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Ein Linzer in Tibet

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Als im Sommer 1664 ein Wanderer durch das Welser Tor die Stadt Linz betrat, ahnten die Bewohner nicht, daß dieser schlichte Mann, der jetzt in seine Vaterstadt einkehrte, nach Jahrhunderten noch als einer ihrer größten Söhne gefeiert würde.

Der Lebensweg Johannes Gruebers hatte an ungewöhnlichen Stationen yorüber-geführt. In Linz am 28. Oktober 1623 geboren, war er mit 17 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten, war 1656 nach China gefahren und hatte in Peking als Mathematiker an der Seite des berühmten Ordensgenossen^ Adam Schall von Bell an der kaiserlichen Sternwarte gearbeitet. Da wurde ihm plötzlich von seinen Obern der Auftrag zuteil, über wichtige Ordensangelegenheiten in Rom persönlich zu verhandeln. Der Seeweg war unmöglich, weil ihm der zwischen Spanien-Portugal und Holland entbrannte Kaperkrieg den unsicheren Seeweg verschloß. So faßte Grueber den kühnen Entschluß zu dem Versuch, quer durch Asien über Indien auf dem Landweg nach Europa zu gelangen. Der Weg führte durch Tibet, das für jeden Fremden verbotene,“ unbekannte und unerforschte Land. P. Johannes Grueber trat eine der denkwürdigsten und abenteuerlichsten Reisen an, welche die Geschichte der geographischen Forschung kennt. Ihn begleitete der Belgier P. Albert d'Orville.

Am Morgen des 13. April 1661 zogen die beiden Männer durch die Tore Pekings nach Westen. Zwei Monate später, Mitte Juni, standen sie vor den Toren der Stadt Sining, an der Westgrenze des chinesischen Riesenreiches. Jenseits der großen chinesischen Mauer, an der diese Stadt lag, begann das unbekannte Gebiet. Grueber benützte in Sining eine zweiwöchige Rast, um die Stadt und den Verlauf der diinesischen Mauer zu erkunden und“ darüber Aufzeichnungen zu machen. Er bestimmte auch die geographische Lage-der Stadt, wie er es von nun an bei allen bedeutenden Orten tat, durch die er kam. ■ \ , ■ : /

Ende Juni überschritten Grueber und d'Orville die Grenze Chinas und wanderten hinaus gegen Westen, ohne Landkarte, ohne Führer, ohne Kenntnis, des Weges. Anfang Juli umgingen sie das nördliche Ufer des Koko-Nor-Sees und bogen dann gegen Südwesten ab in die weiten Einöden von Zentraltibet. „Dieses Wüstenland“, schreibt P. Grueber, „ist teils gebirgig, teils eben, sandig und durchaus unfruchtbar, ausgenommen die Ufer der Flüsse. An Tieren fand ich nur eine Art von großen Büffeln (Yak). Das ganze Gebiet ist so öde, daß zwischen dem Koko-Nor und dem Königreich von Barantola kein Acker zu sehen ist, obwohl ein Weg von drei Monaten dazwischen liegt.“

Von Mitte Juli bis Mitte August wanderten die beiden Gefährten durch dieses unwirtliche Hochland. Oft mußten sie zu Felskletterern werden und Ströme durchqueren. Die heiße Sommersonne brannte unbarmherzig nieder auf die schattenlose Steppe. Dann standen sie vor dem Burkhan-Buddha-Gebirge, das sie bis zur Paßhöhe von 5000 Metern erklimmen mußten. Drüben empfing sie dann die ganze Schrecknis der wilden tibetanischen Hochebene. Das riesige Gebiet liegt 4000 Meter hoch, durchschnitten von zahllösen Gebirgsketten. Immer wieder stießen die Wanderer auf die Gebeine und Skelette von Tieren und Menschen, die ihnen das Schicksal verkündeten, das dem Wanderer auf den eisigen Höhen drohte. Zu diesen Schrecken der Natur kam die Räubergefahr; sie verlangte von den Reisenden ständige Wachsamkeit.

Gegen Ende September kamen sie an die Kette des Tangla-Gebirges. Sie überstiegen den Paß in 5000 Meter Höhe. Dann ging es weiter über die Hochebene und überstiegen den Transhimalaja, dessen Sattel 5400 Meter hoch liegt. Jenseits des Gebirges gelangten sie endlich wieder in bewohntere Gegenden, in das Reich Barantola .— Tibet!

P. Grueber war ein guter Zeichner. In vielen Bildern hat er Kleidung, Waffen, Häuser, Tempel und Götterbilder der Völker Tibets festgehalten. Der König des Landes ließ sich von ihm in der Kleidung eines Lama konterfeien.

• Am 8. Oktober 1661 erreichten die Wanderer Lhasa, die Hauptstadt des damals Barantola genannten Landes. Hier nahmen sie Aufenthalt für einen Monat. Als erster konnte Grueber dem Abendland das Geheimnis dieser berühmten, sagenhaften Stadt des Dalai Lama, des „großen Heiligen“, enthüllen. Er konnte diesen persönlich nicht besuchen, da er als Christ und katholischer Priester die geforderte Zeremonie der Anbetung nicht leisten durfte. Er zeichnete jedoch sein Bild, wie er es am Eingang des ' Palastes fand. Auch den Palast selbst und die Stadt zeichnete er, und dieses Bild ist zweihundert Jahre lang das einzige geblieben, das man von Lhasa besaß. Es wurde in unzähligen geographischen Büchern des 18. und 19. Jahrhunderts veröffentlicht.

Ende November verließen die beiden Wanderer die geheimnisvolle Stadt und zogen nun wieder über Ebenen und Gebirge dem Süden zu. Nach einem Monat erreichten sie die Grenze von Nepal. Vor ihren Augen lag das höchste Gebirge der Welt, der Himalaja. Immer näher kamen sie den gewaltigen Ketten, immer beschwerlicher wurde der Weg. In den ersten Tagen des Jahres 1662 begannen sie. von Nilam aus den Aufstieg über den Tungla-Paß. Es war der gefährlichste Teil der ganzen Reise. Mitten im Winter, in einer Höhe von 5200 Meter kletterten und krochen sie oft an schaurigen, schwindelerregenden Abgründen vorbei, über vereiste und schneebedeckte Pfade. An manchen Stellen wurde der Saumpfad so schmal, daß bei jedem Schritte der Absturz in die Tiefe drohte. Diese furchtbare Wanderung dauerte zehn Tage.

31 Jahre früher waren zwei andere Jesuiten, ebenfalls im Winter, denselben Gebirgsweg gezogen. Sie wollten als Missionäre nach Tibet gelangen. Sie erlagen beide den Mühsalen und Beschwerden des Weges, noch ehe sie das Ziel erreichten.

Das gleiche Schicksal drohte P. Grueber und seinem Gefährten. Erschöpft kamen sie Mitte Jänner in Katmanga an. Der Fürst dieses abgeschlossenen Gebirgslandes nahm die beiden Fremden gastfreundlich auf. Die kurze Rast verwendete Grueber zu geographischen Forschungen, der ersten wissenschaftlichen Erkundung des Landes.

Nach ihrem Aufbruch aus Katmanga marschierten die beiden Ordensleute eine Woche lang durch die südlichen Vorgebirge des Himalaja, bis sie endlich von einer Felshöhe herab zu ihren Füßen, wie das gelobte Land, die weiten, sonnigen Gefilde Indiens mit ihren Palmenwäldern und grünen Triften ausgebreitet sahen. Die schaurigen Wüsten Tibets waren überwunden, der erste Teil der Aufgabe glücklich gelöst.

Die beiden Gefährten stiegen nun hinab in die Ganges-Ebene und kamen nach drei Wochen in die Stadt Patna. Weiter zogen sie über Benares und Cawnpore, den Ganges entlang, nach Agra, der Residenz des Großmoguls, in der ihr Orden eine Mission unterhielt. Ende März trafen die Reisenden dort ein. Nun sollten sie sich von ihren Mühsalen erholen können.

Doch für d'Orville war es die letzte Rast. Die Anstrengungen des unerhörten Wagnisses hatten seine Kräfte völlig erschöpft. Am Karsamstag, den 8. April 1662, stand Grueber am Sterbebett des treuen Gefährten, der mit ihm den Ruhm teilt, die , erste Erforschung Tibets vollbracht zu haben. Sie hatten den Weg von Peking nach Agra in elf Monaten zurückgelegt, ohne Karte, ohne alpinistische Ausrüstung, fast immer nur angewiesen auf die Auskünfte und die primitive Ernährungsart der Eingeborenen. Bis heute hat kein zweiter Europäer mehr die gleiche Reise gemacht.

P. Grueber trat schon bald die Weiterreise an. Als neuer Begleiter wurde ihm der Deutsche P. Heinrich Roth beigegeben. Über ihre Wanderung bis nach Rom sind wenig Einzelheiten bekannt. Man weiß nur, daß sie über Delhi, Lahors* den Indus hinunterzogen, durch Belutschistan und Mekrän an den Golf von Ormus. Von hier aus nahmen sie den bekannten Weg durch Persien, Armenien, und Kleinasien, auf dem P. Grueber selbst vor Jahren nach Indien gekommen war. Am 20. Februar 1664 langten sie nach zweijährigem Marsche wohlbehalten in Rom an. Pater Grueber war im ganzen drei Jahre unterwegs gewesen und hatte dabei fast ganz Asien durchquert. Nach Abschluß der Besprechungen in Rom reiste der Unermüdliche Anfang Mai nach Venedig, um von dort die/ Seefahrt zurück nach China anzutreten. Doch wegen des Krieges zwischen Venedig und der Türkei konnte er den Seeweg durch das Mittelmeer nicht benützen.

Da beschloß Grueber, über Polen, Moskau und Turkestan nach Persien zu wandern. Er überstieg die Alpen und reiste nach Breslau, von dort nach Danzig und Kurland. In Mitau erfuhr er eine neue Enttäuschung: Der Weg durch Rußland war wegen innerer Kriege unmöglich, der Weg über Astrachan und Sibirien überdies von den Tataren versperrt. Aber Grueber war nicht zu entmutigen. Er änderte aufs neue seinen Plan, kam von Norden zurück nach Wien und reiste von hier aus mit P. Roth die Donau abwärts und erreichte Konstantinopel.

Doch hier packt den eisernen Mann das Schicksal, dem er bisher entgangen war: Er brach zusammen. Eine schwere Krankheit befiel ihn. Voll Trauer nahm er Abschied von seinem Gefährten, der allein die Reise nach Indien antrat. Nach langem Krankenlager und noch immer leidend, ging er nach Italien zurück. Er hatte noch immer den Wunsch, wieder nach China zu gehen, aber seine Oberen in Rom hielten ihn einer solchen Reise nicht mehr gewachsen. So begab er sich denn in seine Heimat und stellte sich den Oberen der österreichischen Ordensprovinz zur Verfügung. Und noch war seine Unternehmungslust nicht verbraucht. Von 1667 bis 1669 wirkte der kühne Mann noch als Feldkaplan beim kaiserlichen Heer in Siebenbürgen. Vom Felde heimgekehrt, widmete er seinen Lebensabend in aller Stille der seelsorgerlichen Tätigkeit in Tyrnau und Trencsin.

In dem erhalten gebliebenen reichen Briefwechsel aus jenen Jahren legte er Mitteilungen und Reiseberichte nieder, die heute das Lebensbild seiner Persönlichkeit ergänzen.

1680 stand der Weltwanderer vor seiner letzten irdischen Reisestation. Eine Todeskrankheit, deren große Schmerzen er schweigend ertrug, hatte ihn befallen. Am 30. September 1680 verschied Johannes Grueber zu Sarospatok in Ungarn, im Alter von 57 Jahren.

Nie im Leben hatte er seinen Ruhm gesucht. Die Berichte seiner Reisen überließ der bescheidene Mann anderen zur Veröffentlichung. Die Nachwelt aber hat ihm gegeben, was ihm gebührt: den Ruhm, einer der kühnsten Reisenden, den die Weltgeschichte kennt, und der erste Erforscher Tibets zu sein.

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