfen und Gott mit Ihnen.“

Das war meine zweite Begegnung mit S. M. gewesen.

Jahrzehnte vergingen. Der zweite Weltkrieg näherte sich seinem traurigen Ende. Die Armee, die am Niederrhein stand, mußte Mitte April 1945 gegen Westen an die Greppe, einem kleinen Flüßchen zurückgenommen werden. Vom Hinterland abgeschnitten, standen wir nun mit verkehrter Front in unserer neuen Verteidigungsstellung. Als höherer Artilleriekommandeur, dem die ganze Artillerie der Armee in Holland unterstand, fuhr ich von Division zu Division, um ihren Einsatz zu überprüfen. Es war bereits die Dämmerung hereingebrochen, als wir durch Doorn fuhren. Da erinnerte ich mich, daß Kaiser Wilhelm, vom Zusammenbruch an bis zu seinem Tode hier gelebt hatte urid beschloß, das Schloß aufzusuchen. Bereitwilligst wies mir die Bevölkerung den Weg dahin. Es war eigentlich kein Schloß nach unseren Begriffen gewesen, eher eine große Villa, mitten in einem schönen Park. Ich schickte meinen Or-donanzoffizier hinein, um nachzufragen, ob eine Besichtigung überhaupt möglich sei. Bald kam er, gefolgt von einem Zivi- '' listen, zurück. Dieser, ein Major a. d. v. J„ war der letzte Adjutant S. M. gewesen; freundlichst bot er sich als Führer an. Er zeigte mir alle Räume, auch das Sterbe- und Arbeitszimmer S. M. Auf dem großen Schreibtisch lag noch die Brille und eine riesige Kielfeder, mit der er geschrieben hatte — doch das interessanteste war der Sessel davor, der eigentlich die Form eines Klavierstockerls, aber statt des Sitzes, den Oberteil eines Pritschsattels hatte; S. M. wollte eben auch beim Schreibtisch „zu Pferd“ sitzen.

Am anderen Ende des Parks — den S. M. zum größten Teil selbst angelegt hatte, stand eine kleine Kapelle; ich vermutete gleich, daß er dort begraben wäre. Ja, das stimmte auch, meinte der Major, aber seitdem die Front so nahe gerückt ist und wir jederzeit mit Artilleriebeschuß zu rechnen haben, brachten wir den Sarg S. M. in den Keller.

So stiegen wir, im Scheine einer matf leuchtenden Kerze in das Kellergewölbe hinab; unter einem Wust von Sachen stand etwas, das mit schweren Kotzen eingedeckt war — es war der Sarg, in dem der letzte deutsche Kaiser ruhte.

Ergriffen verrichtete ich ein kurzes Gebet für den Monarchen und Menschen, den ich das Glück hatte, in heiteren und ernsten Tagen zu sehen und zu sprechen.

Und das war meine dritte Begegnung gewesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung