Die Gier nach Profit und Wissen
Am 10. August 1519 legten fünf Schiffe in Sevilla ab, um via Atlantik einen Seeweg nach Asien zu finden. Eine epische Fahrt begann, deren Ausgang sich als Meilenstein der Globalisierung herausstellen sollte.
Am 10. August 1519 legten fünf Schiffe in Sevilla ab, um via Atlantik einen Seeweg nach Asien zu finden. Eine epische Fahrt begann, deren Ausgang sich als Meilenstein der Globalisierung herausstellen sollte.
Stellen Sie sich vor, Sie bekommen von Ihrem Arbeitgeber eine Dienstwohnung, die hat Meerblick, Parkettboden und ist mehr als 150 Quadratmeter groß. Klingt nicht schlecht, oder? Aber die Sache hat einen Haken: Sie müssen diese Wohnung mit 50 anderen Bewohnern teilen und dürfen sie in den nächsten zwei Jahren, oder solange Ihr Arbeitsverhältnis eben dauert, allenfalls stundenweise verlassen. Dafür kommen Sie viel an die frische Luft, denn die Wohnung ist nur teilweise überdacht. Es gibt darin kein fließendes Wasser, weder Bad noch Toilette, keinen Strom, und nachts darf man kein Licht anzünden.
Ihr Arbeitgeber sorgt indessen für Ihre Ernährung, die im Wesentlichen aus Zwieback, Hülsenfrüchten, Stockfisch und Olivenöl besteht. Aber Sie müssen das Essen selbst zubereiten, und die Rationen sind keineswegs üppig. Ausnahme: der Wein, von dem man Ihnen jeden Tag einen Liter spendiert. Wenn Ihre Arbeitsbedingungen damit zutreffend umschrieben sind, dann sind Sie gewiss ein Seefahrer des 16. Jahrhunderts, und Ihre Dienstwohnung ist ein Schiff, genauer gesagt eine spanische oder portugiesische „Nao“: hölzerner Rumpf, gute 25 Meter lang von Bugspriet bis Heck, sechs Meter breit, drei Masten, die vorderen mit Rahsegeln getakelt. Auf Fahrzeugen dieser Bauart segelte Vasco da Gama nach Indien, Amerigo Vespucci nach Brasilien, und am Vormittag des 10. August 1519 legten fünf solche Schiffe vom Puerto de las Muelas in Sevilla ab und ließen sich den Guadalquivir hinabtreiben bis zu dessen Mündung in den Atlantik. Dort, bei Sanlúcar de Barrameda, warfen sie Anker, um Proviant, Kanonen und billige Tauschwaren zu laden und auf ihren Befehlshaber zu warten: den portugiesischen Edelmann und Komtur des Ordens von Santiago, Fernão de Magalhães, heute besser bekannt als „Magellan“.
Aufbruch ins Ungewisse
Magellan hatte mit dem spanischen König Karl I. – bald Kaiser Karl V. – einen Vertrag geschlossen. Er sollte finden, was seit Kolumbus eine ganze Generation von Seefahrern vergebens gesucht hatte: einen westlichen Seeweg nach Asien. Dieser würde dem spanischen König endlich gebührenden Anteil an den Schätzen Asiens bescheren, die seinen Schwager, den portugiesischen Herrscher Manuel I., steinreich gemacht hatten. Unter Manuels Ägide hatten Portugiesen eine Schiffahrtsroute nach Indien erschlossen und damit das Handelsmonopol der Venezianer gebrochen. Seither importierte Portugal die Gewürze des Orients – Pfeffer, Zimt, Nelke, Muskat – säckeweise nach Europa, wo man die exotischen Spezereien mit Gold aufwog.
Um sich bei ihren Erkundungs und Eroberungsfahrten nicht ins Gehege zu kommen, hatten Spanien und Portugal 1494 in Tordesillas einen Vertrag unterzeichnet, der das Erdenrund in zwei gleich große Hälften teilte. Ausgehend von einer imaginären Linie, die rund 2200 Kilometer westlich der Kapverdischen Inseln von Pol zu Pol gezogen wurde, sollte die östliche Hälfte Portugal gehören und die westliche Spanien. Von diesem Arrangement profitierte Portugal zunächst am meisten, konnten seine Seefahrer doch ungeniert um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien und wieder retour segeln, während alle spanischen Vorstöße nach Westen bisher an einer riesigen Landbarriere gescheitert waren, für die sich der Name Amerika einbürgern sollte. Magellan hoffte, im Süden dieser Landbarriere eine Wasserstraße zu finden, die ihm die Weiterfahrt nach Asien gestatten würde. Auf diesem Weg wollte er für Spanien die Molukken in Besitz nehmen: eine Gruppe von Eilanden im Südmeer, die so weit im Osten lag, dass sie nach Magellans Auffassung bereits wieder zum Westen, das heißt zur spanischen Erdhälfte gehörte. Damals waren die Molukken der einzige Ort weltweit, wo der Nelkenbaum Früchte trug, und die aromatischen „Nägelchen“ daher das teuerste aller Gewürze. Im Falle des Erfolges war Magellan fürstlicher Lohn gewiss.
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