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Die „Sphinx“ der Weimarer Republik

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SEECKT. Von Hans Meier-Welcker. Bemard Greefe, Verlar für Wehrwesen Frankfurt am Main, 1967. 744 Seiten. DM 78.-.

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SEECKT. Von Hans Meier-Welcker. Bemard Greefe, Verlar für Wehrwesen Frankfurt am Main, 1967. 744 Seiten. DM 78.-.

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Der ehemalige Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtei in Freiburg, Oberst a. D. Dr. Ham Meier-Welcker, legt nunmehr di« erste umfassende Biographie dei Generalobersten Hans von Seeckl vor, deren Erstellung auf eine Anregung von Prof. Theodor Eschenburj zurückgeht. Aufbauend auf umfangreichen Archivstudien, vor allem auch mit Hilfe der Befragung von Augenzeugen hat der Verfasser dieses Werk vollendet und damit die seinerzeit vom Chef der deutscher Heeresarchive, General Friedrich vor Rabenau (1938 bis 1940), herausgegebenen Biographie, die entsprechend zurechtgebogen war, korrigiert und darüber hinaus auch viele neue Bereiche des Lebens von Seeckt erschlossen. Der Mann, der als die „Sphinx“ in seiner großen Zeit als Chef der Heeresleitung und Schöpfer der Reichswehr von 1920 bis 1926 einer der wichtigsten Faktoren der vielschichtigen Geschichte der Weimarer Republik war, sah sich schon in seiner Jugend durch die Zugehörigkeit zum Alexander-Regiment in die alten geschichtlichen Beziehungen zwischen Rußland und Preußen einbezogen.

Generalstabsdienst im Frieden, zunächst Bewährung im. Westen bei Teilaktionen, dann Stäbschef Mak- kensens bei Gorlice, kam er mit Österreich-Ungarns Problemen bald in Berührung, wobei er in einer seltsamen Ambivalenz von Verstehenwollen und Nichtbegreifenkönnen der Gegebenheiten des Bundesgenossen oft schwankte. Wegen seines Könnens, aber auch durch seine schroffe Art, vielleicht auch infolge des ihm manchesmal deutlich ausgesprochenen Wohlwollens Kaiser Wilhelms II. wurde Seeckt bald ein Gegenspieler der „Firma“ — wie er sie nannte — Hindenburg und Ludendorff. Er wurde auf relativ komplizierte Kommandos abgeschoben, darunter auch als Stabschef zu dem jungen Erzherzog-Thronfolger Karl knapp vor dessen Thronbesteigung. Das Verhältnis zwischen dem späteren Kaiser und Seeckt schwankte zwischen Vertrauen und oft harter Kritik, wobei sich bei Seeckt wie bei vielen preußischen Generälen eine merkwürdige Hinneigung zu Ungarn und seinen Sonderbestrebungen zeigte, was wieder nicht die allzu große Begeisterung des Erzherzog- Thronfolgers und seiner engsten Mitarbeiter hervorrief.

An der türkisdien Front hat der zum Generalmajor Ernannte als Chef des Generalstabes des türkischen Heeres das Kriegsende erlebt und wurde wieder mit komplizierten Aufgaben militärpolitischer und diplomatischer Art betraut, die sein Können und Wissen erweiterten. Inmitten der chaotischen Situation von 1919/20 war er der geeignete und beste Kompromißkandidat als Chef der Heeresleitung der mühsam aufzubauenden Reichswehr und fand in dieser Eigenschaft überraschend guten Kontakt zu sozialistischen Politikern, wie überhaupt sein Vertrauensverhältnis zum Reichspräsidenten Ebert ein besonders enges gewesen sein muß und die Basis für die schwierigen Anfangsjahre bis 1924 bildete. Militärisch denkend, glaubte Seeckt, nur im Aufbau einer gestrafften, unbedingt gehorchenden Streitmacht der Republik von Weimar die Basis für die spätere Bündnisfähigkeit des Reiches nach außen finden zu können, wobei in den außenpolitischen Erwägungen frühzeitig, wie schon während des Weltkrieges, die mögliche Bindung an Rußland hervortritt. Tatsächlich sind ja unter seinem Schutz, aber auch in guter Zusammenarbeit mit Reichskanzler Wirth die Fäden der deutschsowjetrussischen Zusammenarbeit gesponnen worden, find immer wieder betrachtete er Polen und den Kranz der Nachfolgestaaten um Deutschland als ein zu beseitigendes Hindernis, das nur durch eine deutsch-russische Kooperation entfernt werden konnte. In seiner bedeutendsten politischen Schrift, „Deutschland zwischen Ost und West“ hat er noch knapp vor Hitlers Machtübernahme mit Stolz darauf hingewiesen, daß nur eine solche Linie, die an die preußische Tradition der Vergangenheit anknüpfe, einen Zweifrontenkrieg in Zukunft vermeiden könne. Als der verantwortliche Kopf der Reichswehr hat er, nicht zuletzt durch seine Geschicklichkeit, zwei große Krisen der Weimarer Republik überwinden geholfen: den Kapp-Putsch und die Ereignisse in Bayern im November 1923, verbunden mit der aussichtslos gewordenen Bewegung des Ruhr- Widerstandes. Der Versuchung, aus der ihm zeitweise übertragenen vollziehenden Gewalt eine Art Diktatur zu machen, ist Seeckt nicht erlegen. Ihm ging es um das Eliteheer der

FT 1 JSJ. jAnnnvt A POlV» QfVPa fcUll,, VV UJUl CA CJ.LAV-.il All UCili dauernden Intrigenkampf der aktiven und der nicht mehr aktiven Generalität sich manche Feinde schuf und die absolute Bewahrung einer militärischen Spitzengliederung der deutschen Reichswehr gegenüber dem Minister durchzusetzen versuchte. Dr. Meier-Welcker hat gerade diese entscheidenden Kapitel erhellt und als geschulter Historiker an Hand der Akten die viel verschlungene Problematik der Aufbauzeit der Weimarer Republik und ihres Heeres aufgezeigt. Seeckts Sturz im Jahre 1926 wurde durch eine Kleinigkeit ausgelöst (Teilnahme eines Hohenzollernprinzen an einer Reichs wehr Übung), wobei allerdings Hindenburg vielleicht in Vergeltung mancher Animositäten aus der Kriegszeit als Reichspräsident nunmehr nicht ungern diesen starken und politisch wendigen General an der Spitze der Reichswehr mit einem lachenden Auge verabschiedete.

Zeitweise als Reichstagsabgeordneter tätig, widmet sich der Generaloberst und ehemalige Schöpfer der Reichswehr einer regen politisch und militärisch interessanten Beratung in verschiedensten Richtungen, so zum Beispiel in Ungarn und Rumänien, wo er höchste Achtung genoß, um dann sogar als Militär berater nach China zu gehen, wo er wieder mit den von ihm so geliebten Problemen des Ostens zu tun hatte und ahnungsschwer manche Reibungsflächen einer zukünftigen Weltauseinandersetzung vorhersah.

Mit dem Nationalsozialismus schon wegen seiner Gegnerschaft in den Anfängen Hitlers vertraut, versuchte er trotz mancher Ehrungei. durch die neue Regierung seit 1933, so weit als möglich auszukommen, ohne hervorzutreten. Sein Erbe waren die von ihm herangebildeten Generalstabsoffiziere wie Fritsch oder Beck, die den Gedanken einer Elitearmee als Kern eines zukünftigen großen Heeres nun zu verwirklichen hatten.

Was an dem Buch besonders wertvoll erscheint, ist die behutsame und feinziselierte Persönlichkeitsschilderung. Soziologisch untermauert sind die Exkurse des Verfassers, der damit ein wohl endgültiges Bild der soldatischen und menschlichen Persönlichkeit Seeckts als eines preußischen Offiziers alter Schule in einer Zeitwende ohnegleichen gezeichnet hat und somit eine wertvolle Ergänzung der schon umfangreich gewordenen Literatur aus deutschen und anglo-amerikanisdhen Federn zur politischen und militärischen Geschichte der Weimarer Republik vorlegt.

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