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Adabei der Politik

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Agram, 7. November 1943. In seiner Villa, in der Hauptstadt des „Unabhängigen Staates Kroatien“ sitzt „Der deutsche General in Kroatien“ an seinem Schreibtisch. Viel hat er nicht zu tun. Um seinen Einfluß ist es im Staat des Poglavnik Ante Pavelic schlecht bestellt. Die Wehrmacht ist an den Rand gedrängt. Sie hat sich in den Bergen mit den immer stärker werdenden Partisanen herumzuschlagen. Die Drachensaat der unpsychologischen Politik Berlins geht immer üppiger auf.

In dieser vorletzten Phase seines bewegten Lebens bleibt Edmund Glaise-Horstenau nicht viel mehr übrig als Rückschau auf sein bisheriges Leben zu halten. Der ehemalige Presseoffizier des Ersten Weltkrieges und spätere Chef des Kriegsarchivs der Republik Österreich, welcher als Minister in den Schicksalsjahren 1936-1938 eine mehr als umstrittene Rolle als „Mann des deutschen Kurses“ gespielt hatte, die mit dem Posten des Vizekanzlers im Anschlußkabinett Seyß-Inquart „belohnt“ worden war, hält in einem Anfall von bitterer Reue, der man den Ernst nicht absprechen möchte, fest:

,Jch habe subjektiv nie aufgehört, ein guter Österreicher zu sein, und bin im ,Stahlbad‘ der Erlebnisse seit 1938 ein fanatischer Österreicher geworden (Seite 54)

Sind dies nur die Tränen des Judas, welcher auch nach dem vollzogenen Verrat bitter geweint hatte oder endet hier eine — zugegeben von einer stattlichen Anzahl höchst respektabler Landsleute geteilte — Schicksalslinie Österreichs?

Sie alle fühlten sich subjektiv als gute Österreicher. Sie sahen Österreich aber nur als „deutsche Aufgabe“, österreichische Politiker hatten sich daher streng „gesamtdeutschen“ Interessen —oder was immer man darunter verstand — unterzuordnen. Dollfuß’ Kurs, der im diffusen Licht der Ersten Republik — das gebietet historische Gerechtigkeit festzuhalten — als erster die Fahne der österreichischen Unabhängigkeit aufgezogen hatte, war daher für diese Geisteshaltung nichts anderes als „Separatismus“.

Der lange Weg der Selbstfindung Österreichs ist es für manche bis heute geblieben. Glaise- Horstenau war mit seiner sehr weitgehenden Intimität zu Angehörigen des deutschen Generalstabs und später zur Gesandtschaft des Deutschen Reiches in Wien, nur ein in den rauhen Wind der Politik gestellter Exponent der sogenannten „Nationalbetonten“ oder auch „Katholisch-Nationalen“, die, ob sie wollten oder nicht, zu Wegbereitern Hitlers wurden.

Zum Unterschied von anderen ermöglichen uns die umfangreichen Erinnerungen, Tagebuchnotizen und Gedächtnisprotokolle Glaise-Horstenaus, die dank der gewissenhaften Edition Peter Brouceks und dem beispielhaften Engagement des Böhlau-Verlags nunmehr bereits mit ihrem zweiten Band vor liegen, Einblick nicht nur in die Gedankenwelt jenes „Generals im Zwielicht“ zu be-kommen, sondern auch Rückschau auf ein Land im Zwielicht, auf jenes Österreich zwischen 1918 und 1938, welches — um mit Gerhard Fritsch zu sprechen - „sich nicht gemocht hat“, zu nehmen.

Wir haben anläßlich des Erscheinens des ersten Bandes, wel cher in anschaulicher Weise die Jugend und die „Gamaschenzeit“ Glaise-Horstenaus reflektierte, um dann in seine Aktivität vor und nach 1918 überzuleiten, diese umstrittene Persönlichkeit einer umstrittenen Zeit ausführlich vorgestellt (vgl. FURCHE vom 11. Feb. 1981).

Der nunmehr vorliegende Band führt mitten hinein in das politische Engagement Glaise-Horstenaus nach dem Juli-Abkommen 1936. Er zeigt auch die wenig gloriose Rolle, welche man nach 1938 dem Mann, der mitgeholfen hatte die Tür Österreichs für Hitler zu öffnen, zugedachte hatte.

Glaise-Horstenau war nach der ganzen Struktur seiner Persönlichkeit doch zu konservativ, zu katholisch und — ja auch das — zu österreichisch, als daß er im Dritten Reich hätte reüssieren kön-nen. Deshalb zeigen die nach dem März 1938 aufgenommenen Fotos einen wenig glücklich in der Uniform eines Ehren-SA-Standar- tenführers sich präsentierenden Glaise. Und auch als Generalma-jor der Großdeutschen Wehrmacht macht er eine alles andere als gute Figur.

Kein Wunder: Kriegsgräberinspektor im OKW, gleichsam „Heeresoberpompesfunebre“ war bestimmt nicht gerade eine einflußreiche Funktion. Auch der zuletzt extra für ihn geschaffene Posten eines „Deutschen Generals in Kroatien“ war nichts anderes als ein Titel für einen Mann, mit dem man eigentlich nichts anzufangen wußte.

Hat aber Glaise-Horstenau nicht gemerkt, daß er „am falschen Dampfer“ war? Freilich. Davon zeugt allein schon seine von uns ausführlich zitierte Selbsterkenntnis vom November 1943. Und diese ist nicht die einzige selbstkritische Äußerung. Aber es fehlte an jeder Konsequenz aus dieser Erkenntnis heraus.

So tritt uns ein — um in der Sprache jener Zeit zu reden — typisch „ostmärkischer Meckerer“ entgegen und nicht ein aufrechter Charakter. Auch war Glaise-Horstenau — das geht aus allen Seiten dieser sehr offenherzigen und einen guten Einblick in eine Zeit und ihre Menschen vermittelnden „Confessiones“ hervor — eigentlich nie ein echter „homo politi- cus“, sondern eher nur ein Zaungast der Politik, ein „Adabei“, rai- sonierend, besserwissend aber ohne Mut zur entscheidenden Tat.

Es ist beinahe schon wieder sympathisch, wenn Glaise sein „Mitmachen“, auch in mediokren Verwendungen, mit den Annehmlichkeiten eines Dienstwagens und der Freude an der Bahnfahrt 1. Kl. im Schlafwagen etc. „erklärt“.

Das alles ist Vergangenheit. Ge genwart jedoch ist ein in jüngster Zeit sehr emotional vorgetragener publizistischer Vorstoß des Herausgebers einer angesehenen Tageszeitung für ein Bekenntnis unserer Republik als „3. deutscher Staat“.

Vorsicht, so sehr von niemandem die Tatsache bestritten wird, daß die überwiegende Mehrzahl der Österreicher zu deutscher Sprachgemeinschaft gehört, und freundschaftliche Beziehungen zum deutschen Nachbarn gepflegt gehören, muß man einer auch noch so vorsichtigen Einbindung Österreichs in die deutschen Belange nahe dem Jahr 2000 widersprechen.

1804,1866 und 1945 sind Weichenstellungen erfolgt, die von einigen bedauert, von anderen aber begrüßt wurden. Österreich war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als „2. deutscher Staat“ nicht zu halten.

Ein. Österreich, das seine nach 1945 gelegten klaren staatspolitischen Fundamente lockern würde, liefe Gefahr, früher oder später in die auf lange. Zeit noch offene „deutsche Frage“ involviert zu werden. Vestigia terrent. Auch daran muß man bei der Erinnerung an das Schicksal und die Enttäuschung eines Glaise-Horstenaus denken.

EIN GENERAL IM ZWIELICHT. Die Erin- nerungen Edmund Glaise von Horstenaus. Band 2: Minister im Ständerat und General im OKW. Hrsg, von Peter Broucek. Verlag Böhlau, Wien-Köln-Graz 1983. 710 Seiten, brosch., öS 980,—.

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