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Korifantow und die AAill ion

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Das System, sagt mir nichts gegen das System, Genossen, das System ist goldrichtig, nur bei den Menschen hapert’s noch, aber auch das wird sich mit der Zeit ändern.

Ihr kennt doch Korffantow, meinen Onkel, der damals nach Tiflis versetzt wurde, oder wer kennt ihn nicht? Ein anständiger Bursche, sag ich, beim Kartenspielen schummeln oder den Finger in den Hals stecken, wenn er voll war, sowas gab’s bei ihm nicht, er war Mensch durch und durch und Kamerad durch und durch, dafür leg ich meine Hände ins Feuer, Genossen. Der arme Hund, seine sechs Weiber haben ihn ruiniert, das ist die Wahrheit. Zuerst war er Direktor in Tiflis im Bad Nr. 1, er übernahm den Saustall dort wie ein Held und beschaffte sofort Wasserkübel, denn die waren von irgendwelchen Schuften in den schweren Jahren gestohlen worden. Dann bekam er einen Verweis wegen der Duschen, weil es da nicht ganz stimmte. Wie sie nämlich im Lenin-Bezirk von Grma-Gele mit Bauen anfangen, kommt der Baudirektor plötzlich duschen. Korffantow, die ehrliche Haut, tut seine Pflicht und warnt ihn dreimal. Genau so gut hätte er mit einem Ochsen diskutieren können. Labadse hieß er, so ein eisenköpfiger Georgier, aber dann war sein Kopf doch nicht eisern genug. „Trink lieber einen Schnaps mit mir", sagt Korffantow noch, wie der Fettwanst schon unter der Brause steht. „Ich bin im

Bad und ich will duschen", sagt Labadse stur und reißt an der Kette, damit das Wasser herunterkommt. Was aber herunterkam, war die Brause mitsamt der Spritzdüse, so fünfzehn Kilo Gußeisen, weil’s ein altes Modell war. Drei Monate lag der Blödian dann im Distriktshospital, bis sie ihn zusammengeflickt hatten, und seither stottert er, aber das ist seine eigene Schuld. Und Korffantow? Er hätte sich glatt eine Kugel durch den Schädel gejagt vor Scham, Genossen, wenn er eine Pistole gehabt hätte. So feinfühlig war er, ein Russe vom alten Schlag, er hat es mir selbst erzählt.

Kaum hat er den Verweis weg, kaum sind die neuen Duschen installiert, wer kommt? Sicharulidse kommt, der Chef der Straßenbahn- und Trolleybus Verwaltung, auch so ein hohes Tier in der Partei. „Ich will mich erfrischen, Genosse Korffantow", sagt er, „ich bin staubig bis in die Knochen und mein Haus ist noch nicht fertig. Ich weiß, du kannst nichts dafür wegen der Sache mit Labadse, aber jetzt sind ja neue Spritzköpfe drin aus Ledcht- metall, erzählt man sich." „Ja", antwortet Korffantow verlegen, „die neuen Düsen sind wohl drin, neunhundert Gramm das Stück, die tun keinem mehr weh. Aber trotzdem, Genosse Sicharulidse, ich warne dich, tu’s nicht." „Ja, warum?“ regt sich da Sicharulidse auf, ihr wißt ja selbst, wie diese dickfelligen georgischen Ziegenhirten sind, und er ließ sich um nichts HI der Welt von seinem verrückten Plan abbringen. Korffantow hätte am liebsten geweint oder sich vor Sicharulidse in die Knie geworfen, aber ihm als Mitglied des Bezirkssowjets hätte man eine solche weichliche Demonstration bestimmt übelgenommen. „Tu’s nicht, Genosse, tu’s nicht", jammerte er in einem fort, während dieser eigensinnige Straßenbahn- bulle sich zu den Duschen hinbewegte. Gern hätte er ihn jetzt von hinten niedergeschlagen, nur so, daß er ein wenig ohnmächtig gewesen und sich’s nachher noch einmal hätte überlegen können, aber auch das hätte man ihm sicher krummgenommen. Ach, Genossen, hätte er’s doch getan, ihm wäre viel erspart geblieben!

Es war nämlich so, daß in jenen Monaten nie vorherzusehen war, ob aus den Düsen kaltes oder siedendes Wasser herunterkommen würde, gleich ob man den roten oder den weißen Hahn drehte. Sicharulidse schrie wie ein Irrsinniger, als der kochende Wassersturz ihn traf, aber er schrie nicht lange, denn er fiel gleich um. Als sie ihn glücklich heraus hatten, war zwischen ihm und einem gesottenen Krebs nur der eine Unterschied, daß bei ihm die Haut fingerdick abging.

Korffantow saß dann lange bei den Ratten in so einer dreckigen Zelle, weil sich diesmal das ZK der georgischen KP (B) einmischen mußte. Aber es war sogar gut, daß sie ihn eingelocht hatten, denn er hätte sich wegen der Schande bestimmt ersäuft, so weich ist seine russische Seele, Freunde, er hat es mir selbst erzählt.

Das System ist goldrichtig, Genossen, denn wie sich seine Unschuld herausstellte, was machte die Partei? Sie gaben ihm den Posten von Sicharulidse, der das Kochen so wenig vertragen hatte, wie ein Krebs es verträgt. Damit entschuldigten sie sich öffentlich für das Einlochen eines verdienten Genossen. Ist das nun groß oder nicht?

Dann kam die Sache mit dieser dummen Million. Kommen da zwei Schaffner mit einer Ledertasche in sein Büro getrampelt und jeder schwört, er hat sie zuerst gesehen und will eine Belobigung am Schwarzen Brett. Korffantow schmeißt sie hinaus, wie es sich gehört, wenn solche Lümmel gierig sind. Die Tasche lag ein paar Monate auf seinem Schreibtisch, sie war versperrt, so daß man nicht hineinschauen konnte. Lebensmittel waren’s nicht, die hätten gestunken, weil der Ofen dicht dabeistand, von außen fühlte es sich eher an wie alte Zeitungen.

Eines Tages, Korffantow hat seine eigene Tasche zu Hause vergessen und ihm fällt ein, daß seine Frau ihm aufgetragen hat, ein paar Fischkonserven mitzubringen. Er schickt einen Inspektor um die Konserven, ohne die er sich mitnichten heimgetraut hätte, und der Kerl bringt gleich ein ganzes Dutzend. Was soll er nun mit einem Dutzend Konserven in der Hand am Heimweg? Da denkt er an die gefundene Ledertasche. Die gehört keinem, denkt er ganz richtig, sonst hätte schon längst einer nachgefragt. Also schickt er den Inspektor hinaus, bricht das Schloß auf, wirft den Inhalt in den Kohlenkübel und verstaut die Konserven. Wie er heimgehen will, fällt sein Blick zufällig in den Kohlenkübel. Und was sieht er da, Genossen? Er sieht lauter funkelnagelneue Tausendrubelscheine.

Ihm wird schlecht vor Angst. Wenn die Tasche der Staatsbank gehört oder der Partei oder gar der Armee, dann Gnade, wenn die draufkommen, daß er sich nicht um sie gekümmert hat. Erst die Sache mit dem Blödian Labadse, dann die Geschichte mit dem Narren Sicharulidse und jetzt dies! Am liebsten hätte er die Tasche, seinen fetten Posten und seine muntere Familie — er hat ein Weib, und fünf erwachsene Töchter, Genossen — im Stich gelassen und wäre sofort geflohen, nach Sibirien vielleicht, um sich unter den Verbannten unauffällig zu verstecken, oder sonstwohin, wo ihn keiner kennt. Er zögerte einen Augenblick, und das war sein Verhängnis. Der Inspektor kam zurück, um sich zum Nachtdienst abzumelden, und guckte ihn komisch an, weil er an der halboffenen Tür stand und nicht wußte, was tun. Da schmiß er die Tür zu, sagte „Gute Nacht, Genosse Inspektor" und verduftete. Wie der Inspektor fort war, kam er zurück, stopfte das Geld in die Tasche und rannte weg. Die Konserven, ohne die er sich nicht heimtraute, hatte er außen und innen in den Manteltaschen verstaut, ein paar hatte er noch unter den Arm geklemmt. Er ging direkt zu den Ziegelteichen, klaubte unterwegs einen Stein auf und hatte, dafür leg ich meine Hand ins Feuer, keine andere Absicht, als das Geld blitzartig verschwinden zu lassen.

Wie er zum Ziegelteich kommt, ein paaT Tausender hat er sich unterwegs herausgefischt, auf die kommt’s ja, seien wir ehrlich, Genossen, bestimmt nicht an, wenn nur der Hauptteil untergeht, wie er also zum Teich kommt, ist der Teich zugefroren. Dick zugefroren, Freunde.

Was bleibt ihm übrig, als heimgehen. Ich werd das Geld verheizen, denkt er, und dafür leg ich meine Hand ins Feuer, das wollte er, er hat’s mir selbst am Totenbett erzählt, und ein Bursch wie Korffantow einer war, ist keiner Lüge fähig, das wißt ihr ja selbst. Kaum hat er die Eingangstür offen, da sind auch schon seine Weiber über ihn, Väterchen hin, Väterchen her, und schon haben sie ihm die Tasche entrissen und gleich kollern die Tausendrubelpakete über den Fußboden.

Das war dann sein Ende. Er hat sich gewehrt wie ein Held, aber schließlich haben sie ihn weichgekriegt, ihr wißt ja, was Weiberzungen vermögen. Sie versteckten das Geld und warteten ein Jahr. Dann begannen sie’s auszugeben, erst vorsichtig, wie sich’s gehört, dann mit vollen Händen, die blöden Gänse. Schließlich kauften sie eine Villa an der Krim, und das ging noch gut aus, denn er war ja inzwischen Vizevorsitzender des ZK der georgischen KP (B) geworden und verdiente dementsprechend. Als sie sich aber dann das zweite Auto, den „Zwezda I" mit Klimaanlage, der von einem amerikanischen Super fast nicht mehr zu unterscheiden ist, zulegten, da kriegten sie ihn beim Kragen.

Sie stellten sein Haus auf den Kopf, sie stellten die Direktion auf. den Kopf, aber er leugnete acht Monate wie ein Fels. Sie deckten Unterschlagungen auf, die ein bißchen mehr ausmachten als eine Million, aber er konnte beweisen, daß er damit nichts zu tun hatte. Was er nicht beweisen konnte, war, woher er das Geld für die Villa, den blödsinnigen Luxus seiner Weiber und für die Autos hergenommen hafte, denn für alles zugleich reichten selbst seine Gehälter als Vizepräsident und Direktor nicht aus. Dann stellten sie irgend was mit ihm an, wird in Tiflis heute noch gemunkelt, aber ich glaub’s nicht, sowas kommt bei uns nicht mehr vor. Jedenfalls gab er’s schließlich zu.

Das Schönste war nun, daß die Million nirgendwo fehlte. Alle Zeitungen schrieben davon, in der „Prawda“ kam ein großer Artikel — aber kein Mensch meldete sich. Ganz Georgien lachte sich den Bauch voll, denn es war klar, daß die Million von irgendeiner Durchstecherei stammte, von einem verräterischen Betrug, den irgend so ein kapitalistenhöriger Schurke vollbracht hat und auf den man ihm bis heute noch nicht draufgekommen ist. Georgien lachte, und das ZK (B), was blieb ihm schließlich übrig, es ließ Korffantow los und begnügte sich mit einer symbolischen Strafversetzung als provisorischer Kolchosenleiter in den Rayon Dshawa. Dort lebte er als ein gebrochener Mann noch einige Wochen.

Die Haft und die Schande hatten ihn innerlich zermürbt. Ais es mit ihm zu Ende ging, schickte mir Nina, sein Weib, ein Telegramm und ich fuhr natürlich sofort hin, das ist klar. Die Weiber waren in heller Aufregung und machten ein Gezeter wie ein ganzer Hühnerhof, aber wann in den letzten fünfundzwanzig Jahren hätten sie das nicht getan? In diesen meinen Armen starb er, der Gute. Und wißt ihr, was sein letztes Wort war? „Hüte dich", flüsterte er mir mit letzter Kraft ins Ohr, „hüte dich, Boris, vor meinen sechs Weibern, das System ist richtig, goldrichtig, Genosse, aber sie —sie haben mich ruiniert "

So ist’ das bei uns in Rußland mit diesen Weibern, na ja — Prost, Freunde!

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