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Sdiicksalspunkt Narvik

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Im Jahre 1929 erschien ein vielbeachtetes Buch aus der Feder des deutschen Vizeadmirals Wolfgang W e g e n e r unter dem Titel: „Die Seestrategie des Weltkrieges.“ Der Verfasser hatte schon 1915 in einer geheimen Denkschrift jene Ideen entwickelt, die er nunmehr öffentlich unter dem Eindruck der deutschen Niederlage im Jahre 1918 darlegte: Eine Besetzung von Norwegen und Dänemark ' hätte der deutschen Seekriegsführung im Kampf gegen Englands Blockadering jene Basis gegeben, von der aus die Ungunst der geographischen Lage für die Flotte Wilhelms II. zu korrigieren war. Dieses heute fast vergessene Buch galt in den Jahren des Wiederaufbaues der deutschen Kriegsmarine unter Großadmiral Raeder den jüngeren Offizieren als Kanon, obwohl Raeder selbst zu dieser Zeit die Gedankengänge Wegeners ablehnte. Es ist eine Groteske der Geschichte des zweiten Weltkrieges, daß der Sohn des einstigen kaiserlichen Vizeadmirals, Korvettenkapitän E d w a e d Wegener, im Dezember 1939 in einer privaten, als hekto-graphierte Denkschrift verbreiteten Aussendung, die Gedankengänge seines Vaters wieder aufnahm und sie im deutschen Marineoffizierskorps verbreitete. In dem Memorandum standen, den Gedankengängen seines Vaters folgend, die schicksalsschweren Sätze: „Von Norwegen aus vervielfachen wir den Effekt aller Kategorien unserer Streitkräfte. Von hier aus reicht unser Kraftfeld bis in die Gewässer um Irland ...“

Somit steht am Anfang der Planung der wohl entscheidendsten Operation auf der Kriegskarte des zweiten Weltkrieges, dem Norwegenfeldzug, auf deutscher Seite ein halbvergessenes strategisches Buch eines Marineoffiziers, dessen Gedankengänge noch dazu vom Chef der Marine abgelehnt wurden. Im Oktober 1939 scheint freilich Großadmiral Raeder unter dem Druck der strategischen Lage seine Einstellung geändert zu haben, denn zumindest von dieser Zeit an lassen sich in den Tagebüchern der Seekriegsleitung tastende Versuche nach Gewinnung von Stützpunkten im Norden und Ueber-le'gungen über eine eventuelle Störung des britischen Geleitzugsverkehrs vom Norden aus ablesen. Mit besonderer Sorge betrachtete Raeder die zunehmende Aktivität der britischen Admiralität, deren Erster Seelord, Churchill, ohne zu ahnen, welche Ueberlegungen von deutscher Seite angestellt wurden, immer heftigeren Druck der Alliierten-Seestreitkräfte gegen die norwegische Küste zu lenken bestrebt war. Es gehört heute zu einer auch durch den Nürnberger Prozeß bewiesenen Tatsache, daß nach einem Wort Winston Churchills die beiden Admiral-stäbe in London und Berlin in ihren Planungen mit außerordentlicher Präzision in der gleichen Linie auf denskandina-vischen Raum abzielten und einander nur um Stunden überrunden konnten. Daß das aufregende Bild dieses Feldzuges bereits mit den Mitteln der exakten Geschichtsforschung geklärt werden konnte, verdankt man den zahlreichen Aktenveröffentlichungen, aber auch dem unermüdlichen Fleiß eines deutschen Gelehrten, der alle erreichbaren wesentlichen Quellen zusammenfaßte (Prof. Dr. Walter Hubatsch : „Die deutsche Besetzung von Norwegen 1940“, Wissenschaftlicher Verlag Musterschmidt, Göttingen, 512 S.)

Hitler war das Problem Norwegen schon bei einer Unterredung mit Dönitz am 10. Oktober 1939 klar geworden, zumal man als äußersten Stützpunkt im Norden in der sogenannten „Basis Nord“ ab November 1939 über eine von der Sowjetregierung zur Verfügung gestellten U-Boot-Basis verfügen konnte. Der Winterkrieg in Finnland und die laufenden Interventionsabsichten der Westmächte, die in der Oeffentlichkeit schonungslos diskutiert wurden, veranlaßten die deutsche Politik, dem skandinavischen Raum besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, obgleich man, wie aus den Aufzeichnungen des deutschen Gesandten in Finnland, Wipert von Blücher, hervorgeht, sich mit Rücksicht auf die Freundschaftsabkomfnen gerne aus dem finnisch-russischen Konflikt heraushalten wollte. Der letzte Anstoß zu konkreten deutschen Planungen kam merkwürdigerweise vom „Auswärtigen Amt“ Rosenbergs, jener Parteistelle, die, entmachtet durch Ribbentrop, durch Jahre erfolglos um Einfluß und Gunst bei Hitler kämpfte. Aber im Falle Norwegen war dem von Ribbentrop überwundenen Außenministerkandidaten Rosenberg ein Fang geglückt: Am 11. Dezember brachte Rosenberg den ehemaligen norwegischen Kriegsminister Staatsrat Vidkun Quisling nach Berlin, der bei einer Unterredung mit Raeder auf die Gefahr einer bevorstehenden Landung der Engländer in Norwegen hinwies. Quislings Ausführungen tiafen bei Raeder nur, was das Strategische anlangt, auf Verständnis. Der politischen Fairneß Raeders widerstrebte der Plan, mit Unterstützung einer politischen Gruppe in Norwegen einzumarschieren. Die wachsende Furcht vor einer kalten Besetzung durch englische Finnlandfreiwillige, die sich bei der bevorstehenden Westoffensive zu einer gefährlichen Flankenbedrohung'auswachsen konnte, rief eine merkwürdige Uneinigkeit in Berlin hervor. Die Kommandostellen des Heeres waren von der Notwendigkeit der Norwegenaktion nicht überzeugt, während Marine und Luftwaffe positiver eingestellt waren. In dieser schwankenden Situation wurden unter größtem Aufsehen der Weltöffentlichkeit das deutsche Hilfsschiff „Altmark“ mit englischen Gefangenen an Bord am 16. Februar 1940 innerhalb der norwegischen Hoheits-gewässer unter“ offener Verletzung der Neutralität von britischen Seestreitkräften eingekreist und die Gefangenen befreit. Dazu häuften sich die Anzeichen dafür, daß Frankreich und England den finnischen Krieg durch die Landung eines Hilfskorps zu einem Eingreifen im Norden benützen würden. Um den 3. und 4. März verhandelten der finnische Ministerpräsident Ryti mit englischen und französischen Offizieren über die Frage der Zuführung eines Hilfskorps via Narvik. Der finnische Staatsmann ließ sich damals nur von den Interessen seines Landes leiten, wie der deutsche Gesandte Blücher richtig feststellt, ohne zu ahnen, daß gleichsam das Schicksal der Welt augenblickelang in seiner Hand lag; wäre nämlich der mit besonderer Vehemenz auch von Daladier betriebene Plan der Finnlandhilfe verwirklicht worden, so wäre der Zusammenstoß der Großmächte im äußersten Norden Europas unvermeidlich gewesen — ungeahnte Aspekte, welchen Verlauf der zweite Weltkrieg von da an genommen hätte!

Die Abreise der finnischen Friedensdelegation am 6. März 1940 nach Moskau und die gleichzeitig forcierten Vorbereitungen der deutschen Unternehmungen „Weserübung“ liefen parallel mit den Beschlüssen über Skandinavien der Geheimsitzung des Alliierten-Kriegsrates von 29. März. Der deutsche Schlag wurde übrigens bereits durch die sorglosen Aeußerungen hoher deutscher Marineoffiziere am 2. April 1940 dem schwedischen Geheimdienst bekannt, ohne daß die Warnungen, die auch von seiten der deutschen Widerstandsbewegung durch General O s t e r er-fol gten, ernst genommen worden wären. Ein Alarmzeichen dieses ersten kombinierten deutschen Angriffes gegen einen westlichen Staat war die Einladung an die ausländischen Waffenattaches in Berlin zu einem Besuch des Westwalls vom 7. bis 9. April. Gleichzeitig wurde durch die Vorführung des deutschen Luftwaffendokumentarfilms über den Polenfeldzug vor den diplomatischen Vertretern die Propagandaoffensive begonnen.

Die schlagartige Besetzung Dänemarks am S. April 1940 verlief für die deutsche Diplomatie erfolgreich, während in Norwegen die schwersten Pannen passierten. Der deutsche Gesandte in Oslo, Dr. Curt Bräuer, ein Mann der alten Schule der Wilhelmstraße, stand im entscheidenden Moment zwischen den Fronten und war bei seinen Handlungen weitestgehend durch verschiedene „Sonderbeauftragte“ des neuen Stils der Ribbentrop-schen Außenpolitik lahmgelegt. Mit Sorge hatte auch er, der die Anstrengungen der norwegischen B.egierung um eine Verstärkung der Neutralität immer wieder nach Berlin meldete, den zunehmenden Druck der westlichen Diplomatie verfolgt. Als am 8. April um 6.10 Uhr beim norwegischen Admiralstab Meldungen über die Legung von Minensperren durch britische Fahrzeuge innerhalb der norwegischen Hoheitsgewässer einliefen und darüber Noten beim Außenministerium einliefen, dauerte es nur noch wenige Stunden, bis der norwegische Admiralstab das Herannahen einer deutschen Eskader mit Schlachtschiffen der Gneisenau-Klasse an der Spitze erfuhr. In Oslo war bereits Kanonendonner zu hören — aber erst um 23 Uhr eröffnete der als Verbindungsoffizier der Besetzungsstreit-kiäfte zugeteilte Oberstleutnant im Generalstab, P o h 1 m a n n, dem deutschen Gesandten nach Oeffnung eines geheimen versiegelten Aktenpaketes die Rolle, die er bei der Gesamtplanung als Diplomat zu spielen hatte. Der Gesandte hat dabei mit allen Mitteln versucht, die norwegische Regierung zu einer Waffenniederlegung zu bewegen. Daß die deutschen Besetzungsstreitkräfte schon bei Beginn Quisling die Regierungsgewalt in die Hände spielen wollten, war ihm übrigens unbekannt. Unter dem Hinweis darauf, daß eine Regierung Quisling undiskutabel sei, da dieser Mann ein Landesverräter sei und den Bürgerkrieg heraufbeschwöre, hat der hochangesehene Bischof Berggrav im letzten | Augenblick versucht, den deutschen Diplo-■maten zu einer Wendung der geplanten * Politik zu bewegen. Wie Pohlmann berichtet, war aber längst ein Beauftragter Rosenbergs eingetroffen, der in kaltschnäuziger Art die Bedenken der Militärs und Diplomaten durch einen Befehl seines Chefs abtat und die schützende Hand über Quisling hielt. Weder der militärische Befehlshaber noch der Gesandte konnten die unheilvolle Wendung aufhalten. Und so sprachen, nachdem Norwegens König endgültig zum bewaffneten Widerstand aufgerufen hatte, die Waffen. Trotz der Warnung des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht beharrte Hitler über Einfluß Rosenbergs auf Einsetzung Quislings. Gauleiter Terboven zog als Reichskommissar ein und der bisherige Gesandte Bräuer rückte als einfacher Offizier an die Westfront ein ...

Der unbekannteste außenpolitische Faktor aber, Rußland, reagierte überraschend. Nachdem der (später nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete) Botschafter Graf von der Schulenburg am 9. April um 7 Uhr im Volkskommissariat für die auswärtigen Angelegenheiten die Abschriften der deutschen Memoranden an Dänemark und Norwegen übergeben und vor allem betont hatte, daß die deutsche Aktion eine Sicherungsmaßnahme gegen einen bevorstehenden englisch-französischen Vorstoß nach Skandinavien sei, erwartete man mit Spannung in Berlin die russische Antwort. Sie klang überraschend freundlich.

In seinen Aufzeichnungen vom 11. April 1940 schreibt der deutsche Botschafter unter anderem über seine Unterredung im Kreml: „Meines Erachtens gibt es für diesen Umschwung nur eine Erklärung: unsere skandinavische Aktion muß der Sowjetregierung eine ungeheure Erleichterung gebracht, ihr sozusagen einen Stein von der Brust gewälzt haben ... Die Sowjetregierung ist stets ganz außerordentlich gut unterrichtet. Wenn die Engländer und Franzosen beabsichtigt haben, Norwegen und Schweden zu besetzen, so kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die Sowjetregierung diese Pläne gekannt hat... Die Sowjetregierung hat die Engländer und Franzosen bereits an den Ufern der Ostsee erscheinen und die finnische Frage, wie Lord Halifax angekündigt hatte, wieder aufgerollt gesehen; endlich als größten aller Schrecken: die Gefahr, in einen Krieg mit zwei Großmächten hineingezogen zu werden. Diese Angst ist ihr offenbar durch uns genommen worden... Der heutige lange und auffallende Artikel in den Jswestija' über unsere skandinavische Aktion... klingt wie ein einziger Schrei der Erleichterung.“ /

In dem Untersuchungsausschuß vor den norwegischen Gerichtshöfen hat der deutsche Befehlshaber in Norwegen, Generaloberst von Falkenhorst, in begreiflicher Verbitterung von der Unsinnigkeit des Norwegenunternehmens gesprochen. Auch Jodl hat später trotz seiner Begeisterung für dieses erste amphibische Landungsunternehmen der deutschen Wehrmacht die Besetzung eher als dauernden Ballast erklärt. Politisch aber zeigte die ganze Aktion die Nervosität Hitlers und die unheilvollen Einflüsse parteipolitischer Kräfte auf die Außenpolitik.

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