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Die Zukunft als Triumvirat

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Österreichs Nachbarn spielen aus unterschiedlichen Gründen eine jeweils sehr verschiedene Rolle: Staaten, die der EWG und der NATO angehören, befinden sich ebenso darunter wie solche, die zum System des Warschauer Paktes und des COMECON gehören; das EFTA-Mitglied Schweiz ist ein besonderer „vertraglicher Vergleichsfall“ hinsichtlich der eingenommenen Neutralität, hält sich dennoch aber, anders als Österreich, der UNO fern. Und dann ist da noch Jugoslawien, ein schwieriger Sonderfall zwischen Ost und West, federführend im „Block der Blockfreien“, seit 1948 eine Art „graue Zone“, nicht „West“, nicht „Ost“, dennoch aber auf mancherlei Art für Österreich von eminenter Bedeutung. Dies nicht nur des Umstandes wegen, daß auf österreichischem Staatsgebiet Slowenen und Kroaten siedeln, woraus allein sich schon ein „besonderes Verhältnis“ ergibt

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Österreichs Nachbarn spielen aus unterschiedlichen Gründen eine jeweils sehr verschiedene Rolle: Staaten, die der EWG und der NATO angehören, befinden sich ebenso darunter wie solche, die zum System des Warschauer Paktes und des COMECON gehören; das EFTA-Mitglied Schweiz ist ein besonderer „vertraglicher Vergleichsfall“ hinsichtlich der eingenommenen Neutralität, hält sich dennoch aber, anders als Österreich, der UNO fern. Und dann ist da noch Jugoslawien, ein schwieriger Sonderfall zwischen Ost und West, federführend im „Block der Blockfreien“, seit 1948 eine Art „graue Zone“, nicht „West“, nicht „Ost“, dennoch aber auf mancherlei Art für Österreich von eminenter Bedeutung. Dies nicht nur des Umstandes wegen, daß auf österreichischem Staatsgebiet Slowenen und Kroaten siedeln, woraus allein sich schon ein „besonderes Verhältnis“ ergibt

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Just an Österreich grenzt ein Staat, der so etwas wie eine Türe zur „Dritten Welt“ sein möchte. Ein Staat, zu dem nicht zu leugnende .historische Verwandtschaft“ besteht,, dessen Teilstaaten, einst zu einem größeren Österreich gehörten, ja, dessen Staats- und Parteichef eine wesentliche Zeit seines Lebens im Waffenrock des einst gemeinsamen Kaiserhauses steckte. Und ähnlich wie das Kaiserhaus, dessen Waffenirock Tito trug, einst das Schicksal des Vielvölkerredcbes war, ist raun Tito selbst zur Schicksals-flgur des Vielvölkerstaates Jugoslawien geworden. Was Wunder, wenn bei so großer „historischer Intimität“ auch ein brennendes Interesse am Schicksal des „Jugoslawischen Modells“ besteht? Hierzulande neigt man dazu, als Hauptfrage Jugoslawiens die gegenwärtigen und die künftigen Beziehungen der jugoslawischen Völker zueinander anzusehen. Und in der Tat, diese Beziehungen treten immer wieder in ein kritisch-krisenhaftes Licht, das der religiösen, historischem, kulturellen und ökonomischen Unterschiede wegen womöglich noch diffuser wirkt als es ohnedies schon ist.

Dennoch gewinnt man von einem solchen Punkte der Betrachtung aus noch keine klare Übersnchit Tatsache nämlich ist, daß die „nationale Frage“ innerhalb Jugoslawiens jeweils erst in jenem Maße an Bedeutung gewinmit, in welchem sich auch die wirtschaftlichen Probleme des Staates vergrößern. Doch sind diese wirtschaftlichen Probleme in einem außergewöhnlichen Umfange mit der jugoslawischen Innen- und Außenpolitik verbunden und darum auch weit schwieriger zu meistern als anderswo.

Als Tito 1948 den Bruch mit Moskau vollzog, geriet er zwangsläufig aus dem Mechanismus des Ostblockes, trat alber nicht in jenen des Westens ein. Gleichwohl wurde Tito durch die USA und Großbritannien begünstigt, die wirtschaftliche und militärische Hilfe leisteten, jedoch ohne ausdrückliche Deckung etwa derart, daß mit direkter Hülfe zu rechnen wäre, falls es au einem gewaltsamen Konflikt zwischen Moskau und Belgrad käme. Das aufregende Scbauikelspiel Titos begann. Der „eigene Weg“ führte über eine besondere und dem orthodoxen Kommunismus verächtliche, weil dezentralisitische Ausformung der ..führenden Rolle der kommunistischen Partei“, die fortan zwar die einzige Staatspartei blieb, dennoch aber mehr und mehr bloß zum „ideologischen Wächter“ wurde, bei sehr beschränktem und zunehmend schwindendem Einfluß auf die Administration und das ökonomische Statut. Eine Reihe von Wirtschafts-reformen veränderten die ursprünglich kommunistische Struktur der Wirtschaft und der Verfügung über die Produktionsmittel zu einem breit ausgefächerten “ genossenschaftlichen System mit unverkennbar „privatkapitalistischen“ Einsprengungen. Heuite nennt man das die „sozialistische Marktwirtschaft“. Wie immer auch dieses neue System funktionieren mochte, es förderte die hauptsächlichen Schwächen der föderativen Volksrepublik kraß zutage: Slowenien, Kroatien, Bosnien, die dalmatinischen Küstengebiete florierten alsbald mehr und mehr, während die traditionell armen Länder, wie etwa Serbien, Montenegro und Mazedonien, vergleichsweise ärmer und ärmer wurden. Wie sehr sie sich auch mühten und welche Erfolge sie auch erzielten, die Wachstumsrate der „reicheren Republiken“ wuchs ihnen davon. Damit wuchsen die „nationalen Einkommensdifferenzen“ und damit auch die „nationalen Spannungen“. Man darf dabei nicht übersehen, daß auch das größte regionale Wachstum hinsichtlich des erzielten Brutto-raationalproduktes noch sehr gering ist: Es lag 1966 bei zirka 11.000 Schilling pro Kopf und Jahr und ist seither nur ,um weniges angestiegen. Zugleich trat ein neues Moment zutage, mit dem die jugoslawischen Wirtschaits- und Staatenlemker vielleicht nicht gerechnet hatten: die „sozialistische genossenschaftliche Marktwirtschaft“ förderte einen unverkennbaren , .Betriebsegoismus“. Da jeder Arbeiter als Genossenschaftler an „seinem“ Betrieb beteiligt ist — alleitdtags ohne eine Einlage leisten zu müssen —, und weil er daher bei schlechtem Betriebsergebnis weniger, bei gutem aber mehr verdient, wehrt sich die Belegschaft bei guten Ergebnissen gegen die Einstellung neuer Arbeitskräfte. Durch dieses nicht bloß psychologische Faktum erhöht sich in Zeiten partieller Arbeitslosigkeit deren Ausbreitung.

Ähnliches gilt nun auch für die Verhältnisse der Teilstaaten untereinander. Die „besseren Regionen“ wehren sich gegen den Zuzug von Arbeitskräften aus den „schlechteren Regionen“ und weil man das im System des „sozialen Solidanismus“ nicht so deutlich akzentuieren kann, brechen die zur Hand liegenden nationalen Gegensätze“ auf.

Sie werden verstärkt durch ein Solidaritätssystem in der Handhabung der Staatsnhiarazen und des Kreditapparates: Die eher prosperierenden Teilstaaten sehen mit Ärger, daß große Teile ihres Ertrages in die unterentwickelten Teilstaaten abfließen. Dieser Ärger wird um so heftiger, je bescheidener die Prosperität an sich ist.

Seit Jugoslawien den „dritten Weg“ eingeschlagen hat, vollzog sich aber auch in der Umwelt einiges. Die Wirtschaftsbeziehungen mit den COMECON-Staaten blieben naturgemäß wen/ig zufriedenstellend, da Häresien — wie in anderen Systemen auch — nicht ökonomisch belohnt zu werden pflegen. Im Westen bildeten sich in EWG und EFTA Blöcke und Mauern, die schwierig zu bewältigen sind. Die Staaten der „Dritten Welt“ aber sind meist arm und bieten nur sehr bedingten Ersatz für die Wirtschaft eines Landes, das noch dazu unter Devisenmangel leidet, den der enorme Fremdenverkehr nur zu einem Teil zu beheben vermag. Dies zwingt die, verglichen zum Westen, immer noch sehr starre und bürokratische Wirtschaft Jugoslawiens stets zu Konzeptverände-rungien, die wiederum ungewöhnlich heftige - Konjunkturschwankungen verursachen. Aus diesen wiederum resultiert eine übermäßige Arbeitslosigkeit, mit allerdings schon angedeuteten, großen regionalen Unterschieden. Und das im Zeichen eines realen Wirtschaftswachstums!

1967 zählte man in Jugoslawien zirka 300.000 Arbeitslose, au welchen noch jene zirka 400.000 Jugoslawen zu zählen wären, die im Ausland, insbesondere in der BRD, der Schweiz und Österreich, Arbeit gefunden haben. Das waren immerhin rund 16,4 Prozent aller Erwerbstätigen des Staates! Beide Zahlen, die der Inlanderwerbslosen und die der Auslanidarbeiter, sind mittlerweile noch kräftig gestiegen. Man versteht, daß sich dadurch sehr kritische Auswirkungen auch auf die Staatsideologie ergeben, denn in einem an sich kommunistischen Staat ist Arbeitslosigkeit etwas, was nach herrschender Lehre ursächlich mit der „Krise des Kapitalismus“ zusammenhängt. Und man versteht weiter, mit wie großer Sorge die jugoslawische Regierung nach Europa blickt. Denn kommt es dort zu bedeutenden Konjunkturdämp-funigen, so wächst die Gefahr, mehr Arbeitslose im Lande zu haben. Und nicht nur diese Gefahr wächst. Weil ja die weit über den Inlanddurchschnitt verdienenden Auslandsarbeiter dann nicht mehr in der Lage wären, ihren Familien für ihre Begriffe außerordentliche Einkommen zu bieten, müßten Arbeitslosigkeit und geringe Einkommen einen noch größeren Druck auf die politische und gesellschaftliche Situation ausüben.

Diesen möglichen Druck abzufangen, werden immer neue Reformen und Veränderungen versucht, doch diese bringen logischerweise auch immer neue Reformen und Veränderunigen des politischen Zustamdes mit sich. Bisher garantierte allein die Person Titos, dies alles aufzufangen. Was aber geschieht, wenn Tito nicht mehr da ist?

Diese Frage ist längst noch nicht befriedigend gelöst. Das in der Verfas-suingsreform angestrebte „Triumvirat'' mit wechselndem Vorsitz, der auch die einzelnen Völker berücksichtigt, ist eine nur höchst unvollkommene Retusche. Die Wirtschaftsreformen sanieren zwar jene Teü-staaten ein wenig, die eine günstigere ökonomische Situation geschaffen haben, räumen aber nicht die Probleme zwischen diesen und jenen Teilstaaten, die das nicht oder noch nicht konnten, aus dem Wege. Und über allem schwebt die Schlüsselfrage, welche Haltung in einem ernsthaften Krisenfall von der Umwelt, besonders von der kommunistischen, zu erwarten sei. Dabei werden nicht nur Fragen etwa vom Range der „mazedonischen“ oder der „albanischen“ in einem neuen Lichte zu sehen sein. Hier handelt es sich um derzeit etwas in den Hintergrund getretene „völkische Minderfaedten-probleme“, die allerdings nahezu beliebig auf- und abschaltbar sind. Doch steht dies nicht im Belieben Jugoslawiens, sondern, zumindest formal, in jenem Bulgariens (und Rußlands) oder Albaniens (und Chinas). Mehr noch ragt die Frage nach der Haltung der Ostblockstaaten in der Perspektive der sogenannten Breschnjew-Doktrin auf. Denn vorausgesetzt, diese besteht vollkommen ernsthaft, woran seit den Ereignissen in der CSSR schwer zu zweifeln ist, so könnte Jugoslawien nach Tito im Falle einer schwierigen inneren Situation sehr rasch zu einem weithin wirkenden internationalen Krisenherd werden. Die jüngste Verfassungsänderung, nach der es niemandem gestattet ist, im Kriegsfälle eine Kapitulation, in welcher Form auch immier, einzugehen, läßt da einiges ahnen. Das „jugoslawische Modell“ übte und übt auf viele sozialistische und kommunistische Parteien nicht nur Europas eine gewisse Faszination aus. Zweifellos auch auf gemäßigte Linksgruppen anderer ideologischer Herkunft. Für manche mag dieser „dritte Weg“, einer zwischen den „genormten Formeln“ aus Ost und West eine bedeutende Anziehung ausüben. Aber, wie wir gesehen haben, das Modell ist schwierig. Und sein Erfolg steht noch nicht fest. Um so mehr ein Grund, es andauernd im Auge zu behalten.

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