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14 Nothelfer in Belgrad

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Es war eine ausgesprochene Sensation, als das jugoslawische Bartei-blatt „Boiba“ kürzlich eine Tito-Karikatur brachte. Anlaß dazu war Titos Besuch in den Redaktionsräumen. Die Zeichnung zeigte die Präsidentengattin Jovanka, die ihrem Gemahl die Krawatte zurechtschiefot. Vor Journalisten müsse man sich ja besonders in acht nehmen, hieß es in der Legende.

Dieses kleine Detail ist bedeutungsvoll. Es beweist nicht nur, daß der „menschliche Kommunismus“, den man in Prag gepredigt und in Jugoslawien praktiziert hat, ganz zaghaft auch das Verhältnis des Volkes zu seinem Staats- und Parteiführer zu erfassen beginnt. Das bisherige Tabu, das die Persönlichkeit des Marschalls umgeben hatte, ist durchbrochen.

Die jugoslawische Föderative Volksrepublik ist seit dem 13. Jänner 1953, als Josip Broz Tito zum Staatspräsidenten gewählt wurde, voll und ganz auf die Persönlichkeit des Marschalls ausgerichtet. Zwar hat er später das Amt des Ministerpräsidenten albgegeben, aber die Verbindung der beiden Funktionen als Staats- und Parteichef gewährten ihm weiterhin eine völlig gesicherte Omnipotene.

Natürlich hat er seine Position am Anfang mit politischen Balkanmethoden gefestigt, natürlich war die geheime Staatspolizei UdBA ein wertvolles Instrument in seiner Hand, aber wichtiger als all diese Zutaten war wohl der Umstand, daß Tito im Gegensatz zu praktisch allen anderen osteuropäischen kommunistischen Macbthabern nicht von Moskaus Gnaden eingesetzt worden war. Jugoslawien hatte sich wie kaum ein anderes Land Osteuropas weitestgehend aus eigener Kraft befreit, und Titos Verdienst war es, im unzweideutigen Kampf gegen die nazistischen Okkupanten die Mehrheit der Völker Jugoslawiens unter seinen Fahnen au vereinen. Sein schärfster Gegenspieler, der Partisanengeneral Dra&a Mihajlovic, hatte dadurch, daß er sich um des Kampfes gegen den Kommunismus willen Zeitweise mit dem Kriegsgegner verband, weitgehend seine Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Natürlich waren die Völker Jugoslawiens — in parlamentarischer Demokratie nicht geschult, politisch je nach Region auf völlig verschiedenem Niveau — nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die einzige Klammer, die über alle nationalen Gegensätze hinweg erstmals in der Geschichte des südslawischen Vielvölkerstaates die widerstrebenden Kräfte zusammenzuhalten vermochte, war die Persönlichkeit Marschall Titos. Die Nationalitäten machten sich in letzter Zeit vor allem in der autonomen Region Kossovo-Metochia und auch in Makedonien bemerkbar. Daß sie nicht voll zum Austoben gelangten, hängt wohl nicht zuletzt mit der denkbar wenig attraktiven Alternative in den Nachbarländern zusammen. Für einen skipetarischen Bauern Südserbiens sind die Verhältnisse in Albanien keineswegs so, daß er sich vorbehaltlos hingezogen fühlen könnte, und das gleiche gilt für einen Makedonier in bezug auf Bulgarien.

So paradox es klingen mag: die außenpolitische Bedrohung des Landes im Zeichen der Aktionen des Warschauer Paktes und auch der chinesischen Propaganda in Albanien könnte der geeignete Zeitpunkt für einen innenpolitischen Kraftakt werden, wie ihn die personelle Ablöse Marschall Titos darstellen müßte. Der Staatschef scheint diese Chance erkannt zu haben. Er ist ein zu überzeugter Jugoslawe, als daß er die Einheit des Landes nur für seine eigene Regienungszeib gesichert sehen möchte. Ihm schwebt es vor, als Baumeister dieser inneren Geschlossenheit in die Geschichte einzugehen — ein klein wenig vielleicht zum eigenen Rühm, in erster Linie aber zum Wohl des Volkes. Deshalb hat er denn am Neunten Kongreß des Bundes der Kommunisten von der Notwendigkeit gesprochen, daß Leute eines „gewissen fortgeschrittenen Alters“ ihre Erfahrungen nun den Jungen weitergelben müßten. Mit seinen 77 Jahren ist er wohl kaum von diesem „gewissen Alter“ auszunehmen.

Organisatorisch hat er die Demission, genauer gesagt den Übergang zur Nach-Tito-Ära sehr geschickt vorbereitet. Bisher war die Partei von einem sehr schwerfälligen, fast löQköpfigen Präsidium geleitet worden, so daß die wichtigsten Entscheidungen naturnotwendig bei der obersten Spitze, nämlich beim Präsidenten selbst lagen. Aus dieser überragenden Stellung heraus zurückzutreten, könnte schon rein personell gefährliche Kontroversen heraufbeschwören. Tito schuf nun ein Gremium, das einerseits groß genug ist, um das Ausscheiden eines seiner Mitglieder zu verkraften, und das anderseits klein genug ist, um wirksam und schlagkräftig regieren zu können. Überdies sollten darin alle Republiken und autonomen Regionen gebührend vertreten sein, und dieses Exekutivbüro durfte nicht aus irgendwelchen zweitrangigen Persönlichkeiten bestehen. All diesen Punkten ist entsprochen worden. Das Büro setzt sich aus je zwei Vertretern der sechs Republiken und aus je einem Vertreter der beiden autonomen Regionen zusammen. Die Republiksparteien wurden angehalten, ihre besten Männer zu delegieren, und zum Beispiel der kroatische Parteichef Bakaric, der sich bisher stets entschieden gegen eine Übersiedlung nach Belgrad gewehrt hatte, mußte seinem Freund Tito zuliebe nachgeben.

So gesehen unterliegt es keinem Zweifel, daß Tito, nicht heute oder morgen, aber in absehbarer Zeit, die Führung dieses Gremiums mehr und mehr den vierzehn anderen Mitgliedern überläßt. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß dieser Übergang gleitend vor sich gehen wird, und dann bleibt nur noch das eigentliche Staatspräsidium auszuwechseln. Daß dies in einem Einparteienstaat weniger wichtig ist als die Führung der Partei, liegt auf der Hand.

Tito hat also nicht einen einzigen, sondern ganze vierzehn Nachfolger ernannt. Sie werden als Nothelfer die ungeheure Verantwortung übertragen erhalten, den Staat an dieser wohl gefährlichsten Klippe vorbeizusteuern. Tito will dies anscheinend noch zu seinen Lebzeiten über die Bühne gehen lassen, und damit beweist er wieder einmal seine überragende Staatskunst.

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