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Die Sphinx

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An die Spitze der neuen Heeresleitung, die aus der kleinen Reichswehr ein Machtinstrument machen wollte, trat Hans von Seeckt, dieser Sproß eines pommer-schen, ursprünglich aus Ungarn eingewanderten Adelsgeschlechtes, dessen Wappen eine Verwandtschaft mit dem Magnatengeschlecht der Szechenyi andeutete. „Die Sphinx“, dieser geheimnisvolle General, der auch im Ausland beachtet und gefürchtet wurde, erschien in der adelsfremden Welt der modernen Entwicklung wie ein Relikt der Vergangenheit. Aber seiner zähen und zielstrebigen Erziehung gelang es immerhin, die Krisenjahre der deutschen Republik zu überwinden und vor allem politisch „neben den Parteien“ sein Reich aufzubauen, in dessen Kräftespiel er nur wenigen Einblick erlaubte. Seeckt ist der nüchterne Rechner der Macht und der Einsatzmittel der Tradition. Seine „grande armee en minia-ture“ bildete jahrelang den Alpdruck der westlichen Mächte; sein politisches Programm, obgleich er sich scheinbar von Politik fernhielt, war außenpolitisch auf ein enges Zusammengehen mit der russischen Armee eingestellt, denn schon seit 1922 schickte Seeckt seine Offiziere zum Studium nach Rußland. Was hinter den Kulissen des Generalstabes vorging und zu welcher entscheidenden Rolle er emporstieg, läßt sich heute historisch bereits belegen, und Walter Görlitz hat in seinem Werk „Der deutsche Generalstab, Geschichte und Gestalt“ (Verlag der „Frankfurter Hefte“, Frankfurt am Main) es ebenso getan wie Adolf Heusinger, der jetzt vielgenannte Unterhändler Deutschlands in Bonn, in seinem Werk „Befehl im Widerstreit“ (Rainer Wunderlich-Verlag). Auf Grund dieser neuesten Erkenntnisse lassen sich heute schon Gestalt, Wirkungskraft, personelle Zusammensetzung und Einfluß dieses militärischen „Brain-trusts“, welchen Seeckt schuf, im Rahmen der jüngsten deutschen Geschichte klar ablesen. Allerdings wies dieser scheinbar so imponierende Organisationsapparat, der in geräuschloser und oft geheimnisumwitterter Arbeit die Wiederaufrüstung und Wiedererstarkung betrieb, Risse auf, deren Sprengkraft unter dem Einbruch politischer und sozialer Massenheilslehren auch sein Ende bedeuten sollte.

Noch einmal hatte der neunmalkluge politische Kopf General Schleichers, der als Chef des „politischen Amtes“ des Reichswehrministers hinter so mancher Intrige der Weimarer Republik seine Fäden zog, versucht, den Strom der breiten Massen zu Hitler aufzuhalten. Zerrissen war die einheitliche Meinung des Generalstabs gegenüber dem „böhmischen Gefreiten“, der einerseits eine totale Aufrüstung im Sinne des immer noch fortlebenden Vermächtnisses versprach, andererseits die Gewalt der sozialen Unterströmungen in magischer Weise bändigte und damit erst recht die wirklichkeitsfremde Welt des Generalstabs beeindruckte. Schon vor 1933 hatten einzelne Generäle, wie etwa der spätere Reichskriegsminister Blomberg, für die Fragen der Ostverteidigung die braunen Prätorianergarden in das halblegale Netz des Reichswehrministeriums eingespannt. Die Quittung des Bündnisses zwischen den revolutionären Kräften des verzweifelten Volkes und den konservativen Anschauungen Alt-Preußens wurde der Reichswehr am 30. Jänner 1933 präsentiert. Der neue Reichskriegsminister und spätere Feldmarschall von Blomberg ging sehr bald mit fliegenden- Fahnen in das Lager Hitlers über, um so mehr, als er um sich in Reichenau und Jodl einen Kreis junger Offiziere versammelte, die in der Verbindung der Technik mit dem Aufbruch der Massen das zukünftige Bild des totalen Krieges erahnten und bereit waren, gegen alle Widerstände Hitlers Weg zu einer politischen und militärischen Bereinigung der Lage Deutschlands inmitten Europas mitzumachen. Noch gab sich der Diktator maßvoll und griff scheinbar in Belange des Heeres nicht ein.

Aber die überstürzte Form der Aufrüstung, die sichtbare Verbindung des militärischen Bluffs mit der außenpolitischen Hasardpolitik sowie das drohende Gespenst der Eingliederung der in der SA organisierten wehrwilligen Massen stellte den Generalstab vor Probleme, die er nicht zu meistern verstand. Sosehr er die nationale Begeisterung zur Wiederherstellung der Wehrhoheit begrüßte, so stark blieb der Kopf des Generalstabes, Generaloberst Ludwig Beck, den Guderian in seinen Memoiren einen Zauderer und rückschrittlichen Offizier nennt, verschlossen gegenüber den Entwicklungen, die in rasendem Tempo heranreiften. Noch einmal errang das Heer, dessen Repräsentant Blomberg und sein Hintermann Reichenau Hitler am 30. Juni 1934 von der Gefahr eines Chaos der deutschen Rüstung durch Beiziehung der ungeschulten Massen Röhms überzeugten, einen Pyrrhussieg. Als Hinden-burg starb, war Hitler der nominelle Befehlshaber nicht nur des deutschen Heeres, sondern auch der sich rasch entwickelnden neuen Wehrmachtsteile, der Luftwaffe und der Marine, die alsbald sehr geschickt ihre gleichberechtigte Stellung neben dem Heer ausbauten und damit Hitlers Streben nach einer Gewaltenteilung zu seinem Vorteil Vorschub leisteten.

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