6680933-1961_43_13.jpg
Digital In Arbeit

Krisenjahre deutscher Geschichte

19451960198020002020

KRISENJAHRE DEUTSCHER GESCHICHTE 1920 BIS 1924. DER HITLERPUTSCH. Von Hanns Hubert Hofmann. Nymphenburger Verlagshandlung GmbH., München, 1961. 335 Seiten.

19451960198020002020

KRISENJAHRE DEUTSCHER GESCHICHTE 1920 BIS 1924. DER HITLERPUTSCH. Von Hanns Hubert Hofmann. Nymphenburger Verlagshandlung GmbH., München, 1961. 335 Seiten.

Werbung
Werbung
Werbung

Je mehr die Erforschung der Frühgeschichte des Nationalsozialismus fortschreitet, um so mehr Aufmerksamkeit wird den Ereignissen in München am 9. November 1923 zugewendet. Das vorliegende Buch eines jungen bayrischen Historikers ist eine begrüßenswerte Untersuchung zu diesem Thema, die sich sowohl auf Primärquellen aus den bayrischen Staatsarchiven als auch auf alle erreichbaren zeitgenössischen Sekundär- quellen stützt und dabei wiederum erweist, welch ungeheure Schwierigkeiten der zeitgeschichtlichen Forschung bei der Bewältigung des vorhandenen Quellen- materials erwachsen. Zum gleichen Thema hat das Institut für Zeitgeschichte in München eine Dokumentation von Ernst D e u e r 1 e i n bereits angekündigt, und diese Dokumentation aus den bayrischen Archivbeständen dürfte eine wesentliche Ergänzung zu dem vorliegenden Werk dar- stellen. Man kann nach der Lektüre von Hofmanns Buch feststellen, daß er die wichtigen Problemstellungen vollkommen erfaßt und herausgearbeitet hat; vor allem gelingt es ihm, die vereinfachende Darstellung der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung über den sogenannten Hitlerputsch mit der zentralen Herausstellung der Person Hitlers und seiner Bewegung auf das richtige Maß der tatsächlichen Beteiligung zu reduzieren und gleichzeitig in einer außerordentlich sorgfältigen Untersuchung der politisch-historischen Grundlagen des Jahres 1923 die maßgebenden Faktoren und Kräfte in Bayern und im gesamten Reichsgebiet zu charakterisieren. Was aus verschiedenen Veröffentlichungen bereits hervorging und auch in manchen österreichischen Publikationen etwa zur Frühgeschichte der Heimwehrbewegung („Heimatschutz in Österreich“, Wien 1935, „Oberst Hiltl“, Wien 1931) einen oft unbeachteten Niederschlag fand, wird nunmehr durch Hofmanns Forschungen zur Gewißheit. Bayern und speziell München waren in den Jahren 1919 bis 1923 ein Herd der konspirativen Tätigkeit buntscheckigster Rechtsverbände, deren Wirksamkeit weit über die blau-weißen Grenzen reichte und deren Initiatoren im Kreis der politisierenden Offiziere der damaligen Reichswehr zu finden sind. Aus der Reichswehr ging Hitler hervor; sie Unterstützte durch Geld und Personal die verschiedenen Ver bände von Oberland bis Hitler, und mit Recht bezeichnete man Ernst Rohm als den „Maschinengewehrkönig“ von Bayern, der aus den Lagern der Reichswehr Waffenbestände nicht nur an die sogenannten nationalen Verbände verschob, sondern auch sehr stark mit ähnlich gearteten Gruppen in Österreich konspirierte, ja sogar beträchtliche Waffenhilfe den befreundeten Heimwehrorganisationen in Oberösterreich zuschob. Dabei waren diese Politiker im feldgrauen Waffenrock, aber auch die Zivilisten mit der weißblauen oder schwarzweißroten Kokarde in ihren endgültigen Zielen durchaus uneins. Historische Vorbilder schienen ihnen ein Leitbild für die zukünftige Entwicklung zu sein: Horthys Experiment als Reichsverweser des ungarischen Königreiches ohne König beeinflußte die bayrischen Monarchisten, die immer gerne bei allen konspirativen Regungen den Kronprinzen zu unterrichten trachteten, und selbst Hitler verstand es noch bis wenige Stunden vor dem historischen Marsch zur Feldherrnhalle, den Feldmarschall-Kron- prinzen für seine Ziele einzuspannen, obwohl diese ganz andere waren. Unheilvoll daneben die zwiespältige Haltung der bayrischen Reichswehr, überschattet der ganze Komplex von dem Ruhrkampf, in dessen Verlauf die Reichswehr hoffte, zeitweise zu einem „Befreiungskrieg“ an- treten zu können, daher das Sammelsurium der Wehrverbände und politischen Agitatoren der Rechten bitter notwendig benötigte. Selbst das Beispiel der Türkei spielte neben dem Modell Ungarn eine nicht unerhebliche Rolle bei den Überlegungen einzelner Gruppen, die nur in einem einig waren, die verhaßte Berliner Regierung zu stürzen und von der „Ordnungszelle“ Bayern aus die nationale Revolution zu entfachen. Keineswegs ist Hitler, wie Hofmann auf Grund der genauen Untersuchungen darlegt, einem blauweißen monarchistischen Putsch zuvorgekommen, vielmehr träumte auch Seeckt gar nicht unberechtigt vom politischen Handeln als Diktator (S. 131). Somit stellt sich das Ereignis vom 9. November 1923 als vielschichtig dar, bei dem Falsch- und Mitspieler aus dem blauweißen und schwarzweißroten La ger häufig die Farben wechselten und Hitler in seiner impulsiven Aktion Ludendorff mitriß, jenen Ludendorff, der wieder seinerseits die Rückkehr des verhaßten Wittelsbachers auf den Thron Bayerns mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Konkret ist der Putsch in München eigentlich nur an Zufälligkeiten gescheitert, vor allem an den wenigen Einheiten der Landespolizei, die an der Feldherrnhalle — auch nur durch eine Kette von Zufällen — das Feuer eröffneten und damit der zögernden Reichsgewalt unter Seeckt die richtige Karte zuspielten. Daß in der Untersuchung Hofmanns auch für die österreichische Zeitgeschichte nicht uninteressante Details zutage treten mit Querverbindungen zu Ungarn (S. 52), und zu Starhemberg (S, 144), bestätigt die Vermutung, daß man bei einer exakten Erforschung der Jahre 1919 bis 1924 auch immer die verwandten politischen Bewegungen im Donauraum mit einbeziehen muß. Hitler konnte ebenso wie Luden- dorff bei dem berühmten Prozeß seine

Argumente gegen die Anklagebehörde erfolgreich verwenden und gleichzeitig in seiner Festungshaft in Landsberg den Schluß ziehen, der für seine weitere politische Laufbahn von größter Bedeutung war. Gegen die Reichswehr, aus deren Reihen er hervorgegangen war, gab es keinerlei entscheidenden Faktor, auch nicht die Wehrverbände der Bürgerkriegssituation des Jahres 1923. Einen Tag vor dem verhängnisvollen 30. Juni 1934 veröffentlichte der damalige Reichskriegsminister General von Blomberg im „Völkischen Beobachter“ einen Artikel, in dem er Hitler als den Führer, „der einst aus unseren Reihen hervorging“, vor der SA Röhms warnte. Einen Tag später vollzog sich in einem Blutgericht die Liquidierung der Erbmasse des 9. November 1923, bis der Kampf zwischen dem „grauen Fels der Reichswehr“ und der „braunen Flut“ der nationalsozialistischen Revolution am 20. Juli 1944 den letzten Höhepunkt und die endgültige Entscheidung erlebte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung