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Das Armee-Korsett

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Der 10. Jugoslawische Parteikongreß leitete die Post-Tito-Ära ein, obwohl gemäß einer gesetzlichen, feierlichen Zusicherung Marschall Tito lebenslang Staatschef bleibt, das heißt: Vorsitzender der Partei und des Staates und Oberbefehlshaber der Volksarmee. Aber die Lebensuhr des Zweiundachtzigjährigen tickt immer schwächer; es naht der Tag, an dem ein Neubeginn unumgänglich sein wird.

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Der 10. Jugoslawische Parteikongreß leitete die Post-Tito-Ära ein, obwohl gemäß einer gesetzlichen, feierlichen Zusicherung Marschall Tito lebenslang Staatschef bleibt, das heißt: Vorsitzender der Partei und des Staates und Oberbefehlshaber der Volksarmee. Aber die Lebensuhr des Zweiundachtzigjährigen tickt immer schwächer; es naht der Tag, an dem ein Neubeginn unumgänglich sein wird.

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Was folgt nach dem Ableben Titos? Ein Chaos oder eine Invasion osteuropäischer „Freunde“ — oder aber eine stabile, konsolidierte Stabilisierung der gegenwärtigen Situation? Die jetzigen Machthaber, mit Tito selbst an der Spitze, bemühen sich ehrlich darum.

Wenn Titos letzte Stunde schlägt, tritt die neue Staatspräsidentschaft automatisch an, um alle Machtbefugnisse des Marschalls zu übernehmen. Diese Männer sind keine unbeschriebenen Blätter.

• Der Slowene Ervard Kardelj, 64, als Vertreter der Teilrepublik Slowenien;

• der Kroate Vladimir Bakaric, 62, Kroatiens Repräsentant;

• der Serbe Petar Stambolic, 62, als Vertreter Serbiens;

• der Serbe Cvijetin Mijatovic,'61, aus Bosnien und Herzegowina;

• der Mazedonier Lazar Kolisevski, 60, als Vertreter Mazedoniens;

• der Montenegriner Vidoje Zarko-vic, 47, als Repräsentant Montenegros;

• der Serbe Stevan Doronjski, 55, aus der Vojvodina;

• der Albanier Fadil Hoxha, 64, als Vertreter von Kosovo.

Pro forma wurden diese Männer „geheim“ gewählt, in Wirklichkeit jedoch von den nationalen Versammlungen der sechs konstituierenden Republiken und der zwei autonomen Provinzen über Empfehlung der Parteiführung nominiert.

Wie man sieht, dominieren in der „kollektiven Führung“ die Serben mit drei namhaften Männern. Der Benjamin ist Zarkovic, das Durchschnittsalter beträgt 62 Jahre. Der einzige Montenegriner ist als Stütze der Serben anzusehen. Erstaunlich ist, daß die mehr als 1,700.000 Moslems keinen eigenen Vertreter haben. Die Mohammedaner sollen damit besänftigt werden, daß Dzemal Bijedic auf weitere vier Jahre Ministerpräsident bleibt. In der Vojvodina beschwichtigte man die Ungarn damit, daß im Jahr 1978 ein Ungar in die Staatspräsidentschart „gewählt“, wird. Die mehr als 900.000 Albaner konnte man im umstrittenen Grenzgebiet von Kosovo nicht übersehen, sondern mußte sie mit Samthandschuhen behandeln.

Obwohl in Kroatien 630.000 Serben leben, sind dort, wie auch in Slowenien, Mazedonien und Serbien, keine nationalen Komplikationen zu erwarten.

Zur Stunde der Entscheidung rückt der amtierende Vizepräsident zum Präsidenten vor; er amtiert jedoch nur bis zum Zeitpunkt des Ablaufes seines Mandats als Vizepräsident, im besten Fall also bis zum 1. Juli des folgenden Jahres. Nach der gültigen Geschäftsordnung haben die Vertreter Mazedoniens, Bosniens und Sloweniens ihre Wählbarkeit bereits erschöpft, vom Juli 1974 bis zum Juli 1975 ist Serbiens Repräsentant an der Reihe, in concreto also Stambolic. Sollte Tito bis Juli 1975 abtreten, so würde Stambolic, der ein recht mittelmäßiger Politiker mit Herrscherallüren ist, Jugoslawiens Präsident werden, was bestimmt nicht die glücklichste Lösung wäre. Nachher sollen der Kroate, der Montenegriner, der Repräsentant der Vojvodina und der Kandidat Kosovos folgen.

Die drei Eckpfeiler sind zweifellos: die Staatspräsidentschaft, das Parteipräsidium und die Armee. In der Partei soll planmäßig Edvard Kardelj die Führung erben und der einflußreichste Mann Jugoslawiens werden. Kardelj ist jedoch gegenwärtig Sloweniens Vertreter in der Präsidentschaft. Auf diesen Posten müßte er gegebenenfalls verzichten und einem anderen, engeren Landsmann aus Slowenien Platz machen.

Der jetzige Sekretär des Exekutivbüros des Parteipräsidiums heißt Stane Dolenc, der trotz seines immer lächelnden Gesichts momentan der mächtigste Mann nach Tito im Lande ist, da er nach seinen Vorstellungen de facto die Parteiorganisation führt. Wie sich im historischen Moment Kardelj, Bakaric und die Armeeführer gegen Dolenc verhalten werden, ist das gefährlichste Fragezeichen, das scheinbar auch Tito Sorgen bereitet.

Der Einfluß des Militärs in der Partei und Staatsführurtg wurde durch diesen Parteitag wesentlich erhöht und konsolidiert. Das neue Zentralkomitee ist zahlenmäßig kleiner als die bisherige LKJ-Konferenz; von nun an gibt es 166 ZK-Mitglieder, davon 20 Militärs. In einer so hohen Zahl war die Armee noch niemals vertreten!

Die Auswahl der Militänrepräsen-tanten trägt zur Konsolidierung aber viel bei. Außer dem Verteidigungsminister Generaloberst Mikola Ljubicid und seinen zwei Stellvertretern wurden auch Admiral Ivo Purüic und der höchste Armeepoli-tauk ex officio, General Dzemil Sarac, ins ZK gewählt.

Es gibt Anlaß zum Rätselraten, daß namhafte, verdiente Generäle, wie General Ivan Dolnicar, General Branko Borojevic (früher stellvertretender Verteidigungsminister) und der frühere Nachrichtenboß und Abwehrchef, Titos militärischer Ratgeber im Präsidium, General Ivan Miskovic, übersehen worden sind. Sie sollen die Gruppe der Gemäßigten unter der Führung von Kardelj und Bakaric „provoziert“ haben. Es wäre jedoch vollkommen verfehlt, diese hohen Offiziere als „Stalinisten“ oder „Feinde des Regimes“ zu klassifizieren. Die Armeeführung, alle Generäle und das Offizierskorps sind Tito-treu, sie genießen auch einmalige Privilegien: und sie haben den Slogan der führenden Generäle begeistert aufgegriffen, wonach „die Armee das Korsett der Partei“ werden soll.

Seitens der Armee droht nicht Putsehgefahr oder Verrat. Die problematischen, kritisch-abenteuerlustigen Offiziere haben sich in die Veteranenorganisation zurückgezogen, wo sie Wunschträumen nachjagen, die ihnen die paradiesische Macht und Führungsrolle aus der Zeit des historischen Partisanenkrieges zurückbringen soll Dabei geben sie sich „extrem-national“, in Wirklichkeit aber sind sie „zentra-listische Stalinisten“ und nichts tut ihnen so weh wie die immer deutlicher werdende Tatsache, daß sie ihren Einfluß bei der Armee und in der Politik endgültig eingebüßt haben.

Der Bundeskanzler hat vor dem “Wiener Parteitag seiner Partei angedeutet, daß die SPÖ eine Volksabstimmung durchführen wolle, sollte die „Aktion Leben“ ein Volksbegehren gegen die Fristenlösung starten.

Nun, die Haltungsänderung ist erstaunlich. Nach dem Mehrheitsbeschluß im Parlament beantragten die Oppositionsparteien nämlich, die Frage der Fristenlösung einer Volksabstimmung zu unterziehen. Die SPÖ lehnte damals ab.

Jetzt, nachdem das Strafgesetz rechtskräftig ist, beeilt man sich, der Initiative der Katholiken zuvorzukommen.

Oder hat die italienische Volksabstimmung über das Scheidungsreferendum die SPÖ animiert? Nach dem Motto: Wenn schon die Italiener gegen die Meinung der Kirche entscheiden, na dann erst recht eine Mehrheit der Österreicher?

Der Schluß? Taktik will gelernt sein. Auch wenn es um ungeborenes Leben geht.

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