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Der entscheidende 22. Juni 1941

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Die Schwüle eines bleiern - heißen Sommertages lag am 20. Juni 1941 über Ostpreußen. In der idyllischen Landschaft um Rastenburg, verborgen in Birkenwäldern, war die Betonstadt des reuen Hauptquartiers „Wolfsschanze“ bezogen worden. Hitler hatte sie erbauen lassen. In den Sonderzügen, die aus Berlin den Wehrmachtsführungsstab und die Generalstäbe der einzelnen Wehrmachtsteile nächtlicherweile nach dem Osten gebracht hatten, herrschte eine seltsam bedrückte Stimmung. Wohl liefen planmäßig die Aufmarschvorbereitungen für den „Fall Barbarossa“ — diesen Titel hatte Hitler für die Operationen gegen Rußland mit einer Namensentlehnung aus der Kreuzzugszeit gewählt. Aber die Techniker dieses Krieges, die Generale, die seit dem Frankreichfeldzug immer mehr der Propaganda für den „größten Feldherrn aller Zeiten“ unterworfen waren, ahnten das unheimliche Rätsel Rußland stärker als der Mann, unter dessen Befehl sie nunmehr das größte militärische Unternehmen des zweiten Weltkrieges kommandieren sollten. Noch war die Kritik an Hitler und seiner Strategie nicht zum Schweigen gebracht, und als am 14. Juni die künftigen Führer der Heeresgruppen der Armeen und Panzerverbände in Berlin ihre letzten Weisungen erhielten, gingen die Offiziere in merkwürdigem Schweigen auseinander. Generaloberst G u d e r i a n berichtet darüber in seinen „Erinnerungen eines Soldaten *“. Zu heftig waren die Meinungen Hitlers und seiner Offiziere um Sinn und Planung des Rußlandfeldzuges aneinander-geprallt; denn schon seit dem Juli 1940 beschäftigen sich Jodl und Halder auf Grund einer noch unklaren Äußerung Hitlers über die unausbleibliche Auseinandersetzung mit dem Osten mit dem Problem eines Angriffs gegen die Sowjetmacht. Unter den Diplomaten und den Soldaten des Dritten Reiches waren viele, welche die Sowjetunion aus eigener Anschauung kannten, man hatte doch in der Ära Seeckt - Schleicher die ersten geheimen Aufrüstungsbestrebungen der Reichswehr oft nur mit russischer Hilfe durchführen können. In Moskau saßen an der Botschaft General Köstring und Oberst Krebs, die unablässig vor einer Unterschätzung der russischen Kraft warnten. Einer der besten Kenner russischer Verhältnisse, Generalmajor Mareks, hatte den ersten Operationsplan schon 1940 entworfen, der in zügigem Vorgehen eine Offensive auf Rostow und ein Einschwenken über Moskau nach Leningrad vorsah. Aber Hitler, dessen politische Überlegung alle militärischen Schwierigkeiten zu unterdrücken verstand, war überzeugt, daß der Krieg im Osten weniger um Olfelder und Getreidekammern als um die politische Vernichtung des Stalin-Reiches ausgekämpft werden müßte. Dem Generalstabschef Halder, der in seltsamer Zerrissenheit zwischen einer Unterschätzung der russischen Widerstandskraft und der gespenstischen Beschwörung der Napoleonischen Katastrophe hin und her schwankte, war schon seit September 1940 Generalleutnant Friedrich Paulus zur Seite gestellt worden, um nach Hitlers Ansicht den „ewigen Besserwisser“ Halder mitzureißen und zu überzeugen. Der Riß in den Anschauungen der höchsten Generalstabsoffiziere ging mitten durch den Führungsorganismus der Wehrmacht, und es zweifelten auch die übrigen verantwortlichen Berater Hitlers immer mehr an dem Erfolg. Brauchitsch nahm nur mit Widerwillen Kenntnis von den Befehlen, die den künftigen Ostkrieg als einen „Kampf der Weltanschauungen“ kennzeichneten, und in seinem Stab ging das Wort um, daß „das deutsche Heer gegen Rußland kämpfen würde wie ein Elefant, der einen Ameisenzug angriff und schließlich durch die Uberzahl der Millionen Ameisen überwältigt und bis auf die Knochen aufgefressen wurde“. Vorsichtshalber hatte auch Hitler die Dienststellen des Oberkommandos der Wehrmacht als seines eigentlichen Führungsinstruments vom Oberkommando des Heeres räumlich trennen lassen, denn dieser Feldzug sollte nach seinem Willen erneut dem Generalstab beweisen, wie sehr Intuition über Fachwissen zu siegen verstand. War es ein Fingerzeig des Schicksals, daß der für die deutsche Kriegsführung unerwartete Balkanfeldzug, ausgelöst durch Mussolinis Ehrgeiz, die Verschiebung des Angriffstermins von Mitte Mai auf den 22. Juni 1941 notwendig machte, auf den Tag genau 129 Jahre, nachdem die Heere Napoleons die Memel überschritten hatten? Vielen der Offiziere in der Bunkerstadt in Ostpreußen erschien die Bekanntgabe des Angriffstages als ein frivoles Herausfordern kommenden Unglücks.

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