6644735-1958_17_04.jpg
Digital In Arbeit

Eine neue Kleine Entente?

Werbung
Werbung
Werbung

Nach dem ersten Weltkrieg verbündeten sich die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien zur Kleinen Entente, deren Hauptaufgabe es war, den durch die Friedensverträge von 1919 im Donauraum geschaffenen territorialen Zustand zu schützen und einer offen verkündeten ungarischen Revanchelust vorzubeugen. Diese Allianz }iatte ihren Rückhalt an Frankreich, das damals auf dem europäischen Kontinent eine militärische und politische Vormachtstellung besaß. Die Kleine Entente zeigte auch nach innen ein ausgeprägtes Antlitz; sie gründete auf der Parlamentsdemokratie nach westlichem Muster. Als dieses System erst in Jugoslawien, dann in Rumänien erschüttert wurde, traten die ersten bedenklichen Risse im Dreierbündnis auf, das schließlich zerbrach, als in Bukarest und in Belgrad dem Dritten Reich freundliche Strömungen die Oberhand gewannen und einzig die Tschechoslowakei Beneschs bei der bisherigen Formel und im Bannkreis Frankreichs beharrte.

In den letzten Wochen hat es den Anschein, als sei ein neuer Dreibund im Werden, der das Experiment der Kleinen Entente mit veränderten Vorzeichen wiederholt. An Frankreichs Stelle ist dabei die Sowjetunion getreten. Partner der Allianz sind Polen, die Tschechoslowakei und die.,;DDR.,vDie Spitze richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland und gegen ihre offene Weigereng, den durch den Ausgang-des zweiten Weltkrieges bewirkten faktischen Grenz Veränderungen zuzustimmen; noch mehr gegen eine militärische Aufrüstung, von der man in Warschau, in Prag und in Pankow gleichermaßen eine künftige Revanche befürchtet, ungeachtet der in Bonn wiederholten Zusicherung, man werde dort niemals Waffengewalt zur Durchsetzung seines Standpunktes anwenden. Fügen wir hinzu, daß die neue Kleine Entente ihrerseits durch ein gemeinsames politisches Regime, und durch dieses noch stärker als durch die wahre oder angebliche Sorge vor westdeutschen Angriffen zusammengehalten wird.Wir können die vollkommene Analogie auch dadurch fortsetzen, daß wir unterstreichen, eine — derzeit höchst hypothetische — Aende-rung, der inneren Struktur Polens, der TschechoSlowakei oder der DDR werde den sofortigen Zerfall des engen Zusammenwirkens dieser Länder auslösen.

Um dem nach Möglichkeit vorzubeugen, hat die sowjetische Diplomatie in den letzten Monaten aufs eifrigste gearbeitet. Ihre Bemühungen, die vorläufig in der Reise Chruschtschows nach Ungarn gipfelten, haben, um es auf eine kurze Formel zu bringen, dazu geführt, daß überall die störenden Stalinisten beiseitegeschoben bleiben, daß aber die Gesinnungsgenossen und Schützlinge Chruschtschows, die innerhalb der kommunistischen Parteien eine mittlere Linie verkörperten, nun zwar in der Wirtschaft einen neuen, zumal bei der Agrarproduktion milderen Kurs befolgen, doch im reih politischen und im kulturellen Bereich zurück zu Stalin lenken. Auf derlei Weise ist es möglich geworden, einerseits mit Tito das beste Einvernehmen zu pflegen, anderseits die Tschechoslowakei und die DDR, samt deren durch eine lange stalinistische Vergangenheit belasteten Führern, mit Polen und der Gruppe Gomulka unter einen Hut zu bringen.

Die zweite dieser Aufgaben war noch schwieriger als die erste. Bis weit ins Jahr 1957 hinein hatten sich Pankower und Prager Zionswächter der reinen kommunistischen Lehre bemüht, das Warschauer Regime als häretisch, verdächtig, unzuverlässig hinzustellen, und hatte man in Polen nicht mit Nadelstichen gegen die weder geachteten noch geliebten unmittelbaren westlichen Nachbarstaatslenker gespart. Dazu kam das deutliche Bestreben, mit der Deutschen Bundesrepublik, vor allem mit den dortigen Sozialisten, aber auch mit der CDU und FDP ins Gespräch zu gelangen.

Hier setzte nun eine kräftige sowjetische Gegenaktion ein. In Moskau wollte man zwar selbst mit Bonn Fühlung gewinnen, und sei es mit Adenauer selbst, doch den Polen sollte der Kontakt mit irgendwelchen einflußreichen Bundesdeutschen verwehrt werden. Insbesondere die schüchternen Annäherungsversuche zwischen authentischen Vertretern des deutschen und des polnischen Katholizismus wurden mit scheelen Augen betrachtet. Der Diplomatie und noch mehr den Parteiabgesandten des Kremls bot sich nun ein herrliches Mittel, um die Ansätze eines echten deutsch-polnischen Gesprächs im Keime zu ersticken: die bundesdeutsche Aufrüstung, zumal mit atomaren Waffen. So nebenbei wurden auch alle Meldungen sorgsamst registriert, die auf ein Wiedererwachen jenes Geistes deuteten, den alle Polen aus einer kaum 13 Jahre zurückliegenden jüngsten Vergangenheit in Erinnerung hatten. Vor allem lieferte die Bundestagsdebatte über den Ra-packi-PIan und die Ablehnung dieses Projekts durch die Bonner Regierung den Anlaß, daß sich auch ursprünglich gemäßigte Kreise in eine neue, rasch aufflammende antideutsche Stimmung hineinmanövrieren ließen. In eine Stimmung, die offiziell nicht als antideutsch, sondern nur als gegen den „Neonazismus“ gekehrt bezeichnet werden darf.

Dadurch war der gemeinsame Nenner für den unechten Bruch gefunden, den die drei Partner der neuen Kleinen Entente mit ihrer echten Tradition und mit den wahren Gefühlen ihrer Bevölkerungsmehrheit vollzogen. Erleichtert wurde das durch wirtschaftliche Erwägungen, die zur engen Verbundenheit rieten. Die DDR steht in der Tschechoslowakei und in Polen unter den Importländern an hervorragendem Platz. Zwischen den beiden - letztgenannten Volksdemokratien hat sich eine rege Kooperation herausgebildet, die sich sowohl im mährisch-schlesi-schen Kohlenrevier als auch in der Ausbeutung des erst jetzt richtig verwerteten Schwefelvorkommens bei Tarnobrzeg bekundet.

Das-Terrain war also gut für die Zusammenkunft vorbereittt,- die in Prag den tschecho-•Slowakrschen* Außenminister Vaclav David, dessen Kollegen aus der DDR, Lothar Bolz, und, anstatt des erkrankten polnischen Außenministers Rapacki, seinen Stellvertreter Marian Naszkowski vereinigte. Da saßen die Drei, vom 9. bis 12. April, auf dem Hradschin, im einstigen Palast der Grafen Czernin, und auch anderwärts; sie berieten, wie das amtliche Schlußkommunique meldet, über die Gefahr der westdeutschen atomaren Aufrüstung und über mögliche Erweiterungen wie Abänderungen des Ra-packi-Planes, dessen Redaktor — der Plan hat insgesamt vier polnische Väter und, wie nun durchsickert, dazu einen britischen Taufpaten —, Manfred Lachs, ebenfalls mit bei den Besprechungen in der tschechoslowakischen Hauptstadt war. Es wird aber auch über ein paar sonstige Angelegenheiten gesprochen worden sein, von denen keine offizielle Aussendung erzählt. So über ein besseres Verhältnis zwischen Prag—Pankow und Warschau, eine Freundschaft, deren Mangel Chruschtschow in Budapest bitter beklagt hat; über militärische Gegenmaßnahmen für den Fall, daß alle Proteste, zuletzt ein formeller des polnischen Botschafters im Washingtoner Staatsdepartement, die bundesdeutschen Atomwaffenprojekte nicht verhindern sollten. Zweifellos hat man ferner über Tito gesprochen, der in wenigen Wochen Warschau besuchen sollte und zu dem der geeignetste Weg über Polen führt.

Den heikelsten Gegenstand aber dürfte eine Frage dargestellt haben, von der im Osten nicht einmal andeutungsweise öffentliche Erörterung erlaubt ist: Welche Auswirkungen auf die zunächst interessierten sowjetischen Satelliten kann, wird eine stets denkbare Wandlung des Verhältnisses zwischen Moskau und Bonn haben, wie sie nach dem Abschluß des deutschsowjetischen Handelsvertrages, angesichts der Labiiitat des Atlantikpaktes und im Hinblick auf den Besuch Mikojans durchaus denkbar ist?

Man hat in Pankow, in Prag und besonders in Warschau eine, begreiflicherweise nie eingestandene, panische Angst vor einem zweiten Rapallo. Ob aber eine zweite Kleine Entente dagegen ein nützliches Mittel wäre, das möchten wir bezweifeln. Sie ist es auch kaum in bezug auf ihren Hauptzweck. Denn das Deutschland Adenauers ist nicht das Ungarn Horthys, das, vom Meer abgeschnitten und mehr als ein Jahrzehnt ohne mächtige Protektoren, mit seinen acht Millionen Einwohnern und seiner ungenügend ausgerüsteten, wenn auch tapferen Armee hoffnungslos den feindlichen Anrainern, die 45 Millionen Köpfe zählten, unterlegen war. Wohl überwiegen die 60 Millionen Staatsangehörigen der neuen Kleinen Entente in bescheidenem Ausmaß die 53 Millionen Bundesdeutsche, doch das wird reichlich durch die unvergleichlich höheren. Ressourcen .und die bessere Bewaffnung der = 'Deutschen Bundes* republik ausgeglichen. Ztrdem: Tschechen, Slor waken, Rumänen, Südslawen mochten — ein Teil der Kroaten ausgenommen — noch so un-eins sein, in der Feindseligkeit gegen Horthy-Ungarn stimmten sie überein. Dagegen empfindet die große Mehrheit der Bewohner der DDR mehr Sympathien für Bonn als für Pankow, und bei den Slowaken zweifellos, bei den Tschechen wahrscheinlich, und — der neuesten Propaganda ungeachtet — sogar bei den Polen betrachtet die Majorität der Bevölkerung die Deutschen, wenn sie nur nicht wieder sofort als Bedrücker erscheinen, zumindest gegenüber den Russen und deren einheimischen Klienten, als das geringere Uebel.

Ob es überhaupt die Prager Verhandlungspartner im tiefsten Herzensgrund ganz ehrlich mit ihrer Kleinen Entente meinten? Am ehesten noch Vaclav David, seiner bourgeoisen Herkunft ungeachtet und da er wohl seiner nicht gerade zur Germanophilie einladenden Abstammung eingedenk sein mag. Doch Dr. Lothar Bolz, Vorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, die „als Interessenvertreterin der Schichten des Mittelstandes sowie der ehemaligen (I) Mitglieder der NSDAP, der ehemaligen Offiziere und Berufssoldaten, die mit ihrer Vergangenheit gebrochen haben“, gilt? Und Marian Naszkowski, einstiger tatkathö-lischer Student, Sohn eines Lemberger Juristen? Ach, die neue Kleine Entente wirkt wenig überzeugend. Sie dünkt uns eher eine zu durchsichtigem Zweck hinausgestotterte Ente, an die zu glauben nur sehr wohldisziplinierte östliche Zeitungsleser vermögen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung