6832025-1974_44_10.jpg
Digital In Arbeit

Ein Kaiserreich gegen die „Barbaren“

19451960198020002020

In diesen Monaten, da der geheime Kampf um Flottenstützpunkte in allen Weltmeeren und das rapide Anwachsen der Marine Rußlands die USĄ aufregen, ist die Erinnerung an jene bedeutendste Seeschlacht der ersten Jahrhunderthälfte besonders interessant, die vor genau 30 Jahren im Pazifik geschlagen wurde. In Europa hatte man damals —- wie auch heute — andere Sorgen und übersah,’daß das Ringen in der Surigao-Straße und vor der Insel Samar die Schlachten von Tsushima und am Skagerrak ebenso wie alle anderen Seegefechte beider Weltkriege übertraf. Zwischen dem 23. und dem 26. Oktober 1944 wurde die Vorherrschaft im Stillen Ozean endgültig den Amerikanern zuteil, die ihre Ansprüche daraufhin im Atlantik, im Indischen Ozean und im Mittelmeer entsprechend steigerten. So kann die große Schlacht um den Golf von Leyte, wie sie offiziell genannt wird, an den Beginn einer maritimen Vorgangsweise gesetzt werden, wie sie bis heute von der US-Admiralität betrieben wird. Leyte stellt aber auch den Abschluß eines Kapitels der Seegeschichte dar, weil dort die Schlachtschiffe zum letztenmal die Hauptlast des Ringens trugen — und unter ihr zusammenbrachen. i

19451960198020002020

In diesen Monaten, da der geheime Kampf um Flottenstützpunkte in allen Weltmeeren und das rapide Anwachsen der Marine Rußlands die USĄ aufregen, ist die Erinnerung an jene bedeutendste Seeschlacht der ersten Jahrhunderthälfte besonders interessant, die vor genau 30 Jahren im Pazifik geschlagen wurde. In Europa hatte man damals —- wie auch heute — andere Sorgen und übersah,’daß das Ringen in der Surigao-Straße und vor der Insel Samar die Schlachten von Tsushima und am Skagerrak ebenso wie alle anderen Seegefechte beider Weltkriege übertraf. Zwischen dem 23. und dem 26. Oktober 1944 wurde die Vorherrschaft im Stillen Ozean endgültig den Amerikanern zuteil, die ihre Ansprüche daraufhin im Atlantik, im Indischen Ozean und im Mittelmeer entsprechend steigerten. So kann die große Schlacht um den Golf von Leyte, wie sie offiziell genannt wird, an den Beginn einer maritimen Vorgangsweise gesetzt werden, wie sie bis heute von der US-Admiralität betrieben wird. Leyte stellt aber auch den Abschluß eines Kapitels der Seegeschichte dar, weil dort die Schlachtschiffe zum letztenmal die Hauptlast des Ringens trugen — und unter ihr zusammenbrachen. i

Werbung
Werbung
Werbung

Von Guadalcanal und Townsville in Australien her hatten die Alliierten 1942 den Rückmarsch nach den Philippinen begonnen und eine Reihe größerer Seegefechte bestanden. Der Zusammenprall mit der Hauptmacht der Japaner, also mit der damals drittgrößten Flotte der Welt, stand noch bevor. Schon im Juni 1944 waren die Amerikaner unter Admiral Spruance vor den Marianeninseln erschienen und hatten einen entscheidenden Waffengang angeboten. Aber die Japaner überließen den Abwehrkampf ihren Trägerflugzeugen und hielten die kostbaren Überwassereinheiten im Hintergrund. In einer bis dahin nicht gekannten Auseinandersetzung verlor die Luftwaffe des Tenno 402 Maschinen, worauf die japanische Flotte eilends abzog. Das letzte Stück des Weges nach den Philippinen schien offen zu sein. Aber die Amerikaner mußten zunächst unter großen Verlusten die Inselfestungen Saipan und Guam einnehmen. Dann stieß Admiral Hal- sey mit seinen Trägern bis Formosa vor, verlor allerdings bei Gegenattacken vor der Küste einige Schiffe. Die japanische Luftwaffe verkrüppelte ihrerseits auf bescheidene Reste des seinerzeitigen Bestandes.

Am 6. Oktober 1944 ließ das sowjetische Außenministerium den japanischen Gesandten in Moskau unter der Hand wissen, daß zwei amerikanische Luftflotten die Isolierung der Philippinen übernommen hätten. Dies schien auf eine unmittelbar bevorstehende Invasion hinzudeuten. Tatsächlich wandte sich Halsey gegen diesen Archipel und am Morgen des 20. Oktober erschien eine Armada von 700 US-Schiffen im Golf vor der zentralphilippinischen Insel Leyte. Nach 24 Stunden waren mehrere Regimenter unter General Douglas MacArthur mit schwerer Ausrüstung an Land gegangen. Weitere Einheiten sollten folgen und den Vormarsch aufnehmen, zumal der Widerstand vorerst abnahm und sich die Verluste der Amerikaner in Grenzen hielten. Niemand im Leyte-Golf wußte damals, daß der Befehlshaber aller japanischen Seestreitkräfte, Admiral Foyoda, in seinem tausend Meilen weiter nördlich gelegenen Hauptquartier in der Marineschule bei Tokio den Entschluß zum entscheidenden Waffengang gefaßt hatte. Der sogenannte Sho-I-Plan war soeben angelaufen. Er besagte, daß, wenn der Feind des Kaisers die Zitadelle des japanischen Imperiums, also die Philippinen, Formosa, die Ryukyuinseln oder das japanische Kernland erreichen sollte, die gesamte Seemacht der Aufgehenden Sonne konzentriert dem Eindringling entgegen zu werfen sei. Auf allen japanischen Flottenbasen gab es daher seit Tagen Alarm.

Das Gros der Uberseeflotte, das sich vor alliierten Luftangriffen in die Gegend von Singapore zurückgezogen hatte, lief unverzüglich zum Stützpunkt Brunei auf Borneo aus und nahm dort so schnell wie möglich Treibstoff und Munition an Bord. Dann teilte sich diese Streit-

macht. Eine Gruppe unter Vizeadmiral Kurita mit fünf Schlachtschiffen, zwölf Kreuzern und 15 Zerstörern näherte sich dem nördlichen Teil der Philippinen, eine zweite Gruppe unter Vizeadmiral Nishimura dampfte mit zwei Schlachtschiffen, einem Kreuzer und vier Zerstörern dem südlichen Teil der Philippinen zu. Um diese schwächere Abteilung zu stär ken, eilte Vizeadmiral Shima rrfit drei Kreuzern und vier Zerstörern von Japan nach Süden, kreuzte also den Weg Kuritas und setzte sich knapp nach Nishimura westlich des Archipels auf Gefechtskurs. War damit bereits die japanische Hei- matflotte engagiert, so fiel ihr nordöstlich der Philippinen, in der Weite des Pazifischen Ozeans, eine zusätzliche Aufgabe zu. Vizeadmiral Ozawa hißte seine Flagge auf dem Flugzeugträger Zuikaku und sammelte in japanischen Gewässern alles, was an Trägern, Kreuzern und Zerstörern noch gefechtsfähig war, in einem Verband. Damit näherte er sich den Philippinen von der anderen Seite, um die amerikanische Flotte auf sich zu locken und damit den von Westen herankommenden drei Kameraden die dringend benötigte Entlastung zu verschaffen.

Denn leicht war ihre Aufgabe von Anfang an keineswegs. Die einzelnen Teile der japanischen Seestreitmacht konnten sich erst im Angesicht eines gewaltigen Gegners auf-

einander abstimmen und hiebei ihren infolge der vorangegangenen Einbußen sehr mangelhaften Luftschirm benützen. Dies erforderte überaus vorsichtiges Manövrieren, Nachtmärsche und Koordination mit den japanischen Landflugzeugen auf den Philippinen, die ihrerseits wieder gegen die Landung MacArthurs auf Leyte im Einsatz standen. Unter den Vizeadmiralen gab es auch persönliche Schwierigkeiten, die jetzt mühsam überbrückt werden mußten. Toyoda war mit seinem Hauptquartier viel zu weit weg, um hiebei lindernd eingreifen zu können oder um einem Rat zu geben.

Trotzdem, die Stimmung der Tausende, die jetzt als Matrosen, Offiziere oder Piloten des Kaisers gegen die amerikanischen „Barbaren“ fuhren, schien nicht durchgehend schlecht zu sein. Viele glaubten noch immer an die Unbesiegbarkeit der japanischen Flotte, wenn endlich zum großen Schlag ausgeholt werde und erinnerten sich, daß Radio Nippon am 15. Oktober aller Welt feierlich verkündet hatte, die Seemacht der Aufgehenden Sonne werde nunmehr mit ganzer Gewalt in Aktion treten. Es war auch höchste Zeit, denn die Amerikaner hatten noch vor der Landung im Leyte-Golf die Palau-

inseln draußen im Osten angegriffen und teilweise erobert. Der heftige Widerstand der dortigen Garnisonen war im Blut erstickt und damit der alliierte Nachschubweg zu den Philippinen gesichert worden. Admiral Halsey hatte zwar vor Formosa etwas Haare gelassen, aber die japanische Propaganda fiel sich selbst zum Opfer, wenn sie von einem Seesieg sprach, der den nunmehrigen Operationen eine solide Voraussetzung geben würde. Und doch erlagen auch hohe japanische Marineure diesem Wunschdenken.

Lassen wir bei dieser Gelegenheit die einzelnen Schiffsverbände auf ihren Marschrouten und die Amerikaner bei der Ausweitung ihres Brückenkopfes auf Leyte, und sehen wir uns die militärgeographische Situation des Archipels der Philippinen an. Diese große Inselgruppe liegt im Zentrum eines Kreises, an dessen Peripherie Indonesien. Malaya, Indochina, Formosa und der südliche Teil Chinas sowie etwas weiter im Norden das japanische Mutterland liegen, Also eine

Schlüsselposition nach allen Seiten hin, die bis heute von ihrer Wirksamkeit nichts verloren hat. Daher waren die Philippinen bei Kriegsbeginn eines der Hauptangriffsziele der Japaner gewesen, die ihre an Wechselfällen reiche Eroberung gebührend feierten. Der Archipel beginnt im Norden mit Cap Engano an der sogenannten Philippinischen See, durch die Halsey nach jenen Seegefechten, die wir eingangs beschrieben haben, bis Formosa vorstoßen konnte. Cap Engano liegt auf der großen Insel Luzon, die auch die Hauptstadt Manila trägt. Südlich des Golfes von Manila befinden sich kleinere Inseln entlang der schicksalsschweren St.-Bernar- dino-Straße, welche die Durchfahrt zum Leyte-Golf gestattet. Noch mehr gegen Süden, nach etlichen weiteren Inselgruppen, gibt es einen zweiten Weg nach Leyte, und zwar die Surigao-Straße, die von der letzten großen Insel der Philippinen, namens Mindanao, begrenzt wird. Auf beiden Strecken kann man daher, von Westen kommend, also entweder aus dem Südchinesischen Meer oder aus der Sulusee, nach Leyte Vordringen und dort etwaige Gegner in die Zange nehmen.

Der japanische Operationsplan

Der amerikanischen Invasion auf

Leyte vom Wasser aus ein neues Cannae zu bereiten, war auch die Absicht der Japaner. Am Schluß sollten hunderte US-Großtranspor- ter dem Feuer der japanischen Marine preisgegeben sein, während die gelandeten Infanterie- und Panzerverbände durch Gegenangriffe aus dem Inneren Leytes und von den Nachbarinseln her vernichtet würden. Als Voraussetzung hiefür galten allerdings die Abwesenheit des Gros der US-Pazifikflotte und die Ausschaltung der trägergebundenen US-Flieger. Am 17. Oktober 1944 übernahm Vizeadmiral Ohnishi die 1. japanische Luftflotte auf den Philippinen und sah zu seinem Entsetzen, daß er nur noch etwas über 100 einsatzfähige Maschinen hatte. Er mußte mit 20 bis 30 US-Flug- zeugträgern vbr den Küsten rechnen, wogegen die seit etwa drei Tagen laufenden Kamikazeeinsätze bisher nur wenig Erfolg aufwiesen. Dessen ungeachtet erklärte Ohnishi seinen Staffelführern, daß das Schicksal des Kaiserreiches von der kombinierten See-Luft-Operation *

dieser Tage abhänge. Aufgabe aller sei es, dem herannahenden Admiral Kurita und seinen Schiffen von Land her genügend Deckung zu geben. Daher mußten die amerikanischen Flugzeugträger ausfindig gemacht und für mindestens eine Woche durch Bombenbeschädigungen ausgeschaltet werden. Denn Kurita sollte den Hauptschlag führen.

Mittlerweile ging das Ausladen der Amerikaner in der Leytebueht unter dem unmittelbaren Schutz des Admirals Kinkaid und seiner 7. Flotte weiter. Halsey kreuzte mit der 3. US-Flotte — dem stärksten Verband, der sich zur Zeit überhaupt auf See befand — etwas abseits, um nach jener japanischen Armada Ausschau zu halten, die irgendwann von irgendwoher am Horizont erscheinen mußte. Kin- kaids Geschwader war viel schwächer als Halseys Macht. Im Leyte- Golf lagen nur sechs alte US- Schlachtschiffe, acht Kreuzer und eine Menge Zerstörer, Fregatten und Torpedoboote. Allerdings, 16 Begleitträger, also kleinere Flugzeugbasen, die aus Handelsschiffen adaptiert worden waren, befanden sich auch dabei. Am Morgen des 24. Oktober ließ Halsey auf seinen Trägern sämtliche Aufklärer starten, weil drei amerikanische

U-Boote tags zuvor Kuritas Flotte ausgemacht und ungeniert angegriffen hatten. Nach einer Torpedoattacke war das Flaggschiff „Atage“, ein schwerer Kreuzer, gesunken und der bestürzte Kurita mußte in letzter Minute auf einen Zerstörer und dann auf das Schlachtschiff „Yamato“ umsteigen. Als weiteres böses Vorzeichen fielen auch die Kreuzer „Maya“ und „Takao ‘ aus, die „Maya“ sank sogar innerhalb weniger Minuten. Doch in der Nacht schob sich Kurita näher an die St.- Bernardino-Straße heran und wurde dort von einigen US-Aufklärungsflugzeugen entdeckt. Eine Stunde später erkannten andere US-Aufklärer auch den südlichen Arm der japanischen Zange, den Verband Nishimuras, der in die Su- rigao-Straße einlaufen wollte. Dort griffen die amerikanischen Flieger sofort an und beschädigten das Schlachtschiff „Fuso“ sowie den Zerstörer „Shigure“. Aber Nishimura lief mit unverminderter Geschwindigkeit weiter nach Osten, der Surigao-Straße zu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung