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Die Entscheidung reift heran

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Zu Beginn des Monats November reifte die Entscheidung unter dem Zwang der Verhältnisse heran. Am 1. November fand zwischen Hitler und Oberst von Seisser, der im Begriffe war, nach Berlin zu fahren, um mit General von Seeckt eine entscheidende Aussprache zu führen, eine Unterredung statt, die die Zwangslage Hitlers scharf beleuchtete.

„Herr Oberst“, erklärte Hitler, „ich werde warten bis Sie zurück sind, aber handeln Sie dann und veranlassen Sie den Herrn Generalstaatskommissar zum Handeln, es ist allerhöchste Zeit. Die wirtschaftliche Not treibt unsere Leute, so daß wir entweder handeln müssen oder unsere Kreise zu den Kommunisten abschwenken. Wenn Sie zurück sind und nicht gehandelt wird, so bin ich gezwungen, selbständig vorzugehen.“

Seissers Reiseergebnis brachte nun die Entscheidung hinsichtlich der Haltung Kahrs gegenüber dem Kampfbund. Die amtlichen Staatsstreichplaner ließen die nichtamtlichen endgültig fallen. General von Seeckt war ein scharfer Gegner der irregulären und halblegalen Verbände. Die Einigung zwischen ihm und Claß war erfolgt, und Kahr mußte die Freikorps, das heißt den Kampfbund und den Grenzschutz Ehrhardt, opfern. Ludendorff war vor allem außenpolitisch nicht tragbar, und die geplante nationale Diktatsur Seeckt konnte sich mit Rücksicht auf Frankreich mit dem Namen Ludendorff nicht belasten.

In den ersten Novembertagen erbeutete der Nachrichtendienst der Nationalsozialisten einen Bericht der preußischen Gesandtschaft • in München an die Reichsregierung, aus der die Pläne Kahrs zusammen mit dem norddeutschen Aktionskomitee und das Zusammenspiel mit Frankreich, in dessen Einverständnis der Staatsstreich Kahrs durchgeführt werden sollte, hervorgingen. Das war für Hitler das entscheidende Signal zum Losschlagen; er wollte mit seiner großdeutschen Konzeption der separatistischen Kahrs zuvorkommen.

Kahr ließ den Kampfbund im ungewissen; lediglich den Leiter des Grenzschutzes, Kapitän Ehrhardt, verständigte er, daß die für 3en 8. und 9. November angesetzte „Uebung“ ausfalle. In einer allgemeinen Besprechung am 6. November warnte Kahr scharf vor eigenmächtigem Vorprellen einzelner Verbände; das Zeichen zum Losschlagen gebe er. General Lossow und Oberst Seisser bekräftigten diese Ausführungen. Das Unternehmen Kahr wurde auf ungefähr Mitte November festgesetzt.

Da Ludendorff und Hitler merkten, daß sie aus dem Spiele ausgeschaltet werden sollten, und sie aus dem erbeuteten Bericht die Pläne Kahrs kannten, entschlossen sie sich, dem zuvorzukommen und loszuschlagen. Zwei Pläne lagen für die Aktion vor: einer von Oberstleutnant Kriebel, wonach im Anschluß an eine Nachtübung vom 10. auf den 11. November nach München einmarschiert, die Regierung gestürzt und Kahr, Lossow und Seisser zur Uebernahme der vorgesehenen Aemter veranlaßt werden sollten. Der zweite Plan, der >ran Hitler stammte und durchgeführt wurde, sah die dann verwirklichte Aktion im Bürgerbräukeller am 8. November vor.

Die vaterländische Versammlung im Bürgerbräukeller ging auf die Initiative von Professor C o ß m a n n und Dr. S c h i e d t, dem Chefredakteur der „Münchner Zeitung“ und Pressechef Kahrs, zurück und wurde durch Kommerzienrat Z e t z, eine führende Persönlichkeit der vaterländischen Verbände, einberufen. Ursprünglich nur für geladene Gäste bestimmt, wurde sie infolge einer Presseindiskretion überfüllt. Die Rede Kahrs sollte der Auftakt zu dem für die darauffolgende Woche vorbereiteten Staatsstreich sein.

Kahr wurde in seiner Rede durch den Ueberfall Hitlers unterbrochen. Bezeichnenderweise war die erste Frage, die General von Lossow an Hitler richtete, ob es in Berlin schon „losgegangen“ sei. Hitler proklamierte die nationale Revolution, die Einsetzung einer nationalen Reichsregierung Hitler, mit Ludendorff als Führer der nationalen Armee, Lossow als Reichswehrminister, Seisser als Polizeiminister; Kahr sollte Landesverweser von Bayern werden, Pöhner bayerischer Ministerpräsident. Ludendorff, der der Versammlung absichtlich ferngeblieben war, wurde von Scheubner-Richter herbeigeholt. Unter seinem Einwirken wurde der Widerstand von Kahr, Lossow und Seisser überwunden und deren scheinbare Zustimmung erreicht. Die spätere amtliche Darstellung, clie drei letztgenannten Persönlichkeiten hätten nur „Komödie“ gespielt, um die Freiheit des Handelns möglichst rasch wieder zu erreichen, trifft nicht zu, jedenfalls reicht für Kahr. Die Einigung der Gruppe Ludendorff-Hitler mit Kahr-Lossow-Seisser wurde von der Versammlung mit begeistertem Beifall aufgenommen.

Nach der großen Einigungsszene im Bürgerbräu verließen die maßgebenden Persönlichkeiten die Versammlung, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen.

General von Lossow fuhr von der Versammlung im Bürgerbräu direkt in die Stadtkommandantur; dort wurde er vom Stadtkommandanten, General D a n n e r, mit den Worten empfangen: „Exzellenz, das war doch alles nur Bluf f?!“ General Danner hatte zusammen mit den Generälen von Kreß — man erinnere sich, daß dieser vom Reichswehrminister als Nachfolger des meuternden Generals von Lossow eingesetzt worden war! — und General Ruith auf die ersten Nachrichten von den Vorgängen im Bürgerbräukeller die militärischen Maßnahmen zur Niederschlagung des Staatsstreiches mit der Weisung eingeleitet, daß alle Befehle, die unter dem Namen des Generals Lossow an Reichswehr und Landespolizei ergingen, nicht zu befolgen seien und nur Befehle des Generals Danner Geltung besäßen. Vor diese vollendete Tatsache sah sich General Lossow bei Eintreffen in der Stadtkommandantur gestellt; selbst wenn er sein in der Versammlung gegebenes Wort hätte halten wollen, so wäre er dazu nicht mehr in der Lage gewesen, da die Generale Danner, von Kreß. und Ruith entschlossen waren, auch gegen ihn selbst vorzugchen. Die Generale Danner, von Kreß und Ruith standen unbedingt hinter Seeckt; als „schwarzrotgold“ und republikanisch Gesinnte nahmen sie entschlossen Front gegen die „schwarzweiß-rote“ Reaktion und gegen jeden die Verfassung und die Reichseinheit gefährdenden Staatsstreich.

Außer diesen Maßnahmen von Seiten der bayerischen Reichswehr aber wurden noch in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923 von Berlin aus militärische Anordnungen zur Niederschlagung des Putsches getroffen. Auf die Nachricht von den Vorgängen in München wurde dem General von Seeckt die vollziehende Gewalt übertragen; die Diktatur Seeckt war damit Wirklichkeit geworden. Dieser leitete sofort die Reichsexekution gegen Bayern ein, die aber rasch rückgängig gemacht wurde, als man in Berlin erfuhr, daß die bayerische Reichswehr und die gesetzmäßigen Gewalten geschlossen gegen das Ludendorff-Hitler-Unternehmen seien.

Aber nicht nur von der militärischen Seite war der Putsch von Anfang an hoffnungslos; auch von der politischen trat sofort eine energische Gegenwirkung ein, die von den Führern des Staatsstreichunternehmens nicht vorausberechnet war.

In der Versammlung waren die anwesenden Minister verhaftet worden; um die nichtanwesenden kümmerte man sich nicht. Das wurde den Putschisten zum Verhängnis. Der Kultusminister Dr. Matt (Bayerische Volkspartei) setzte sich auf die Kunde von den Vorgängen im Bürgerbräu sofort mit maßgeblichen Persönlichkeiten der Bayerischen Volkspartei in München und Regensburg in Verbindung und machte Kahr und Seisser darauf aufmerksam, daß er, Matt, die gesetzmäßige Regierung zusammen mit den nicht verhafteten übrigen Ministern Krausneck und Oswald verkörpere. Er gab einen Aufruf heraus, in dem gegen den „Preußen Ludendorff“ Stellung genommen und die bayerische Bevölkerung zum Festhaken an der gesetzmäßigen Regierung aufgefordert wurde.

Damit war das Schicksal des Putsches besiegelt.

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