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Die Geburt der Achse

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Eine Untersuchung über die Entstehung der Achse Berlin—Rom war längst ein Wunsch der Historiker. Gab es doch nach 1945 sehr unterschiedliche Auffassungen über das Werden dieses seltsamen Bündnisses, dessen Endergebnis der sogenannte Anschluß war. Zunächst erschien einerseits seit 1932,33 Mussolini als der standhafte Verteidiger der österreichischen Unabhängigkeit und der Abessinienkonflikt der eigentliche Wendepunkt. Der Verfasser hat in breitester Form die einschlägigen Aktenbestände Deutschlands und Italiens verwendet und damit die jüngsten österreichischen Forschungsergebnisse, wie sie im Vorjahr bei der Tagung in Venedig den Mitgliedern der italienisch-österreichischen Historikerkommission vorgelegt wurden, in dankenswerter Weise ergänzt.

Die Grundlagen der Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini waren ideologischer Natur: beide Systeme und „Weltanschauungen“ 'hatten seit 1922 starke Kontakte, wobei von Seiten Mussolinis der aus Triest stammende Major Giuseppe Renzetti eine Schlüsselflgur war und schon seit der Frühzeit der NSDAP die Rolle eines inoffiziellen Botschafters Mussolinis bei Hitler einnahm. Die wiederholten Versuche, die beiden Schöpfer eines antidemokratischen Systems in einem Gespräch zusammenzubringen, scheiterten unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers an dem aufbrechenden Konflikt um Österreich, wobei die Rolle des ungarischen Ministerpräsidenten Gömbös, sich als Vermittler, aber gleichzeitig als Vertreter eines radikalen Rechtskurses in Österreich einzuschalten, aus den vorliegenden Untersuchungen besonders deutlich wird — also nicht nur, wie manche Rezensenten meinen, aus „einseitig“ gesehenen ungarischen Aktenforschungen.

Das Österreichproblem, und damit das Jahr 1934, war eine Bündelung von sehr wesentlichen Konfrontationen im Donauraum: Mussolinis Bestrebungen zum Aufbau einer festen ideologischen Bastion Rom—Wien— Budapest konnten nur über die Vernichtung der „Felsenfestung“ — wie er sich gerne bezüglich der österreichischen Sozialdemokratie ausdrückte — gehen. Anderseits mißtraute die italienische Politik Hitlers Versicherungen, zunächst nicht den Anschluß durchführen zu wollen, wenn man nur die verhaßte Regierung Dollfuß beseitigte und an die Stelle des „kleinen Kanzlers“, den Mussolini sehr schätzte, Rintelen als Übergangsfigur setzen sollte. Dies war auch der Kern der ungeklärten Besprechungen von Venedig vom 14. und 15. Juni 1934, wobei der Verfasser mit Recht darauf hinweist, daß der Juliputsch nur verständlich wäre auf Grund der vagen Ergebnisse der Venediger Besprechungen, bei denen mindestens die Möglichkeit einer Kanzlerschaft Rintelens erörtert wurde; diesbezüglich hat das schon 1964 publizierte politische Tagebuch Alfred Rosenbergs einen wichtigen Hinweis geliefert.

Die österreichfrage war aber auch eine Angelegenheit der außenpolitischen Berater des Duce: hier spielte Unterstaatssekretär Fulvio Su-vich, den Hitler 1933 bei seinem Berlin-Besuch als „ehemaligen“ österreichischen Staatsbürger mit Augenzwinkern als einen „Mitkämpfer“ gegen die habsburgische Monarchie begrüßte, eine entscheidende Rolle. Vertraut mit den Problemen des Donauraumes und der Nachfolge der k. u. k. Monarchie durch die Neustaaten und Italien, wollte Suvich die österreichische Bastion, so lange es nur möglich war, halten. Mit dem Aufkommen der neuen dynamischen Richtung um Ciano, vor allem nach der äußerst geschickten Politik Hitlers seit dem Ausbruch des abessini-schen Konfliktes, kam es auch personell zu einem Wandel: Ciano vertrat die Doktrin einer absoluten Anlehnung an Berlin und damit einer allmählichen Überlassung Österreichs ^n Deutschland. Am 7. Jänner 1936 wurde das erste Angebot gemacht, nachdem Mussolini seine Botschafter in Paris, Berlin und Brüssel konsultiert hatte. „Der einfachste Weg sei der, daß Berlin und Wien ihr Verhältnis auf der Basis der österreichischen Unabhängigkeit selbst in Ordnung bringen. Wenn Österreich so als formell unbedingt selbständiger Staat praktisch ein Satellit Deutschlands würde, so hätte er (Mussolini) dagegen nichts einzuwenden.“ Hitler hat diesen Sirenengesang wohl verstanden und sehr klug taktierend über den von Mussolini verlangten Vertrag vom 11. Juli 1936 seine Position gegen Österreich ausgebaut.

HITLER—MUSSOLINI. Von Jens Petersen. Bibliothek des deutschen historischen Instituts in Rom, Band XLIII, Max-Niemeyer-Verlag, Tübingen, 1973. 559 Seiten, Lw. DM 90.—.

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