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Die Abrechnung Marschall Badoglios

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Das Memoirenwerk Marschall Pietro Badoglios, das der Mailänder Verlag Arnaldo Mondadori in diesem Sommer herausbrachte, ist ein unentbehrlicher Beitrag zur Kenntnis der neuesten Geschichte, an der Italien unter der Führung Mussolinis einen so unheilvollen Anteil nahm. Wäre Italien vom Kriege ferngeblieben, so w:'re der Welt die riesige Ausdehnung der Kriegsschauplätze, der Verlust von Millionen Menschanleben erspart geblieben und hätte wahrscheinlich der Krieg um zwei Jahre eher sein Ende gefunden. Es ist erschütternd zu erkennen, wie der Wahnwitz weniger Menschen imstande war — allen Warnungen und Widerständen der Vernünftigen zum Trotz —, viele Staaten und Völker ins Unglück zu stürzen.

In Badoglios grundlegendem Werk „L' Italia nella seconda guerra mondiale“ tritt deutlich hervor, welch itarker Gegenspieler der Marschall, der gefeierte Führer im Abessinienfeldzug, für Mussolini seit jeher war. Der Duce haf nach seiner Befreiung durch deutsche Fallschirmtruppen aus seiner Gefangenschaft im Apennin in seinem Tagebuch seinen alten Gegner Badoglio etwas kleinkaübrig der Eitelkeit geziehen. Im Grunde hatte Beni o Mussolini nie vergessen, daß Badoglio 1922 bei dem Faschisten marsch auf Rom dem König erklärt hatte, er könne in 48 Stundin den ganzen Faschismus an die Wand drük-ken. Von Anfang an war er ein skeptischer Verneiner des Faschismus und seines Anspruchs als staatstragende und staatsreformierende Partei. Der nüchterne Piemontese, der selbst jeder tönenden Phrase abhold ist, sah schärfer wie andere, vor allem im Ausland, den Zug des Theatralischen an der neuen Bewegung und lehnte das letzten Endes der Nation selbst gefährlich Kulissenhafte und Improvisierte, besonders in der internationalen Politik, ab. Für Menschliches und Allzumenschliches in der Parteihierarchie hatte er eine kühl abweisende Handbewegung und konnte als Monarchist sich wenig mit einer „Aristokratie“ der früh erworbenen Parteikarte befreunden. Unerbittlich ist die Rechnung, die Badoglio vor allem in dem ersten Teil seines in zwei Hauptteile und einen Anhang zerfallenden Buches gegen die persöhnliche Unzulänglichkeit Mussolinis als Außenpolitiker und Ignorant in militärischen Fragen aufstellt. Schon im ersten Kapitel „Abessin'en und Albanien“ wirft er dem Duce „Dilettntis-mus und Unzulänglichkeit auf dem Gebiete der Außenpolitik“ vor, weil gerade er gegen die Auffassung Großbritanniens den Eintritt Abessiniens in den Völkerbund (1923) betrieben habe. Den gleichen nachteiligen Eindruck vermittelt ein e i g e n h “ n-diges Promemoria, das Mussolini im April 1939 über die europäische Lage an Hitler mit je einer Abschrift an den König und an Badoglio schickte. Darin erklärte der Diktator, daß binnen kurzer Zeit ein Krieg zwischen den reichen und armen Nationen, zwischen denen mit hoher und niedriger Geburtenziffer, unvermeidlich sei. Italien sei aber nicht vor 1943 zum Kriege gerüstet, und 1942 hoffe er durch eine römische Weltausstellung viel fremde Valuta zu erhalten, die für die Kriegsvorbereitung nützlich sein werde.

Diese Argumentation bezeichnet Badoglio als geradezu kindisch und faßt den Ge amt-cindruck der Denkschrift als höchst peinlich auf. Ihr stellte er selbst alsbald ein kurzes Memorandum von sechs Punkten entgegen, worin er unter Ziffer I versicherte, daß die italienische Wehrmacht mit Ausnahme der Marine in einem Zustand völliger Unvsr-bereitung sich befinde und unter Punkt 4 den Eintritt Italiens 1943 in einen Krieg wegen der auch dann noch nicht abgeschlossenen Rüstung für unmöglich erklärt.

Als Hitler sich im Juli 1939 zum Kriege entschieden hatte und Mussolini in einem Briefe mitteilte, daß er überzeugt sei, daß weder England noch Frankreich „ihre Zukunft aus Liebe zu den Polen aufs Spiel setzen würden“, erklärte Mussolini erregt zu Badoglio:

„H itler und Ribbentrop verstehen überhaupt nichts! Das ist die genaue Wiederholung des von Wilhelm II. und seinem Kanzler 1914 begangenen Irrtums, als sie annahmen, daß England ungeachtet des Angriffes auf Belgien nicht intervenieren würde. Jetzt weist Hitler unsere Hilfe zurück, um sie zu verlangen, wenn die Dinge sich komplizieren. Die Deutschen sind als Feinde zu fürchten. Sie sind unerträglich als Freunde. Aber wenn Hitler beabsichtigt, nach seinem Kopf zu handeln, ist es nicht gesagt, daß ich nicht vollständig meine Handlungsfreiheit wieder nehmen kann. Inzwischen b e-treiben Sie sofort die Verstärkung der Grenze'gegen Deutsch-1 a n d.“

Man erinnert sich an dieser Stelle, wie eifrig tatsächlich an der Brennergrenze damals der Ausbau der italienischen Befestigungen betrieben wurde.

Badoglio war zwar von dieser Äußerung Mussolinis stark beeindruckt, zugleich kam ihm aber der Gedanke, daß das Schicksal Italiens nicht von einer gewissenhaften Prüfung seiner wirklichen Interessen, sondern von einem mehr oder minder veränderlichen Ubereinkommen zwischen den beiden Diktatoren abhänge. Die Achse Rom-Berlin sieht Badoglio nicht als eine Lösung an, die ausschließlich in den Köpfen der beiden Diktatoren gereift und ihren Ländern auferlegt worden war.

Höchst interessant ist eine vertrauliche Eröffnung, die König Viktor E m a-n u e 1 III. in dieser Beziehung seinem Marschall und Ministerpräsidenten erst 1943 in Brindisi machte. Daraus geht hervor, daß der Duce unter Verletzung des Artikels 5 der Albertinischen Staatsverfassung, die dem König den Abschluß von Bündnisverträgen als Reservatrecht zuerkennt, hinter dem Rücken des Monarchen den sogenannten Stahlpakt' mit dem Dritten Reich schloß. Der König rügte zwar bei Mussolini den Verstoß gegen das Staatsgrundgesetz, unternahm aber nichts weiteres, denn nach seinen Worten „war es nicht mehr möglich auf das Geschehene zurückzukommen, ohne schwere Verwicklungen hervorzurufen“.

Im weltgeschichtlichen Drama schürzt sich der Knoten für. Italien bei den Vorgängen, die der Autor in seinem dritten Kapitel „Mussolini entscheidet sich für die Intervention“ beschreibt. Nach der für das Dritte Reich günstigen Beendigung des Feldzuges in Holland und Belgien und bei dem sich schon abzeichnenden Zusammenbruch des französischen Heeres, glaubte Musiohn , daß audi der Fall Englands vor der Türe stehe. Er ist „wie von einem Taumel, von einem Fieberwahnsinn erfaßt, nicht vom Bankett des Siegers ausgeschlossen zu. werden“. Am 26. Mai 1940 kommt es zwischen Mussolini und Badoglio, im Beisein des Luftmarschalls Balbo, der che Auffassungen Badoglios teilte, zu einer Aussprache schärfster sachlicher Gegensätzlichkeit. Auf die Mitteilung des Duce, daß er Hitler benachrichtigt habe, vom 5. Juni ab gegen England in den Krieg zu treten, erwiderte Generalstabschef Badoglio unter anderem:

„Ew. Exzellenz sind vollkommen auf dem laufenden von unserer absoluten militärischen Unvorbereitung... Wie ist es möglich, unter solchen Bedingungen den Krieg zu erklären? Auch unsere Kolonien sind völlig entblößt. Ein großer Teil unserer Handelsschiffe befindet sich auf hoher See. Es ist ein Selbstmord!“

Einen Augenblick schien der Zeiger an der Uhr der Zeitgeschichte stehenzubleiben dann erwiderte der Diktator:

„Sie, Herr Marschall, hatten eine genaue Vorstellung von der Lage in Äthiopien im Jahre 1935. Jetzt fehlt Ihnen aber augenscheinlich die Ruhe für eine genaue Würdigung der gegenwärtigen Lage. Ich versichere Ihnen, daß im September alles vorbei sein wird, und daß ich einige tausend Tote notwendig habe, um mich an den Tisch der Friedensverhandlungen als Kriegführender zu setze n.“

Nach dem Abbruch dieses „tragischen Gespräches“ begab sich Badoglio sofort zu C i a n o, den er als notorisch deutschgegnerisch und kriegsfeindlich kannte, um von ihm genauere Aufschlüsse zu erhalten. Aber auch Ciano wußte nichts weiteres und verurteilte die Entscheidung seines Schwiegervaters als „einen wahren Wahnsinn“. Der Regierungschef war sowohl aus den Sitzungen des Obersten Verteidigurigsrates wie aus den Wochenberichten des Generalstabs, auch über die Einzelheiten der mangelnden Aufrüstung Italiens unterrichtet. So folgert Badoglio- „Wenn er ungeachtet dessen und, ohne von irgend jemand Rat anzunehmen, sich für die Kriegserklärung entschieden hat, muß die Verantwortung für diese Handlung völlig von ihm übernommen werden“.

Dem Sprung Mussolinis ins Dunkle folgte alsbald der erste Rückschlag mit dem mißglückten Feldzugsplan gegen Griechenland, den General Visconti-Prasca gegen den Vorschlag des Generalstabs ausgearbeitet hatte, und für den der Duce als Höchstkommandierender sich entschieden hatte. Auch da entläßt ihn Badoglio nidit aus der Verantwortlichkeit. So wird er dem Diktator unbequem, der ihn als Generalstabschef durch General C a v a 11 e r o ersetzt. Vorher kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Mussolini und Badoglio „in einer gesdimacklosen Szene“. Bereits am nächsten Tag setzt gegen den Sieger im abessinischen Feldzug in der gesamten faschistischen Presse Italiens eine persönliche Hetze ein. Das Tischtuch zwischen den beiden Männern ist endgültig zerschnitten, und liaJogiio uoer ..ireibt sein 5. Kapitel „Die Tyrannei im Todeskamp f“. in eindrucksvollen Schlaglichtern schildert der Stratege die Folgen der Niederlage General Rommels bei El-Alamein, a 1 s deren indirekten Urheber er Hitler ansieht, und dann die Katastrophe in Rußland, welche die italienischen Truppen besonders schwer traf. Auch die heftigen Luftangriffe auf Turin, Mailand und Genua nagten an der Widerstandskraft des wenig kriegsbegeisterten Volkes. Überall taucht die Redensart auf: „Bs schadet nichts, den Krieg zu verlieren, wenn wir nur den Faschismus loswerden“. Und er fiel, wie Badoglio im 6. Kapitel „Der Staats-streich“ bemerkt, „wie ein fauler A p f e 1“. Unerbittlich verbleibt der Marschall auch nach dem 25. Juli 1943, als Ministerpräsident, bei dieser Auffassung und erklärt Federzoni und G r a n d i, die ihn mit dem Aufkommen eines Linkssozi?. Ii smus zu schrecken suchen, daß der Faschismus den Nationalcharakter verdorben und das Land in eine verzweifelte Lage gebracht habe. Bald stellen sich für Badoglio, dem neuen Regierungschef, Sorgen anderer Art ein:

Die deutsche Gegenwirkung gegen • die Absdiwenkung der Badoglio-Regierung vom Bündnispakt, die Wiedererstehung eines parlamentarischen Staates in Italien, und das Verhältnis zu den neuen Alliierten. Diese Fragenkomplexe nehmen den ganzen zweiten Teil des Buches ein und treten uns auch auf mandier Seite der angeschlossenen Dokumentensammlung entgegen.

Es war die Absicht des Autors, das italienische Volk wissen zu lassen, wie der Gang der Entwicklung war, der Italien im zweiten Weltkrieg in solches Unglück gestürzt hat. Den Gedanken einer Selbstrechtfertigung schließt Badoglio aus. Als ihm nadi der Ausschaltung des Duce der König das Kommando über das in hoher Seenot befindliche Staatsschiff übergab, brannte er darauf, eine alsbaldige und möglichst ausgedehnte Rehabilitierung seines Landes, nach dem Muster der außenpolitischen Einstellung Italiens im ersten Weltkriege, zu erreichen. De in der Bewertung von sachlidien Realitäten und Zahlen so bewanderte Stratege läßt uns einen Einblick in die dornenvollen Schwierigkeiten und Enttäuschungen, der am 8. September 1943 unternommenen „Umkehr“ tun. Der treffliche Kenner seines eigenen Volkes ist doch kein Experte in der Psychologie der Freunde von gestern und Gegner von morgen, und er überschätzt die Chancen der nur sehr langsam bei den ehemaligen Gegnern wiedererwachenden förderlichen Gesinnung. Churchills Wort, daß Italien zunächst ein „Eintrittsgeld“ in die Allianz zahlen müsse, wird von Badoglio nur schwer hingenommen. Das Ringen um Geltung auf dem neuen, allerdings auch nicht ganz freiwillig gewählten Boden, tritt in peinvolle, ja tragische Stadien.

Die Memoiren und Dokumente Pietro Badoglios künden es der Mitwelt, und das Umschlagbild zeigt uns den greisen Feldherrn und Staatsmann, dessen hohe Denkerstirn von schmerzvoller Bitterkeit durchfurcht ist.

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