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Kroatiens starker Mann

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„Freiheit, nur in Teelöffeln gereicht, schafft keine wirksame Lösung ... Wir sprechen von Dezentralisierung oder Zentralisierung, das heißt, um es etwas vereinfacht zu sagen: Soll ich allein die Macht haben — oder wir fünf...“ Solche Sätze, voll herber Ironie, standen zwei Monate vor dem jüngsten Parteikongreß der jugolawischen Kommunisten in der Belgrader „Eko-nomska Politifca“. Sie stammen nicht etwa von einem politischen Außenseiter, sondern vom Parteichef des zweitgrößten Bundeslandes der Föderativen Republik, von dem Kroaten Vladimir Bakarii.

Mit ebenso klugen wie drastischen Reden und Interviews hatte dieser Zweiundfünf zigjährige das ganze Jahr vor dem Kongreß von sich reden gemacht. Behäbig in seinem Äußeren, doch mit einer geistigen Beweglichkeit, die den Genossen der alten Garde selten eigen ist, mobilisierte er die liberal Denkenden in den Parteikadern des ganzen Landes gegen den verhärteten innenpolitischen, zumal wirtschaftlichen Kurs, zu dem sich Tito zwei Jahre vorher von den Belgrader Zentralisten hatte bewegen lassen. Heute, nach dem Kongreß, steht fest, daß Vladimir Bakaric sich mit seinen Ideen durchgesetzt hat — nicht etwa, weil er nun selbst in die Zentrale aufrückte, sondern weil er seine provinzielle Hausmacht und seinen Verstand gerade dadurch geltend machte, daß er keine solchen Ambitionen zeigte.

Wer ist Bakaric? Seine Gegner nennen ihn einen „kränklichen Intellektuellen“, andere einen „Nationalisten“. Wenn man dem rundlichen, energischen Mann begegnet ist, will man weder an sein altes Lungenleiden noch an des „Gedankens Blässe“ glauben. Was er sagt, klingt kräftig, nüchtern, ohne den schwärmerischen Höhenflug seines (eingekerkerten) Freundes Djilas und ohne das pedantische Theoretisie-ren seines (regierenden) Freundes Kardelj, des ehemaligen Oberlehrers. Mit beiden war Bakaric in jenem Februar 1948 bei Stalin in Moskau: als aufmerksamer, wenn auch stummer Zeuge erlebte er den dramatischen Bruch.

Seitdem zog er seine Konsequenzen, weniger überstürzt als manche andere, auch nicht etwa isoliert von der Belgrader Parteispitze (seit November 1952 sitzt er auch im Politbüro), aber stets in der „liberalen“ Avantgarde — und fest verwurzelt in der kroatischen Metropole. Hier in Zagreb studierte schon der junge Kommunist, hier erwarb er als Fünfundzwanzig jähriger, 1937, seinen Doktor Juris und seinen offenen Blick nach Westen, den auch die Partisanen jähre nicht trübten. Hier blieben ihm auch manche Neigungen erhalten, die in Kroatien nie ganz ihre Herkunft aus k. u. k.-Tra-ditionen und dem Katholischen verleugnen. Bakaric war es, der die Zwangskollektivierung der Bauern in seinem Gebiet zuerst und endgültig abbrach; und er fuhr, als der unbequeme Kardinal Stepinac starb, nach Belgrad und überredete Tito dazu, ein öffentliches Begräbnis des Kirchenfürsten zuzulassen. „Denn ein Verbot würde bei uns in Kroatien nur böses Blut machen.“

Doch Bakaric läßt nationale Eigenart und Kroatiens Sonderinteressen nicht überwuchern. Mit dialektischer Schläue begann er vor dem Parteikongreß die nationalen Spannungen “fla jugoslawischen Vielvölkerstaat gerade als Anreiz zur Integration zu benutzen. Diese Spannungen, die sich schon aus dem verschiedenen Entwicklungsstand der Bundesländer ergeben, will Bakaric nicht durch Straffung der (etwa serbischen) Zentralgewalt überbrücken, sondern sie sind für ihn ein Grund mehr für eine liberalere Regierungsform, die den Gesamtstaat zusammenhält: „Ich habe zu Hause Stöße von Material, aus dem sich folgendes ergibt: Belgrad hat, Zagreb hat nicht... Wir alle, alle Bundesländer,präsentieren dem Bund Rechnungen, die nur zeigen, wieviel Schaden jeder erlitten hat, so daß sich die Frage erhebt: Wer in Jugoslawien hat eigentlich etwas bekommen, wenn alle beraubt wurden? ... Diese Art von Nationalismus ist nicht mehr das Werk reaktionärer Kräfte, das ist schon unser Nationalismus ... und wenn wir so weitermachen, dann wird das zum Ende des Sozialismus, ja Jugoslawiens führen.“ Bakaric sieht auch die an Ausbeutung grenzenden Folgen, die sich für den arbeitenden Menschen unter solchen Umständen ergeben, solange die Investitionen zentral geplant werden und der Staat den „Mehrwert“ — marxistisch gesprochen — abschöpft: In Jugoslawien sei der Arbeiter nur eine von drei Stunden für sich selbst tätig. „Die Proportion ist also 1:2. So etwas gab es schon vor einigen tausend Jahren. In Mittelamerika etwa, als die Spanier zu den Mayas kamen, soll die gleiche Proportion gegolten haben — und die Mayas standen in ihrem Entwicklungsstadium noch unter den homerischen Griechen, also jenes Teiles von Europa vor fast dreitausend Jahren. Einige Archäologen staunen, daß bei solchen Proportionen keine Revolution ausbrach ...“

Bakaric nimmt kein Blatt vor den Mund; er sorgt dafür, daß solche Formulierungen gedruckt wurden, auch sein Rezept gegen das Übel: „Wir müssen freiere wirtschaftliche Verhältnisse einführen.“ Das heißt für ihn nicht, nur an den Symptomen herumkurieren, sondern das ganze halbzentralistische System zu entzerren. Zum Beispiel: „Wir haben den Dinar mehrmals neubewertet und jetzt spricht man wieder von einer Um(ab)wertung, doch wir haben nicht die Faktoren geändert, die seinen wirklichen Wert bestimmten.“ Bakaric erkannte, daß nicht Dollarkredite, nicht die Lohn-Preis-Spirale und vor allem nicht „dauerndes Gerede“ die Lage entscheidend bessern können. Er forderte ein „neues System“, ohne es freilich genau zu definieren. Als dann die vierzehnhundert Kongreßdelegierten im Belgrader Gewerkschaftshaus zusammensaßen — da schwieg Bakaric. Mit verschmitztem Lächeln saß er am äußersten rechten Ende des Parteipräsidiums und hörte sich an wie jetzt Tito und Kardelj genau in die umständliche Parteisprache übersetzten, was Bakaric so lange vorher propagiert hatte: „Mutige Schritte zu freieren wirtschaftlichen Verhältnissen.“

Warum aber wollte Bakaric keine Rede zum Kongreß beisteuern? Er kannte die Widersacher der Kursänderung, die im Staats- und Parteiapparat sitzen. Er wußte, wie wenig es seiner Sache diente, diese zu reizen. Genug, daß Tito sich die Sache zu eigen machte. Nur einen seiner jungen Leute, den Stadtsekretär Tripal aus Zagreb, schickte Bakaric aufs Rednerpult und ließ ihn vor einer „gewissen Kluft“ warnen, die zwisohen offiziellen Parteibeschlüssen und der praktischen Ausführung bestehe; das wecke Unzufriedenheit, ja „Zweifel, ob überhaupt etwas Ernsthaftes getan werden könne“ Bakaric selbst hielt sich diskret im Hintergrund; sogar in den Kongreßpausen mied er die Tischrunde der Partedspitze und setzte sich lieber mit kroatischen Freunden zu einem Glas Gin in die Hotelbar, mitten unter Handlungsreisende und Journalisten.

Bei einem anderen geselligen Anlaß gefragt, ob das „neue System“ wohl funktionieren werde, leistete sich Bakaric nicht den Luxus des fröhlichen Optimismus: „In zwei Jahren werden wir es wissen“, meinte er. Ein Kommunist, der einige Hürden übersprungen hat. Freilich nicht alle Bretter, die andere vor dem Kopf tragen...

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