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Die Zitadelle in der Bendlerstraße

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Die Geschichte des deutschen Generalstabcs 19t8 bis 1945. Von Waldemar Erfurth. Mvsterschmidt- Verlag, Göttingen. 326 Seiten. (Studien zur Geschichte des zweiten Weltkrieges. Herausgegeben vom Arbeitskreis für Wehrforschung in Frankfurt am Main. Band 1.) Preis 19.80 DM

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Die Geschichte des deutschen Generalstabcs 19t8 bis 1945. Von Waldemar Erfurth. Mvsterschmidt- Verlag, Göttingen. 326 Seiten. (Studien zur Geschichte des zweiten Weltkrieges. Herausgegeben vom Arbeitskreis für Wehrforschung in Frankfurt am Main. Band 1.) Preis 19.80 DM

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Der Verfasser war als Oberquartiermeister V für die Kriegsgeschichtsforschung im deutschen Heer verantwortlich und während des Krieges als Deutscher General in das finnische Hauptquartier kommandiert. Sein Erinnerungswerk über diese Zeit zeichnete sich durch eine ungewöhnliche Objektivität und Sachlichkeit aus. Deswegen konnte sein Buch über die Geschichte des deutschen Generalstabes von 1918 bis 1945 mit besonderer Spannung erwartet werden, um so mehr, als das Thema in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt durch die Arbeiten von Görlitz, Benoist-Mechin, Hoßbach, Mueller-Hillebrand, Krausnick und durch die in Vorbereitung befindlichen Untersuchungen des Instituts für Zeitgeschichte in München von Vogelsang unter den verschiedensten Blickpunkten in Angriff genommen wurde, bzw noch weiterhin vertieft wird. Die vereinfachende Formel von 1918 ebenso wie von 1945 hat dem deutschen Generalstab gewissermaßen den Charakter einer Geheimorganisation zur Verfolgung kriegerischer Unternehmungen aufgedrängt und versucht, in ihn den „brain trust“ düsterer Pläne zu finden. Er- furth unternimmt es auf Grund der vorhandenen Quellen in einer sachlich ausgewogenen und objektiven Darstellung, die Geschichte des deutschen Generalstabes seit 1918 zu zeichnen — und das sei ausdrücklich hervorgehoben —, er vermeidet ausdrücklich die so oft in historischen Arbeiten von militärischer Seite erkennbare apologetische Tendenz, die durch die Scheu getragen ist, die eigenen Reihen der Kritik auszusetzen und dem eigenen Korps „zu schaden“. Daß eine solche Haltung mit den Erfordernissen der modernen Wissenschaft unvereinbar ist, hat gerade in der letzten Zeit ein Angehöriger der jüngeren Generalstabsgeneration. Oberst Dr. Meier- Weicker, in seinem grundlegenden Aufsatz über „Die Kriegsgeschichte als Wissenschaft und Lehre" (Wehrwissenschaftliche Rundschau) dargelegt.

Die zentrale politische Aufgabe des deutschen Generalstabes in den entscheidungsvollen Jahren 1918 bis 1920 lag einerseits in der Bewahrung der Reichseinheit angesichts der auflösenden revolutionären Kräfte, anderseits im Zweckbündnis zwischen der jungen Weimarer Republik und den stärksten Persönlichkeiten der deutschen Generalität wie General von Seeckt und dessen politischen Berater Schleicher. Was sehr deutlich wird und Erfurth ausdrücklich bestätigt — wobei er sich auf die noch ungedruckten Erinnerungen Blombergs beruft —, ist das eminente

Gewicht der preußischen Offiziere gegenüber der süddeutschen Offiziersgruppe, etwa um Groener, der letzten Endes auf Grund der süddeutschen demokratischen Ueberlieferung ein gewisses Maß von Unverständnis für die zentralistische Tendenz der preußischen hochadeligen Führungsschicht des Generalstabes zugebilligt wird. Seeckts Aufbau eines Eliteheeres, welches neben den Parteien und über dem Staat die Kontinuität des Generalstabes unter Beschränkung auf eine sehr eng umschriebene Clique fortsetzen sollte, findet eine kritische Stellungnahme (S. 113), die sicherlich noch verstärkt werden wird, wenn einmal der der Forschung noch nicht ganz zugängliche Nachlaß Seeckts seine Veröffentlichung erfahren sollte. Die Zitadelle in der Bendlerstraße konnte jede Kontrolle der politischen Parteien bis 1932 erfolgreich abwehren, ja weitgehend innen- und außenpolitisch eigene Wege gehen (geheime Abmachungen mit Sowjetrußland, exklusive Auswahl der Berufssoldaten aus bestimmten Schichten). Dennoch erlag die Reichswehr nicht zuletzt durch die politi sche Tätigkeit Schleichers der Tagespolitik und konnte, seitdem Generalfeldmarschall Hindenburg in immer steigenderem Maße nach dem Sturz Brünings auch im Felde der Innenpolitik eingriff, nur noch ein Spielball der verschiedenen Kräfte werden. Die Geschlossenheit des Offizierskorps fand in der Aera Blomberg und der überstürzten Aufrüstung ein Ende. Der entscheidende Kampf des letzten Repräsentanten der alten preußischen Generalstabstradition in der Person des späteren Generalobersten Beck gegen die Kriegspolitik war eine verzweifelte Handlung verantwortungsbewußter Offiziere, die allerdings angesichts der ungeheuren entfesselten Kräfte des totalitären Imperialismus unwirksam bleiben mußte. Erfurths quellenbelegte Darstellung der Geschichte des deutschen Generalstabes im zweiten Weltkrieg zeigt den Opfergang einer Elite, die in ihren Märtyrern ebenso wie in den still die Pflicht erfüllenden Militärtechnikern die objektive historische Forschung zum Problem „Heer und Staat im 20. Jahrhundert" anregen sollte.

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