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Der Knick in der Achse

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In diesen Tagen jährten sich zum 25. Male jene geschichtlichen Ereignisse, die zur Entstehung des „Unabhängigen Staates Kroatien“ während des zweiten Weltkrieges führten. In der modernen Geschichtskunde haben diese Begebenheiten noch keine gebührende Beachtung gefunden, weil man sie als nebensächlich im großen Kriegsgeschehen betrachtete — sie haben jedoch ihre Bedeutung vor allem darin, daß sie neuralgische Stellen und Rivalitäten zwischen Berlin und Rom aufzeigen und zwar in bis dahin unbekanntem Maße.

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In diesen Tagen jährten sich zum 25. Male jene geschichtlichen Ereignisse, die zur Entstehung des „Unabhängigen Staates Kroatien“ während des zweiten Weltkrieges führten. In der modernen Geschichtskunde haben diese Begebenheiten noch keine gebührende Beachtung gefunden, weil man sie als nebensächlich im großen Kriegsgeschehen betrachtete — sie haben jedoch ihre Bedeutung vor allem darin, daß sie neuralgische Stellen und Rivalitäten zwischen Berlin und Rom aufzeigen und zwar in bis dahin unbekanntem Maße.

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Als im Frühjahr 1941 15 deutsche Divisionen in Bulgarien einmarschierten, sah sich Jugoslawien von allen Seiten von Truppen der Achse umzingelt. Es verblieb nur noch eine Brücke zu den Alliierten: Griechenland. In dieser Lage war es der politischen Führung Jugoslawiens klargeworden, daß die bislang geübte Neutralität nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Die logische Konsequenz war der Bel-vederepakt vom 25. März 1941, mit dem sich Jugoslawien verpflichtete, gegen einen freien Zugang zum Hafen Saloniki den Durchmarsch deutscher Truppen nach Griechenland zu gestatten. Doch diese Vereinbarung des Prinzregenten Paul und der Regierung Cvetkoviä mit der deutschen Reichsregierung blieb nur auf dem Papier — der Belgrader Militärputsch, zwei Tage nach dem Paktabschluß, fegte sie hinweg und suchte Verbindung zu den Alliierten über ihren Brückenkopf in Griechenland. Hitler reagierte in seiner damals üblichen Weise durch blitzschnelle Maßnahmen: Obwohl das Reich noch kurz vorher am Bestand Jugoslawiens interessiert war, griff die deutsche Luftwaffe am Morgen des 6. April 1941 Belgrad ohne Kriegserklärung an und zerschmetterte das Zentrum der jugoslawischen Verteidigung. Am 10. April 1941, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Agram, wurde der kroatische Staat proklamiert, am 18. April kapitulierten die letzten Reste der jugoslawischen Armee bei Sarajevo. Jugoslawien hörte als selbständiger Staat auf zu bestehen, sein Staatsgebiet wurde von Deutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien entweder besetzt, oder es entstanden neue Statsgebilde, vor allem Kroatien.

Selbstverständlich spielte bei allen diesen Ereignissen eine seit langem im Ausland tätige kroatische nationalistische Emigration eine gewisse Rolle. Sie war am stärksten in Italien unter Führung des nachmaligen Statsführers, Dr. Ante Pavelii, vertreten, einzelne Teile befanden sich auch in Deutschland, Ungarn und Bulgarien.

Im Augenblick der Unterzeichnung des Belvederepaktes (Beitritt Jugoslawiens zum Dreierpakt) befand sich die Pavelic-Emigration in Italien in einer sehr kritischen Lage: Angehörige der Ustascha-Miliz waren schon nach dem Ciano-Stoja-dinouid-Pakt von 1937 auf den Liparischen Inseln und auf Sardinien interniert worden, während sich ihre Offiziere und politischen Führer unter Polizeiaufsicht in verschiedenen Ortschaften Mittel- und Süditaliens (Lucca, Altopascio, Greve) befanden. Eine gewisse Ausnahme bildete dabei eine Gruppe, die im Frühjahr 1940 (Zeitpunkt der italienischen Abkehr von Jugoslawien) von Süditalien in die Toskana überstellt und mit besonderen Aufgaben betraut wurde. Pavelic selbst befand sich damals in Florenz. In den ersten Märztagen 1941 wurde ihm von Baron le Ferraris, Kabinettchef im italienischen Außenministerium, mitgeteilt, daß Italien eine vollkommene Stillegung der Ustascha-Aktion bis auf weiteres wünsche. Paveli6 hielt sich daran bis zum Belgrader Putsch vom 27. März 1941, als die italienische Politik wieder eine Wendung um 180 Grad ausführte.

Bereits am nächsten Morgen (28. März) wurde Pavelic nach Rom gerufen und einen Tag später von Mussolini in der Villa Torlonia in Gegenwart von Anfuso (damals Stellvertretender Außenminister) empfangen.

Nach dem Mussolini-Besuch Pavelics begann auch Berlin, sich für seine Person zu interessieren. Damals war es schon vollständig klar, daß sich Deutschland an der kroatischen Frage interessiert zeigen werde. Das ging sowohl aus Erklärungen maßgebender deutscher Persönlichkeiten gegenüber jugoslawischen Politikern hervor (wie zum Beispiel Hitlers zu Cvetkovii anläßlich der Gespräche um den Beitritt Jugoslawiens zum Dreierpakt) als auch gegenüber der kroatischen Opposition.. Schließlich wurde von deutscher Seite ein unmittelbarer Kontakt mit Pavelic in Italien versucht. In den ersten Apriltagen 1941 kam nach Florenz in geheimer Mission im Auftrag Himmlers der Wiener Rechtsanwalt Dr. Erich Führer. Seine Aufgabe bestand darin, einen Besuch Paveli6s in Berlin vorzubereiten und die Möglichkeiten dazu zu erkunden. Die kroatische Emigrantengruppe in Italien hatte damals sonst weder eine Verbindung zur Heimat, noch war ihr etwas über die Verhandlungen der kroatischen Emigration in Deutschland (nachmaliger Justizminister Dr. Artukoviö und der Arzt Dr. Benzon) mit Berlin bekannt. Italienische Behörden begannen gleichzeitig mit einer Konzentrierung der bisher auf den Liparischen Inseln konfinierten Ustascha-Män-ner. Ein italienischer Offizier, Oberstleutnant Sangiorgio, wurde von der albanischen Front abberufen und mit der militärischen Ausbildung dieser Formation betraut. Die Konzentration wurde am 10. April Im Lager Pistoia beendet.

Als am 6. April begann, waren sowohl die Italiener als auch Pavelic vollkommen von den Ereignissen überrascht worden. Parallel mit der militärischen Aktion wurde vom 27. März an der gesamte deutsche militärische, diplomatische und polizeiliche Nachrichtendienst darauf konzentriert, die kroatische Bewegung in Jugoslawien maximal auszunützen. Obwohl auf Grund früherer Abmachungen zwischen den Achsenmächten Kroatien klar in die italienische Interessensphäre gehörte, war das Reich aus strategischen Gründen keinesfalls bereit, dieses Gebiet, das den Donauraum mit dem Mittelmeer verbindet, ohne weiteres Italien zu überlassen. Dabei bildete sich bei den deutschen

Dienststellen immer mehr der Standpunkt heraus, das- Land lieber unabhängig als italienisch toerden zu lassen.

Aus diesem Grunde sandte Ribben-trop schon am 31. März als seinen Sonderbeauftragten Dr. Edmund Veesenmayer nach Agram mit dem Auftrag, Fühlung mit der kroatischen Unabhängigkeitsbewegung aufzunehmen.

In diesen Tagen veranstalteten die Wiener Kroaten mit Erlaubnis des Gauleiters Baidur von Schirach, aber gegen den Willen Ribbentrops, Kundgebungen für einen neuen Unabhängigen Staat Kroatien und für Pavelic. Am 8. April überschritt die Wehrmacht zwischen Bares und Gyekenyes die Drau und näherte sich gegen vereinzelten Widerstand kämpfend der kroatischen Hauptstadt. In Agram wurde unterdessen fieberhaft zwischen Deutschen und Kroaten verhandelt, wer als Staatsoberhaupt des zukünftigen Staates ausersehen werden sollte, wobei Pavelic als italienischer Exponent von Veesenmayer mehrfach abgelehnt wurde. Erst als Macek nach seiner Rückkehr aus Belgrad am 8. April die Übernahme der Staatsführung ablehnte, stimmten die deutschen Bevollmächtigten (darunter auch Dr. Hermann Proebst als Vertreter der Wehrmacht) zu, daß der Führer der Ustascha-Bewegung in der Heimat, Oberst Slavko Kva-ternik, die Staatsführung provisorisch übernahm. So proklamierte Oberst Kvatemik im Namen von Paveli6 am 10. April, um 16.10 Uhr, den „Unabhängigen Staat Kroatien“, nachdem bereits am 8. und 9. April einige kroatische Truppenteile (zum Beispiel die Garnison in Bjelövar) diesem Ereignis vorgegriffen hatten. Etwas später erfolgte der Einmarsch von Teilen der deutschen Panzerdivision v. Kühn in die Hauptstadt Agram.

In Italien war man auf die Nachricht vom deutschen Einmarsch in Agram sehr nervös geworden. Nun war keine Rede mehr von einer italienischen Adriainsel. Pavelid wurde sofort nach Rom eingeladen, Anfuso geleitete ihn in den Palazzo Venezia, wo seine sofortige Abreise mit seinen Anhängern über Triest nach Agram beschlossen wurde. In Triest traf Pavelic mit dem Befehlshaber der italienischen Zweiten Armee, General Ambrosio, zusammen, der ihm mitteilte, daß italienische Truppen bereits Karlstadt eingenommen hätten und der Weg nach Agram frei sei. In rasch beschlagnahmten Autobussen wurde die Fahrt fortgesetzt, am 13. April die bisherige Staatsgrenze bei Fiume-Susak um 1 Uhr nachts überschritten, am Morgen bei Lokve Teile der italienischen Mot-Division Torino überholt, und um 20 Uhr wurde Karlstadt an der deutsch-italienischen militärischen Demarkationslinie erreicht.

Hier in Karlovac kam es zum letzten und interessantesten Zwischenfall vor der endgültigen Anerkennung des kroatischen Staates durch die Achsenmächte. Pavelii wurde vom befehlshabenden deutschen General mit „Herr Staatschef“ angesprochen, worauf er sich mit Kvater-nik und Veesenmayer, die ihm aus Agram entgegengekommen waren, längere Zeit unterhielt. Veesenmayer teilte Pavelic bei dieser Gelegenheit mit, daß es der Wunsch der Reichsregierung sei, daß er so rasch wie möglich nach Agram komme, worauf Kroatien sofort anerkannt werden sollte.

Obwohl in Agram bereits zwei Tage lang eine große Menschenmenge auf den neuen Staatschef wartete, blieb Pavelid doch noch den ganzen 14. April in Karlstadt. Der Grund war, daß Anfuso melden ließ, er sei auf dem Weg nach Karlstadt, um Pavelid eine Botschaft Mussolinis zu überbringen. Um 13.30 Uhr kamen wieder Kvaternik und Veesenmayer und beschworen Pavelid, sofort nach Agram zu kommen. Nach etwa zwanzig Minuten kam auch Anfuso. Pave-licte Begleiter brachten Kvaternik und Veesenmayer in einen anderen Raum, damit sie von Anfuso nicht gesehen würden. Nach kurzer Zeit kam Pavelid von den Italienern zu den Deutschen zurück, mit dem Wortlaut eines Telegramms, das um die Anerkennung des Unabhängigen Staates Kroatien ersuchte.

Anfuso erzählt zu diesem Punkt auch das Vorspiel seiner Reise nach Karlstadt. Mussolini habe ihm vor seiner Abreise gesagt: „Ich sehe nicht klar in dieser Angelegenheit, den Kroaten (Pavelic) haben die Deutschen schon früher bearbeitet — wenn wir noch weiter zuwarten, wird uns Berlin eine parallele Anerkennung des kroatischen Staates vorschlagen und wir haben dann gar keine Garantien mehr, außer dam, was mir Pavelid gesagt hat, das heißt, daß die italienischen Interessen in Dalmatien respektiert werden.“ Bei einer weiteren Zusammenkunft mit Pavelic in Laibach am 25. April, zeigte sich die italienische Seite etwas entgegenkommender, der Fragenkomplex konzentrierte sich jedoch auf zwei Punkte: 1. Das Schicksal der Stadt Spalato, die von

Italien beansprucht wurde, und 2. das Angebot der kroatischen Krone an einen Prinzen des Hauses Savoyen.

Die letzten Abmachungen wurden zwischen Mussolini und Ciano einerseits und Pavelic anderseits in Mon-falcone am 7. Mai während einer überraschenden Begegnung getroffen. Italien verzichtete auf eine Zollunion mit Kroatien und gab in einzelnen Grenzfragen nach. Das Problem Spalato wurde in einem für Kroatien ungünstigem Sinne gelöst. Der König von Italien hatte inzwischen den Herzog von Spoleto zum König von Kroatien bestimmt, und am 18. Mai kam eine große kroatische Abordnung mit Paveli6 an der Spitze zu dieser Feierlichkeit nach Rom. Bei dieser Gelegenheit wurde ein umfangreiches Protokoll von Pavelic und Mussolini unterzeichnet, das den Namen „Rötnische Verträge“ erhielt. Italien rettete damit für sich alles, was noch an politischem Einfluß zu retten war, doch hatte Mussolini trotzdem schweren Ärger wegen des deutschen Eingriffes in Agram, wie aus Cianos Tagebuch unter dem 3p. Mai hervorgeht: Mussolini hat seine deutschfeindliche Wut ausgelassen. „Sie sollen uns in Ruhe lassen“, sagte er, „und sie sollen daran denken, daß wir ihretwegen das Imperium verloren haben. Ich empfinde einen Stachel im Herzen darüber, daß das besiegte Frankreich seinen Kolonialbesitz unberührt behalten konnte, während wir unseren verloren haben!“

Die Ereignisse in Rom vom 18. Mai bedeuteten aber entgegen den italienischen Erwartungen keine Konsolidierung der italienisch-kroatischen Beziehungen. Der Status Spa-latos und darüber hinaus ganz Dal-matiens forderte die Kroaten heraus, das italienisch besetzte kroatische Staatsgebiet wurde zu einer Brutstätte serbisch-nationaler Freischärler und kommunistischer Partisanen, und Aimone von Savoyen — König Tomislav II. von Kroatien — kam niemals nach Kroatien. Als die Italiener einsehen mußten, daß ihre Politik in Kroatien gegenüber ihrem Achsenpartner einen Mißerfolg erlitten hatte, begannen sie ein meisterhaftes Doppelspiel, um ihre eigene Schöpfung — den kroatischen Staat — wieder zu zerstören.

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