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Casar und sein Olüclc

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Albanien war bis zum Balkankrieg eine recht unangenehme innere Angelegenheit der Türkei und eine Privatangelegenheit der rivalisierenden Mächte Italien und Oesterreich-Ungarn. Außerhalb dieses begrenzten Kreises kümmerte sich die Welt herzlich wenig um dieses urtümlichwilde Bergland. Meine eigenen Beziehungen zu Albanien bestanden in einigen kürzeren Aufenthalten in St. Quaranta, einem vernachlässigten Hafen, einige Meilen nördlich von Korfu, wo unser Dampfer des Oesterreichischen. Lloyds auf seiner Fahrt nach Konstantinopel je nach den Einlade- oder Ausladefrachten einen längeren oder kürzeren Aufenthalt auf der Reede hatte. St. Quaranta sah von der Ferne ganz hübsch aus. Es lag in einer grünen freundlichen Bucht, und im Hintergrund erhoben sich terrassenförmig die Berge des Hinterlandes, St. Quaranta war der Einfuhrhafen nach dem Wilajet Kosowo und der einzigen bedeutenden Stadt des Hinterlandes, Janina. Diese freundliche Hafenstadt verwandelte sich jedoch in ein wenig komfortables Nest, wenn das Boot einen ans Land brachte. Außer dem Zollhaus war kaum ein Gebäude da, das den Namen Haus verdient hätte. Im Balkankrieg wurde die Stadt dann noch von griechischen Kriegsschiffen bombardiert und, wie der damalige Kriegsbericht lautete, in Trümmer geschossen. Damals stand Albanien plötzlich inmitten des Weltinteresses. Die Belagerung von Skutari durch die Armee König Nikitas artete infolge Unbotmäßigkeit des Königs der Schwarzen Berge zu einer Weltkalamität aus und wurde zu einer ergiebigen Einnahmequelle für die Alba-nesen. Die Angelegenheit Skutari -wurde noch komplizierter, als es der montenegrinischen Armee gelungen war, in die Festung und Stadt siegreich einzuziehen. Hätte man den heldenmütigen Hassan-Pascha, den Kommandanten von Skutari, nicht ermordet, so wären die montenegrinischen Waffenerfolge sehr zweifelhaft gewesen. Aber nach Hassan-Pascha kam Essad-Pascha, der schon in der jungtürkischen Revolution eine zweifelhafte Rolle gespielt hatte, und plötzlich war die Festung am Tarabosch, die Skutari deckte, gefallen, und Essad-Pascha bot die Uebergabe der inneren Festung an. Die siegreiche Eroberung soll Nikita nur achtzigtausend Franken gekostet haben.

Im Frühjahr 1913 war ich auf dem Lloyd-Dampfer „Brünn“, der den Eildienst Triest-Konstantinopel versah, als Erster Kommissär eingeschifft, und kurz ,yor Abfahrt unseres Dampfers kam eine versiegelte Order der Generaldirektion, die ich dem Kommandanten — es war der elegante Kapitän Winterhalter, ein angegrauter Herr, ein Neffe des berühmten Malers, der trotz seines deutschen Namens nicht ein Sterbenswörtlein deutsch sprach — zu übergeben hatte. Gleichzeitig kam eine Instruktion des navalen Inspektorates mit dem Befehl, einige Boote mit einer Anzahl von Passagieren und verpackten und nicht verpackten Waffen von der Seeseite her unauffällig einzuschiffen. Soweit ich mich erinnere, waren es drei große Rettungsboote mit wild aussehenden Männern, etwa 30 an der Zahl, und einer Menge Kisten, Gewehren usw. Die Passagiere auf dem Schiff, die auf die Abfahrt warteten, waren so mit dem Schauspiel der Abfahrtsvorbereitungen am Molo Nr. 3, wo wir vertaut waren, beschäftigt, daß sie die Einschiffung der verdächtigen Fracht gar nicht bemerkten. Sie waren dann höchst erstaunt, als kurz nach der Abfahrt die romantischen Gesellen, teils in albanischer Nationaltracht, teils in Zivil gekleidet, in den Gesellschaftsräumen des Dampfers auftauchten. Die Waffen übernahm ich und versorgte sie in der sogenannten Waffenkammer des Schiffes, denn es schien mir nicht ratsam, sie im Bereich der Albanesen zu lassen. Ganz abgesondert von dieser Gesellschaft, schiffte sich auf normalem Weg, allerdings erst in letzter Minute vom Molo aus, ein äußerst eleganter ältlicher Herr mit einem weißen Spitzbart, Monokel, modischem Cutaway, Zylinder, gepflegt, nach Parfüm duftend, von dienstbeflissenen Sekretären begleitet, ein und nahm die reservierte Luxuskabine auf dem Promenadendeck in Gebrauch. Ein echter Pariser Boulevardier, wie er nicht echter sein konnte Und kaum lichtete unser Schiff die Anker, saß er schon mit seiner Gesellschaft im Rauchsalon und ließ die Pfropfen der zwei ersten Flaschen Moet et Chandon knallen. Gleichzeitig kam der Erste Sekretär des eleganten alten Herrn und bat mich, im Namen seiner Exzellenz mit ihm ein Glas Sekt auf das Glück seiner Fahrt zu leeren.

Exzellenz war niemand anderer als Ismail Kemal-Pascha, ein albanischer Notabel, der als Jungtürke sonst in Paris im Exil lebte und im Begriffe stand, nach Albanien heimzukehren, um die Unabhängigkeit des Landes und die Geburt des albanischen Staates als neuer Skanderbeg zu verkünden. Inzwischen haben wir die Höhe von Pirano passiert, befehlsgemäß die versiegelte Geheimorder aufgemacht und daraus erfahren, was wir schon wußten, nämlich daß wir die so geheimnisvoll eingeschifften Passagiere und Waren nach Albanien zu führen und mit unseren Schiffsbooten bei Capo Rodoni, etliche Seemeilen nördlich von Durazzo, ohne Aufsehen ans Land zu setzen hätten.

Ismail Kemal war damals der Mann Oesterreichs. Damals, betone ich, denn er verstand, auch in Italien für seine Person ein für den italienischen Staatssäckel teures Interesse zu wecken. Er warf die goldenen Louisdors mit beiden Händen in den Pariser Nachtlokalen hinaus, hatte kostspielige Allüren und lebte wie ein König im Exil.

Die Fahrt bis Capo Rodoni war recht lustig. Kemal und seine nähere Umgebung lichteten während der Fahrt unheimlich die Champagnervorräte unseres Dampfers, gezahlt wurde ja laut Instruktion nichts, sondern die Rechnung nach Wien übermittelt.

Als wir aber am Ende der Fahrt nach Rodoni kamen, wurde die Stimmung etwas gedrückt. Man ging ja in ein total ungeklärtes Abenteuer, in ein Land, wo die Menschen normalerweise nicht in Betten starben. Immer schärfer zeichneten sich die blauen Konturen der albanischen Alpen in der klaren Morgenluft ab, und die warmen, schelmischen Kinderaugen Ismail Kemals verloren sich immer mehr in die Feine, dorthin, wo er Geschichte machen sollte. Einst, in seinen Jugendjahren, war er ein Draufgänger, ein unerschrockener Verschwörer, der so manche gefährliche Situation gemeistert hatte. Aber jetzt? Jetzt war er schon alt. Was früher Begeisterung. Leidenschaft war, wurde in den alten müden Tagen bitterer Kampf ums tägliche Leben. Er lebte nur davon, daß er der große Führer seines in so viele Stämme zerrissenen Volkes war, die zu einem Königreich zu einigen seine Aufgabe war. Als dann der schmale Streifen Landes der flachen albanischen Küste näher kam, verschwand er und kehrte kurz darauf mit einem schön gebügelten roten Fes am Kopf zurück. Was alles eine Kopfbedeckung bewirken kannl Der lebensfrohe Fariser war verschwunden. Hier neben mir stand ein würdiger alter Türke mit bedächtiger Rede und den bedächtigen, würdevollen Bewegungen eines vornehmen Türken. Er war jetzt das genaue Ebenbild so vieler Paschas, die zu jeder Stunde des Tages ihren wertvollen Tespsi (türkischer Rosenkranz) unermüdlich zwischen die Finger gleiten lassen, und mit den leeren Blicken der Kef, die wie von der Außenwelt abgeschlossen erscheinen. Wie gut würde dieser alte würdige Herr in den Rahmen des Konaks von Erserum oder Bagdad als Wali hineinpassen. Das ist die geheimnisvolle Seele des Orients, die uns unlösbare Rätsel aufgibt, wenn wir sie schon restlos begriffen und durchschaut zu haben glauben.

Langsam gleitet das Schiff im stillen Küstengewässer Albaniens. Jetzt sind wir auf der Höhe von Capo Rodoni, einer tief in die See hineinragenden grünen Halbinsel. Unser Reiseziel! Da haben wir laut höheren Befehls unsere Gäste auszuladen und ans Land zu befördern. „Ferma“, hört man das abgehackte Kommando des Kapitäns, die Maschinen stoppen. Wir stehen im ölglatten Gewässer still. Neben mir steht Ismail Kemal. Sein Gesichtsausdruck ist wie gequält, seine Stimme gepreßt.

„Was denken Sie, Herr Kommissär, wird man mich an den ersten Baum dort aufhängen?“ Das soll ein Witz sein, aber dieser Witz klingt so traurig, daß ich mich beeile, den lieben, alten Herrn, der mir jetzt von Herzen leid tut. zu trösten. — „Die Sie eventuell hängen wollten, werden Sie nicht erwischen, Exzellenz, und- die Nürnberger hängen keinen, den sie nicht, haben. Außerdem können Sie, wenn Sie sehen, daß auf dem Land eine Gefahr droht, wieder zurück. Wir haben Befehl, eine ganze Stunde hier zu warten.“

Unsere Rettungsboote wurden ins Wasser gelassen. Das Manöver des Ausschwingens dauerte etwas länger und erhöhte die Nervosität. Langsam schritt Ismail Kemal, der Vater der albanischen Unabhängigkeit, die steile Schiffstreppe hinunter zu den Booten, die sich schnell vom Schiff entfernten. — Alles in allem: es war doch ein eindrucksvoller Moment, und ich sagte, als die Boote entschwanden, traumverloren immer wieder die Worte vor mich hin: „Fahret wohl! Ihr trägt Cäsar und sein Glück.“

Es war Anfang April, als wir Ismail Kemal-Pascha ans Land setzten. Einige Tage später verkündete er mit Hilfe eines ad hoc zusammengestellten Nationalrates die Unabhängigkeit Albaniens und ließ dann den Fürsten von Wied zum König — oder Mbret — ausrufen. Er kehrte dann mit irdischen Gütern, deren Hauptanteil wohl wir beisteuerten, reich beladen in sein geliebtes Paris zurück. Seitdem habe ich den freundlichen alten Herrn aus den Augen verloren, nur aus Genf erhielt ich einige Monate später eine Ansichtskarte von ihm mit den für andere wohl unverständlichen Worten: „Sie haben recht behalten. Man hat mich nicht gehenkt. Herzliche Erinnerungen von ihrem dankbaren Passagier I. Kemal.“

Uebrigens war von meinen vielen Balkanfreunden er der einzige, der eines nicht gewaltsamen Todes gestorben ist. Talaat-Pascha, Dsemal-Pascha, Enver-Pascha, Alexandroff, der sogenannte König der Berge, General Proto-geroff, der Woiwod Peter Tschauleff, der Woiwod Panizza, der im Wiener Burgtheater erschossen wurde, Tomalevsky, der Außenminister der Inneren Mazedonischen Organisation, Zia-Bei, türkischer Generalstabshauptmann, der Kopf der albanischen Bewegung; Hassan-Bei Pristina, den die Beauftragten Achmed Zogus, des späteren Königs von Albanien, in derselben Minute niederschossen, als er von Saloniki aus seinen Zug nach Kossowopolje antreten wollte, um sich dort zum Mbret Albaniens ausrufen zu lassen. Sie alle starben eines gewaltsamen Todes. Hassan-Bei Pristina, dieser richtige Aristokrat, war einige Tage vor seinem tragischen Ende in Wien. Wir aßen zum Abschied im Grand Hotel, besprachen verschiedene Aktionen nach seiner Machtübernahme, als er plötzlich im Gespräch innehielt. — „Wie glücklich sorglos die Menschen hier sind! Keiner denkt daran, daß unter ihnen einer sitzt, der am Wege ist, einen Thron zu erobern oder zu sterben. Es ist ein gefährlicher Weg, den ich morgen antrete. Achmed Zogu weiß so gut wie ich, daß entweder er oder ich sterben muß. So ist es bei uns in Albanien ...“ — Einer mußte gehen, und das war er. Acht Tage später fiel er unmittelbar vor seinem Hotel in Saloniki von elf Neunmillimetergeschossen durchbohrt. Wie er gesagt hatte: einer mußte gehen. Der eine war er ...

Ja, sie alle meine abenteuerlichen Gefährten aus Mazedonien, Albanien, Bulgarien, Thrazien, der Türkei sind eines gewaltsamen Todes gestorben, so wie es einem richtigen balkanischen Revolutionär geziemt.

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