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Vor dem Bankrott?

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Eine der hausgemachten Krisen Jugoslawiens hat, so paradox das klingt, Titos kraftvolle Persönlichkeit selbst produziert. Er ist, aus eigenem Verdienst und durch die Ereignisse und den Verlauf der Geschichte, zum „charismatischen Führer" geworden. Seine und Jugoslawiens Tragik ist, daß seine historisch manifest gewordene Schöpfung - der Selbstverwaltungssozialismus, die Blockfreiheit, die Uberbrückung nationaler Gegensätze durch ein kommunistisches Gesellschaftssystem -unauslöschlich mit seiner Persönlichkeit und seinem Charisma verbunden ist. Und so werden auch diese Schöpfung und ihr Fortbestand untrennbar mit einem „biologischen Zufall" verkettet - nämlich dem Ableben des charismatischen Führers.

Der heute verfemte Universitätsprofessor Stojanovic der „Praxis"-Gruppe hat dies, von einer neo-marxistischen Position aus, sehr scharf gesehen und daher auch den „Übergang von einer charismatischen zu einer nachcharismatischen Periode" in Jugoslawien als besonders „delikat und schwierig" bezeichnet.

Stojanoviö, der zurückgezogen in Belgrad lebt, meinte weiter: Der charismatische Führer sei für das Entstehen von Krisen selber verantwortlich, weil er den Prozeß der Fortentwicklung und Liberalisierung einer Gesellschaft systematisch bremst, während er gleichzeitig behauptet, daß die Liberalisierung fortgesetzt und das Gesellschaftssystem weiterentwickelt werden müsse.

Durch dieses scheinbar widersprüchliche Verhalten aber stärkt der charismatische Führer in Wirklichkeit nur seine Position, weil seine, Rolle als „Retter" nur in einer solchen Krisenzeit möglich sei. Die. Menschen, so Stojanovic, bekämen Angst vor der Zukunft und vor der Stunde, da der „charismatische Führer" und damit der „deus ex machi-na" nicht mehr am Leben ist. Stojanovic behauptet sogar, der charismatische Führer versuche selber, Krisen hervorzurufen, um auf der Szene zu erscheinen und den Konflikt durch einen „Kaiserschnitt" aus der Welt zu schaffen.

Wer wollte leugnen, daß diese neomarxistische Kritik nicht voll auf Tito anwendbar und durch Beispiele belegbar ist?

Es ist ferner typisch, daß der charismatische Führer vom Schlage Titos keine ausreichende Vorsorge für seine Nachfolge trifft, weil er seine „Retter-Rolle" nicht durch einen begabten und fähigen Kopf an seiner Seite geschmälert sehen möchte. Und so ist denn auch die Geschichte Nachkriegs-Jugoslawiens, überspitzt ausgedrückt, eine Geschichte des „Kronprinzen-Mordes".

Es begann mit Djilas, der einst de jure* Titos Stellvertreter war und heute prominentester und abgeschirmter Dissident ist. Es setzte sich fort mit dem prosowjetisch eingestellten Rankovic. Es führte zur Entmachtung der ungemein begabten Technokraten Tepavac und Nikezi6, mit der Entfernung der liberalen Garde Latinka Perovic und Miko Tripalo in Kroatien, mit der Ausbootung des Slowenen KauCiC, des Mazedoniers Slavko Mioslaveski. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Faktum ist, daß heute eine blasse, farblose Riege von Männern berufen wäre, die „kollektive Führung" nach Tito zu übernehmen, nachdem erst

im vergangenen Jahr der lang als aussichtsreich geltende Slowene Do-lanc eine empfindliche Beschneidung seiner Macht hinnehmen mußte und der alte Kroate und Tito-Kampfgefährte Bakaric durch seine Krankheit aus dem Rennen, Kardelj tot ist.

Auch das Beispiel, daß in anderen Ländern - wie etwa China oder Spanien - die „Hofübergabe" alter Führerpersönlichkeiten ohne größere Krisen möglich war, hat nicht genügend Beweiskraft: In Spanien hat Franco einen Nachfolger bewußt erzogen, ausgebildet und für das Amt vorbereitet, nämlich Juan Carlos. In China, von Größe und Bevölkerungszahl eine Großmacht, ist der Abgang Tschou En-lais und Maos

nicht von einer solchen personellen Dürre begleitet gewesen, wie es im viel kleineren Jugoslawien der Endzeit Titos der Fall zu sein scheint.

Die zweite „hausgemachte" Krise Jugoslawiens, die ungemein gefährlich ist, aber nicht beachtet wird, ist die wirtschaftliche Entwicklung. Der Balkan-Experte Graf Carl Gustav Ströhm schreibt in seinem Buch „Ohne Tito" (Styria-Verlag) wörtlich: „Wenn es den Nachfolgern Titos gelingen sollte, mit einer gebremsten und kontrollierten Selbstverwaltung wirtschaftlich über die Runden zu kommen, wäre die Voraussetzung zu einer friedlichen Entwicklung der jugoslawischen Gesellschaft gegeben."

Genau das aber - und dafür sprechen alle Indizien - ist nicht der Fall. Tito hinterläßt im Fall seines Ablebens seinen potentiellen Nachfolgern keineswegs ein wirtschaftlich geordnetes Haus:

Die jährliche Inflationsrate in den letzten zehn Jahren pendelte zwischen 9 und 27 Prozent. Im Außenhandel machte Jugoslawien allein in den Jahren zwischen 1965 und 1973 ein Defizit von 6,9 Milliarden Dollar, zwischen 1974 und 1978 von 17,4 Milliarden Dollar. Die Gesamtverschuldung dürfte bereits, nach dem slowenischen Parteiblatt „Delo", mehr als 20 Prozent des Nationaleinkommens ausmachen, nach westlichen Schätzungen 31 Prozent. Das gilt international als Synonym für Staatsbankrott.

Der Dinar wurde seit Kriegsende über dreißigmal abgewertet.

Die Einfuhrabhängigkeit der jugoslawischen Industrie ist in zwölf Jahren von 16 auf 38 Prozent gestiegen.

Jeder dritte jugoslawische Betrieb produziert Verluste.

Auch diese alarmierenden Zahlen und Fakten ließen sich noch lange fortsetzen.

„Wir haben uns wie betrunkene Millionäre benommen", jammerte

kürzlich das kroatische Parteiblatt „ Vjesnik" in einem Anfall von Selbsterkenntnis. Der sich drohend abzeichnende wirtschaftliche Bankrott Jugoslawiens, Folge einer auch „hausgemachten" und nicht bloß importierten Krise, ist eine eminente politische Gefahr.

Erinnern wir uns: Der große kroatische Konflikt von 1971/72 hatte als auslösendes Moment (was gerne vergessen wird) auch gewichtige wirtschaftliche Faktoren. Genau aber solche Krisen, die daraus folgende Uneinigkeit und Spaltung, braucht eine ausländische Macht, um ihren Interventionshebel, sei's politisch oder militärisch, ansetzen zu können ...

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