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Manchen: 8. November 1923

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Am 26. September 1923 hatte die Reichsregierung (Stresemann) den passiven Widerstand an der Ruhr infolge völliger finanzieller Erschöpfung einstellen müssen. Die Inflation erreichte zu diesem Zeitpunkt ihren Höchststand, die deutsche Mark versank ins Bodenlose, die Notendruckereien konnten mit der sich nunmehr überstürzenden Entwertung ebensowenig mehr Schritt halten, wie der einfache Mann mit den astronomischen Ziffern auf den Geldscheinen sich zurechtfinden vermochte.

Am gleichen Tage, an dem die Ruhraktion eingestellt wurde, verhängte die bayerische Regierung den Ausnahmezustand und übertrug die vollziehende Gewalt an ein Gen e-ralkommissariat, das von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Gustav von K a h r geleitet wurde. In Erwiderung auf diese eigenmächtige bayerische Maßnahme verkündete der Reichspräsident noch in der Nacht zum 27. September den Ausnahmezustand über das Reichsgebiet und übertrug die vollziehende Gewalt dem Reichswehrminister G e ß 1 e r. Der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich lebte nun in Deutschlands dunkelster Stunde erneut auf. Der französische Ueberfall auf das Ruhrgebiet, das wirtschaftliche Herz des Reiches, schien seinen Zweck, das mit dem Waffenstillstand und dem Versailler Vertrag nach dem Kriege fortgesetzte Zerstörungswerk an Deutschland, nun zu erreichen. Zu der finanziellen Zerrüttung, der wirtschaftlichen Entmachtung gesellte sich der politische Separatismus am Rhein, in der Pfalz und in Bayern. Ueberau planmäßig geschürt von der Besatzungsmacht.

Die bayerische Regierung hatte die Errichtung des Generalstaatskommissariats als notwendige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung begründet. Anlaß dazu gaben vierzehn von den Nationalsozialisten angekündigte Massenversammlungen, die der Auftakt zu einem Staatsstreich sein sollten. Kahrs erste Maßnahme war, das Verbot dieser Versammlungen. Aber dies war nur der äußere Anlaß gewesen. Die tieferen Gründe für die Errichtung des Generalstaatskommisarats hingen mit der allgemeinen Lage Deutschlands und dem Verhältnis Bayerns zum Reich zusammen. Die staatsrechtliche Auseinandersetzung zwischen Bayern und dem Reich hatte durch die Revolution von 1918/19 und die Folgen des Kapp-Putsches in Bayern den Charakter eines weltanschaulichen und sozialen Konfliktes zwischen Süd und Nord, zwischen. München und Berlin erhalten.

Schon unter der ersten bürgerlichen Regierung Bayerns, dem Ministerium Kahr (1920/21), kam es zu einem scharfen Konflikt mit der Berliner Regierung, der mit dem Rücktritt Kahrs endete. Der Streit zwischen Bayern und dem Reich schwelte weiter; Bayern focht einen im Grunde hoffnungslosen Kampf um sein föderalistisches Staatsprinzip und mußte eine Niederlage nach der anderen einstecken. Jetzt, im Jahre 1923, in der furchtbarsten Krise des Reiches, das seinem Ende entgegenzugehen schien, lebte dieser Kampf erneut auF; das Generalstaatskommissariat Kahr war eine neue Kampfansage gegen Berlin. Kahr war der nach außen sichtbare Vertreter des föderalistischen Selbstbehauptungswillens Bayerns. Protestant und streng monarchisch gesinnter Staatsbeamter der alten Schule, suchte er den monarchisch-bundesstaatlichen Gedanken wieder zu verwirklichen. „Weißblau“, als Symbol des bayerischen Staates, suchte er mit „Schwarzweißrot“, dem Symbol des bundesstaatlich-monarchischen Reiches, z1' vereinen. Da er nichts weniger als ein Politiker oder gar ein den überdurchschnittlichen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit gewachsener Staatsmann war, wurde er Werkzeug und Opfer der ihn benützenden Kräfte des Hintergrundes.

Mit Beginn seines Generalstaatskommissa riats trat sofort die Spaltung der „Vaterländischen Verbände“ ein, auf die er sich vornehmlich zu stützen suchte. Der „Deutsche Kampfbund“, der Anfang September 1923 in Nürnberg unter dem Protektorate Ludendorffs gegründet wurde und die Nationalsozialisten den „Bund Oberland“ (Führerm Dr. F. Weber) und die „Reichsflagge“ (Führer Hauptmann Heiß) umfaßte, nahm gegen den Generalstaatskommissar eine ablehnende Haltung ein. Hitler wurde am 26. September politischer Führer des Kampfbundes; Geschäftsführer war Doktor von Scheubner-Richter, militärischer Leiter Oberstleutnant H. K r i e b e 1. Der „Kampfbund“ war praktisch das Machtinstrument Ludendorffs. Rechtsradikal, völkisch und scharf antisemitisch, erstrebte er den gewaltsamen Staatsstreich, die nationale Diktatur und die Eroberung des roten Berlin von Bayern aus. Ludendorffs Plan und Programm beruhte auf der Fiktion, sein Name genüge, um den ausschlaggebenden Machtfaktor, die Reichswehr, für seine, des Kampfbundes, Sache zu gewinnen. An dieser Fiktion scheiterte der Staatsstreichversuch vom 8. und 9. November 192 3.

Hatte sich um Ludendorff die radikale Richtung der „Schwarzweißroten“ geschart, so stand die gemäßigte Richtung auf seiten Kahrs, der mit Gleichgesinnten in Norddeutschland in Unterhandlung stand. Auch in Norddeutschland waren seit geraumer Zeit Bestrebungen im Gange, das parlamentarische Regierungssystem durch eine rechtsgerichtete Direktorialregierung zu ersetzen. Nicht nur der Alldeutsche Verband mit seinem Führer Justizrat C1 a ß betrieb solche Pläne; sie rankten sich auch um die ausschlaggebende Persönlichkeit für jeden inneren Machtkampf, den General von Seeckt, der die Reichswehr in der Hand-hatte. Kahr verhandelte monatelang mit norddeutschen Gruppen (Claß, Seeckt, Reichslandbund); sein Zaudern, seine Unschlüssigkeit war wesentlich durch den schleppenden Gang dieser Verhandlungen bedingt, vor allem durch die undurchsichtige und vorsichtige Haltung des Generals von Seeckt, der eigentlichen Schlüsselgestalt der innerpolitischen Auseinandersetzung im Herbst 1923.

Im Gegensatz zu der von ideologischen und engstirnigen Gesichtspunkten bestimmten Politik amtlicher und nichtamtlicher Politiker und Militärs in München waren die maßgeblichen Persönlichkeiten in Berlin bemüht, den Konflikt mit Bayern, der nur eines von vielen, den Weiterbestand des Reiches bedrohenden Problemen, wenn auch im Augenblick das schwerwiegendste, war, nicht zu verschärfen, sondern abzuschwächen und möglichst gütlich beizulegen. Es kann vorweggenommen werden, daß diese weise Politik, die gleicherweise vom Reichspräsidenten, vom Reichskanzler Stresemann und vom Chef der Heeresleitung von Seeckt betrieben wurde, sich nach Ueberwindung kritischer und gefährlicher Lagen, erfolgreich durchsetzte. Die erste Niederlage erlitten die rechtsradikalen Bestrebungen mit der raschen Niederschlagung des Küstriner Putsches der Schwarzen Reichswehr unter Major Buchruckcr.

Der Monat Oktober war gekennzeichnet durch eine gefährliche Zuspitzung der Spannung zwischen Bayern und dem Reich und durch die rasche und energische Beseitigung der linksradikalen Gefahr in Mitteldeutschland (Sachsen und Thüringen).

Bereits Ende September wurde durch die Haltung des Generalstaatskommissars und des bayerischen Landeskommandanten General von Lossow die Lage verschärft. Letzterer verweigerte den Gehorsam gegenüber dem Reichswehrminister, seinem Vorgesetzten, als dieser das Verbot des „Völkischen Beobachters“ wegen beleidigender Angriffe auf General von Seeckt verlangte. Lossow stellte sich hinter Kahr, der mit Rücksicht auf seine Bemühungen, alle vaterländischen Verbände unter seiner Leitung wieder zu vereinen, das Organ der Nationalsozialisten ungeschoren ließ. Als der Reichswehrminister daraufhin am 20. Oktober General von Lossow wegen bewußten Ungehorsams seines Dienstes enthob und den General Kreß von Kressenstein zu seinem Nachfolger ernannte, deckten die bayerische Regierung (Knilling) und Kahr den General von Lossow, verhinderten seinen Rücktritt und verpflichteten die siebente Division (das bayerische Reichswehrkontingent) am 22. Oktober 1923 auf Bayern. Der Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, brandmarkte in einem Erlaß an die Reichswehr das Verhalten des Generals von Lossow als offene Meuterei, die Reichsregierung bezeichnete das Vorgehen der bayerischen Regierung als Verfassungsbruch. Die Rede, die der Stellvertreter Kahrs, Oberregierungsrat Freiherr von A u f s e ß, am 20. Oktober in München hielt, ließ keinen Zweifel darüber, daß die amtlichen Gewalten Bayerns einen Staatsstreich gegen Berlin vorbereiteten; darin hieß es: „Heute gehen auch wir mit Hitler zusammen. Wir wollen nicht los vom Reich, nichts gegen das Reich, aber gegen die Reichsregierung. Man wartet in N o r d d e u t s c h I a n d bloß darauf, daß wir losschlagen; aber das muß alles vorbereitet sein ...“

Dort, im Norden, schritten die Verhandlungen zur Bildung eines „Reichsdirektoriums“ nur langsam weiter. Der ehemalige Generaldirektor von Sannes M i n o u x sollte die Leitung übernehmen, führende Rechtspolitiker Westdeutschlands, wie der Oberbürgermeister von Duisburg K. J a r r e s. und der frühere Oberbürgermeister von Köln M. Wallraf, wurden als Mitwirkende genannt, ferner der deutsche Botschafter in Washington W i e d f e 1 d t und, als im Hintergrund stehend, der Chef der Heeresleitung General von Seeckt und General Reinhardt. Dieses sogenannte „Deutschnationale Aktionskomitee“ hatte seinen Schwerpunkt im Rheinland. Seine Pläne berührten sich mit den damaligen Bestrebungen führender Politiker der Zentrumspartei, einen Rhein-Ruhr-Staat mit eigener Währung unter französischem Protektorat zu gründen.

Die Pläne Kahrs und seiner Hintermänner (Dr. P i 11 i n g e r vom Bund „Bayern und Reich“, Kardinal Faulhaber, Dr. Heim und der Kabinettchef des bayerischen Kronprinzen, Graf Soden) liefen auf die Schaffung eines katholischen süddeutschen Staatenblocks unter Einbeziehung Oesterreichs ohne Wien hinaus und sollten mit den norddeutschen Bestrebungen koordiniert werden. Der gemeinsame Grundgedanke war die Schaffung eines antibolschewistischen mittel- und westeuropäischen katholischen Staatenblocks unter französischer Führung. Verhandlungen mit Frankreich wurden auch von Seiten Kahrs monatelang gepflogen und scheinen zu einem grundsätzlichen Uebereinkommen gediehen zu sein.

Die schärfsten Gegner dieser Separationsbestrebungen waren die Sozialdemokraten und auf der Rechten die Völkisch-Großdeutschen, deren führendes Haupt Ludendorff, deren tatkräftigster Agitator Hitler war.

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