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Vom Hoßbadi-Protokoll zum „Unternehmen Otto“

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Am 5. November 1937 befahl Hitler überraschend die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile, Göring, Fritsch, Raeder, sowie den Reichskriegsminister Generalfeldmarschall Blomberg in die Reichskanzlei. Außer diesen, ihrem Rang oder ihrer Amtsstellung nach dem Reichskabinett angehörigen Soldaten waren auch der Reichsaußenminister v o n N e u-rath und der Adjutant der Wehrmacht beim Reichskanzler, Oberst H o ß b a c h, anwesend. Diesem seiner Zusammensetzung nach ungewöhnlichen Gremium, das eigentlich eine Art militärisch-politisches Rumpfkabinett darstellte, eröffnete Hitler in einer umfassenden Darstellung der Lage seine Auffassung zur zukünftigen militär-politischen Entwicklung in Europa; er stellte diese Ausführungen als Ergebnis eingehender Überlegungen, aber auch als eine Art „Vermächtnis“ an das deutsche Volk dar. Einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß die einzige Niederschrift dieser folgenschweren Besprechung unter dem Namen „Hoßbach-Protokoll“ auch in die Nürnberger Gerichtsakten eingegan-' gen ist und mit Recht von allen Historikern als der Grandplan Hitlers künftiger Politik bezeichnet wird. Vergessen darf nicht werden, daß die Ausführungen Hitlers in zwei wesentlichen Erkenntnissen gipfelten: seiner Auffassung nach gab es für die Zukunft nur eine Lösung der deutschen Frage: den Weg der Gewalt. Dazu mußten vor allem die Tschechoslowakei und Österreich ausgeschaltet werden, wobei Österreichs Bedeutung vornehmlich unter dem wirtschaftlichen und wehrpolitischen Gesichtspunkt betrachtet wurde. Erst nach der Lösung dieser beiden Fragen wäre nach der Auffassung Hitlers der nächste Schritt zum Kampf um den deutschen Lebensraum zu beschreiten. Frankreich und England billigte er in seinen stundenlangen Ausführungen keine besondere Widerstandskraft zu.

Eine Krise zeichnet sich ab Die Folgen dieser Besprechung waren tiefergreifend, als vielleicht Hitler selbst vermutet hatte. Zum ersten und einzigen Male opponierten ihm Mitglieder seines Kabinetts. Blomberg wies auf die militärische Stärke der Tschechoslowakei hin, Fritsch betonte mit aller Entschiedenheit, daß eine Isolierung des europäischen Konflikts unwahrscheinlich sei, Neurath erlitt in der Folge mehrere Herzattacken und versuchte sowohl Fritsch als auch den Generalstabschef Beck zu direkter Einwirkung auf den Reichskanzler zu bewegen. In Gegenwart Hitlers kam es zu heftigen Zusammenstößen der einzelnen Opponenten, wobei sich deutlich die scharfe Feindseligkeit zwischen Fritsch und Göring, der 'offensichtlich Hitlers Pläne kannte, aber auch die unentschiedene Haltung Blombergs abzeichnete. Hitler brach die folgenschwere Unterredung ab, ohne eine persönliche Beurteilung abzugeben, ja er legte nicht einmal Wert darauf, ein Protokoll anlegen zu lassen.

Man hat lange darüber gerätselt, wieso Hitler unvermuteterweise im November 1937 vor den Spitzen der Wehrmacht und vor seinem Außenminister in einer so

mußten. Bezeichnend waT ein Vortrag über neue Predigtliteratur und Predigtvorbereitung des Priesters, ein Thema, dem die größte Stundenanzahl für die Debatte eingeräumt wurde. Den Abschluß des Schulungskurses bildete eine Prüfung, zu der das Kirchenamt eine dreigliedrige Kommission entsandt hatte. Die Kommission prüfte durch drei Tage hindurch. Die gestellten Fragen betrafen neben allgemeinpolitischen vor allem kirchenpolitische Probleme, die Meinung der „Kandidaten“ über die Politik des Vatikans, über die Katholische Aktion, über die Haltung der Bischöfe, über die Aufhebung der Klöster usw.

' Zum Schluß stellte die Kommission an

brutalen und schonungslosen Art, die gar nichts init der im Dritten Reich sonst so geübten Geheimhältung zu tun hatte, die verwickelten Pläne der Außenpolitik bekanntgab. Viel mag dazu beigetragen haben, daß der Diktator seit dem September 1937, als bei den großen Wehrmachtsmanövern in Mecklenburg der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Fritsch, ihn in Gegenwart Mussolinis als militärischen Laien behandelte, entschlossen war, die Führung der von ihm aufgebauten Wehrmacht selbst zu übernehmen. Dabei standen ihm nicht nur Fritsch und bis zu einem gewissen Grade Blomberg im Wege, sondern dazu drängten ihn auch viele jüngere Offizierskreise, wie etwa die späteren Generäle J o d 1 und Reichenau, die in Blombergs Reichskriegsministerium längst “vom technisierten Geist Hitlers fasziniert waren. Sie erhofften nach dem Sturz von Fritsch die Bildung eines modernen „Ubergeneralstabs“, der dem dynamischen Wollen von Hitlers künftiger Außenpolitik die militärische Unterstützung geben könnte.

Aber nicht nur allein dieser im Hintergrund seit längerem schwelende Konflikt im Bereich der Wehrmacht selbst mag Hitler den Mut zum Anschneiden des. Österreich-Themas unter Gewaltanwendung gegeben haben — obgleich er wußte, daß der Generalstab und die Führung des Heeres opponierten —, sondern auch wichtige politische Mitteilungen, die gerade in jenen Novembertagen vor allem die Haltung der Westmächte zum Österreich-Problem beleuchteten.

Im Oktober weilte der Führer der Sudetendeutschen Partei, Konrad H e n-1 e i n, in London, um hier in den Kreisen , um das englische Außenamt Stimmung für die Sudetendeutschenfrage zu machen. Im Zusammenhang mit diesen inoffiziellen Besprechungen empfing auch Sir Robert Vansittart, der die Stellung eines Beraters in außenpolitischen Fragen im britischen Kabinett einnahm, den Führer der Sudetendeutschen und gab ihm im Zuge einer Erörterung der ganzen politischen Probleme in Mitteleuropa zu verstehen, „daß England auf die Dauer einen Zusammenschluß Deutschlands und Österreichs für unvermeidlich halte“ und es ihm als eine bessere Lösung erscheine, „wenn eines Tages Österreich von Deutschland militärisch besetzt wäre“. Wenn auch der deutsche Geschäftsträger Woermann über das Auswärtige Amt am 9. November 1937 diese Äußerung Vansittarts mit der Vermutung eines eventuellen provokatorischen Charakters an Neurath weitergab, so geht doch aus einer Randbemerkung Neuraths auf dem betreffenden Aktenstück hervor, daß Henlein bereits im Oktober diesen mehr als deutlichen Hinweis nach Berlin und vermutlich auf den Berghof gemeldet haben muß (Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 bis 1945, Serie D, Baden-Baden 1950, S. 26). Dieses jüngst veröffentlichte Beweismaterial bietet vielleicht den sichersten Schlüssel zu Hitlers unglaublicher Kühnheit, im November 1937 den Gordischen Knoten gewissermaßen zu durchschlagen. Er glaubte sich mit Recht des Desinteressements der Westmächte sicher. Bei der Besprechung in der Reichskanzlei sah er die Opposition: Neurath, den zögernden, alt-kon-

Jeden Geistlichen die Frage, Jn welchem

Bistum und in welcher Pfarre er als „umgeschulter“ Priester weiterhin zu wirken wünsche. Viele der Schulungsteilnehmer baten, man möge sie einen zivilen Beruf — sei es als Beamter, sei es als Bergwerksarbeiter oder Fabriksarbeiter — ergreifen lassen. Das Verlangen wurde ausnahmslos abgelehnt. Von den 45 Teilnehmern wurden 33 für die Übernahme von Pfarren ausersehen. 12 Ordenspriester, die „durchgefallen“ waren, mußten in ihre Inter-nierungslager zurückkehren, einige von ihnen hatten einen zweiten Lehrgang durchzumachen, der in B a & bei Preßburg — im früheren Konzentrationskloster für Ordensobere — abgehalten wird. Ein ähnlicher findet für Weltpriester statt. servativen Süddeutschen, Fritsch, den Vertreter des preußischen Generalstabs alter Schule, und Blomberg, den zaudernden Reichskriegsminister, der selbst um seine Stellung bangte und seltsam zerrissen zwischen der Verehrung für Hitler und seiner standesmäßigen Gebundenheit an das Offizierskorps schwankte.

In einem rasenden Ablauf der Ereignisse sollte nunmehr das Schicksal Österreichs in einer furchtbaren Verkettung mit der inneren Krise der deutschen Wehrmachtsführung verbunden werden. Im Dezember 1937 unterbreitete Blomberg Hitler anläßlich des Begräbnisses von Ludendorff in München den Wunsch nach der Zustimmung zu seiner Wiederverheiratung. Um dieselbe Zeit stand Fritsch, der trotz seiner Bedenken über Hitlers künftige Politik einen kurzen Erholungsurlaub nach Ägypten angetreten hatte, bereits unter Gestapobewachung. In den Kreisen um Heydrich wurde Material gegen Fritsch und Blomberg gesammelt und um die Jahreswende brach die Krise in aller Öffentlichkeit aus. Die Heirat Blombergs löste die scharfe Reaktion des Offizierskorps, namentlich von Fritsch aus. Neurath unternahm bei Hitler noch einmal einen Vorstoß, um ihn zu einer friedlichen Regelung seiner zukünftigen Außenpolitik zu bewegen. Im Hintergrund jedoch lauerten bereits nicht nur Heydrich, sondern auch Jodl und Reichenau auf die Gelegenheit, sowohl den Generalfeldmarschall, der in den Augen des Offizierskorps kompromittiert war, als auch Fritsch zu stürzen.

Die oft beschriebene Blomberg-Fritsch-Krise war nicht nur eine Krise der Armee, sondern auch der letzte Schritt Hitlers, selbst den Feldherrnstab in die Hand zu bekommen. In der allgemeinen Verwirrung gelang es dem Diktator, den völlig gebrochenen Feldmarschall Blomberg wieder aufzurichten und ihn gegen seine eigenen Standesgenossen auszuspielen. Blomberg ist es nämlich gewesen, der in seiner letzten Unterredung vor der Verabschiedung Hitler auf die Möglichkeit aufmerksam machte, selbst den direkten Oberbefehl über die Wehrmacht zu übernehmen. Fritsch fiel unter der Anklage der Homosexualität zunächst in den Bereich der kriegsgerichtlichen Untersuchung und am 4. Februar 1938 vollzog sich vor der Welt ein scheinbar tiefgreifendes Revirement der obersten deutschen Führung: an Stelle Neuraths trat Ribbentrop als Außenminister, Hitler übernahm den persönlichen Oberbefehl über die Wehrmacht und das bisherige Reichskriegsministerium trat als neugeschaffenes Oberkommando der Wehrmacht als sein persönliches Führungsinstrument in Erscheinung. Damit hatte aber auch die Richtung des Generalstabs um Jodl und Reichenau, die längst den ehrgeizigen Plänen Hitlers entgegenkam, gesiegt, denn unter Keitel, dem nunmehrigen nominellen Chef des neugeschaffenen Oberkommandos der Wehrmacht, wurde Oberst Jodl das ausführende Organ von Hitlers weitreichenden militärpolitischen Plänen, deren erstes Ziel Österreich war. Nun mußte ein außenpolitischer Erfolg die Aufmerksamkeit der Welt von der Krise ablenken, obgleich die Welt und auch die Wiener Regierung den wahren Hintergrund des 4. Februar 1938 nicht gesehen hatte. „Der Führer will die Scheinwerfer von der Wehrmacht ablenken, Europa in Atem halten und durch Neubesetzung verschiedener Stellen nicht den Eindruck eines Schwächemoments, sondern einer Kräftekonzentration erwecken. Schusch-nigg soll nicht Mut fassen, sondern zittern.“ So lautet eine Tagebucheintra-' gung Jodls vom 31. Jänner 1938 und bei der Unterredung in Berchtesgaden trat zum erstenmal die Wehrmacht und

der politisch entmachtete Generalstab durch Staffagefiguren in Erscheinung. Jodl notierte, daß das Abkommen von Berchtesgaden unter schwerstem politischem und militärischem Druck zustande kam.

Aber trotz dieses scheinbaren außenj politischen Ablenkungsmanövers war Hitler noch immer nicht von der quälenden Sorge um die künftige Haltung seiner Gennralität befreit. Noch war der Prozeß gegen den Generalobersten Fritsch vor dem Forum des Reichskriegsgerichtes anhängig, und es schien in eingeweihten Kreisen unzweifelhaft, daß dieser mit einem Freisprach enden müßte. Als Tag der Hauptverhandlung war der 10. März bestimmt. Aber die Verhandlung, bei der Göring den Vorsitz führte, wurde aus wichtigen, „das Reichsinteresse berührenden Gründen“ unterbrochen. Am Tag zuvor hatte die von Kanzler Schuschnigg verkündete Volksabstimmung Hitler veranlaßt, die Krise, welche die deutsche Wehrmacht und die Außenpolitik seit dem Hoßbach-Protokoll erschütterte, durch eine Gewaltaktion nach außen in der Richtung Österreich lahmzulegen und das Interesse der Weltöffentlichkeit abzulenken. Wenn auch der noch amtierende Chef des Generalstabs, Beck, widerwillig den Befehl zum Einmarsch in Österreich am 10. März 1938 um 18.30 Uhr gab und sich das konservative Offizierskorps darüber im klaren war, daß die Aktion gegen Österreich nur eine Ablenkung darstellte, so schwiegen dennoch Europa und die Großmächte zu dem Einmarsch und ermutigten Hitler, der sich selbst seit dem 4. Februar 1938 mit dem goldenen Eichenlaub der Generalität geschmückt hatte, zu diesem. Schritt.

Tatsächlich sind nachträgliche Mahnungen, wie sie etwa Winston Ch urc h i 11 an die österreichische Adresse über die Möglichkeit eines militärischen Widerstandes im Jahre 1938 richtete, absurd und der einsame Staatsmann am Ballhausplatz, Kurt von Schuschnigg, mußte, um der Verantwortung vor der Geschichte willen, verlassen von Europa, das allein Österreichs Bestand hätte garantieren können, seine Entscheidungen treffen. Wenige Tage, nachdem die „Aktion Otto“ gegen Österreich durchgeführt worden war, sprach zwar das Reichskriegsgericht den ehemaligen Generalobersten Fritsch, den stärksten Gegner Hitlers in der Wehrmacht des Dritten Reichs, frei, ohne daß eine Rehabilitierung in der Öffentlichkeit erfolgte. Der erste Teil der Pläne des Hoßbach-ProtokoUs war erfüllt.

Die Spitzen der zukünftigen Angriffsbewegungen wiesen nach Prag.

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