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Altösterreichisches Kultusprotektorat in Albanien

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Der Orkan einer Weltenwende, den wir erleben, hat mit voller Wucht auch die Länder des Balkans erfaßt. In dem ängstlichen Wunsche, unseren eigenen Standort zu bestimmen, geht der Ausblick auf manche Sturmgebiete verloren, die noch für die Älteren der lebenden Generation von tiefer und vielfacher Bedeutung gewesen sind. Die nicht allzu häufigen, aber immer recht erstaunlichen Nachrichten, die uns heute aus Albanien auf Umwegen erreichen, wecken zumeist nur die oberflächliche Anteilnahme, die man irgendwelchen aus der Peripherie der politischen Ereignisse stammenden Symptomen entgegenbringt. Politisch gesehen, ist das richtig, historisch von unserem österreichischen Standpunkt betrachtet, ist es falsch.

Denn die Beziehungen, die Osterreich, die alte Habsburgermonarchie, aber auch noch die erste Republik, mit diesem Lande verbanden, waren sehr wesenhaft und gerade für die Mittlerrolle unserer donauländischen Heimat bezeichnend. Albanien, südlich des einst österreichischen Küstenlandes Dalmatien und des ehemaligen Königreiches Montenegro, nördlich von Griechenland, landeinwärts an Südserbien grenzend, hatte seit dem Ende des Mittelalters bis 1912 kein Staat-liches Eigenleben. Nach dem Tode des Nationalhelden Skanderbeg, 1468, geriet der gesamte Siedlungsbereich der Albaner unter osmanische Herrschaft, übrigens befindet sich das Original des schönen und eigenartigen, mit einem Kronreif geschmückten Helmes des Skanderbeg, des albanischen Hoheitsabzeichens, im Kunsthistorischen Museum zu Wien.

Durch Jahrhunderte galt Albanien als geographischer Begriff ohne jede Eigenpersönlichkeit. Das hochbegabte albanische Volk schenkte dem osmanischen Kaiserreich große Staatsmänner, Heerführer und Künstler; aber die nationale Zugehörigkeit dieser Männer blieb sozusagen anonym, sie gingen als .Türken in die Geschichte ein. Die erste Macht, die sich der Albaner annahm, war Österreich. Unter Maria Theresia wurde ein österreichisches Protektorat über die katholischen Nordalbaner errichtet, es bestand auch nach der Schaffung des albanischen Staates fort und endete erst mit dem Untergang der Habsburgermonarchie. Wohl hatte diese Einrichtung politisch eine Spitze gegen die Türkei, später gegen Serbien und Italien; aber das Politische war fast zur Gänze überdeckt von dem Kulturellen, das allein und sehr deutlich in Erscheinung irat.

Bei einer Gesamtbevölkerung von nicht viel mehr als einer Million — ungefähr ebenso viele Albaner wohnen außerhalb der Landesgrenzen — leben in Mittelalbanien rund 600.000 Mohammedaner, im Süden rund 250.000 Orthodoxe und im Norden rund 150.000 Katholiken, wobei aber zahlreiche konfessionelle Enklaven und Verzahnungen bestehen. Das geistige und wirtschaftliche Zentrum Nordalbaniens ist die Stadt Skutari. Hier kon-7entrierte sich die für die kulturelle Entwicklung des Landes entscheidend wichtige Tätigkeit des österreichischen Protektorats. Österreich ließ den Franziskanern und Jesuiten in Skutari materielle und moralische Unterstützung ange-cleihen, insbesondere auch den von diesen Orden geschaffenen und geleiteten Elementar- und Mittelschulen; sie zählten zu den besten Lehranstalten der ganzen Balkanhalbinsel. Die unter dem Protektorat wirkenden Jesuiten und Franziskaner waren die kulturellen Führer für das ganze Land. Ihre Schulen gaben dem albanischen Volke Generationen führender Politiker, Dichter und Kaufleute. Ordensfrauen unterhielten in Skutari eine Lehrerinnenbildungsanstalt und hatten Kindergärten eingerichtet. Die Jesuiten und Franziskaner besaßen die leistungsfähigsten Verlagsanstalten des Landes mit einer erstaunlich umfangreichen Produktion. Der Verlag „Shtypshkroja e se Paperlymes“ Pruckerei Unbefleckte Empfängnis), bereits 1871 gegründet, stand mit der Zahl seiner Veröffentlichungen an der Spitze aller in- und ausländischen albanischen Verlagsanstalten. Seine Produktion umfaßte außer Büchern religiösen Inhalts, nationale Dichtungen und pädagogische Schriften, wie Grammatiken, Wörterbücher usw. Die „Shtypshkroja Franziskane“ (Druk-kerei der Franziskaner) veröffentlichte in erster Linie nationale und fremde Dichtungen, darunter auch Übersetzungen aus dem Deutschen. Aus den Reihen der Skutariner Ordenspriester gingen die Dichter P. Gjergj Fishta und P. Vincenc Prennushi hervor; der leztere hatte in Tirol studiert und sprach ein anheimelndes tirolisches Deutsch.

Die kirchliche Hierarchie des Landes setzte sich zusammen aus zwei Erz-bischöfen, in Skutari und Durazzo, und drei Bischöfen, in Alessio (Lesh), Kalmeti und Pulti. Besonders schöne Erinnerungen verbinden mich mit der Person des Erz-bischofs von Skutari, Monsignore Medhia, eines Kirchenfürsten, dessen Ansehen weit über die Grenzen des Landes ausstrahlte. Zu den führenden Persönlichkeiten, die aus der Umwelt des katholischen Nordalbanertums hervorgegangen waren, zählten in der letzten Generation auch der Unterrichtsminister HU Mosi, der Finanzminister Kol Thaci und der Archäologe P. Clemens Miraj. Noch in der nächsten Umgebung des 1939 auf unerfreuliche Art abgegangenen Königs Zogu, der selbst Mohammedaner war, hatte das katholische Element einen führenden Rang: der Generalstabschef, der Heeresinspektor und beide königliche Adjutanten — der zweite, Major Llesh Topallaj, fiel in Wien im Jahre 1931 einem gegen den König gerichteten Attentat zum Opfer — waren Katholiken.

Der österreichische Albanienreisende konnte es zu seiner frohen Verblüffung auch fern vom katholischen Norden erleben, daß er irgendwo in einer Schule oder bei einer auf einem Ausflug begriffenen Schulkrasse das Prinz-Eugen-Lied und andere österreichische Lieder hörte, mit unterlegtem albanischem Text. Der erwähnte Hil Mosi, Unterrichtsminister und Dichter, hatte nämlich eine Sammlung unserer Volkslieder, mit albanischen Texten unterlegt, herausgegeben und dadurch den Schatz der albanischen Lieder mit einem Schlage außerordentlich bereichert.

In der Zeit, als die Protektoratsmacht Österreich für die Volks- und Mittelschulen Nordalbaniens sorgte, entwickelte sich die dann über das ganze Land verbreitete Gepflogenheit, den intellektuellen Nachwuchs an die Mittelschulen nach Wien, Graz und Linz und an die Hochschulen nach Wien und Graz zu senden. Diese jungen Menschen wurden auf Lebenszeit und zugleich für ihre Umwelt Träger der österreichischen Kultur. Noch in der ersten österreichischen Republik gab es hier erstaunlich viele albanische Studenten, von denen die meisten mit Stipendien ihres Landes ausgestattet waren. Leider erschwerte die österreichische Republik — während

Italien alles tat, die studierende Jugend Albaniens an sich zu ziehen und materielle Opfer dafür brachte, in der richtigen Überzeugung, daß sie sich lohnen würden — den jungen Leuten ihren Aufenthalt in Österreich immer mehr. Nur der rührenden Anhänglichkeit an jenes Österreich, dem sie und ihre Väter in ihrer geistigen Entwicklung so viel Dank schuldeten, war es zuzuschreiben, daß die albanischen Studenten nicht ganz von den österreichischen Schulen verschwanden. Ob durch die jüngsten Ereignisse all das einst Geschaffene zerstört worden ist, werden wir erst später einmal beurteilen können.

Zu dem Erwachen und Aufblühen des albanischen Geisteslebens unter dem zielbewußten und vielfach befruchtenden Schutze Österreichs trat eine zweite Erscheinung; die jahrhundertelange Wirksamkeit des österreichischen Protektorats über die katholischen Nordalbaner hatte es auch mit sich gebracht, daß österreichische und ungarische Männer der Wissenschaft in Arbeiten von bleibender Bedeutung das Land erschlossen und zu Begründern der Albanologie wurden. Wir betreten mit dieser Feststellung eine wahre Ehrenhalle der Geistigkeit, die unter anderen die folgenden Namen enthält: Baron A. Ippen, Baron Franz Nop-csa, Eugen Oberhummer, Michael Haber-landt, Remi Kwiatkowski, Carl Patsch, E. C. Sedlmayr und L. von Thalloczy.

Für die neue Generation unserer Akademiker wäre es eine ihrer würdige Aufgabe, bei Wiederkehr ruhigerer Verhältnisse hier an die Uberlieferung anzuknüpfen, die vom 18. Jahrhundert bis in die dreißiger Jahre unseres Säkulums reicht.

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