6765862-1968_34_07.jpg
Digital In Arbeit

Rumoren am Balkan

Werbung
Werbung
Werbung

Mit seinen südöstlichen Republiken reicht Jugoslawien direkt in das Herz der Balkanhalbinsel, ja, man kann sogar sagen, daß diese jugoslawischen Landschaften gerade die Herzkammern dieser Halbinsel, des historischen Wetterwinkels Europas, darstellen. Damit wird aber Jugoslawien von dort aus gesehen zum Balkanstaat und ist als solcher an den Problemen dieses Raumes direkt beteiligt — an Problemen, die seinen westlichen Republiken im Grunde gefrömmen durchaus fremd sind und die diese auch kaum berühren würden, wenn sie nicht Glieder desselben Staatsverbandes wären. Kennt man diese, seit Generationen einmal heftig auftretenden, dann wieder latent scheinenden, immer aber virulenten Probleme und ihre Auswirkungen auf ganz Jugoslawien und seine Beziehungen zu seinen Balkannachbarn, so versteht man erst dafrn das Doppelgesicht unseres Nachbarn — das Doppelgesicht, das zu einem einheitlichen Gesicht im Sinne der Ideologie des jugoslawischen Kommunistenbundes zu verschmelzen bis heute nur zum Teil und, wie es scheint, auch nur äußerlich gelufrgen ist

Zwei Probleme sind es — wenn man von Griechenlands Wunschträumen absieht, die sich allerdings mehr gegen Albanien als gegen Jugoslawien richten —, die ständig den in- nerbalkanischen Raum in Unruhe halten: das Albaniertum des Ko- sovo-Metohija-Gebietes (kurz „Kosmet“ genannt) und Mazedonien. In ihrem Charakter sind beide verschieden. Bulgarien ist ein Satellit der Sowjetunion und das nicht minder, als es im vorigen Jahrhundert ein Satellit des zaristischen Rußland war. Mit dieser Macht als Rückendeckung kann es also für Jugoslawien eine echte militärisch-politische Bedrohung darstellen und so war auch das Verhältnis Jugoslawien zu diesem seinem Nachbarn seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ein fast genaues Abbild des Verhältnis-, sei ‘SoWi8ttÖBlandi Wfrgostawien: Das Objekt dieses z jtw£i)igr kälteto. Krieges war und ist bis in die jüngsten Tage Mazedonien.

Ideologische Verpackung

Anders ist das Verhältnis Albaniens zu Jugoslawien. Albanien hat sich zwar für das Banner Maos entschieden, aber China ist weit und zu einer Expansion nach Europa wohl kaum so bald imstande. Albanien kann also in absehbarer Zeit keine echte militärisch-politische Bedrohung für Jugoslawien darstellen. Seine Agressivität ist anderer Natur. Sie ist nationaler Natur, die Sorge um seine Volksangehörigen in Jugoslawien, konkret: die Albanier im Kosmet. Und das mit vollem Grund: War doch das albanische Element in diesem Gebiet schon seit den sogenannten Balkankriegen — den Vorläufern des ersten Weltkrieges — ohne Unterbrechung bis in die letzten Jahre Entnationalisierungs-, ja zeitweise sogar richtigen Ausrottungsmaßnahmen durch die jeweilige serbische Oberschichte ausgesetzt. Es geht also hier tatsächlich um den nationalen Bestand; damit operiert Tirana sehr geschickt, wirkungsvoll ufrd gut in ideologische Angriffe herkömmlicher Art verpackt.

Zwei im Mai dieses Jahres abgehaltene Symposien gaben Gästen aus Wien Gelegenheit, gute Einblicke in diese Probleme zu bekommen, bessere, als es jemals reines Quellenstudium vermitteln kann: Das Skan- derbeg-Symposion zu Pristina und das Ilinden-Symposion zu Ohrid. Skanderberg war der legendäre Führer des albanischen Widerstandes gegen die Osmanen im 15. Jahrhundert, eine als Staatsmann, Diplomat und Kleinkriegsführer im gesamteuropäischen Rahmen überragende Erscheinung. Den Osmafren war es nicht gelungen ihn zu seinen Lebzeiten zu besiegen. Der Zusammenbruch des Widerstandes trat erst nach seinem Tode ein. Daß er aber auf verlorenem Posten stand, ist auf die Unfähigkeit des Abendlandes ln jenem Zeitabschnitt zurückzuführen, sich zu energischen Abwehrmaßnahmen zu sammeln, selbst dann nicht, als das Osmanenreich nach der Niederlage bei Angora, die ihm die Mongolen 1402 beigebracht hait-

tan, fast völlig vernichtet worden war. Das Symposion zu Pristina war die Ergänzung und Erwiderung auf die im Februar 1968 dem gleichen Thema gewidmete Tagung zu Tirana und sollte den Nachweis bringen, daß auch die Kosmet-Albaner Skan- derbeg als den ihren betrachten.

Nationalistischer Sozialismus

Der Ilinden-Aufstand war die denkwürdige Erhebung des mazedonischen Volkes gegen die türkische Herrschaft im Jahre 1903 unter Führung der VMRO, der Geheimen mazedonischen revolutionären Organisation. Er brach am Ilinden, dem St.-Elias-Tag, aus. Aktuell war die Abhaltuhg dieses Symposions deswegen, weil die bulgarische Publizistik neuerdings, und zwar jetzt im Zusammenhang mit der 100-Jahr- Feier des Friedens von St. Stefano, Mazedonien für Bulgarien reklamierte, wobei sie die Behauptung aufstellte, daß der Ilinden-Aufstand eine bulgarische und nicht mazedo nische Sache gewesen sei — in Konkurrenz übrigens zur einstigen serbischen Cetnik-Bewegung, deren Traditionen noch heute nicht untergegangen sifrd, die das gleiche von sich behauptet. Auf dem Symposion wurde mit Nachdruck der Nachweis gebracht, daß der Ilinden-Aufstand in Wirklichkeit eine rein mazedonische Angelegenheit gewesen sei und in keinem Zusammenhang mit dem St.-Stefano-Frieden stehe. Dieser Friede beendete nämlich den Russisch-Türkischen Krieg (1877 bis 1878), wobei durch Machtspruch des Hauptsiegers Rußland Mazedonien zu Bulgarien geschlagen wurde. Dieser Friedensschluß wurde jedoch dann durch den Berliner Kongreß annulliert.

Mit beiden Gebieten — Kosmet und Mazedonien — ist aber die serbische Tradition eng verbunden und hatte in der Einverleibung dieser Länder in den schon erwähnten Balkankriegen ihren konkreten Niederschlag gefunden. Das trifft besonders auf den Kosmet zu, denn gerade hier lag ja einstens der Schwerpunkt des Großserbischen Reiche der Neman- jiden, dessen Verlust in der Amselfeldschlacht ein bis heute noch nicht verheiltes Trauma hifrterlassen hat.

War die Autonomie des mazedonischen Volkstums durch die jugoslawische Regierung bald nach Beendigung des zweiten Weltkrieges proklamiert und Ansätze zu seiner Realisierung gesetzt worden, so datiert die freie Entfaltung des Kosmet- Albaniertums erst seit 1957, was sogar von Serben zugegeben wird. Obwohl in dieser kurzen Zeitspanne bis heute seitens des Albaniertums erstaunlich viel geleistet worden ist, was seiner Intelligenz und Vitalität das beste Zeugnis gibt, so konnte natürlich der Mangel an Intelligefrz- berufen bisher nur mm Teil behoben werden. Daher merkt man hier noch die starke Präsenz des Serben- turns. Aber auch in Mazedonien ist die serbische Position noch nicht völlig gebrochen. Alles ist noch in Entwicklung und diese wird ohne — vielleicht auch schwere — Friktionen nicht weitergehen. Der Sozialismus hat hier stark nationale, ja man kann ruhig sagen, nationalistische Züge und diese bergen gefrug Konfliktstoffe.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung