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Der Beginn der Schlacht

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Fnde Mai dieses Jahres waren SO JaUre vergangen, da Rußland gegenüber Japan die Seeschlacht von Tsushima verlor. Das russische Geschwader unter der Führung des Admirals Rojestwenski hatte im Oktober 1904 den russischen Ostseehafen Libau verlassen und war rund um ganz Afrika unter oft abenteuerlichen Umständen nach Ostasien gedampft. Der russische Admiral wollte versuchen, durch die Meerenge von Tsushima Wladiwostok zu erreichen. Dabei kam es am 26.127, Mai 1905 zum Zusammenstoß mit der japanischen Flotte unter Admiral Togo und zur letzten großen Seeschlacht der Welt. Sie endete mit der Vernichtung der russischen Flotte, die, wesentlich schlechter ausgebildet und ausgerüstet, der überlegenen Technik der Japaner unterlag. Der nachfolgende Abschnitt, entnommen dem berühmten Buch von Frank Thieß, „Tsushima, Roman eines Seekrieges“ (Zsolnay-Verlag, Wien), schildert den Beginn dieser furchtbaren Schlacht.

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Fnde Mai dieses Jahres waren SO JaUre vergangen, da Rußland gegenüber Japan die Seeschlacht von Tsushima verlor. Das russische Geschwader unter der Führung des Admirals Rojestwenski hatte im Oktober 1904 den russischen Ostseehafen Libau verlassen und war rund um ganz Afrika unter oft abenteuerlichen Umständen nach Ostasien gedampft. Der russische Admiral wollte versuchen, durch die Meerenge von Tsushima Wladiwostok zu erreichen. Dabei kam es am 26.127, Mai 1905 zum Zusammenstoß mit der japanischen Flotte unter Admiral Togo und zur letzten großen Seeschlacht der Welt. Sie endete mit der Vernichtung der russischen Flotte, die, wesentlich schlechter ausgebildet und ausgerüstet, der überlegenen Technik der Japaner unterlag. Der nachfolgende Abschnitt, entnommen dem berühmten Buch von Frank Thieß, „Tsushima, Roman eines Seekrieges“ (Zsolnay-Verlag, Wien), schildert den Beginn dieser furchtbaren Schlacht.

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Als Togo erfuhr, daß am 26. Mai vier russische Transporter in Schanghai eingelaufen und russische Kriegsschiffe tags vorher bei Saddle-Island gesichtet worden seien, sagten Offiziere seines Stabes, daß nun wohl kein Zweifel mehr daran bestehe, Rojestwenski werde durch die Korea-Straße laufen. Togo antwortete: „Warum? Das alles kann eine Täuschung sein und das Geschwader, wie am 19., ostwärts abbiegen.“ Er war ein Japaner und mißtraute den allzu offensichtlichen Manövern seines Gegners. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß Rojestwenski ihn getäuscht hätte. Lief er aber nordöstlich auf die Korea-Straße zu, so mußte er in der Nacht auf den 27. Mai im Ostkanal zwischen den Inseln Tsushima und Ikishima zu fassen sein. Dann konnte er seine Torpedobootsdivisionen auf sie loslassen und am folgenden Tag den Rest zusammenschießen.

Togo täuschte sich ein zweites Mal. Rojestwenski tat etwas, das niemand erwartet hatte. Er bog nicht ostwärts ab, er nahm wirklich den Weg auf Tsushima, aber er befand sich trotzdem nicht am Abend des 26. Mai auf der Höhe der Goto-Inseln und noch weniger in der darauffolgenden Nacht im Ostkanal. Togo hatte allen Grund, sich Sorge zu machen.

Die russischen Schiffe liefen in doppelreihiger Marschordnung in einer Entfernung von 1907 Meter untereinander auf Tsushima zu. Weit vor ihnen „Swjätlana“. „Almas“ und „Ural“ folgten. Zwei Kreuzer und Torpedoboote flankierten das Gros. Sechs für Wladiwostok unentbehrliche Troßschiffe dampften zwischen den Divisionen Njebogatow und En-quist. In großem Abstand vom Gros beschlossen die Lazarettschiffe „Orel“ und „Kostroma“. Die Lichter der Kriegsschiffe waren gelöscht. Es blinkten nur die Positionslaternen in der rauschenden Finsternis.

Das Geschwader lief fünf Knoten wegen einer Maschinenhavarie des Küstenpanzers „Admiral Ssenjawin“. Auf den meisten Schiffen schien die Ursache unbekannt geblieben zu sein. Man zerbrach sich die Köpfe darüber und war viel zu nervös, um den nächstliegenden Grund dafür zu entdecken. Plötzlich hatte man den vermeintlich richtigen: Der Admiral verzögerte den Marsch, um nicht am 13. (26. Mai), einem Unglückstage, die Schlacht wagen zu müssen! Und weil der Krönungstag des Zarenpaares auf den 14. fiel, konnte man nicht mehr zweifeln, daß Rojestwenski den Zusammenstoß mit den Japanern in dieser feierlichen Stunde vorzunehmen wünschte.

In derselben Nacht nun wurden die ersten feindlichen Funkzeichen aufgefangen, und mit diesem Ereignis geschieht das Wunderliche, daß die krittelnde Nervosität der von Mißtrauen und Hoffnung durcheinandergeschüttelten Mannschaft jäh in ihr Gegenteil umschlägt. Die Zivilisten in Uniform werden zu Soldaten, die sich schlagen wollen, die auf Kampf brennen, denen es nun wieder nicht mehr rasch genug in die Entscheidung geht!

Der 26. Mai kam herauf und hob eine leuchtende Sonne aus unruhigem Gewölk. Ein heller und stürmischer Tag blies über das Meer. Doch die Sonne stieg höher und stand bald in einer diesigen Luft wie eine mattglühende Scheibe. Die ersten Nebel legten sich über die See. Behielt das Geschwader diese Fahrt bei, mußte es in der Nacht auf den 27. Mai die engste Stelle des Ostkanals der Korea-Straße passieren, wo Togos Torpedodivisionen auf der Lauer lagen.

Da ging auf „Ssuworow“ ein Signal hoch, da? man anstarrte, als habe es der Teufel geheißt: „Das ganze Geschwader halbe Fahrt.“ Und dann ein zweites, das Evolutionsbefehle gab. Der

Admiral ließ die Flotte evolutionieren! Er übte am 26. Mai in göttlicher Ruhe, als befände er sich im “tiefsten Frieden, stundenlang Fahrtformationen: Uebergang aus der Marsch- in die Gefechtsordnung. Schlecht gemacht, noch einmal! Uebergang aus der Marsch- in die Gefechtsordnung. War besser. Noch einmal! Und sie taten, was sie konnten. Nur die Njebogatow-Division hätte eigentlich nachsitzen müssen. Sie machte es wieder so miserabel wie am 23. Mai. Die Männer zersprangen vor Erregung; half nichts, man mußte gehorchen.

Da kreuzte ein weißer Handelsdampfer mit neutraler Flagge den Kurs des Geschwaders. Soll man ihn kapern? Angespannt blickte man auf das Flaggschiff: kein Signal. Er verdunstete langsam in Richtung auf Schanghai. Auf allen Schiffen, mit Ausnahme des „Ssuworow“, war man überzeugt, daß es ein japanisches Vorpostenschiff gewesen war, das sie aus Gott weiß welchen Gründen hatten laufen lassen. Doch wieder geschah das Unvermeidliche: die Evolutionen nahmen sie dem Geschwaderchef übel, das Laufenlassen des weißen Schiffes war ihnen recht. Um die Mittagspause stürzte der Kommandant des Kreuzers „Awrora“ in die Messe und rief den Offizieren zu: „Meine Herren, der Dampfer war ein japanischer Kundschafter. Hier sind seine Telegramme, sehen Sie!“ Und alle drängten sich um das Blatt aus dem Funkraum, alle versuchten, aus den verstümmelten Worten einen Sinn zusammenzusetzen, und jubelten wie die Buben: Hurra, wir sind entdeckt! In dieser

Nacht wird es die ersten Torpedobootsangriffe und in der Meerenge die Schlacht geben!

Ihre Freude war verfrüht. Togo hatte sie nicht entdeckt. Gott weiß, was der Telegraphist in seiner Begeisterung aufgefangen hatte. -, -

Und dann fuhr man fort im Evolutionieren. Und die Njebogatow-Division gab sich die größte Mühe, aber alle sahen ein, daß sie es bis Wladiwostok nicht mehr lernen werde.

Rojestwenski hatte während dieser Stunden auf der Kommandobrücke gestanden und mit unbeweglichem Gesicht dem Examen beigewohnt. Wollte er sie wirklich noch kurz vor der Schlacht auf ihre Lektionen abhören? Sicher nicht. Er wollte den Ueberschuß an Zeit, den er für seinen Plan hatte, nutzbringend anwenden. Da war es besser, daß sie Positionshalten übten als Karten spielten. Die Sonne senkte sich, der Dunst verdickte sich zum Nebel. Der Admiral blickte auf seine Uhr und ließ das Signal geben: Zehn Knoten Fahrt. Kurs ONO.

Die Funkmeldungen der Feinde mehrten sich und nahmen in der Nacht stark zu, daß Rojestwenski keinen Zweifel mehr an der Tatsache hatte, daß er sich mitten in der japanischen Vorpostenkette befand. Die Telegramme waren chiffriert, ergaben aber aus ihrem Charakter zweifelsfrei, daß es nur gleichbleibende Kontrollsignale waren, die dem Fühlunghalten untereinander dienten.

Rojestwenski hatte seit Eintritt in die Zone des Vorpostengürtels seinen Schiffen jedes Telegraphieren untersagt. Er machte nun der Flotte bekannt, daß „Ssuworow“ seit Sonnenuntergang die Anwesenheit von sieben unsichtbaren Begleitern festgestellt habe.

Die Nacht schluckte das letzte Licht auf. Das Meer schimmerte in einem indigofarbenen Glanz. Und auf einmal legte sich Schleier um Schleier vor die Schiffe. Da war er, der Nebel, auf den Rojestwenski gewartet hatte, graublau und qualmig wie Rauch. Der Admiral schloß seine Schiffe so eng wie möglich zusammen und steuerte mitten in seine dichten Schwaden.

Wenn die Leute daheim von Rojestwenskis „Glück“ sprachen, so konnte es jetzt wieder einmal aussehen, als ob sie recht hätten. Aber sie hatten nicht recht. Dieser Nebel war der einzige Verbündete des Geschwaders und der Admiral hatte den Plan des Durchstoßes auf seinem Erscheinen aufgebaut. Die Berechnung war richtig, nun lag er auf seinen Schiffen wie eine milchige Tarnkappe. Doch auch das Gute hat eine Kehrseite. Die Kehrseite des Nebels war die Fahrtunsicherheit. Hätte Rojestwenski mit völlig abgeblendeten Lichtern fahren können, was auch bei meisterhafter Führung beträchtliche Gefahren in sich schließt, so würde seinem großen Gegner das schönste Schachfeldersystem nichts genützt haben, denn um diese Zeit befand sich Togo in völliger Unklarheit überdie Positionen des russischen Geschwaders.

Von den Evolutionen Rojestwenskis hatte er nichts erfahren. Selbst bei langsamer Fahrt hätte seiner Berechnung nach das russische Geschwader schon sechs Stunden vorher in der Meerenge sein müssen. Nun war dieser Nebel da und hatte den Feind eingeschluckt, und mit dem Nebel war eine so bewegte See gekommen, daß Togo nichts übrigblieb, als seine Armee von Torpedobooten aus der Meerenge zurückzuziehen und in die schützende Miruabucht zu detachieren.

Doch die Natur ist unparteiisch. Derselbe Nebel, dieselbe See, die mit den Russen gingen, zeigten Rojestwenski die Kehrseite seines „Glücks“. Seine Schiffe konnten nicht alle Positionslaternen löschen, sre durften weder mit den Sirenen heulen noch sich ihre Lage zuwinken. Ein paar Lichter mußten sie lassen; und die beiden Lazarettschiffe weit achtern vom Geschwader fühlten sich als Pa,ssagierdampfer und unbeobachtet von den strengen Blicken des Chefs. Sie entzündeten zur Sicherheit alle Lichter und schwebten wie brennende Weihnachtsbäume durch die Nacht.

Ueber den Schiffen lag eine Totenruhe. In Erwartung eines Torpedoangriffs schliefen die Mannschaften gruppenweise bei ihren Gefechtsstationen. Die Wachen starrten wie Steinbilder in die Nacht. Der Rauch aus den Schornsteinen, mit dem Dunst zu einem brodelnden Gewölk versponnen, senkte sich als ein Gemisch von Ruß und Nebelluft auf die pechschwarzen Verdecks.

In dieser Nacht der ungeheuren Spannung wurden die auf der zerreibenden und zermürbenden Reise gelösten Bänder der Kameradschaft wie durch das Wunder des nahen Todes noch einmal straffgezogen. Auf den Schiffen wuchsen Mann und Mann zusammen zu jener seltsamen Bruderschaft, die ein gemeinsames großes Schicksal erzeugt. Zu einer wunderbaren Einheit von Mensch und Werk und Mensch und Maschine, die im Augenblick der Entscheidung noch aus den Schwächsten Männer macht und selbst die Maschine mit ihrem Blute und Willen speist. Zu jener schamhaften und herben Freude aneinander, des Schwachen am Starken und des Starken am Zagenden und Hoffnungslosen, der nun den heißen, stummen Willen zeigt, es dem Besseren gleichzutun. So verschmolzen sie, Mann zu Mann, in einer scheuen Liebe, die zarter noch ist als die Zärtlichkeit der Frauen für die Kinder, verhaltener als das Schweigen eines flüchtigen Blicks, ein tröstend-aufflackerndes Licht aus den Tiefen der rätselvollen Lust am bedrohten Leben.

Mochten sie geglaubt haben, daß sie auf di Schlachtbank fahren mußten, weil die Macht der regierenden Herren die Stahlrute über ihrer Rechtlosigkeit schwang, nun gab es keinen Willen mehr über ihnen. Nein, der Wille war in ihnen selber: Er erblühte wie eine freudige, fast festliche Erregung über die Unentrinnbarkeit des Geschicks, das nicht mehr ein zerschmetternder Felsblock, sondern verbrennender Segen war. Die Schlafenden schliefen, weil es Pflicht war, zu schlafen. Die Wachen fühlten die Verantwortung, die sie gerade auf dem Platz stehen ließ, wo ste standen, gerade sie und keine anderen. Und ihr Auge suchte nach den geisterhaften Schatten feindlicher Torpedoboote, in der Hoffnung, als erster sie erkennen zu können. So war über alle Schiffe diese lautlos schwingende Ruhe der Bereitschaft gespannt, einer Bogensehne gleichend, die schon unter der leisen Berührung des Fingers ihre Härte zeigt.

Der Morgen schlich sich mit verhülltem Geicht in die neblige Nacht und durchatmete sie mit dem ersten, kaum sichtbaren Grau des Tages. Ein Wind kam auf, man konnte zwischen zerrissenem Gewölk ein paar Sterne erkennen. Die Kälte wuchs und schnitt ins Fleisch.

Auf der vorderen Brücke des „Ssuworow“ ging der Kommandant, Kapitän Ignatius, unruhig von einer Nock zur anderen. Er hatte sich weiche Pantoffel über die Stiefel gezogen, um den Admiral nicht zu stören, der in einem Sessel saß und in einen leichten Schlummer gesunken war. Ignatius sah das aufziehende Morgenlicht hinter den feuchten Tüchern des triefenden Nebels und freute sich: um die Torpedobootschlacht waren sie herumgekommen. Sie dampften südlich zwischen Quelpart und den Goto-Inseln in freier See, deren bewegtes Wasser sie vor Torpedos schützte.

Aus dem Telegraphenraum kamen noch immer dieselben Meldungen: regelmäßiger Funkverkehr innerhalb der japanischen Wachschiffe. Die Uhr zeigte 2.45 in der Frühe. Die Helligkeit wuchs, aber auch der Wind, der den Nebel in Schwaden auseinanderlegte. Von der Achternbrücke konnte man schon die schattenhafte Silhouette des „Alexander III.“ erkennen.

Rojestwenski schlug die Augen auf und sah den Kommandanten an der Brückennock stehen. „Etwas Neues?“ fragte er. Der drehte sich um und schüttelte den Kopf. Ein schmutziges Licht durchdrang zäh den Dunst. Die Sonne glomm auf und fegte mit ihren Windflügeln über die stärker rollende See. Nichts schien sich geändert zu haben, außer, daß die Sicht klarer geworden war. Deutlich entstiegen der rosigen Helle des Morgens die Silhouetten der Panzer, die in zwei Kiellinien mit schäumender Bugwelle den im Dunst kaum sichtbaren Aufklärungsschiffen folgten.

Ein Fähnrich betrat die Kommandobrücke: Die Funker meldeten, daß in das japanische Telegraphieren eine Unruhe gekommen sei. Sie riefen einander nicht mehr an, sondern schienen dieselbe Meldung von Station zu Station weiterzugeben.

Rojestwenski sagte zu Ignatius:' „Wir sind entdeckt.“

Sie waren alle da. Kamimuras sechs Kreuzer liefen wie Schatten hinter der Ersten Division, die Togos Flaggschiff „Mikasa“ führte.

Sie kamen zu früh. Noch freilich war die Entfernung auch für die größten Geschütze zu weit. Togo dampfte mit 15 Knoten westwärts, so daß die Annäherung auf konvergierenden Kursen sich nur langsam vollzog. Auch er brauchte Zeit, um Einblick in die russische Formation zu gewinnen. Hierbei hat er allem Anschein nach zuerst die Angaben des „Izumi“ bestätigt gefunden. Er war der Meinung, der Feind halte immer noch die Marschordnung des Morgens inne. Von ihm aus gesehen, mußte dieser Eindruck entstehen. Zwischen den beiden Kiellinien sah er nebelhaft aus dem Horizont die dritte der Beischiffe wachsen. Die linke Kolonne wurde also von „Nikolai I.“ geführt und war die schwächste. Gegen sie hatte er bereits eine Stunde früher anrennen wollen. Nur seine eigene Geschwindigkeit und die überschätzte der Russen hatte es verhindert.

Nun schob er von Osten an, befahl seinen drei Kreuzerdivisionen, den russischen Troß anzugreifen, und ging auf „Passierkurs“, das heißt parallelen Gegenkurs, um auf diese Weise besseren Einblick in die ganze Formation des Gegners zu gewinnen.

Während dieser Minuten muß er gesehen haben, daß nicht „Nikolai I.“, sondern „Ossl-jabja“ die linke Kolonne führte und steuerbord voraus von ihrer Division die vier stärksten russischen Linienschiffe zu einer Kiellinie aufdampften. Weiter bemerkte er, daß die angebliche dritte Kolonne ein gesondertes Geschwader bildete, das unter Deckung der russischen Kreuzer ostwärts das Sichtfeld verließ. Das war etwas völlig Neues. Seine Lage war dadurch gegenüber der, die er erwartet hatte, wesentlich ungünstiger. Jeden Augenblick konnte er in das Feuer der stärksten russischen Artillerie geraten. Sofort drehte er hart nach Norden ab, entfernte sich mit höchster Fahrt von den Russen und setzte zu der berühmten a-Schleife an, die eine ungeheure Gefahr für ihn werden konnte, — wenn die Russen bei seiner Schwenkung bereits die einreihige Kiellinie formiert hatten.

Er wagt es.

Er gab den Befehl: Schwenkung nach Backbord.

Am Großtopp seines Flaggschiffes steigt das

Signal auf: „Sieg oder Untergang unseres

Reiches hängt von dieser Schlacht ab. Möge jeder seine ganze Kraft, einsetzen.“

2.05 Uhr. Rojestwenski steht im Kommandoturm des „Ssuworow“, dem kreisrunden, stählernen Raum mit seinen blanken Rohren, elektrischen Tastern und Knöpfen, Telephonapparaten, Glocken und porzellanweißen Signalplatten. Der Rhythmus der Maschine schütten bis herauf in seine Stille. Jeder der Männer kann den Atem des anderen hören.

Die Kiellinie ist noch nicht formiert. Noch liegen „Borodino“ und das Schlußschiff der Ersten Division, „Orel“, querab vom Spitzenschiff der Zweiten, „Ossljabja“, und „Ssissoi Weliki“. Sie brauchen noch 18 Minuten, dann ist es so weit, noch 17 Minuten, noch 16. Das Schweigen ist steinern. Die Uhr tickt lauter als das Herz der Maschine.

Da dreht die „Mikasa“ über Süden nach Osten. Die Entfernung wird gemeldet: 7000 Meter. Nun 6800 Meter. Die Offiziere blicken auf den Admiral. Er bewegt sich nicht. Jetzt liegt die „Mikasa“ auf dem neuen Kurs. „Shiki-shima“ folgt ihr. Die russischen Kanoniere zittern.

Es ist 2.08 Uhr. Entfernung 6700 Meter. Rojestwenski gibt den Befehl: „Das Feuer eröffnen.“

Wenige Sekunden später brüllt die ganze Flotte los.

Die Schlacht hatte begonnen, und die Offiziere auf dem russischen Flaggschiff starrten angespannt durch die Ferngläser auf die langsam überholende Kiellinie der japanischen Panzer. Die Backbordgeschütze des „Ssuworow“ feuerten und feuerten, aber es war den Kanonieren unmöglich, irgendeine Wirkung ihres Bombardements festzustellen, obwohl wir heute wissen, wie wirkungsvoll dieses Feuer gewesen ist. Der Unterschied zwischen den russischen und den japanischen Geschoßen lag darin, daß jene erst nach dem Durchschlagen der Bordwand detonierten und beim Krepieren fast keinen Rauch erzeugten. Es hätten schon Mäste oder Schornsteine einstürzen müssen, um bei der immer noch dunstigen Sicht Treffer genau feststellen zu können.

So gewann bei den Russen sehr bald die Ueberzeugung überhand, daß sie miserabel Schossen und die japanischen Schiffe unbeschädigt wie bei ' einer Parade ihren Weg machten. Sie wußten es nicht, daß es auch auf Togos Schiffen splitterte und brach. Sie wußten nicht, daß auch für die Japaner dieser Kampf eine Schlacht war, bei der sie alle Kraft aufbieten mußten, um dem Befehl des Flaggschiffsignals zu folgen. Freilich war es japanische Art, bis zum Tode an den Sieg zu glauben, da ja nur dieser das Leben des Vaterlandes sicherte und ohne ihn erlöschen mußte. Die Russen hingegen merkten, daß sie nie an einen Sieg geglaubt hatten und daß ihr fernes Vaterland eines Sieges nicht bedurfte. Würde es sie sonst mit diesen schlechten Schiffen und Kanonen gegen einen Feind geschickt haben, der so grauenvoll gut schoß? Und wie schnell er fuhr! Jedem wurde es klar, daß er es in der Hand hatte, vermöge seiner Schnelligkeit das für ihn günstigste Angriffsfeld zu wählen.

Mit einer Geschwindigkeit, die um die Hälfte größer war als die der Russen, bewegten sich die japanischen Schiffe parallel zu ihnen in einer flachen Kurve, die 30 Minuten nach Be ginn der Schlacht ihnen Möglichkeit gab, auf die russische Spitze zu drücken und dem Feinde das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. Die überlegene Geschwindigkeit, die Brandwirkung ihrer Geschoße, und endlich die Unmöglichkeit, die Wirkung des eigenen Feuers zu beobachten, steigerte russischerseits die Demoralisation auf einen Punkt hin, der sie nichts mehr hoffen und ihnen nur noch die Entschlossenheit übrig ließ, ihr Leben „so teuer wie möglich zu verkaufen“. Wieder tritt die fast übermenschliche Zähigkeit dieses Volkes ans Licht und wächst empor zu einem grandiosen Todeskampf. Die Japaner erleben wie vor Port Arthur, wie bei Liao Yang, so auch hier das eigentliche Wunder dieses Gegners, der, rasch zu Boden geschlagen, nun erst seine Kräfte offenbart.

Seine Besiegung dauerte eine Stunde, sein Sterben einunddreißig.

Der Roman dieser Schlacht begann mit dem Bau der Schiffe, bei dem Pappe für Stahl verkauft wurde. Er endet nicht mit der Stunde, in der es Togo klar wurde, daß der errungene Sieg ihm nicht mehr entrissen werden konnte. Vielmehr nimmt alles nun seinen Verlauf, der der Phantastik der Reise des Geschwaders entspricht. So stellt diese Schlacht in allem ein nie dagewesenes Geschehen dar. Gleiches wird sich in der Weltgeschichte nicht mehr ereignen.

Einunddreißig Stunden später war die russische Flotte vernichtet, nur einem Schiff gelang der Durchbruch nach Wladiwostock. Ueber 4000 Russen fanden den Tod.

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