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„Der gewaltsame Weg zurück“

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Agram im September 1971: In einem leeren Hörsaal der Universität sitzt der 24jährige kroatische Studentenführer Bronimir Cicak dem Autor dieses Berichtes gegenüber und spricht von Dutschke und Cohn-Bendit, er spricht auch davon, daß die Revolte dieser beiden nicht seine Revolution sei, denn schließlich ist er Kroate und die Probleme in Kroatien lägen anders als die im „kapitalistischen Ausland“. Er, Cifak, kämpfe mit seinen Genossen für eine autonome Republik Kroatien — und sozialistisch, so fügt er hinzu, müsse dieses Kroatien auch sein.

Agram im Dezember 1971: Bronimir Cicak ist für uns nicht mehr zu sprechen, er war einer der ersten jener Studenten, die im Zuge der Unruhen in der kroatischen Hauptstadt verhaftet wurden. Doch auch andere Gesprächspartner vom September sind nicht mehr anzutreffen. Sie sind entweder von ihren politischen Ämtern zurückgetreten, abgesetzt worden oder waren nicht bereit, sich in dieser labilen Situation mit einem westlichen Journalisten zu unterhalten. So etwa Srecko Bijelic, der damals als Parteichef von Agram erklärt hatte, es gebe in Jugoslawien höchstens einen „wirtschaftlichen Nationalismus“: „Wir wollen, daß die Devisen, die kroatische Arbeiter ins Land bringen, auch den Kroaten zur Verfügung stehen.“ Bijelic hatte damit jenen Auslösefaktor genannt, der nun zu den bekannten Unruhen führte, hinter denen jedoch wesentlich differenziertere Gründe stecken, als sie von den Kommentatoren genannt werden — andere Gründe auch, als sie die Belgrader Führungsspitze zur Zeit zu erkennen scheint.

Tatsache ist, daß die Kroaten jenes unter den jugoslawischen Völkern sind, das die geringste Geburtenrate Europas aufweist, aber trotzdem

700.000 jener einen Million Jugoslawen stellt, die im Ausland arbeiten und dem Gesamtstaat so jährlich 500 Millionen Dollar an Devisen einbringen. Mit den von Kroaten erwirtschafteten Devisen, so argumentiert man in Kroatien, wäre die Handelsbilanz dieser Teilrepublik aktiv, doch bisher sah man in Agram nicht viel von diesem „harten Geld“, das die serbische Belgrader Zentrale in andere Kanäle pumpte.

Nach der im vergangenen Sommer beschlossenen Verfassungsreform wurde in Jugoslawien eine staatsrechtliche Klärung der Situation erreicht, der im Herbst eine Klärung der wirtschaftlichen Situation folgen sollte. „Wenn man der Realität Rechnung tragen will, muß man zu republikanischen Märkten kommen“, hatte im Sommer ein Redakteur der Belgrader Regierungszeitung „Poli-tika“ erklärt. Dieser Weg, so stellte er weiter fest, könne jedoch nur auf der Ebene „emotionsloser Verhandlungen“ erreicht werden, deren Ergebnis „keine Sieger und keine Besiegten“ bringt.

Diese „emotionslose Ebene“ wurde aber nicht gefunden und nun gibt es vorerst Sieger in Person der Belgrader Führungsspitze und Besiegte — nämlich die bis zu ihrem sicher nicht ganz freiwilligen Rücktritt populäre kroatische Führungsgarnitur mit der Chefin des ZK der kroatischen Parteiorganisation Dr. Dap-eevic-Kuöar und dem Mitglied des Staatspräsidiums Miko Tripalo an der Spitze.

Damit scheint sich aber auch jener dialektische Prozeß zu offenbaren, der als wahrer Hintergrund der Unruhen von Agram angenommen werden kann: Die unüberwindliche Kluft zwischen der trotz aller Liberalisierungen weiterbestehenden autoritären Staatsideologie und der nicht zuletzt durch die fremdenverkehrsmäßige Erschließung und die zurückkehrenden Fremdarbeiter in den nördlichen Teilrepubliken entstandene Realität der veränderten gesellschaftlichen Situation — zwischen dem Weltbild des greisen ,,Revolutionärs von gestern“ nämlich Tito, und den als Nationalität unter-privilegierten jungen kroatischen ..Revolutionären von heute“, denen ein — wenn auch verspäteter, so doch fast unigehinderter — Informationsfluß die Möglichkeit gegeben hat, sich mit jenen kritischen Marxisten auseinanderzusetzen, die vor einigen Jahren als geistige Väter der Rebellion eines Dutschke oder eines Cohn-Bendit aufgestanden waren. Daß sich das so entwickelnde „kritische Bewußtsein“ mit der Stimme des Nationalisten zu artikulieren begann, ist gerade in Kroatien historisch begründet — und wird von parteikonformen kroatischen Intellektuellen, die sich mit diesen Unruhen nicht identifizieren, sondern nur dieselben analysieren können, heute auch so gesehen. Und immer wieder sprechen diese Gesellschaftstheoretiker vom großen jugoslawischen Widerspruch, den sie als eigentliche Ursache der Krise in Kroatien und der nationalistischen Renaissance auch in anderen Regionen und Republiken sehen: Von der „titoistisch“ (sprich dezentralisiert und föderalistisch organisierten) Gesellschaft ohne straff organisierte Kaderpartei, die zahlreichen elementaren Grundsätzen des Marxismus widerspricht (so etwa Marxens frommer Denkungsart, wonach die sozialistische Gesellschaft historisch begründete Vorurteile — etwa nationaler Natur — negiere), jedoch das Gütesiegel „sozialistische“ nicht ablegen darf. Dieser Widerspruch dokumentiert sich auch in der studentischen Rebellion von Agram, die kritische Marxisten als Schutzheilige anruft, eine autonome sozialistische Republik Kroatien fordert und damit „egoistische kapitalistische Interessen“ (so ein Universitätsdozent serbischer Abstammung in Agram) durchsetzen will.

Das aufrührerische kroatische Zwischenspiel der letzten Wochen hat gezeigt, daß sich Jugoslawien nun endgültig an jenem Punkt befindet, an dem Gesellschaftsmodelle aufeinanderprallen, die unvereinbar sind.

Der Weg, den der durch die Rebellion der Jungen verbitterte Greis Tito einschlagen wird, ist nach seinen jüngsten Äußerungen und Maßnahmen offenbar klar: Der gewaltsame Weg zurück, der Probleme nicht beseitigen, sondern nur unterdrücken kann. Die Abkehr von den undogmatischen Technokraten zu den durch ihre stalinistische Erziehung in Moskau geprägten Militärs hat sich bereits angebahnt. Der nunmehr 80jährige Staatsgründer hat es — nicht zuletzt auf Grund der permanenten sowjetischen Bedrohung — nicht mehr vermocht, den Ballast der ideologischen Ketten abzuwerfen und eine gesamtjugoslawische Gesellschaft aufzubauen, die es nach dem Abgang Titos in Jugoslawien nicht mehr geben kann.

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