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Tito und die Clans

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Manche rumänische Politiker besitzen eine gewisse Erfahrung darin, den Siegern zu Hilfe zu eilen und ihre eigene unmittelbare Vergangenheit so eifrig zu verleugnen, als wären sie niemals dabei gewesen. Man entsinne sich des zweimaligen Frontwechsels im ersten Weltkrieg, 1916 und 1918, ähnlicher Vorgänge zwischen 1938 und 1945, als das Land von der Kleinen Entente und von Frankreich-Polen weg zu Hitler, dann vom Dritten Reich zur angelsächsischen Koalition geführt wurde, als endlich sich der Uebergang aus der westlichen in die sowjetische Einflußsphäre vollzog. Sicher waren es nicht alle Staatsmänner, Parlamentarier, geistigen Führer, die derlei unheimliche Wendigkeit an den Tag legten. Ein Carp und Marghiloman, ein Iorga, Titulescu und Gafencu, ja ein Ghoga und Codreanu sind sich und ihrer weltpolitischen Gesinnung treu geblieben. Doch man hat, etwa an Tätärescu und Groza, Beispiele einer außerordentlichen Elastizität. Diese nützliche Eigenschaft ist derzeit den kommunistischen Lenkern der rumänischen Geschicke dringend nötig, wollen sie sich an der umgrenzten Macht behaupten, die den sowjetischen Satelliten beschert ist.

Satelliten? Das gibt es ja nicht mehr. Kein Geringerer als Tito hat dies vor seiner Abreise aus Bukarest den Journalisten verkündet. Die östlichen mögen Ueberraschung gemimt haben, daß es so etwas überhaupt je gegeben habe; die westlichen dürften einigen Zweifel daran hegen, daß es dies nicht mehr gibt. Tito hat gut reden; e r ist wirklich kein Mond, der um Planeten kreist, sondern eine Nebensonne, die mitunter stärker erstrahlt als das Große Licht im Kreml. Die unterschiedlichen Kommunistenführer in Warschau, Prag, Budapest und in Bukarest jedoch zittern und zagen, wie sie die augenblickliche Wandlung im Ostblock heil überstehen sollen. Den rumänischen Parteigrößen war dabei besonders übel zumute. Sind sie ja alle im Zeichen Stalins emporgestiegen. Sie haben sich dazu den Zorn des nun hoch überragenden Tito zugezogen, daß sie, vereint mit Ungarn, Bulgaren und Tschechen — die Polen haben sich weise zurückgehalten — mit wahrer Wollust in die Bannflüche Moskaus gegen den Belgrader Irrlehrer einstimmten, daß sie dessen Todfeinden Zuflucht boten und im Kreml gegen ihn hetzten. Noch ist Gheorghiu-Dej Erster Parteisekretär, einer der am meisten vom Personenkult gefeierten Miniatur-Staline, neben Räkosi wohl der beweihräuchertste. Noch saßen mit Gheorghiu-Dej Emil Bodnäras (Bondarenko) und Alexander Moghioros am Beratungstisch Tito, Kardelj und Popovic gegenüber, als die jugoslawische Delegation bei der Rückkehr aus Moskau drei Tage in Rumänien zubrachte; noch befand sich Iosif Chifinevschi unter den Mitgliedern des Politbüros, sie alle Zeugen und Leitgestalten der eben verklungenen und nun verdammten Aera.

Ob ihnen nach der Begegnung mit dem im Triumph durch die Sowjetunion geleiteten Belgrader Diktator leichter ums Herz geworden ist? Es ist immerhin für sie schon ein Erfolg, daß Tito, der im Kreml unnachsichtig die Köpfe seiner Erzfeinde aus Prag, Budapest und Sofia gefordert hat, sich auf eine Zusammenkunft mit den gedemütigten rumänischen Widersachern von gestern einließ. Der Feinschmecker durfte aus den Reden — und aus dem Schweigen — des Marschall-Präsidenten, ja aus seinem Mienenspiel und aus seinen Gebärden vieles herauslesen: ob dieser mahnend ausrief, er sei stets überzeugt gewesen, zwischen sozialistischen Staaten hätten sich niemals Dinge ereignen dürfen wie Anno 1948, oder, daß die Entzweiung Rumänien und Jugoslawien großen Schaden zugefügt habe, ob er bei einer Stelle des vom rumänischen Sprecher ausgebrachten Toasts Verwunderung und leise Ironie in der Miene zeigte, als von der dauernden Freundschaft beider Länder Herrliches geredet wurde, oder ob er sein Gesicht je nachdem liebenswürdig erstrahlen oder in vornehmer Kühle erstarren ließ, je nachdem ihm ehemalige Hauptstützen des Stalinismus oder Anhänger der heute überwiegenden Richtung vorgestellt wurden.

Tito gebärdete sich sonst als der herablassende Gebieter, der sich von den Massen huldigen läßt: 400.000 Menschen waren zum Monstermeeting zusammengetrommelt worden, auf dem er zum versammelten rumänischen Volk sprach. Er erkundigte sich in Ploesti und in anderen Erdölzentren, wohin man ihn eingeladen hatte, nach den Lebensbedingungen der Belegschaften, aß, wie der Hofbericht meldet, mit gutem Appetit eine Gemüsesuppe, Fleisch und Zuspeise — „So lieb' ich's mir: einfach und bekömmlich“, schnarrte weiland S. M. Wilhelm IL, als man ihn ins Infanterie-Offizierskasino bekomplimentierte und ihm Kaviar, Lachs, Kapaun, Pücklereis samt entsprechendem Wein vorgesetzt wurden; Titos Mahl in der Werkküche dürfte sich zum Alltagessen des Arbeiters ebenso verhalten wie das Kaisermenü zum Normalessen des Fußvolkoffiziers. Ergebnisse aber hat der hohe Besuch für die Rumänen dennoch gezeitigt. Tito hat Gheorghiu-Dej begnadigt — „Aman“ nannten das die einstigen türkischen Herren der Moldau-Walachei. Mit Chivu Stoica, dem jetzigen Ministerpräsidenten, einem erst jetzt ganz nach oben gelangten Ex-Erdölarbeiter, und mit Petre Borila, der gleich Miron Constantinescu seit der Wacheablösung im Dezember 195 5 in die erste Garnitur aufgerückt ist, konnten sich die Jugoslawen ohne weiteres verständigen. Sachlich sind der gemeinsam zu unternehmende Bau eines Wasserkraftwerks am Eisernen Tor, die Ausdehnung des kulturellen und wirtschaftlichen Wechselverkehrs und der künftige engere

Kontakt zwischen den kommunistischen Parteien beider Länder konkrete Tatsachen, die dem wankenden Regime nach innen den Rücken stärken.

Denn über zweierlei möge man sich keine Täuschung gestatten: in Rumänien haben wir es nicht mit einer Schneeschmelze von elementarer Gewalt zu tun, wie in Polen oder Ungarn, wo die freiheitlichen Kräfte nur mit Mühe und um den Preis ständiger Zugeständnisse zurückgedämmt werden und gegen die man, versagt die Milde, Waffengewalt einsetzen muß. Sodann, es handelt sich hier nur um ein „reglement des comptes dans le milieu“, um eine Auseinandersetzung, einen Kampf zweier Gruppen innerhalb des Kommunismus, wobei sachlich die Ent-stalinisierung gemäß Moskauer Befehlen geschieht, so sanft wie möglich, was aber die Personen angeht, die einstigen Stützen des Stalinismus am Ruder bleiben und die zurückgedrängten ,,Abweicher(innen)“ nach wie vor ausgeschaltet sind.

Anna Pauker lebt zwar, entgegen Zweck-meldungen, die offenbar nur ausgestreut wurden, um über sie Näheres zu erfahren. Sie lebt sogar den Umständen unangemessen gut; gut angezogen und noch anziehend, wie eine britische Besucherin zu unserer Beruhigung mitteilt. Allein —' zurück an die Macht, dazu hat sie keine Aussicht. Und die herrschenden recht(un)gläubigen Kommunisten bezeigen ihre stalinistische Denkensart nach allen Regeln der politischen Kunst. Der rumänische Schriftstellerkongreß von Ende Juni hat nicht etwa der Gedankenfreiheit eine Gasse, sondern eine

Lanze für strenge Gedankenunfreiheit gebrochen. Anders als ihre schlimmen Kollegen in Budapest, die sogar den parteiamtlichen Zornesblitzen trotzten, forderten Dichter und Denker zu Bukarest, daß sich jeder Schreibende genau an die Parteigenerallinie halte, daß er nicht von Marx und Lenin zu liberalistischen Irrtümern und in bürgerlich-idealistische Ideologie abgleite. Das Politbüro aber in eigener Dutzend-heit verhängte eine strikte Kontrolle über die in „Liebedienerei an das westliche Ausland“ und in „Mystizismus“ verfallende Hochschuljugend. Wie denn die atheistische Propaganda wieder energisch betont wird.

In merkwürdigem Gegensatz dazu steht die unleugbare Rücksicht, die vom regierenden Unwert dem schweigenden Verdienst der rumänischen Orthodoxen Kirche erwiesen wird. Patriarch Justinian, dem die Palme dafür gebührt, als erster Oberhirt außerhalb der UdSSR den Marxismus als Hauptgegenstand an Priestejr-seminarien eingeführt zu haben, erntet die Früchte seiner Anpassungsfähigkeit. Und so durfte im' gottfeindlichen Volksstaat dessen erster Bürger Petre Groza an der Inthronisierung des neuen Metropoliten von Siebenbürgen teilnehmen. Bald darauf ist der einstige Minister der Hohenzollern, spätere Ministerpräsident und zuletzt Vorsitzende des Kollektivstaatsoberhaupts schwer und wohl unrettbar erkrankt. Ob sein Tod die noch bestehenden losen Bande zwischen dem offiziellen Rumänien und der Nationalkirche ganz sprengen wird? Die sichtbaren vermutlich ja, die vertraulichen kaum. Denn darin gleicht Rumänien allen anderen Volksdemokratien, daß die Kommunisten noch immer nur eine Minderheit der Bevölkerung und eine kleine der für Kultur und Wirtschaft Belangreichen bilden.

So streckt man die Arme nach den Emigrierten aus. Ohne größeren Erfolg; nur viertausend sind auf Grund der Amnestie bis Mitte 1956 zurückgekehrt. Man gibt den Angehörigen der deutschen und der madjarischen Minderheit deren beschlagnahmte Häuser zurück. Man hat Tätärescu und mehrere Führer der ehemaligen Agrarpartei (Tsaranisten) enthaftet und den wandelbaren einstigen Liberalen sogar bei öffentlichen Feiern auf einem Ehrenplatz vorgezeigt. Doch dessen ungeachtet bleibt der Kurs im wesentlichen der alte, und die rumänische Volksdemokratie — deren jüngste Vergangenheit Henri Prost in seinem Buch „Destin de la Roumanie“ cum ira et studio schildert — gewinnt dadurch nicht an demokratischer Freiheit, daß zwei rivalisierende Clans kommunistischer Großer, durch die Moskauer Entwicklung arg in die Zwickmühle geraten, seit Titos neuestem Aufstieg, völlig verstört und durch Besuch wie Zusicherungen des gefürchteten und innerlich tief gehaßten Nachbarn keineswegs beruhigt, zunächst miteinander in einer sehr wilden Ehe fortleben, nicht ohne verzweifelte Seitensprünge, bald nach links, bald nach rechts.

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