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General zwischen den Fronten

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Als am 9. November 1918 der gegen seinen Willen zum Reichskanzler ernannte sozialistische Abgeordnete E b e r t das politische Erbe des Hohenzollern-staates übernahm, reichte die Macht des neuen Kanzlers nicht einmal bis zur Tür des Palais, in dem einstmals Bismarck residiert hatte. Der Arbeiter- und Solda-tenrat in Berlin machte sich in den Abendstunden daran, Eberts Amtssitz zu stürmen, und nur einige getreue Kanzleidiener schützten den ersten Kanzler der Sozialistischen Partei in Deutschland. In seiner Verzweiflung versuchte Ebert über einen der beiden vorhandenen Telephonapparate Scheidemann, dem er die voreilige Ausrufung der Republik so übelgenommen hatte, zu erreichen. Am Ende des Drahtes meldete sich jedoch kurz das „Große Hauptquartier“ der noch immer vorhandenen deutschen Heeresleitung, und zwar Major von Schleicher. Ebert hatte durch einen Zufall die direkte und geheime Leitung der Reichskanzlei zum Chef des politischen Büros des Großen Hauptquartiers entdeckt.

Uber diese Leitung sollte eine folgenschwere, tragische Verbindung für die Schicksalsjahre nach 1919 angeknüpft werden. Für Ebert war die Stimme Schleichers durchaus mit einer realen Vorstellung verbunden. 1917, als Luden-dqrff in maßloser Uberschätzung seiner eigenen Person und in Verkennung der politischen Lage Deutschlands und seiner Verbündeten die Forderungen nach Annexionen und Kontributionen in die Welt hinausposaunte und damit ebenso wie durch die unüberlegte politische Kampagne, die er im Jahre 1913 innerhalb des Generalstabs entfacht hatte, dem .Imperialismus“, den die Gegner Deutschland, der Militärclique und der Industrie unterschoben, erst reale Grundlagen gab, war gegen den allmächtigen Generalquartiermeister eine Bombe politischer Natur geplatzt. Dem Reichskanzler wurde eine Denkschrift zugestellt, die schonungslos das sinnlose Treiben Ludendorffs ebenso wie die rücksichtslosen Methoden der Großindustrie festnagelte und in der Forderung gipfelte, jede Art von kriegswirtschaftlichen Unternehmungen unter Zwangsverwaltung zu stellen und damit Arbeitslöhne und Unternehmergewinne festzusetzen. Die Sozialisten und Gewerkschaftsführer waren tief beeindruckt, die Industrie und Hindenburg schockiert. Man hatte bald herausgefunden, daß ein gewisser Hauptmann Schleicher Verfasser dieser Denkschrift war, und Ludendorff verlangte die Ablösung dieses Generalstabsoffiziers und seine Versetzung an die Westfront; gleichzeitig wurde der bisherige Chef des Kriegsamtes, General Groener, mit der Führung einer Division betraut. Seither betrachteten die Sozialisten Groener und Schleicher als ihre Männer innerhalb der deutschen Heeresführung. Von diesem Tag an trug Kurt von Schleicher bis zum tragischen Ende seiner Laufbahn den Stempel des .sozialen Offiziers“, und er selbst pochte immer auf seine einstige Vertrauensstellung bei den Gewerkschaften.

Er war auch, wie H. R. Berndorff in seinem biographischen Werk: „General zwischen Ost und West“ (Verlag Hofmann und Campe, Hamburg, 1951) berichtet, schon seiner Abstammung nach ein Außenseiter des preußischen Generalstabs. Mütterlicherseits ein Abkömmling einer alten Danziger Kaufmannsfamilie, formten der Handel und die Weltweite deutschen Unternehmergeistes seine Jugenderlebnisse. Die väterliche Abstammung von einer neuadeligen Offiziersfamilie betrachtete er schon als Kadett mehr als ein Hindernis, und er wurde Soldat durch Erziehung und durch sein überlegenes Wissen, weniger aus Uberzeugung. In der Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabs kam Schleicher, der im 3. Garderegiment zusammen mit Oskar von Hindenburg, dem Sohn des späteren Reichspräsidenten, gedient hatte, zum erstenmal in Berührung mit dem aus süddeutscher Beamtenfamilie entstammenden Oberstleutnant Groener, jenem Mann, der, Demokrat durch Uberzeugung, in der dunkelsten Stunde des Hohenzollernkaisertums seinem obersten Kriegsherrn die Abdankung nahelegte und gleichzeitig die Liquidation des Erbes Ludendorffs zu vollziehen hatte. Zweifellos hatte Schleicher, als er sich in den Novembertagen für Ebert und die Ordnung entschied, keineswegs die Rettung einer Partei im Auge. Er besaß aber schon damals einen ausgesprochenen Sinn für Politik und hielt zahlreiche Verbindungen in seiner Hand, um innerhalb der werdenden neuen Wehrmacht als politischer Offizier eine bedeutsame Rolle zu spielen. Allerdings teilte der erste Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, nicht immer die Ansichten seines politischen Beraters, wenn auch durch Schleichers Hände die ersten Fäden der russischdeutschen Beziehungen auf militärischem Gebiet zu Seeckt weitergesponnen wurden. Seeckt, der sich gerne mit dem Nimbus der letzten entscheidenden politischen Kraft umgab und die Reichswehr und deren geheime außenpolitischen Beziehungen als seine Häusmacht betrachtete, konnte sich mit Schleichers doch stark wirtschaftlichem und sozialpolitischem Denken nicht abfinden. Der entscheidende Bruch zwischen den beiden Männern kam erst, als Ebert starb und die Wahl Hin-denburgs bevorstand. Damals hat, viel zu spät, Seeckt von Schleicher den massiven Propagandaeinsatz “für seine eigene Reichspräsidentschaft gefordert. Schleicher enthielt sich dieses Wunsches, weil er die stimmungsmäßigen Kräfte der Innenpolitik viel besser kannte als die unnahbare „Sphinx“ Seeckt. Mit dem Einzug Hindenburgs in Berlin trat Schleicher aus der bewußten Zurückhaltung heraus. Der Feldmarschall liebte es, ihn als „jungen Freund“ zu bezeichnen und seinen Rat in immer stärkerem Maße, vor allem in der Innenpolitik, einzuholen, wobei ihre gemeinsame Zugehörigkeit zum 3. Garderegiment eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Schleicher erreichte es auch, daß sein alter Chef, Groener, zum Reichswehrminister gemacht wurde und daß Seeckt über eine bedeutungslose Affäre stürzte und damit grollend aus der Innenpolitik verschwand.

1926 ist Schleicher auf dem wahren Höhepunkt seiner Macht gewesen. Die politische Abteilung, das spätere „Ministeramt“ des Reichswehrministeriums, wurde zu einer Stelle, die alle politischen Fragen bearbeitete und direkt mit den Kräften der Tagespolitik in Fühlung stand. Durch dieses “Büro gingen nicht nur die immer stärker betriebene materielle Geheimrüstung, die Schleicher allmählich auch im Westen vornehmen ließ, sondern auch die zahlreichen Querverbindungen zu den politischen Parteien und Köpfen. Der behäbige, mehr an einen Bankier erinnernde Generalmajor, der längst den Truppenoffizieren entfremdet war, blickte mit einer gewissen Verachtung auf das Getriebe der Politiker und vertraute auf seinen Schlüssel zum innersten Kreis um den alten Feldmarschall, dessen Beeinflussung ihm immer mehr und mehr zufiel.

Als Brüning Kanzler wurde, hatte Schleicher ebenso seine Hand im Spiel wie bei dessen Sturz. Der Gedanke einer großen Koalition der Mittelparteien unter Einschluß des mächtigen Apparats der Gewerkschaften verließ ihn nie, nachdem er nach den Septemberwahlen 1930 die „Apokalyptischen Reiter“, wie er die Bewegung Hitlers nannte, in der deutschen Politik auftauchen sah. Sein Streben und seine Intrigen, denen eine gewisse Leichtfertigkeit anhaftete, konzentrierten sich in diesen entscheidungsschweren Jahren auf dem Ge*JTTken, einen Damm gegen die herankommende Flut des Nationalsozialismus zu errichten. Deswegen stürzte er Brüning, den er nicht mehr für fähig hielt, die sehr aussichtsreichen Gespräche um eine deutsche Gleichberechtigung zu Ende zu führen, und machte Franz von Papen, den er als seinen eigensten Kandidaten betrachtete, zum Reichskanzler. Die Warnungen seiner Freunde über die mögliche Treulosigkeit des engsten Kreises um Hindenburg schlug er ebenso in den Wind, wie er nach wie vor fest überzeugt war, im entscheidenden Moment den Apparat der NSDAP spalten zu können. Im Schicksalsjahr 1932 hatte er — außenpolitisch kein unbedingter Anhänger der Rußlandpolitik Seeckts — noch die geheime Trumpfkarte einer stärkeren Annäherung an die Westmächte vorbereitet. Seine damalige Korrespondenz mit westlichen Staatsmännern, wie Francois-Poncet, wurde ihm später zum Verhängnis. Er beschwor den Westen vergeblich, ebenso wie es Brüning getan hatte, die optische Aufrüstung Deutschlands durch Umwandlung der Reichswehr in eine Milizarmee zu gewähren und damit den Forderungen Hitlers den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Westmächte versagten sich seiner Bitte ebenso, wie die Generäle der Reichswehr aus Opposition gegen den Gedanken einer Miliz den Weg zu Hitler fanden, wobei namentlich der damalige kommandierende General in Ostpreußen, Blomberg, sowie Oberst Reichenau ihre eigenen Kontakte aufnahmen. Im Papen-Kabinett wurde Schleicher gezwungen, als Reichswehrminister zum erstenmal selbst aus den Kulissen zu treten und, als Papen zurücktrat, die volle Verantwortung zu übernehmen.

Noch glaubte Schleicher, als Reichskanzler und Reichswehrminister die hoffnungslose innenpolitische Lage Deutschlands im November 1932 steuern zu können. Der Stimmenrückgang der NSDAP bei den Novemberwahlen und die scharfe Opposition des Strasser-Flügels gegen Hitler suggerierten dem General-Reichskanzler den Gedanken, Heer, Gewerkschaften und Gregor Strasser als den, Repräsentanten „linker“ nationalsozialistischer Gruppen in den Endkampf gegen Hitler zu werfen und damit eine neue politische Basis zu schaffen. Ihr Grundgehalt erinnerte stark an Schleichers altes Konzept aus dem Jahre 1918. Sein Plan mißlang. Er glaubte nicht den erfahrenen Politikern, wie etwa dem sozialistischen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, der ihn warnte, eine Spaltung der NSDAP zu erhoffen, „weil in Krisenzeiten immer die Masse da bleibe, wo die Kasse, der Apparat und die Zeitungen seien“. Die Gewerkschaften, denen Schleicher eine so überragende Rolle in seinem Regierungsprogramm zugewiesen hatte, weigerten sich, und die Sozialistische Partei verbot jedes Paktieren mit dem „reaktionären General“, obwohl erfahrene, ältere sozialistische Politiker, wie etwa N o s k e, hinterher mit Recht diese Entscheidung beklagten und dafür Hitler eintauschen mußten.

Am 4. Jänner 1933 knüpfte Papen im Hause des Bankiers von Schröder jenes Bündnis mit Hitler, das wenige Wochen später Schleicher stürzen sollte. Der politische General, durch dessen Tätigkeit so viele entscheidende Aktionen Deutschlands seit 1919 ausgelöst worden waren, versagte gegenüber der tragischen Realität des Augenblicks, in dem er die gesamte Macht übertragen bekam. Hindenburg verwarf am 16. Jänner 1933 die Vollmachten, die Schleicher für sich und die Wehrmacht gegen Hitler erbat. Schleicher war nun nicht mehr der „jüngere Freund und Berater“ in den Augen des Feldmarschalls, denn Zwischenträger hatten Schleichers vernünftiges Sozial-und Agrarprogramm dem „Alten Herrn“ als bolschewistisch dargestellt.. Außerdem wartete Franz von Papen, der in Schleichers Schule mittlerweile die Kunst der politischen Intrige gelernt hatte, mit der Patentlösung eines Kabinetts Hitler unter „Einrahmung“ durch bürgerliche Minister auf. Schleicher ist unbeachtet und uribe-dankt von der politischen Bühne abgetreten. Auch die später behauptete Alarmierung der Reichswehr zü seinen Gunsten gehört in das Reich der politischen Legende. Hitler wußte seither, daß dieser General, der seine inzwischen verschwundenen Militärpapiere und die Anfänge der NSDAP zu genau kannte, einer seiner gefährlichsten Feinde blieb. Am 30. Juni 1934 starb Schleicher an der Seite seiner Gattin unter den Schüssen eines Spezialkommandos. Verbindung mit Röhm und französischen Kreisen war der Vorwand. Das war das Ende eines politischen Offiziers, vielleicht des einzigen, den das deutsche Heer seit Waldersee hervorgebracht hatte.

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