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Attentat als Sache des Gewissens

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200 Nazi-Gegner wurden hingerichtet, 7.000 wurden verhaftet; der 20. Juli 1944 fegte das Terror-Regime Adolf Hitlers jedoch nicht hinweg.

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200 Nazi-Gegner wurden hingerichtet, 7.000 wurden verhaftet; der 20. Juli 1944 fegte das Terror-Regime Adolf Hitlers jedoch nicht hinweg.

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Wer von einem christlichen Anteil an der einzigen Erhebung in Deutschland gegen das Unrechts-regime des Nationalsozialismus spricht, muß sich von vornherein dessen bewußt sein, daß es sich dabei nur um den Anteil einzeln'er Christen, ob Katholiken oder Protestanten, handeln kann. Die offiziellen Repräsentanten der Christen, sei es die katholische Kirche oder die evangelische Kirchen, konnten im besten Fall eine neutrale Haltung zu diesem Regime einnehmen, das heißt, daß sie sich ausschließlich auf ihre religiösen Aufgaben zurückzuziehen mußten.

Aber es hat genügend Christen gegeben, die sich nur aus ihrer Verantwortung heraus gegen das Regime engagierten, abgesehen von ganz vereinzelten Bischöfen, die es in der einen oder anderen Frage wagten, zum Begime auf Distanz zu gehen. Im konkreten Zusammenhang, dem des 20. Juli 1944, dem einzigen Aufstand gegen Hitler, den es im Dritten Beich gegeben hat, waren es jedoch ausschließlich einzelne Christen, die an diesem Aufstand in der einen oder anderen Weise mitgewirkt haben, wobei gleich an dieser Stelle festgestellt werden kann, daß diese Christen zu den repräsentativsten Trägern des Aufstandes gehört haben. Darunter sind Politiker, Gewerkschafter, Militärs oder Geistliche in einem Atemzug zu nennen, weil sie alle einen Teil dieser christliehen Verantwortung aus freien Stücken auf sich genommen haben.

Das Attentat auf Hitler in Rastenburg stellt sich zwar'als der spektakulärste Akt des Widerstandes dar, doch ist er nicht von den Militärs ausgegangen, wenn es auch einzelne Deutsche Generäle gegeben hat, die nicht erst einer Aufforderung bedurften, um sich in eine Verschwörung gegen das Regime einzulassen, sondern aus eigenem Antrieb bereit waren, sich dem Regime entgegenzustellen.

Es waren letztlich jedoch Politiker oder Gewerkschafter, die sich als erste in illegalen Zirkeln sammelten und dann auf einzelne Militärs einzuwirken versuchten, sich ihren Bestrebungen anzuschließen. Das gilt vor allem für einen gewerkschaftlichen Widerstandskreis in Berlin, dem Führungspersönlichkeiten der früheren deutschen Bichtungsge-werkschaften angehörten und sich bereits konstituierte, als Hitler an die Macht gekommen war, einmal abgesehen von ihren vorausgegangenen Bemühungen, im Zusammenwirken mit General Schleicher, Hitlers „Machtergreifung" überhaupt erst zu verhindern, was leider aufgrund verschiedener Intrigen gescheitert ist, an denen nicht zuletzt Hitlers späterer Sonderbeauftragter für Osterreich, Franz von Papen, beteiligt war. An dieser älteren Widerstandsgruppe waren bereits führende Persönlichkeiten der früheren christlichen Gewerkschaften beteiligt, an ihrer Spitze Jakob Kaiser, vor 1933 Organisationsleiter dieser Gewerkschaftseinrichtung, neben ihm Elfriede Nebgen, die in ihrer Frauen-

Organisation eine führende Bolle spielte, aber auch Bernhard Letterhaus, ein führender Kopf in der katholischen Arbeiterbewegung Westdeutschlands, dann Josef Wirmer, in dessen Bechtsanwaltskanzlei in Berlin viele Gespräche dieser Gruppe geführt wurden und zahlreiche andere christliche Gewerkschaftsfunktionäre, die diesem Gewerkschaftskreis angehörten, aus dem 1943 der Goerdelerkreis hervorgegangen ist. Sie alle waren als aktive Katholiken zu bezeichnen. Auf evangelischer Seite war es vor allem Max Habermann, ein gläubiger Protestant, lange Zeit Vorsitzender des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes, der auch in Österreich eine Bolle spielte, der zu diesem Kreis, bereits in der Anfangsphase gestoßen ist. Kaiser, Nebgen und Wirmer waren die Verfasser der ersten Denkschrift, in der gegen die Gewalttaten des Hitlerregimes Stellung genommen wurde. Es war auch die erste Denkschrift, 1936 geschrieben, die einem hohen Militär, nämlich Generaloberst Fritsch übergeben wurde, dem das Begime später äußerst übel mitgespielt hat. Dieser Denkschrift folgten viele andere, immer mit der Aufforderung verbunden, gegen das Begime etwas zu unternehmen. In diesem gewerkschaftlichen Widerstandskreis, zu dem nach seiner Entlassung aus einem KZ von der sozialdemokratischen Seite Wilhelm Leuschner gestoßen war, war man sich nämlich von vornherein darüber klar, daß die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nicht durch so etwas wie einen Volksaufstand gestürzt werden konnte, sondern nur durch ein Engagement der Wehrmacht zu überwinden war.

Es war gleichzeitig jene Gruppe, die bis zum 20. Juli 1944 die Verbindung zu den rebellierungswilligen Generälen aufrechterhalten, ihr die politischen Ziele vorgegeben und die organisatorische Vorbereitung getroffen hatte, ohne die ein militärischer Akt verpuffen hätte müssen. Zwar bestand eine Verbindung zum Kreisauerkreis, von dem auch zahlreiche geistige Anregungen ausgegangen waren, der sich aber eben darauf beschränkte, in Form von Entwürfen nur geistige Vorarbeit zu leisten, um für die Zeit nach Hitler gewappnet zu sein.

Es hat zwischen den beiden Kreisen auch Differenzen gegeben - so lehnte der Kreisauerkreis die Überwindung der Bichtungsgewerkschaften durch eine gewerkschaftliche Einheitsorganisation ab, was Hauptanliegen Leuchners, Kaisers und Habermanns war - aber auch für den Kreisauerkreis spielte jene christliche Verantwortung eine Rolle, aus der heraus der Goerdelerkreis zum Handeln entschlossen war.

Zu den führenden Persönlichkeiten, die immer wieder auf eine Aktion drängten, gehörte der Leiter des Kettlerhauses in Köln, Prälat Otto Müller, der wiederholt nach Berlin kam, um sich über die illegalen Bestrebungen nicht nur zu informieren, sondern auch zur Eile zu drängen. Er büßte seinen Einsatz schon vor dem 20. Juli mit dem Leben. Aber auch der Jesuitenpater Alfred Delp - er wurde in Verbindung mit dem 20. Juli 1944 in Plötzensee hingerichtet — stand mit dem Goerdelerkreis in Verbindung, gehörte aber auch dem Kreisauerkreis an. Weiters ist der Provinzial der Dominikaner in Walberberg, Pater Laurentius Siemer, zu nennen, der zusammen mit Eberhard Welty wesentliches zu den sozialen Zielsetzungen des Goer-delerkreises beigetragen hat. Dietrich Bonhoeffer von der Bekennenden Kirche setzte seine Auslandsbeziehungen für den Widerstand ein; er übermittelte dem britischen Außenminister Anthony Eden eine Denkschrift, in der die britische Be-gierung über den Umfang der illegalen Bestrebungen im Dritten Beich informierte.

Aber auch viele Generäle, die sich zum Widerstand -entschlossen hatten, handelten aus christlicher Überzeugung. Es war für sie eine Frage des christlichen Gewissens, jene Greueltaten in Deutschland selbst, aber auch in den besetzten Gebieten, über die sie am besten informiert waren, nicht ruhig hinzunehmen, sondern sich dagegen aufzulehnen, selbst um den Preis, den sie schließlich dafür bezahlen mußten. Das gilt für Beck ebenso wie für Hammerstein-Eduard, Tresckow, Witzleben oder Stauffenberg, ob sie nun durch preußische Traditionen oder durch ihre Katholizität veranlaßt wurden, sich dem Begime entgegenzustellen, und von einer Macht, die sie nicht erst erringen mußten, sondern schon inne hatten, Gebrauch zu machen. Sie waren es auch, die noch 1944 zur Tat drängten, obwohl ein Widerstand beinahe schon sinnlos geworden war, weil mit ihm keine positiven politischen Ziele mehr erreicht werden konnten, da sie es ihrem Volk schuldig zu sein glaubten, es von dem Odium zu bewahren, Hitler bis zu seinem Schritt in den Abgrund die Treue gehalten zu haben. Wenn irgendwann aus rein christlichem Gewissen gehandelt wurde, dann am 20. Juli 1944. Hier liegt auch der springende Punkt. Es war zuletzt ein ethischer Imperativ, aus dem der 20. Juli 1944 verstanden werden muß; und weil es zuletzt ein ethischer Imperativ war, darum waren es auch christliche Kräfte, die mit der heroischen Tat dieses Tages so innig verbunden sind.

Der Verfasser dieses Beitrages stand seit dem November 1939 mit führenden Repräsentanten des Goerde-lerkreises in Verbindung und erhielt von ihnen im Jänner 1943 im Rahmen einer Besprechung in Berlin den Auftrag, für die geplante einheitliche Gewerkschaftsorganisation einen ideologischen Leitfaden auszuarbeiten

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